Ja, ich gebe Ihnen ja uneingeschränkt recht, ich hätte nicht zuschlagen, ich hätte es so weit nicht kommen lassen dürfen. Aber was heißt eigentlich, ich hätte es nicht so weit kommen lassen dürfen? Letztlich war sie es ja, die es bunt mit mir trieb, die es eskalieren ließ, meine letzten Reserven Contenance mit Füßen trat. Ich war nie gewalttätig, nie zuvor und ich behaupte kühn, ich werde es auch nicht mehr sein, wenn man mich nur halbwegs ordentlich behandelt. Sicher, in Gedanken habe ich schon manchen Leib ausgeweidet, mich in den Gedärmen meiner Peiniger gesuhlt; aber ich bitte Sie, im echten Leben wäre ich dazu eigentlich unfähig: wenn ich Blut sehe wird mir ganz flau im Magen und dessen Inhalt würde gerne auf dem Weg des Hereinkommens wieder an die Luft.
Neinnein, es war ein Moment der Schwäche, meine Fäuste ballten sich, ich spürte noch einen kurzen Moment der Besinnung, aber da flog die erste Faust schon Richtung Feind, prallte direkt auf die Nase der Dame, gleichzeitig sah ich die zweite Faust schon Richtung Wange heranschnellen. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich mit den Knien auf der Dame Schreibtisch aufhockte, der normalerweise ja soetwas wie eine natürliche Barriere darstellte. Für meine ununterdrückbare Wut war dieses Utensil meiner Entwürdigung, auf dem so viele Entscheidungen gegen mich, gegen meine Würde in die Wege geleitet wurden, kein Hindernis mehr. Ich kauerte auf der Schreibfläche, die mir zum Boxring geworden war, ließ einige Male die Fäuste herabschnellen, ich weiß nicht mehr wie oft, zweimal ganz sicher - aber ich denke, es war eine Schlagfolge, ich würde beinahe behaupten, die Anzahl der Schläge war zweistellig - und wusste hernach nicht sicher, was nun eigentlich geschehen war.
Einerlei wie oft. Gebrochene Nase, einige Schwellungen und Blutergüsse und ein ausgeschlagener Molar standen auf der Rechnung. Als sie da so verschwollen lag, stöhnend und heulend, versteckt hinter ihrem Koloss von Schreibtisch, da dämmerte es mir nach und nach. Das war also keine Szene aus einem schlecht inszenierten Film, kein faustrechtlicher Traum oder dergleichen, das war die Wirklichkeit; ich, eigentlich schon immer bekennender Pazifist, habe Gewalt am Nächsten praktiziert, habe meiner Arbeitsvermittlerin soeben, wie man es in der Gosse zu sagen pflegt, „gründlich die Visage poliert“. Einige Tage haderte ich mit mir selbst, nicht weil ich wegen Körperverletzung belangt werde, weil die herbeieilenden Polizisten mich wie einen Schwerkriminellen abführten, nein, weil ich etwas getan habe, von dem ich immer schwor, dass es mir nicht passieren würde. Egal wie tief ich auch sinke, egal wie sehr man mir auch zusetzt, du wirst deine Körperkräfte nicht hautaufplatzend und wundenreißend benutzen, diktierte ich mir immer wieder vor in Stunden, in denen die edle Moral Gegenstand meiner Reflexionen war.
Und ja, es war eine Dummheit, es war eine armselige Verfehlung, daran kann ich gar keinen Zweifel hegen, daran gibt es nichts zu deuteln. Und dennoch... ich habe es nicht so weit kommen, ich hätte die Wut eines Menschen niemals so weit anschwellen lassen. Der Dame machte das muntere Spiel aber große Freude, immer wieder, schon seit Jahren, seitdem ich in dieses herabsetzende Programm zur Arbeitslosenverwaltung gestolpert bin. Seit jenem Tag lebe ich am Existenzminimum, habe mich regelmäßig zu bewerben - was ich ja immer tat und auch weiterhin tue, weil ich mir ja doch noch ab und an erhoffe, noch einmal eine Lohnarbeit zu erhalten, die mir ein Leben oberhalb des Daseinsminimums erlaubt -, muß alles dafür tun, um wieder aus eigener finanzieller Kraft leben zu können. Aber meine Krankheit, dieser treue und chronische Begleiter, machte die Arbeitsplatzsuche natürlich nicht einfacher. Nichts Weltbewegendes, aber schmerzhaft und behindernd. Und so wühle ich mich seit Jahren durch verordnete Maßnahmen, gemeinnützige Arbeitsgelegenheiten und Bewerbungsmappen. Alleine dieses ständige Nein seitens potenzieller Arbeitgeber, Absage auf Absage, die immergleichen Formeln, "es tut uns leid Ihnen mitteilen zu müssen...", dazu hundserbärmlich schlechte Seminar-Leiter bei fadenscheinigen Fortbildungskursen, die einem von der Behörde zwangsverordnet werden und die Ausbeutung bei gemeinnütziger Arbeit, die ich natürlich kostenlos anbieten muß, sind ausreichend, um jemanden den guten Willen und den Glauben an eine bessere Zukunft zu ruinieren.
