Den Sack voller Scheiße, den es nicht gibt

Montag, 12. August 2013

Irgendwo bemerkt Bukowski, dass die Welt im Grunde genommen nur ein Sack voller Scheiße sei, der jederzeit zu platzen drohe. Nun aber behauptet Markus Gabriel, dass es eine Welt überhaupt nicht gibt. Und damit den Sack voller Scheiße nicht? Das macht mir Sorgen.

Der Versuch einer Einordnung und sowas wie eine Rezension.

Quelle: Ullstein Verlag
Gabriel philosophiert sich in "Warum es die Welt nicht gibt" nicht nur durch die Historie, sondern entwirft selbst ein philosophisches Gebäude. Von dem ist er jedoch überzeugt, dass es das gibt. Nur die Welt gibt es nicht. Weltanschauung und Weltsicht gleichwohl demgemäß auch nicht. Dass man die Welt als etwas in sich Geschlossenes betrachten könnte, schließt Gabriel völlig aus. Es sind bestenfalls Weltausschnitte, die wir irrtümlich gerne als "die Welt" bezeichnen. Er räumt aber ein, dass die Welt ein Bereich aller Bereiche ist, ein Bereich sämtlicher Sinnfelder, in der es Tatsachen gibt, die aber nicht zwingend materieller Natur sein müssen.

Im Sinnfeld der Evolutionslehre etwa, tummeln sich nach Gabriels These einige Schlagwörter. Darwin und die Galapagos-Inseln, Genetik und Selektion, Neandertaler und allerlei Missverständnisse und Fehlinterpretationen. Innerhalb des Sinnfeldes "Evolution" haben wir es mit einem geschlossenen Kosmos zu tun. Schwappt aber das Sinnfeld "Evolution" in das Sinnfeld "Gesellschaft" über, macht also die Evolution ihre Begrenztheit zum Weltbild, dann wird es problematisch, weil da ein Weltausschnitt danach trachtet, mehrere Weltausschnitte zu beeinflussen und zu formen. Der Evolutionismus, der Sozialdarwinismus waren (und wären jederzeit wieder) Weltanschauungen, die vorgaben, "die Welt" zu sein. Zu erklären, wie aber dann Fürsorge, Solidarität, Uneigennützigkeit trotzdem "in die Welt" gekommen sein sollen, tun sie sich schwer. Im Zweifelsfall diffamiert man diese Verhaltensnormen als unnatürlich, als "außerweltlich", weil biologisch unnötig.

Das trifft auch auf die Ökonomie zu. Im Sinnfeld "Wirtschaft" ist manches sicherlich auch für das Sinnfeld "Gesellschaft" (mit all seinen kleineren Sinnfeldern wie Familie, Straßen, Unterhaltung, Senioren, Haustiere, Urlaubsplanung oder Sex Shops) interessant. Gabriel weist ausdrücklich darauf hin, dass Sinnfelder nicht starr sind, dass es Schnittflächen gibt. Wenn die Ökonomie aber beginnt, ihren Bereich als "die ganze Welt" zu deuten, dann kann es nicht verwundern, dass das gesamte Weltbild aus Kosten-Nutzen-Analysen und aus Menschen besteht, die wie Computer Risikorechnungen aufstellen, um Kauf- oder Berufsentscheidungen zu treffen. Die "Ökonomie als Welt" hat Schwierigkeiten mit Verhalten, das nicht haushälterisch geerdet ist. Wenn ein Kunde trotz gleicher Qualität, sich doch für das teurere Stück Butter entscheidet, schwankt "die Welt" in ihren Grundfesten.

