Das diebische System

Samstag, 13. Juni 2009

Befassen wir uns kurz mit der Deutschen letzten Philosophen – wir lassen Habermas hier einmal außer Acht -, befassen wir uns kurz mit Peter Sloterdijk, den medienwirksamen Denker, der nicht nur professoral und universitär seinem Erkenntnisstreben Vorschub leistet, sondern auch dem Pöbel gelegentliche Einblicke in die hohe Kunst des Denkens erlaubt, wenn er wieder einmal zum Philosophischen Quartett ruft. Diesem Sloterdijk verdanken wir nun einen kurzen Aufsatz, erschienen in der FAZ, in dem er sich mit der neueren Geschichte des Eigentums auseinandersetzt.

Zweifellos, sein Aufsatz gleicht einer Parforcejagd, hetzt von Rousseau zu Marx, von dort direkt hinüber zu Lenin, um im heutigen Semi-Sozialismus zu landen, nicht mittels eines Umweges über die Einkommenssteuer. Die Schnelligkeit des Abgehandelten muß indes aber nicht als unzureichend empfunden werden, es ist legitim in kurzen Worten Geschichte nachzuzeichnen. Und Sloterdijks geistesgeschichtliche Erklärungen zum Eigentum sind auch gar nicht als fehlerhaft anzusehen. Wenn er erklärt, dass die Ursprünge des heutigen Eigentumsbegriffes in den Schriften Rousseaus liegen, in denen dieser begründete, dass das Eigentum letztlich das Produkt des Diebstahls ist, des ersten Diebstahls nämlich, als jemand begann, ein Stückchen Land einzufrieden, dann ist Sloterdijk damit sicherlich nicht besonders originell, aber durchaus im Bereich des Akzeptablen und Nachvollziehbaren. Und wenn er daraus schlussfolgert, dass jede sozialistische Gesellschaftsidee von diesem Diebstahl ausgeht, das heißt, eigentlich davon, dass eine neue Gesellschaft diesen Diebstahl rückgängig zu machen hat, dann trifft Sloterdijk abermals einen wahren Kern.

Er leitet daraus ab, dass die mächtigste Ideologie des 20. Jahrhunderts, die sozialistische Konzeption also, auf dem Rück-Diebstahl gründet. Man habe rückgängig zu machen, was in archaischen Tagen zum Unglück der Menschen führte, man habe hinter den ersten Dieb zurückzugehen - indem man also die Revision des Diebstahls verlangt, konnte sich die marxistische Idee eine neue Gesellschaft vorstellbar machen. Die "Wiedergutmachung anfänglichen Unrechts" würde bessere Zustände ermöglichen. Innerhalb dieser bürgerlichen Gesellschaft des Diebstahls erschien es zunächst (und auch heute noch) unmöglich, gerechtere Zustände zu erlangen. Wie gesagt, bis hierhin, auch bis zur Erkenntnis, dass letztlich jede sozialistische Idee ein Diebstahl am Diebe ist, weswegen linke Bewegungen dem Gesetz immer wieder mit großer Respektlosigkeit entgegentreten, weil sie darin den Ausdruck herrschender Zustände sehen - (Stichwort Überbau-Theorem) -, kann man Sloterdijk eine ordentliche Arbeit attestieren. Auch dann noch, wenn man etwas irritiert seine gespielte Naivität zwischen den Zeilen herausliest, wenn er die rousseausche Diebstahltheorie als fehlerhaft bezeichnet, weil sie so nie stattgefunden habe - wahrlich zweifelt daran auch keiner, wer würde denn heute die Bibel noch wörtlich nehmen? Ebenso verhält es sich mit Rousseau, ebensowenig darf man ihn in dieser Beziehung wörtlich nehmen; der erste Dieb, der seinen Zaun um ein Stück Land zog, erwachte nicht eines Tages mit diesem teuflischen Plan, genausowenig wie Adam und Eva vorausplanten zu den Ahnherren des gesamten Menschengeschlechts zu werden. Es ist eine Metapher, ein Begreiflichmachen eines Umstandes, der anhand soziologischer Analysen - zu Rousseaus Zeiten gab es keine nennenswerte Soziologie - nicht leicht sichtbar zu machen ist.

Die Schlüsse die er aber final zieht, entbehren jeglicher philosophischen Aufarbeitung, sie sind klar ideologisch, auch wenn Sloterdijk sicherlich darauf Wert legen würde, kein Apologet irgendeiner Ideologie zu sein. Dies meint er vielleicht sogar ganz aufrichtig, er würde sicherlich nicht lügen, wenn er dies vehement verneint, aber konditioniert ist der gute Mann unwissentlich dennoch. Denn wie um Himmels Willen kann denn Sloterdijk einen Semi-Sozialismus in der heutigen Zeit erkennen, einer Zeit, von der er überdies behauptet, in welcher es keinen Kapitalismus mehr gäbe. Heute sind wie dank hoher Besteuerung von Leistungsträgern – hier, mit diesem Begriff, verrät er schon die neoliberale Schule, die sich in seinem Kopf ausgebreitet hat – in eine Ära des Semi-Sozialismus getreten, in dem der Koloss Staat jene ausbeutet, die etwas leisten. Er spricht von der "Enteignung per Einkommenssteuer" und von der "Kleptokratie des Staates" – und diese Diebstahl-Mentalität rührt laut Sloterdijk eben daher, dass jede sozialistische und/oder linke Idee auf den Rück-Diebstahl aufgebaut wurde. Weil der Staat heute zurückstiehlt, was der durch Eigentum erlangte Reichtum erwirtschaftet, leben wir in Zeiten des Semi-Sozialismus. Der Finanzminister sei demnach nicht weniger als ein vereidigter Robin Hood.