Man stumpft ab, wird zum Widerborst, schreibt mechanisch Bewerbungen, hofft darauf, wenigstens die teuer bezahlte Bewerbungsmappe nach zwei bis drei Wochen per Absage zurückzuerhalten. Manche Mappen gehen in den Weiten des Bewerbungskosmos unwiederbringlich verloren, Absagen sind heute kein Standard mehr, man wird oft einfach ignoriert, man ist nicht einmal ein Antwortschreiben wert. Doch bleibt immer ein Körnchen Hoffnung, vielleicht klappt es ja doch, nur um am Ende abermals, umso heftiger, enttäuscht zu werden. Optimismus kann man sich in einer solchen Lage nicht leisten, denn wer optimistisch immer wieder enttäuscht wird, erleidet tiefere Wunden als jener, der gleich vom Schlechten ausgeht. Und dann kommt zu dieser ganzen Erniedrigung auch noch so eine Person daher, mit ihrem fetten Hintern auf gut gepolsterten Sesseln sitzend, sicher festgeschnallt im Staatsboot, krisensicher natürlich, Pension inklusive, lädt gelegentlich zu Gesprächen laut Paragraph soundso ein, tut ein wenig vornehm dienstleistend, um mir am Ende zu erklären, ich sei an meiner Misere selbst schuld. Warum, wieso, weiß ich nicht – wahrscheinlich, weil ich lange arbeitslos bin und daher wohl ein notorischer Faulpelz sein muß. Eine Vermutung nur, die heutzutage als Schuld alleine schon ausreichend sein kann.
Immer wieder, immer wieder der gleiche Zirkus. Bekam ich eine dieser Einladungen, stand mir der Angstschweiß auf der Stirn, konnte ich nachts nicht mehr schlafen, hatte Stressdurchfall und hätte alles darum gegeben, diese Momente der Schmach und Erniedrigung bereits hinter mir zu haben. Dann saß man in jenem Büro, und wahrscheinlich werde ich weiterhin dort sitzen, dann jedoch wohl nicht mehr bei der besagten Dame, denn die wird erstmal psychiatrisch behandelt, wie mir ihr Anwalt gestern mitteilte – wahrscheinlich werde ich zukünftig bei einem verbeamteten Ex-Profiboxer beraten und erniedrigt werden -,wie gesagt, dann saß ich da, mußte Rechenschaft über meine Eigenbemühungen abgeben, mich süffisant fragen lassen, warum es ausgerechnet bei mir nie klappt mit einer Stelle und dass es nun mal an der Zeit sei, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Mal indirekt, mal auch ungeniert unterstellte sie mir, ich würde die Bewerbungen so schreiben, dass sich kein Personalchef für mich interessieren müsse, sie sehe zwar von Sanktionen ab, weil sie keinen stichhaltigen Beweis dafür habe, aber ich sei durchschaut und meine Faulheit sei fortwährend Gegenstand ihrer zukünftigen Arbeit – was immer sie damit auch gemeint haben mag, ich war für sie fortan der Arbeitsverweigerer vom Dienst.
Eines Tages erhielt ich einen Vermittlungsvorschlag, wurde bei der dort erwähnten Firma auch vorstellig, wurde da dann gefragt, ob ich schwere körperliche Arbeit verrichten könne, was ich wegen meiner Krankheit verneinen mußte, und hatte bereits zwei Tage später in der Behörde anzutanzen. Was ich mir nur einbilde, mich mit Krankheiten herauszureden, wo ich mir nur diese Frechheit herhole und wie ich nun in der von ihr erlassenen Sanktionszeit zu überleben gedenke! Dabei das zynische Lächeln kultivierend, welches sie immer dann aufsetzt, wenn sie glaubt, im Namen der Gesellschaft Recht gesprochen zu haben. Von was genau ich mich indes "herauszureden" versuchte, war mir nicht schlüssig, ist mir heute noch schleierhaft. Hinweise auf Atteste, die sie von mir schon lange erhalten hat, auf mein Krankheitsbild, welches sie per Arztbrief in meinem Verwaltungsordner nachlesen könnte, wenn sie denn wollte, ließ sie nicht gelten. Natürlich, die Sanktion war hinfällig, ein kurzer Widerspruch und die Sache war vom Tisch, aber mir bereitete es schlaflose Nächte und einige entwässernde Einheiten Durchfalls. Ich fühlte mich in meiner Würde schwer verletzt, diese unterstellte Faulheit tat mir und tut mir immer noch weh - so wie mein Magen, der nun immer öfter schmerzhaft Laut von sich gab, wenn wieder einmal die Behörde, das heißt, diese Dame mit mir in Kontakt trat.
