In nuce

Dienstag, 23. Juni 2009

Wahrscheinlich grassiert in jeder politischen Partei ein Fünkchen Sektentum, irgendwie fühlt man sich immer als eingeschworene Gemeinschaft, die trotz aller Flügelkämpfe eine gemeinsamen Nenner besitzt: das Parteibuch. Warum man nun ausgerechnet der LINKEN vorwirft, sie sei eine "Partei der Sektierer und Spinner", bleibt ein offenes, in den Medien nicht tiefgründig erläutertes Rätsel. Wer, wenn auch noch so gemildert und im Rahmen der herrschenden Regeln wie im Wahlprogramm der LINKEN, an den Geldbeutel der Besserverdienenden herantastet, der wird pathologisiert. Das war nie anders, wurde von den Jakobinern ebenso praktiziert wie später von Stalin. Die Macht macht sich diese Methode oft zunutze, das ist also alter Käse.
Dabei hat man vor einigen Tagen erst eine wirkliche Sekte beobachten dürfen, wie sie einem grauhaarigen, bebrillten Messias ohne Charisma, dafür aber mit einer Rhetorik aus dem Schlafinstitut behaftet, zujubelte und hochleben ließ. Habemus papam! Vorab hat man ihn schon mal zum Kanzler vereidigt, obwohl sich in der wirklichen Welt abzeichnet, dass er seine Partei in ein noch tieferes Tief stürzen wird. Ein Tief, welches die Anhängerschaft des Gurus gar nicht befürchtet, weil der Gesalbte Wunder wirken kann, weil er im September seine Kräfte einsetzt, um das Unmögliche möglich zu machen. Ein bereits herrschendes Tief, welches fehlinterpretiert wird, denn man würde nur falsch verstanden, die Menschenmassen dieses Landes würden die tiefe Spiritualität messianischer Reformen nicht begreifen. Täten sie dies, sie würden frohlocken. Fanatisiertes Geschau, schweißtreibendes Geklatsche, hemmungsloses Hosianna-Geschrei, danach noch ein vereinend' Liedchen, eine geträllerte Selbstbeweihräucherung: wenn das nicht mal ein sektiererisches Treiben war, wenn da mal nicht Sektenluft verbreitet wurde!
Doch sowas nennt man dieser Tage nicht mehr Sektentum, sowas nennt man Optimismus. Sekte sind immer die anderen, die wirklich anderen, diejenigen, die anders denken und fordern - Sekte sind solche, die man nicht versteht, nicht verstehen will, nicht verstehen soll; die versponnene Sekte ist ein Kampfbegriff der herrschenden Sekte.

Vor Christoph Metzelder, Geisteskind der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), wurde bereits gewarnt. Man sollte darüber aber nicht vergessen, vor anderen Zeitgenossen zu warnen, die scheinbar als unpolitische Zeitgenossen durch die Lande schwirren, die aus der Showbranche entschlüpfen, um sich der vermeintlich edlen Sache der INSM anzuschließen. Allen voran ist da Ralf Möller, deutscher Hollywood-Exportschlager in Sachen Neben-Nebendarsteller, zu erwähnen. Eigeninitiative, Ehrgeiz und natürlich der obligatorische Schuss Optimismus, so teilt er uns mit, seien Grundvoraussetzungen, um im Berufsleben Fuß zu fassen. Wenn er dann bei Anne Will sitzt, nennt man ihn verschleiernd einen Schauspieler (dies an sich ist schon gewagt, entspricht aber wohl den heutigen Maßstäben schauspielerischer Kunst), von seinem Engagement bei der INSM, der er den Auftritt in einer solchen Sendung ja wohl verdankt, wird aber geschwiegen. So bescheiden ist die INSM. Sie will als Schenkender nicht genannt werden, hält sich wie ein Gentleman zurück, wenn sie einem muskelbepackten Schauspiel-Hinterbänkler, der öffentlich vorallem durch geistige Nullität auffiel, ein Plätzchen im Abendprogramm politischer Desinformation zum Geschenk macht.
Stefan Hagen nennt sich eine andere Werbekarikatur der Initiative. Unternehmensberater schimpft er sich und hat seit ungefähr einem Jahr eine eigene TV-Show im Privatfernsehen. Bezeichnender Titel: "Hagen hilft!" Dort gibt er sich als potenter Helfer und Mädchen für alles, rettet und saniert Kleinunternehmen, redet den Leidgeplagten gut zu, schafft Anreize zur Selbstinitiative, motiviert, staucht zusammen, schafft Hoffnung. All das klingt wie aus dem Märchenbuch des Gebruder Tietmeyer - und wieviel des Ausgestrahlten wirklich Realität ist, bleibt fraglich. Ob dieser Vater Teresa notleidender Mittelschicht wirklich nachhaltig Unternehmen saniert, danach fragt das Sendekonzept nicht. Was kümmert kabel eins das Gesendete vom gestrigen Tag? Dass Hagen geholfen hat, dass dahinter der Elan und der praktisch umgesetzte Erfolg der INSM-Dogmen vermutet wird, das ist von Bedeutung.
Und so reihen sich mehrere ein in die Riege scheinbar unideologischer Mitdiskutanten: der mit Regulierungsphobie behaftete Wetterfrosch Kachelmann, die vom Boden abgehobene Olympiasiegerin Nasse-Meyfarth oder Schlagerfetischist und Zett-De-Ef-Schwulstikus Heck. Weitere Zugänge sind in Zukunft sicherlich nicht ausgeschlossen...

Zu guter Letzt, das Allerletzte: Gerhard Schröder, ehemaliger Vorstand der Deutschland-AG und Visionist eines neuen Sozialstaates, bestreitet nun Wahlkampf für den neuen Messias der SPD. Er bringe frischen Wind in die Sozialdemokratie, wahrscheinlich, weil sich viele des alten Miefs innerhalb des neuen Miefs nicht mehr entsinnen können. Kurzum: Er bestreitet Wahlkampf für Steinmeier. Die erste Maßnahme des Wahlkämpfers Schröder: Ein Lob für Angela Merkel. Salopp sagt man ja oft, die etablierten Parteien würden sich nicht mehr unterscheiden, seien alle aus einem Guß. Und so einfach diese Einsicht klingt, sie dürfte dennoch zutreffen. Denn wie Schröder Wahlkampf betreibt, mit einem Lob für eine Unionistin, zeigt doch eindringlich auf, dass diese Leute selbst nicht mehr genau wissen, wer in welcher Partei Wirtschaftsmarionette ist.

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