Schlussendlich wagt sich Sloterdijk noch zaghaft daran, die Leistungsträger zu veredeln, denn sie seien es ja, die den Stoff aus dem der Sozialstaat ist, liefern. Die meisten Menschen, die vom Sozialstaat profitierten, zahlten demnach überhaupt keine Steuern, dennoch lebten sie von den Errungenschaften der zahlenden Klasse. Sozialabgaben, Mehrwertsteuer und ähnliches mehr kommen bei Sloterdijk nicht vor, man hat den Eindruck, die Empfänger von Sozialleistungen würden keinerlei Beitrag leisten, würden nur gierig nehmen, aber keinen Cent dazu beitragen. Und die vielen Produktiven, die ihre Arbeit tun und hundserbärmlich bezahlt werden, können die etwas für ihre Unterbezahlung und dem daraus resultierenden Umstand, keinerlei Lohnsteuer und Anteil am Sozialstaat bezahlen zu können? Haben sie nicht an der Wertschöpfung mitgewirkt, die letztlich einer kleinen Schicht von Dieben – (Sloterdijk glaubt, dass Marxens Mehrwerttheorie auch an der fehlerhaften Prämisse vom Diebstahl krankt) – im großen Stil zugute kommt? Steht den doppelt Beraubten, die nicht schnell genug Zäune hochgezogen und am Mehrwert ihres Produktes nur spärlich verdienen, nicht wenigstens über den Umweg von Steuerabgaben Besserverdienender ein kleines Stück vom Kuchen zu? Sloterdijk misst, wie es dem neoliberalen Zeitgeist entspricht, alles in Geldwerten – wer nicht für den Sozialstaat zahlt, aber dennoch vom Rück-Diebstahl träumt, dem droht eines Tages, Sloterdijk deutet es an, sogar die Entsolidarisierung der Leistungsträger. Proletarier aller Länder, bedanket Euch!

Was Sloterdijk letztlich postuliert ist ein Affront gegenüber dem Sozialstaat, den er als Diebesstaat bezeichnet wissen will. Umverteilung zur Wahrung sozialen Friedens ist für ihn Diebstahl, indirekt spricht er sich also für einen Staat aus, in dem der stärkere Wolf den schwächeren totbeißt. Sein Vokabular spricht Bände, untermauert seine Affinität zum herrschenden Gedankengut, ist ideologisch geprägt. Am Ende wirft er seinen geistesgeschichtlichen Aufsatz sogar noch ins futuristische Gewässer, spricht von den horrenden Schulden, sieht daher eine schwarze Zukunft, vielleicht auch berechtigt, insofern der Steuerzahler nun auf Jahre hinweg für verhinderte Bankenpleiten arbeiten darf. Aber man wird den Eindruck nicht los, Sloterdijk stehe auf einer FDP-Bühne – wobei es bei der heutigen Gleichschaltung egal ist, von welcher Parteienbühne man herunterpredigt -, als philosophiere er vom Schuldenabbau mit den liberalen Parteigenossen, dabei empfehlend, den Sozialstaat für ab sofort beendet zu erklären, damit der Schuldenberg endlich abtragbar werde.

Es ziemt sich nicht, Sloterdijk hier als drittklassigen Philosophen abstempeln zu wollen. Er ist es nicht, hat durchaus immer wieder fulminante geistesgeschichtliche Aufsätze und Bücher abgeliefert, auch wenn er im weitesten Sinne des Wortes vielleicht kein großer Denker ist, sondern mehr ein Erzähler und Bewanderter in der Geschichte der Philosophie. Nein, Sloterdijk bleibt auch nach diesem Einwurf jemand, aus dessen Aufsätzen man sich das Begreifen roter Geschichtsfäden aneignen kann. Aber es zeigt auf, wie traurig sich ein solcher Ausreißer in der Vita eines solchen Menschen ausnimmt, wenn man auf Teufel komm' raus etwas zur Tagespolitik verkünden will. Er wähnt sich unideologisch, meint das Richtige zum richtigen Zeitpunkt gesagt zu haben – und dabei ist er auch noch voll involviert in die Ideologie unserer Zeit, die ja von sich selbst behauptet, sie sei alles, nur nicht Ideologie. Im Sinne dieser unideologischen Ideologie ist er sicherlich auf dem richtigen Pfade, wenn er sich als unideologisch bezeichnet. Seine Reduktion auf den Rück-Diebstahl, den Diebstahl am Diebe zum Prinzip des Sozialstaates zu küren, mag geisteshistorisch interessant sein, mag auch Geltung haben, aber wie sonst Gerechtigkeit umsetzbar wäre, kann Sloterdijk nicht ausführen. Dies wäre auch nicht seine Aufgabe. Fest steht aber auch, dass Gerechtigkeit keine Begrifflichkeit ist, mit der er etwas anzufangen wüßte. Man muß befürchten, dass Gerechtigkeit für ihn deckungsgleich mit den Begriffen „Sozialneid“ oder „Anspruchsdenken“ ist, ganz der neoliberalen Schulung zugrundeliegend.