Angstzustände sollten mich zum regelmäßigen Besucher eines Psychologen werden lassen. Das heißt, ich besuchte nacheinander mehrere Psychologen, nachdem mir die zwei ersten Exemplare, ich hatte ihnen meine Geschichte und meine Angst vor dieser Frau bereits gründlich dargelegt, einen wärmenden Ratschlag gaben: Ich sollte mir das nicht zu sehr zu Herzen nehmen, die Frau mache ja schließlich auch nur ihren Job! Verdammt, aber ich nehme mir diese unwürdige Behandlung meiner Person so zu Herzen! Ich kann es nicht einfach abstellen, ich kann mich gegen diese Behandlung auch nicht wehren, das ist schon wahr, aber was man an sich heranläßt oder nicht, kann man nicht einfach rational abwägen. Es ist irrational darunter zu leiden, ohne wirklich etwas dagegen tun zu können – aber der Mensch, und ich bin einer, auch wenn ich schon seit Jahren nicht mehr wie einer behandelt wurde, neigt zur Irrationalität. Magenschmerzen, Angstzustände, Verschlechterung meines Gesundheitszustandes generell, schlechte Ernährung, soziale Ausgrenzung und daher Isolation: man hat ganze Arbeit an mir geleistet, ich bin ganz unten angekommen.
Mittendrin dann wieder Einladungen ins Büro der Arbeitsvermittlerin, ihr großkotziges Getue, Ausfragen meiner Person, „seien Sie ein bisschen optimistischer, mein Herr“ als weiser Ratschlag, „...und krank sehen Sie mir eigentlich gar nicht aus“ als freche Unterstellung, „...und Sie haben ja viel Zeit sich gesundzupflegen“ als zynische Abschlußnote dieser Veranstaltung. Irgendwann rutschte es ihr dann versehentlich – oder nicht? – heraus: Ich sähe gesund aus, nur weil man immer Schmerzen hat, muß man sowieso nicht krank sein, und überhaupt, viele Langzeitarbeitslose geben sich gerne als krank aus, weil ihre lange Vakanz von regelmäßiger Arbeit sie zu Hypochondern mache. Ich gebe zu, ich brach danach in Tränen aus. Was ist das hier eigentlich, dachte ich mir, ein großes KZ? Gelten meine gesundheitlichen Beschwerden denn gar nicht, bin ich wirklich zu einem Menschen dritter Klasse herabgewürdigt? Wann führt man mich ab, wann koste ich denen so viel, dass Erschießung zur Alternative wird? Gibt es denn niemanden mehr, der mich so nimmt wie ich bin? Ich fühlte mich alleingelassen, ich hatte ja niemanden mehr. Am Abend soff ich, heulte nochmals ausgiebig, schrieb einen Brief an die Arbeitsvermittlerin, in der ich ihr meinen Selbstmord in die Schuhe schob und... ja und... erwachte am nächsten Tag mit einer kleinen Wunde am rechten Handgelenk. Der Mut, oder die Feigheit, je nachdem, hatte mich verlassen, stattdessen schlief ich ein. Ich zerknüllte den Brief an die mörderische Dame natürlich, kaschierte meinen Suizidversuch mit Langarmhemden bei Hitzefrei-Wetter und machte weiter wie immer, nur dass ich innerlich gebrochen war, keine Lebenslust mehr verspürte, auch meine täglichen Spaziergänge in die Natur vernachlässigte und meinen Hass auf die Dame, die ich als Sinnbild der Menschenverachtung in meine Gedankenwelt erhoben hatte, vertiefte. Ich sah Bildfolgen vor meinem geistigen Auge: Stalin... Hitler... Pol Pot... Arbeitsvermittlerin. Sie war für mich dort eingeordnet, wo sie hingehört: in die Riege der Mörder. Hat sie mich denn nicht fast ermordet? War es nicht ihre Arroganz, ihre Herabwürdigung meiner Person, ihre Lust an der Erniedrigung, die mich nun mit langen Hemden durch die Hitze laufen ließ, sofern ich überhaupt noch die Wohnung verließ, versteht sich? Dies würde sie aber nie erfahren, das war mir bereits im Moment meines Wiedererwachens klar.
