Sit venia verbo
Freitag, 16. Mai 2008
"Denken kann gewiß nicht gelehrt werden, es ist die verbreitetste, spontanste und natürlichste Sache der Welt - aber auch die Tätigkeit, von der man sich am leichtesten ablenken läßt. Denken kann verlernt werden. Alles wirkt darauf hin. Sich dem Denken hinzugeben erfordert Kühnheit, da sich ihm doch alles entgegenstellt. Häufig genug stehen wir dem Denken selbst im Weg! Sich daranzumachen erfordert etwas Übung, man muß zunächst einmal die Epitheta vergessen, die das Denken als streng, verzwickt, abschreckend, leblos, elitär, lähmend und grenzenlos langweilig hinstellen. Und man muß die listigen Argumente widerlegen, die an die Kluft zwischen Intellekt und Irrationalität, zwischen Denken und Fühlen glauben machen wollen. Wenn man das erreicht, dann ist das fast eine Art Heilszustand! Denken kann jedem ermöglichen, im Guten wie im Schlechten zu einem Bewohner mit vollem Recht zu werden, einer, der - ganz unabhängig von seinem Status - frei ist. Daß so etwas kaum unterstützt wird, kann nicht überraschen.
Denn nichts mobilisiert so wie das Denken. Denken ist alles andere als ein trübsinniges Verharren, es ist vielmehr die Quintessenz des Tätigseins. Es gibt keine subversivere, keine gefürchtetere Tätigkeit. Es gibt auch nichts, was stärker verleumdet würde, und das ist weder zufällig noch harmlos: Denken ist politisch. Und zwar nicht nur das politische Denken. Bei weitem nicht! Die bloße Tatsache zu denken ist politisch. Deshalb der heimtückische und dadurch um so effizientere Kampf, der heute so heftig wie nie zuvor gegen das Denken geführt wird, gegen die Fähigkeit zu denken.
Denken ist eine Fähigkeit, die mehr und mehr zu unserer letzten Rettung wird."
- Viviane Forrester, "Der Terror der Ökonomie" -