Der Sozialstaat mag also auf dem Diebstahl-Prinzip gründen. Lassen wir das respektvoll gelten. Wir sollten indes nicht zu moralisch sein, denn aus einer bürgerlichen Gesellschaft kommend, klingt das Diebische für uns immer anrüchig. Aber die Frage lautet letztlich: Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Woher sollen wir die Mittel nehmen, um auch solchen Menschen zu helfen, die damals, als der Zaun um ein Stückchen Land gezogen wurde, beim ersten Diebstahl also, außerhalb der Abzäunung blieben? Wenn es Diebstahl ist, bei denen ausgiebiger zu nehmen, die ausgiebig verdienen, dann sei es so, dann sei es legitim! Diese selbstgerechte Legitimität, so würde Sloterdijk nun behaupten, sei die Respektlosigkeit vor einem System, das man mißinterpretiert habe als System der Diebe. Jedoch letztlich hat auch ein Sloterdijk, der die Diebstahl-Theorie als großen historischen Irrtum abtut, keine andere Erklärung für das, was sich als Gesellschaftsinstitutionen Regeln erstellt hat – das marxistische Überbau-Theorem, also dass alle Institutionen, Religionen, Moralkodizes und als deren Ausdruck Regeln, Gesetze und Wertvorstellungen, Installationen der herrschenden Interessen sind, die der Gesellschaft aus ökonomischen Zwecken und zur Besitzstandswahrung übergespült wurden, kann Sloterdijk nicht aushebeln. Für ihn ist das Theorem, als Produkt des Irrtums vom ersten Diebstahl – er nennt das "Willkürvoraussetzungen der Ökonomie" -, falsch, es sei der große Kulminationspunkt einer großen Irreführung. Doch einen anderen Erklärungsansatz bietet auch er nicht an. Man fragt sich letztlich, wie beispielsweise Gerichte entstanden sind, wenn nicht aus dem Motiv heraus, ein Stückchen Land oder ein Haus gesellschaftlich schützen zu lassen; Besitzlose hatten jedenfalls weder das Motiv noch die Macht dazu, sich eine Gerichtsbarkeit zu schaffen.

Sloterdijk erkennt also den ursprünglichen Diebstahl nicht an, für ihn beginnt erst heute das Zeitalter des Diebstahls. Was Rousseau in grauer Vorzeit ansiedelte, ist für Sloterdijk erst heute aktuell, denn heute stehlen die Unterprivilegierten den Leistungsträgern ihren verdienten Wohlstand. Und das sagt er, der Rektor einer staatlichen Hochschule. Ist er nun Leistungsträger oder Bevorteilter eines diebischen Systems?

38 Kommentare:

Tim 13. Juni 2009 um 03:52  

Das klingt in deinem Text zwar auch schon an, aber ich möchte es nochmal deutlicher formulieren:
Sloterdijk verkennt völlig die Motive, die dem Sozialstaat zugrunde liegen. Der wurde doch nicht aus einer Bezugnahme auf Rousseau installiert, sondern aus historischen Erfahrungen, sozialen Notwendigkeiten; letztlich zur Erhaltung des Status Quo.

Anonym 13. Juni 2009 um 05:55  

Na, was erwarten Sie denn von einem Sloterdijk? Er ist ein Modephilosoph des Neoliberalismus, und dass er in dieser Eigenschaft neoliberales Gedankengut verbreitet - wen wundert es?

aebby 13. Juni 2009 um 07:20  

Anknüpfend an die letzte Frage ... faszinierend wenn ein Staatsbediensteter und nichts anderes ist ein Professor nicht erkennt, dass er in gleicher Weise wie ein ALG II Empfänger auf Staatskosten lebt.

carlo 13. Juni 2009 um 12:01  

Vielleicht war das eine "Pflichtarbeit". Zur Belohnung wird seine Sendung fortgesetzt.
Hätte er geschwiegen....
wär er Philosoph geblieben.

klaus baum 13. Juni 2009 um 12:08  

Zunächst eine Bemerkung zum Beitrag von Tim: Es gibt eine Art des geistesgeschichtlichen Denkens, das direkte Linien zwischen den Gedanken eines Philosophen und herrschenden Tendenzen der Gegenwart zieht. Ich vermute mal, daß die "Väter" des Grundgesetzes in der Tat nicht Rousseau im Sinne hatten, sondern die Erfahrungen der Weimarer Republik und die des 3. Reiches.
....
Was Sloterdijk mit Rousseau macht, wird vielfach auch Descartes angetan. Man behauptet, er sei für das technisch, rationale Weltbild, das heute alles dominiert, verantwortlich. Mir ist noch kein technokratischer Macher begegnet, der Descartes kennt.

klaus baum 13. Juni 2009 um 12:22  

Was die Leistungsnehmer betrifft, also die, die von den Almosen des Staates leben müssen, so hätte Sloterdijk erwähnen müssen, daß es die meisten Arbeitslosen nur deshalb gibt, weil man ihre Arbeitsplätze entweder ganz gestrichen oder wegrationalisiert hat. Eigentlich eine Binsen-Erkenntnis.
Es gibt viele kleinere Bahnhöfe, auf denen steht ein Automat, und wenn man mal Pinkeln muß, muß man sich eine Ecke suchen, statt eine Toilette benutzen zu können.
An einer automatischen Paket-Post-Station, an der ich gelegentlich mit dem Bus vorbeifahre, steht in großer Schrift: Wenn Sie hier Ihr Paket abgeben, sparen Sie 1.-- Euro. Das ist genau der Euro, den ich dann dem entlassenen Postangestellten, der nun in der Einkaufsstrasse bettelt, in den Hut werfe. Statt dass er sich diesen Euro verdienen, muss er ihn jetzt erbetteln.
Auf dem Flughafen Stuttgart habe ich sechs, sieben Automaten gesehen, auf denen stand: Hier können Sie automatisch einchecken.
Wieder einige Arbeitsplätze gespart.
Und der Herr Bender, der Chef von Fraport, sagte mir nach einer Führung durch die documenta11, man könnte doch die Führungen durch MP3-Player ersetzen. Ich habe das mal in einer Picasso-Ausstellung in Berlin erlebt: Einer hatte den Text verfasst und der ohnehin schon etablierte Otto Sander hat ihn gesprochen. Es gab keine Möglichkeit für "Guides", mit ihrem kunstgeschichtlichen Wissen Geld zu verdienen. Herr Sloterdijk hat den Bezug zur Erfahrung der "einzelnen" Realitäten verloren. In meinen Augen ist er ein Schöndenker, dessen Denken allerdings nur so weit reicht, wie der neoliberale Horizont.