So ging es noch eine Weile weiter, ich bewarb mich erfolglos, durfte acht Wochen an einem Bewerbungstraining teilnehmen, weil ich ja, Originalton Arbeitsvermittlerin, „scheinbar zu doof sei, mich zu bewerben“. Indessen wurde mir bei meinen Besuchen in ihrem Büro unterstellt, ich sei ein Pessimist, den man nicht einstellen würde, weil er immer eine solche Trauermiene trüge. Ich versuchte zu erklären, wie es in mir aussähe, aber sie tat eine abfällige Handbewegung und meinte das sei Papperlapapp oder sowas in der Art, schließlich habe jeder seine Sorgen, auch sie selbst, aber sie sei doch auch immer freundlich, oder etwa nicht?, was bei mir nurmehr Sprachlosigkeit auslöste. Bei einem der letzten Gespräche unterstellte sie mir, ich habe scheinbar eiserne Reserven, weshalb ich es so lange aushalten würde mit diesen mickrigen Regelsätzen. Immerhin, sie gab wenigstens zu, dass man davon eigentlich nicht leben könne. Man würde höchstwahrscheinlich genauer überprüfen, wie ich meinen Alltag bezahle. Dann klingelte es einige Tage später an der Haustüre, ein Außendienstmitarbeiter der Behörde wollte eintreten, ich verwährte ihm den Eintritt und er plusterte sich auf, was mich aber nicht beeindruckte. Mittlerweile schämte ich mich für meinen Lebensstil bereits so sehr, dass ich nicht wollte, dass irgendwer meine Räume sieht, auch nicht dieser fast explodierende Behördenzwerg. Natürlich, wie sollte es anders sein, bekam ich prompt eine Einladung, wurde auch pünktlich vorstellig, nicht ohne vorher ausgiebigen Durchfall fabriziert zu haben und mußte mich schelten und mir unterstellen lassen, was ich wohl zu verbergen habe. Ich legte Rechtliches dar, sie bejahte zwar, aber guten Willen hätte ich dennoch nicht gezeigt, das würde sie sich merken. Raus jetzt!, war ihr letztes Wort an diesem Tage.
Mir setzte es immer mehr zu, zu meinen Angstzuständen gesellten sich Depressionen. Meine chronische Krankheit wurde akuter, ich hatte nun auch eine offizielle, das heißt vom Arzt ausgestellte Bestätigung, dass ich an einem Magengeschwür litt. Nochmal versuchte ich dem, was man mein Leben nennen könnte, ein Ende zu setzen; nochmal war ich nicht fähig dazu. Ich betrank mich nun häufiger, flüchtete mich in kleinere Räusche, um wenigstens etwas Optimismus erleben zu dürfen, wenn mich das Bier oder der Wein, je nachdem was im Sonderangebot war, von einer zweiten Chance auf dem Arbeitsmarkt und einen baldigen Urlaub in der Sonne des Südens träumen ließ. Ich litt unter Verfolgungsängsten, beim Einkaufen blickte ich mehrmals hinter mich, hoffentlich treffe ich niemanden, hoffentlich schwärzt mich niemand an, weil ich den teuereren Joghurt kaufe, was doch zweifelsohne meinen eisernen Reserven zugerechnet würde; Reserven die ich zwar nicht hatte, die man aber mit etwas Phantasie sicherlich am Einkaufsverhalten herbeivermuten könnte. Nein, ich war am Ende, ich bin es irgendwie immer noch, aber meine fliegenden Fäuste haben mir dennoch Zuversicht gegeben. Ich bin noch am Leben, ich habe noch Selbstwert. Als ihr Backenzahn durch den Raum flog, da wußte ich, dass ich noch eine Zukunft habe, dass mein Peiniger abgewirtschaftet hatte, freilich nur, um mir einen neuen Peiniger vor die Nase zu setzen. Gleichzeitig bereute ich es, denn ich habe meine politischen Überzeugungen verraten, meine Friedfertigkeit, die ich jahrzehntelang pflegte. Wer nimmt mir noch den Pazifisten ab? Obwohl, ist jener nicht ein dummer Pazifismus, der immer nur die andere Wange hinhält?