Knut 13. Juni 2009 um 13:41  

@ Klaus Baum: Eine geistesgeschichtliche Analyse kann durchaus sinnvoll sein. Man muss die "Erfinder" einer Vorstelllung, eines Konzeptes nicht kennen, um ihren Gedanken auf den Leim zu gehen, denn die eines Rousseau oder einer Descartes sind so stark Allgemeingut, dass fast jeder in der Lage ist sie anzuwenden, ohne ihren historischen Ursprung zu kennen. So ähnlich wie es heute viele Jugendliche gibt, die den Satz: "Spiel's noch einmal Sam." kennen und als Sprichwort nutzen, ohne jemals Casablanca gesehen zu haben. Manche Gedanken werden erst auf diese Art verstehbar: Heute gehen die meisten Menschen der westlichen Welt davon aus, dass ein Leben und eine Welt sinnvoll sein sollten und dass es normal ist, Fragen nach dem Sinn der Welt zu stellen. Solche Fragen wären für einen Griechen der Antike gröbster Unsinn; nach 1500 Jahren in denen man davon ausging, dass alles Sein Ergebnis der Tat eines einzelnen Wesens ist, haben viele gelernt, solche Fragen zu stellen, selbst Atheisten.
Sloterdijk hat sich anscheinend im Laufe seiner Karriere weiterentwickelt: Vom Kyniker, den er in "Kritik der zynischen Vernunft" als ein erstrebenswertes Gegenbild zum Zyniker hinstellt zum ausgemachten Zyniker. Der Inhalt seiner Logik ist jedoch der Gleiche geblieben: Kynisches und Zynisches Denken nutzen dieselben Gedanken zu verschiedenen Zwecken. Je nachdem wer sie ausspricht haben sie eine entgegengesetzte Funktion: dass ein Mensch nur sehr wenig zum Überleben braucht kann eine zynische Herrschaftsbestätigung sein, wie bei Sarrazin, es kann aber auch ein Erweis der eigenen Unabhängigkeit und damit eine Form des Protestes sein, wie bei Diogenes oder Gandhi.
Sloterdijk hat einfach die Möglichkeit genutzt, von der er schon lange wusste: die Seiten zu wechseln ohne Neues denken zu müssen. Sehr sparsam, sehr ökonomisch.

Anonym 13. Juni 2009 um 13:44  

Der Begriff des "Leistungsträgers" ist ja wohl etwas schwammig, und ich wundere mich, dass Sie ihn so einfach übernehmen. Ursprünglich meinte man damit wohl jemand, der nicht auf Sozialleistungen angewiesen ist, später dann jemand, der unternehmerisch tätig ist und zuletzt - wie mir scheint -sogar einen Vermögenden schlechthin. Es ist klar, wem diese Begriffsveränderung nützt. Man sollte diesen Begriff angreifen, wo es nur geht, und ihn am besten boykottieren.

Anonym 13. Juni 2009 um 14:11  

@Roberto:
«Weil der Staat heute zurückstiehlt, was der durch Eigentum erlangte Reichtum erwirtschaftet, leben wir in Zeiten des Semi-Sozialismus.»

Reichtum erwirtschaftet nichts - er erhält nur! Er verzinst sich. Er lässt erwirtschaften!

Zinsen oberhalb des Wirtschaftswachstums aber müssen irgendwo her kommen. Schlussendlich muss irgendwer eine höhere (Arbeits-)Leistung erbracht haben, als er an Lohn erhält. Dies ist auch eine Form des Diebstahls.
___

@Klaus: Zustimmung!

Tatsächlich ist es eine (andere) Ausweitung (als die oben erwähnte Fortführung) des Ur-Diebstahls, die das Problem ausmacht. Diese Ausweitung ist die Abschaffung von immer mehr Möglichkeiten, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen!

Für immer mehr Menschen mit geringfügiger oder gar keiner Bildung - mangels elterlicher Führung oder mangels Potential (ich sage das völlig wertfrei) - sind immer weniger Arbeitsplätze vorhanden, auf denen sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen können. Die gering und unqualifizierten Menschen werden vom Erwerb erst aktiv ausgeschlossen, indem man sie überflüssig macht - und dann wirft man ihnen diese Überflüssigkeit in der Erwerbswelt auch noch vor und beschimpft sie als Drückeberger und Faulenzer...

Wir müssen zu der Einsicht gelangen, dass wir nie wieder eine Vollbeschäftigung haben werden, wenn wir die vorhandene Arbeit nicht gerecht(er) verteilen! Der Produktivitätsgewinn darf nicht weiter gestohlen werden. Er muss zu 100% an die sog. Arbeitnehmer (die in Wahrheit ihre Arbeit hingeben) weiter gereicht werden.

Omnibus56

Anonym 13. Juni 2009 um 14:43  

Peter Sloterdijk ist Mitglied des neoliberalen "Think Tanks" (Tarnname für wirtschaftsfetischsierter Lobbyorganisationen) Frankfurter Zukunftsrat, in der auch so illustre Verbrecher wie Wolfgang Clement oder Roland Berger sitzen:

http://www.frankfurter-zukunftsrat.de/Organisation

klaus baum 13. Juni 2009 um 14:46  

Ich bin dem von Dir angegebenen Link auf die ZDF-Seite gefolgt. Dort ist zu erfahren, dass dieser unsägliche Meinhard Miegel schon wieder im Phil.Quart. präsentiert wird.

Franktireur 13. Juni 2009 um 14:51  

Wer mit Konsorten wie Clement und Co beim Frankfurter Konvent für Zukunft und ähnlichen neoliberalen Think-Tanks zusammenarbeitet - wie dies auf Sloterdijk zutrifft - hat für mich jede Legitimation eingebüßt, besonders darauf bezogen, daß dieser Typ für sich in Anspruch nimmt, er sei "neutral" und unideologisch. Mit dem setze ich mich schon seit Jahren nicht mehr ernsthaft auseinander.

@ Klaus Baum: Descartes hat leider (ob er es beabsichtigte oder nicht) erheblich mit dazu beigetragen, daß die sogenannte Objektivität (der meßbaren Welt) die Oberhand gewinnen konnte und somit wichtige Weichen in Richtung naturwissenschaftlich-technisch-materialistische Wissenschaft gestellt wurden.

Anonym 13. Juni 2009 um 15:17  

Mir ist nicht klar geworden , wen Sloterdijk als Leistungsträger gelten lässt?
Welche Produktionsfaktoren gibt es Sloterdijk?
Wem gehört der technische Fortschritt, dessen Nutznießer Sloterdijk ist.
Und nur diesem verdankt Sloterdijk sein hohes Einkommen.
In den USA betrug der Spitzensteuersatz einmal 90%.
Und weder ist die Wirtschaft zusammengebrochen, noch haben die Leistungsträger die Arbeit eingestellt.

Patte 13. Juni 2009 um 15:26  

Ich habe die Sendung mit Miegel gesehen! Und wie zu erwarten hat er dort posaunt, dass "es so nicht weitergehen könne" mit dem bisherigen Wirtschaften. Wir hätten nichts mehr zu verteilen usw. Argh! Einfach mal die Sendung anschauen (hat nebenher auch ein paar kluge Ansätze der anderen Diskutanten und Miegels unerträgliche neoliberale Sichtweise wurde zum Glück nur kurz ausgewalzt...)

arbiter 13. Juni 2009 um 15:29  

@ Anonym 14:11

Mir erschien es immer schon äußerst schleierhaft, wieso wir die Arbeit-Nehmer und nicht die Arbeitgeber sein sollten... Die Macht der Begriffe und der Sprache! Da lief von Anfang an etwas ganz in die falsche Richtung! Oder kann jemand etwas Profundes zur Entwicklung der Begriffe "Arbeitnehmer" und "Arbeitgeber" - warum und wie entstanden - erzählen?

Anonym 13. Juni 2009 um 15:56  

Dem lieben Sloterdijk wünsche ich auch einmal ein Arbeitslosenschicksal an den Hals - ohne Stütze.

Er ist nämlich ein Philosoph, aber bei der Theke des Arbeitsamtes müßte er sich, wie in "Eine verrückte Reise durch die Zeit", dem Titel eines US-Films, als

"S t a m m t i s c h p h i l o s o p h"

ausgeben.

Die wahren Philosophen heutzutage sind allesamt in anderen Ländern (z.B. den USA) zu Hause, die dt. Philosophen heute sind doch eh nur unideologische Ideologen.

Da ist mir ein Noam Chomsky tausendmal lieber.....

Mfg
Neoliberalen- und Bildleserhasser

Anonym 13. Juni 2009 um 17:42  

Der Neoliberalismus greift auf allen Fronten an. Genauso biedert sich manch einer auch im Kabarett an (s. Satiregipfel).

Tipp: Siegfrid Lenz "Die Augenbinde"

Wer will schon gern als Außenseiter in der herrschenden Masse leben...

Patte 13. Juni 2009 um 18:00  

Mich verwundert Sloterdijks neuerliche, in Richtung sozialdarwinistisch gehende (gleichwohl im ihm typischen intellektuellen Blätterteig ummäntelte) Denke nur insofern, als dass er vor 10 Jahren (auch aus historischer Sicht sehr interessantes Video!) im SWR aus Protest gegen das unmenschliche "Stammtisch"-Gequatsche (oder war es am Ende doch nur oberflächliche Eitelkeit? Hm...) seiner Mitdiskutanten verließ: http://www.youtube.com/watch?v=L5FjGSekGDc

Anonym 13. Juni 2009 um 18:01  

Meine Theorie:
Eines Tages werden politisch-soziologische Diskussionen gar nicht mehr möglich sein, weil es nur noch schwammige (und daher unangreifbare) Begriffe geben wird. Man müsste daher neue Begriffe schaffen und die alten boykottieren (z. B. Arbeitnehmer > Leistungserbringer, Arbeitgeber > Leistungsverwerter; man lese auch Brecht: "Die List, die Wahrheit unter vielen zu verbreiten"). Auch diese würden sich natürlich mit der Zeit "abnutzen". Paradoxerweise könnte man dann wirkliche Inhalte nur dauerhaft transportieren, indem man sie ständig in neue Begriffe verpackt - das wäre also ideologieresistente Inhaltsvermittlung durch permanente Variation der Begriffe.

ad sinistram 13. Juni 2009 um 18:33  

An dieses Video, lieber Patte, mußte ich immerzu denken, als ich Sloterdijks Aufsatz las. Ich konnte es eigentlich nur schwer glauben, dass es sich zweimal um den gleichen Typen handelt. Im Grunde liest sich sein Aufsatz ähnlich wie sich das Gesülze dieser illustren SWR-Runde anhört.

Peinhard 13. Juni 2009 um 19:33  

Noch mehr Verwirrung gefällig?

"Sloterdijk: [...] Wenn der Sozialismus beziehungsweise das Gemeinwohldenken gescheitert ist, wie man frivolerweise behauptet, bleibt der Asozialismus. Den diskutieren wir zumeist unter dem etwas höflicheren Begriff Individualismus, und zu dem bekennen wir uns meistens gerne. Aber was sind konsequente Individualisten? Es sind Menschen, die ein Experiment darüber veranstalten, wie weit man beim Überflüssigmachen sozialer Beziehungen gehen kann - und sie gelangen dabei zu erstaunlichen Fortschritten. Deswegen beginnt im Augenblick auf der Erde ein soziologisches Experiment, das in eine neue Art Menschheit münden könnte. Die Reichen sind zurzeit noch eine Klasse und keine Spezies, aber sie könnten es werden, wenn man nicht aufpasst. [...]

Frage: Sie beschreiben die neue Feudalklasse, eine Klasse, die über neue Machtmittel verfügt: Früher geboten die Feudalherren über Ländereien, samt Dörfern und Menschen. Heute gebieten sie über Unternehmen samt den Menschen."