Jedenfalls hätte sie an diesem düsteren Tag nicht wieder anfangen sollen mich zu penetrieren. Als sie mich verächtlich fragte, wieviele Quadratmeter meine Wohnung eigentlich habe, da sah ich keinen Ausweg mehr. Die wollen mich ausquartieren, dachte ich, die wollen mich in ein noch kleinere Wohnung stecken, meinte ich. Dann geschah, was schon beschrieben wurde, dann fielen alle Hemmungen für einen kurzen Augenblick. Die Positionen hatten sich kurzzeitig verändert, nun saß ich oberhalb ihrer und erniedrigte sie, nun vergolt ich ihre Mordanschläge, nun riss ich dieser Justizvollzugsbeamten im Diensten der Arbeitsagentur die Maske der Verachtung vom Gesicht. Für einen Moment trafen sich unsere Blicke, nie zuvor zeigten ihre Augen diesen Respekt, den sie mir in jenem Augenblick entgegenbrachten; nie zuvor fühlte ich mich von dieser Person so wahrgenommen, wie in diesem Moment wuchtiger Schläge; jetzt sah sie, dass ich noch da war, ein Mensch, ein Bündel von Gefühlen und Affekten, keine Nummer, kein Stück Vieh, keine Verfügungsmasse. Ich habe sie Demut gelehrt, wie sie sie mich jahrelang ebenso gelehrt hat. Quid pro quo. Ich habe begierig von ihr gelernt, wie man Menschenverachtung praktiziert, ich habe es auf mich wirken lassen, hatte bei ihr die beste Schulung, habe am Tage des Faustkampfes mein Gesellenstück in Erniedrigung gemacht.
Mir tut es leid, trotz allem, mir tut es leid für mich selbst. Für mich, der nun ein Gewalttäter wurde, obwohl er immer an das Gute im Menschen glaubte. Wer nimmt mir noch ab, immer noch so zu denken? Ich glaube immer noch daran, es scheint ein genetischer Defekt zu sein, der mich so denken und fühlen läßt. Auch wenn ich sie verdrosch, auch wenn ich mich von ihr losriss, so glaube ich auch an das Gute in ihr, weil ich an das Gute im Menschen glaube. Jetzt muß sie doch begriffen haben, dass auch in ihr etwas Gutes ist, freivibrierte durch die Rache des Erniedrigten. Aber für sie tut es mir erstmal nicht leid, ich mußte es tun, sonst hätte sie es getan, sie hätte mich getötet, zweimal setzte sie bereits an, mehrfach tat sie alles dafür, meine Pulsadern aufgeschnitten zu sehen, nur damit die öffentlichen Kassen Entlastung erfahren. Ich bin ein Schwein, keine Frage, ich habe eine Frau geschlagen, Frauenrechtlerinnen haben bereits in der Regionalzeitung angekündigt, gleichfalls gegen mich Anzeige zu erstatten. Als wäre mir das Frausein dieser Frau Grund genug gewesen. Meine Motive interessieren niemanden, nicht mal diejenigen, die sich heute Frauenrechtlerinnen nennen und früher selbst um neue Freiheiten fochten. Ich schlug mich um meine kleine Freiheit, aber das wird nicht anerkannt, ich bin ein Frauenschläger, obwohl ich nur die Charaktermaske des Systems vermöbelte. Ein Gewalttäter, obwohl er sich nur gegen die Gewalttäterin erhoben hat.
Dieses kleine Plädoyer habe ich im Suff geschrieben, ich werde es bei der Gerichtsverhandlung nicht halten. Man wird meine Motive nicht wissen wollen und wenn doch, wird man sie nicht verstehen, denn die Dame tat nur ihren Job und ich hätte mich ja juristisch wehren können. Aber zu den langwierigen Kämpfen durch die Widerspruchsstellen der Behörden fehlte mir seit geraumer Zeit die Kraft, für ein Paar Schwinger reichte sie gerade noch aus. Nein, ich schrieb diese Rechtfertigung nur für mich, ich wollte damit schließen, dass all das mein Verhalten nicht entschuldigt, aber die Tat erklärbar macht. Ich glaube aber, dass ein Richter, der diese Binsenerkenntnis hören würde, sich mein Verhalten dennoch nicht erklären könnte, deshalb schließe ich so nicht. Unsere Gerichte brüten nur über physische Gewalt, das was mit psychisch eingeimpft wurde, damit ich schlussendlich auch physisch darunter leide, hat keinen juristischen Verhandlungswert. So lese ich mir nun selbst, nachdem ich nochmals ein, zwei Gläschen geleert habe, mein Plädoyer vor – danach entschlummere ich und träume von einem Gerichtsprozess, der mich freispricht, von einem Richter der im Namen des Volkes verkündet, dass ich Opfer meines Umfeldes war und überdies in Notwehr gehandelt habe. Für eine Nacht wird mir dieser süße Traum Zufriedenheit schenken, dieses Leben wird dies nimmermehr zu tun vermögen...
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