Weltverschwörung der Spießer

Was also ist jetzt bitte ein Sloterdijk...? ;)

Anonym 13. Juni 2009 um 21:22  

Schade dass Sloterdijk Keynes nicht gelesen hat.

Anonym 13. Juni 2009 um 22:42  

Sloterdijk wurde schon 2005 von Jörg Ulrich von der EXIT!-Gruppe "auseinandergenommen".

http://www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=autoren&index=11&posnr=209&backtext1=text1.php

Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

Anonym 13. Juni 2009 um 23:28  

"Die einzige Macht, die der Plünderung der Zukunft Widerstand leisten könnte, hätte eine sozialpsychologische Neuerfindung der „Gesellschaft“ zur Voraussetzung. Sie wäre nicht weniger als eine Revolution der gebenden Hand. Sie führte zur Abschaffung der Zwangssteuern und zu deren Umwandlung in Geschenke an die Allgemeinheit - ohne dass der öffentliche Bereich deswegen verarmen müsste."

Ist das nicht eine Parallele zu Marx's Theorie, das der Arbeiter im Kommunismus, endlich befreit von dem ihm ausbeutenden Unternehmer und im Wissen nicht für die Bereicherung Einzelner, sondern im Interesse Aller zu schaffen sich ständig zu Höchsleitung animiert ?

Hier soll also nun der "Leistungsträger" bereit sein, da endlich von der Bürde der Zwangsabge befreit, seine Geldbörse freiwillig weit genug zu öffnen um den Staat die ihm notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen.

Mal abgesehen davon das ich diese Theorie (wenn ich Sloterdijk denn hier richtig verstehe) als sehr naiv ansehe, würde ich gerne wissen in wie weit er glaubt das man hier noch von einer Demokratie reden könnte. Immerhin bezeichnet er selber die "Leistungsträger" der Gesellschaft als in der Minderheit, und es stellt sich die Frage warum diese bereit sein sollten dem Staat "Geschenke an die Allgemeinheit" zukommen zu lassen, wenn dieser damit ggf. diametral ihrer Meinung\Interessen handeln könnte.

Und selbst wenn diese dazu bereit sein sollten, wäre aus humanistischer Sicht ein Staat wünschenswert in dem die Mehrheit der Bevölkerung, die nicht zu den "Leistungsträgern" gehört, gewisse Leistungen (Bildungseinrichtungen, Polizei) nur in Anspruch nehmen können nicht weil sie ein Recht darauf haben, sondern weil sie ein "Geschenk an der Allgemeinheit" waren (sprich: heute selbstverständliche Rechte eines Bürger wären nur "Almosen der Leistungsträger"). Eine solche Gesellschaft wäre doch zwangsläufig in Klassen mit hart umrissenen und nicht überwindbaren (da die "Leistungsträger" siocherlich kein Interesse daran haben sich plötzlich auf der Nehmer-Seite wiederzufinden) Grenzen unterteilt.

So sehr ich Sloterdijk bislang geschätzt habe, aber was er da vorschlägt ist mMn nichts anderes als der Weg in einen Neofeudalismus. Oder verstehe ich ihn da so falsch ??

Ansonsten möchte ich mich bei Roberto J. De Lapuente für sein Blog bedanken, das ich immer wieder gerne lesen und das inzwischen zu meiner Pflichtlektüre gehört.

MfG
Ein Leser

Michel 13. Juni 2009 um 23:48  

http://www.youtube.com/watch?v=djIXf9UEy2A&feature=related

"Wirtschaft ohne Moral"
Teile 1-6

Hervorragende Arte-Doku zu Nokia oder auch Continental und zur Einstellung von Managern, die für 2-3% mehr Rendite an sich profitable Unternehmen outsourcen.

Es wird ganz klar gesagt, dass die Börse über die Shareholder, die meistens machtvolle, große Finanzinvestoren sind, die Unternehmen über die Klinge springen lassen können, die Unternehmen kontrolliert und vorantreibt.

ANSEHEN!!!

Und WEITERSAGEN!!!


Sloterdijk kann man vermutlich unterstellen, dass er sich den Medien und Eliten andienen möchte und daher deren Neoliberalismus nachbetet und intellektuell unterfüttert.

Intellektuell-akademisch hat Sloterdijk nicht mehr soviel zu bieten, was man auch erkennt, wenn man sich mal in der philosophischen Abteilung einer Universitätsbuchhandlung umsieht: kein Sloterdijk.

Sloterdijk sollte sich mal folgendes überlegen: Deutschland stellt den Unternehmen hervorragend ausgebildete Arbeitnehmer zur Verfügung - er ist selber übrigens einer davon, und das, ohne die Ausbildung selber zu "verkaufen" (jedenfalls im Vergleich zu anderen Ländern).
Dieses Bildungssystem kostet aber Geld.
Und zwar nicht wenig.
Und es ist schon lange unterfinanziert.

Wenn diese hervorragend ausgebildeten Arbeitnehmer aber nicht mehr "im Angebot" stehen, dann verschwinden die Unternehmen und gehen dorthin, wo die benötigten Arbeitnehmer zur Verfügung stehen.
Das sind dann Armut-und-Bildungs-Teufelskreise, aus denen kaum ein Entwicklungsland bisher herausgekommen ist, in die Deutschland aber dann abrutschen wird.

Alles, was in den USA passiert, schwappt auch mit Verzögerung hier herüber.

Wenn man sich mal überlegt, dass die USA gerade mal Platz 29 in PISA 2006 (?) erreicht hat, dann weiß man schon, was uns hier blüht.

Anonym 14. Juni 2009 um 10:19  

Wenn man böswillig wäre, könnte man Sloterdijks Beitrag auf eine andere Ebene ziehen, nämlich die der produktiven Wissenschaften (Naturwissenschaften, ...) und die der unproduktiven Wissenschaften (Geisteswissenschaften, Philosophie, ...). Ob Sloterdijk selbst dann noch den Stolz des Produktiven vor sich hertragen würde?
Ohne es zu merken, hat Sloterdijk ein Plädoyer für einen Elitestaat des Nützlichen gehalten. Sloterdijk fokussiert sehr stark, was zwangsläufig zur Ausblendung von Teilen der Realität führt und damit Teillösungen provoziert, die für die Gesamtheit keine Lösung darstellen. Das ist auch die Vorgehensweise von Marc Beise im Wirtschaftsteil der SZ.

Eurohasenbär, SZ-Leserforum

Peinhard 14. Juni 2009 um 18:30  

@Michel

"Deutschland stellt den Unternehmen hervorragend ausgebildete Arbeitnehmer zur Verfügung [...]"

Genauso ist es. Nur - kann man das in irgendeiner Weise positiv sehen - als 'Zur-Verfügung-Gestellter'...?

Und geht es etwa um die 'Einstellung' von Managern, die für 2-3% mehr Rendite 'outsourcen' - oder geht es nicht vielmehr um ein System, das von eben diesem Profit getrieben ist, und eben nicht vom jederzeit möglichen 'guten Leben für alle'...?

Verzeih' mir, ich kann nicht anders... ;)

Patte 14. Juni 2009 um 21:37  

...und außerdem hat Sloterdijks Studium ganz gewiss - ich gehe mal davon aus, dass er auf eine staatliche Universität ging - die Allgemeinheit bezahlt (HA!). Nach seinem Modell wäre er also niemals dort hingekommen, wo er jetzt ist! Streng genommen kann er sich seine Theorie gar nicht "leisten" (mal abgesehen vom Tritt gegen den Humanismus). ;-)

P.S.: Ich studiere gerade selbst Philosophie. ;)

Anonym 14. Juni 2009 um 23:37  

Der Sozialstaat beruht vielleicht auf Diebstahl, aber noch mehr tut es das Zinssystem. Erst durch die Einrichtung des Zinssystems, das auf Dauer nicht tragbar ist und immer wieder einen Neustart erfordert, wird die Besteuerung des Vermögens überhaupt notwendig. Als Beispiel: Die Nachfahren desjenigen, der im Jahr 0 ein Euro für 4 % Zinsen angelegt und ihn samt Ertrag weitervererbt hätte, würden heute die ganze Welt besitzen. Warum geschieht das nicht? Weil es alle paar Jahrzehnte einen kompletten Neustart des Systems mit Verschuldungserlassen usw. gibt.

Die letzte Währungsreform in der BRD war 1948. Seitdem wird die Gesellschaft immer ungleicher und das Kapital konzentriert sich immer weiter in den Händen weniger - wegen des Zinseszinssystems. Auf dieser Zeitachse sind wir jetzt ziemlich weit fortgeschritten. Enteweder gibt es einen Neustart des Systems (Währungsreform) oder das Vermögen und die Einkommen werden durch eine sozialistische/faschistische Bewegung per Steuern und Enteignungen umverteilt.

Das System ist so konstruiert, dass Eingriffe in Vermögensrechte als Diebstahl und Beeinträchtigung der Freiheit und der Leistungsanreize aufgefasst werden müssen. Das System der Kapitalakkumulation durch Zinsen selber beruht jedoch auf Diebstahl. Und so bleiben als vermeintliche Alternativen zueinander nur noch Kapitalismus und Kommunismus, obwohl beide gescheitert sind. Wie die echte Alternative aussieht, wissen wir nicht. Die Freiwirtschaftslehre könnte einen Ausweg bieten.

Wolfgang Buck 15. Juni 2009 um 10:54  

Allein der Begriff „Leistungsträger“ zeigt schon die Adaption der herrschenden Ideologie. Wenn wir unsere Gesellschaft mit einem Dampfer vergleichen, so ist nicht der Kapitän der Leistungsträger. Die Leistung ruht auf dem Rücken jener, die unten im Kohlenbunker im Angesicht ihres Schweißes schuften. Sie bringen den Kahn voran, nicht die Herren auf der Brücke. Die Offiziere sind die „Verantwortungsträger“. Sie geben in dieser Hierarchie die Richtung an und tragen die Verantwortung dafür, dass das Schiff heil im Hafen ankommt.

Die eigentliche Crux ist, dass sich die Verantwortungsträger in den Baken, den Konzernen oder der Politik, sich ihrer Verantwortung geschickt entziehen. Die Zeche zahlen immer die Leistungsträger. Oder um im Bild zu bleiben: auf unserer Titanic haben die Offiziere stets einen Platz im Rettungsboot. Wir Heizer sind es, die im dunklen schwülen Bauch des Kolosses unter gehen werden.

Danke für den guten Artikel
Gruß Wolfgang.

redlope 15. Juni 2009 um 11:34  

[diesen Kommentar hinterließ ich vor wenigen Tagen bei "Schall&Rauch", aber ich denke, er passt hier auch ganz gut hin]

Sloterdijk ist ein elitärer Schwätzer. Natürlich ist es nicht akzeptabel, dass ein Teil der Bevölkerung ausgebeutet wird, während der andere Teil vom Erwerbs- und Geldstrom ausgeschlossen wird.
Diesem "unproduktiven" Teil der Bevölkerung aber vorzuwerfen, er lebe auf Kosten der anderen, ist zynisch.

Es ist allerdings nicht akzeptabel, das die verbliebene Mittelklasse die ganz und gar Deklassierten allein mitversorgen muss, während die Oberklasse sich fein heraushält und nur die Renditen jeglicher menschlichen Regung kassiert.
Diese Oberklasse ist es, die die Regeln macht, vergessen wir das nicht.

Ganz abgesehen davon, dass dank technologischer Rationalisierung das Modell "Erwerbsarbeit" dringend überprüft werden muss. Es gibt viele Ideen zur gerechteren Verteilung von Arbeitszeit und Geld in der Gesellschaft. Man frage, warum sie nicht - zum Wohle der unteren und mittleren Klassen - genutzt werden?

Die heutigen Mißstände als "Sozialismus" zu bezeichnen ist Wortklauberei und forciert das "teile und herrsche"-Spielchen der mittleren gegen die unteren Klassen, während die Oberklasse es sich auf dem Sonnendeck gemütlich macht.

noch ein link:
http://fact-fiction.net/?p=2395

volesne 15. Juni 2009 um 11:53  

habe sloterdijks text hier schon mal kommentiert
dort findet sich dann auch ein schöner kommentar von Uwe Richard:

"Peter Sloterdijk, ein Mann auf dem steten Weg vom Denker zum Dichter, für einen Philosophen zu halten, kann nur eine konstruierte Wirklichkeit sein.

Wer so hochgradig assoziativ schreibt, ist ein Essayist, was ja nichts Schlechtes ist. Doch kommt es mir so vor, als wolle da jemand missverstanden werden, … "

romano 15. Juni 2009 um 13:28  

"sozialpsychologische Neuerfindung der „Gesellschaft“"
Das ist ja wirklich nicht falsch.
Ansonsten ist es halt typisch Sloterdijk, der wie ein Mähdrescher mal Material durcharbeitet, es sprachlich veredelt und hinten wieder raus wirft. So kommen bei ihm immer extrem gewandte sprachliche Formulierungen raus, auch neue und in der Tat Gegenwart erschließende, aber es scheint, dass er nicht recht weiß wohin. Man merkt schon, als verkappter Kommunist will er nicht gelten, dazu ist er zu stolz und in die Nähe der konsolidierten Frankfurter Schule will er schon gar nicht, noch weniger zu deren (post)analytischen Investoren aus Übersee und konservativ will er auch nicht sein, dann wär er ja umsonst nach Indien gefahren. Wohin also? Sein Vorbild muss Nietzsche in der zeitdiagnostischen Prägnanz und Heidegger in der Tiefe des philosophischen Bergbaus sein. Ob er sich da nicht überschätzt.
Übrigens, er hat ein neues Buch herausgebracht: Du muss dein Leben ändern. Vermutlich ist das eine Werbekampagne.
Man muss zu seiner Ehre aber auch sagen, dass sich der Rest sich selbst Philosoph (u.ä.) nennender Subjekte in Gerechtigkeitsfragen kaum mehr weiter als zur normativen Indifferenz oder zur Bestätigung des Bestehenden finden.

Anonym 15. Juni 2009 um 13:52  

Wenn die Zivilisation erst beim Diebstahl anfängt, so ist Gott schon lange tot oder vielmehr nur eine billige Rechtfertigung. Andererseits, der Dieb braucht sich nicht bestehlen zu lassen, er gilt (zunächst) als Eigentümer, siehe BGB. Oder, haltet den Dieb.

Helmut Metzdorf 15. Juni 2009 um 14:22  

Begriff und Logik

Wenn Diebstahl dadurch gekennzeichnet ist das die Verfügung über bestimmte Ressourcen auf individuelle Personen beschränkt wird (durch einen Zaun z. B.:) so kann dieser Begriff sicherlich nicht auf den umgekehrten Vorgang (wie immer er auch bewerkstelligt wird) angewandt werden.

Eine Argumentation, die daher auf einem klaren logischen Denkfehler basiert, ist daher für mich weder nachvollziehbar oder gar akzeptabel.

Anonym 15. Juni 2009 um 14:59  

Das ist ein wirklich beeindruckend guter Kommentar. Hätte ich so treffend jetzt nicht hinbekommen, schon weil es mir völlig an tieferer Kenntnis über die Werke von Rousseau, Marx etc mangelt.

Aber auch so ist mir direkt die argumentative Armut von Sloterdijks Text aufgefallen. Er führt genau das, was die Neoliberalen immer den Menschen mit sozialem Gewissen vorwerfen: eine Neiddebatte. Konkret sieht er sich selbst als leidender Leistungsträger, der heroisch von seinem Wohlstand abgeben muß, damit die faulen Hungerleider seines Landes nicht verhungern. Ich bin von einem derart flachem, um nicht zu sagen völlig fehlendem argumentativen Niveau bei einem ausgebildeten Philosophieprofessor, noch dazu in solch einem länglichen Text, sehr überrascht worden.

Da halte ich es lieber mit Kant, der festgestellt hat, das die Grundrechtfertigung, warum ein Staat überhaupt Gesetze beschließen und ein Gewaltmonopol beanspruchen darf, die Tatsache ist, das die Schwachen von dem Mißbrauch durch die Starken geschützt werden. Schon daraus folgt, das wir einen Sozialstaat haben müssen - sonst haben die Hungerleider dieser Welt einfach das moralische Recht, sich selbst zu holen, was sie zum Überleben bedürfen.

Anonym 15. Juni 2009 um 17:44  

Ich für meinen Teil habe schon lange diesen neoliberalen Denker links liegen gelassen und empfehle stattdessen, sich Sartes "Kritik der dialektischen Vernunft" hinzuwenden.
Darin könnte die Linke z.B. Hinweise finden, warum der Einzelne, obwohl es ihm materiell in diesen Zeiten oft sehr schlecht geht, noch zu"praktisch inert" in Sartres Worten ist, um sich sich gegen sein Untergehen zu wehren.

wilko0070 16. Juni 2009 um 15:24  

Wie kommt es, dass ein ziemlich mittelmäßiger Philosoph, der sich zu dem Themen äußert, von denen er nicht einmal ansatzweise eine Ahnung besitzt (z. B. "Enteignung per Einkommenssteuer" - er kann ja nicht einmal "Einkommenssteuer" richtig schreiben!), so von den Massenmedien "hochgeschrieben" wird? Dies hat sicherlich nichts mit seiner Unabhängigkeit zu tun...

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