Bei der Ökonomie ist der Wackelfaktor noch viel größer als in der Physik. Die Ökonomie ist nur bedingt wissenschaftlich verifizierbar. Meist ist sie ein Abwägen und Deuten, ein empirisches Belegen. Zwar entwerfen Ökonomen stichhaltige Thesen, warum die gesamtgesellschaftliche Konsumfreude ausgerechnet jetzt stattfinde - aber dieselben Indikatoren, die die These so nachvollziehbar machten, können später weiterhin gegeben sein, obgleich nun allgemeine Kaufzurückhaltung herrscht. Nichts Genaues weiß man nicht. In der Physik ist das anders. Und dennoch warnt Gabriel, dass das wissenschaftliche Weltbild, das heute von den meisten Menschen bevorzugt wird, nicht "die Welt" ist. Sie ist auch nur ein Ausschnitt und wir täten als Menschen gut daran, uns das stets vor Augen zu führen.

Und der Sack Scheiße, der laut Bukowski die Welt ist? Wahrscheinlich würde Gabriel erklären, dass Bukowski seinen Lebensausschnitt zur Welt gekürt hat. Das Sinnfeld "Gosse" beinhaltet den Sack Scheiße als Metapher. Das Sinnfeld "Wohlstand" eher nicht. Das ist schade, finde ich. Denn Bukowskis Welterklärung schien mir doch treffsicher. Philosophisch mag Markus richtig liegen. Aus der Alltagserfahrung heraus hat sich für mich aber Bukowski als der bodenständigere Philosoph erwiesen. Den Sack kann ich, auch wenn ich ihn nicht sehe, über mir schweben spüren. Und Markus Gabriel und die Philosophie sind letztlich ja auch nicht "die Welt", sondern nur Ausschnitte. Und wenn man sich die Welt als Sack Scheiße vorstellen kann, dann ist die Welt als Sack Scheiße auch irgendwo eine Erscheinung im Bereich aller Bereiche und Tatsachen.

Dass es die Welt nicht gibt, kann man nach der Lektüre nachvollziehen. Sein Denkansatz ist als ein Beitrag gegen den Ideologismus zu werten, ohne gleich die typischen historischen Beispiele aufzufahren. Er richtet sich gegen die Ideologien unserer Tage und erweitert den menschlichen Kosmos auch um Dinge, die es materiell nicht gibt. Wobei Erdachtes ja auch immer aus der Materie des Gehirns entfleucht. Im Bereich aller Bereiche gibt es eben auch rosa Giraffen hinterm Mond, Hamlet oder göttliche Kreaturen, schlicht weil sie sich der Mensch denken kann. Solche Gebilde kann man zwar geisteswissenschaftlich beackern, gelten aber dennoch im physikalischen Weltbild als nichtig. Das kommt davon, wenn man Physik und "die Welt" gleichsetzt. Aber "die Welt", wenn es sie gäbe, ist ja auch Religion und Liebesroman und Spinnerei, auch sie kommen im Bereich aller Bereiche vor.

Ich schrieb mal irgendwo, dass ich persönlich nicht an Gott glaube, seine Existenz für mich verleugne, dennoch aber davon überzeugt bin, dass es ihn gibt. Das ist nicht paradox, sondern nur die Erkenntnis, dass auch "Gott in der Welt ist", weil er sich dort gedacht wird. In meinem Inneren herrscht doch ständig ein Kampf zwischen klaren und weniger klaren Tatsachen. Ich spüre den Zahnschmerz sehr real und stelle mir auf dem Stuhl beim Zahnarzt eine hübsche Insel vor, um mich abzulenken. Das ist alles nur in meinem Kopf, heißt es bei Andreas Bourani. Aber mein Kopf ist im Bereich aller Bereiche zu finden, also ist auch der immaterielle Inhalt dort. Kurzum, Gabriels Denkansatz ist ein Plädoyer für Toleranz.

Dass Markus Gabriel kein vertrockneter Philosoph ist, tut der Sache gut. Er schreibt über das Sinnfeld der Philosophie hinaus und ermöglicht so auch Laien, seine Gedankengänge zu verstehen.

Warum es die Welt nicht gibt von Markus Gabriel ist im Ullstein Verlag erschienen.


8 Kommentare:

ninjaturkey 12. August 2013 um 07:57  

Und wieder ein Küchenphilosoph, der mit wohlgesetzten Worten ein Büchlein produziert, dessen durchaus realen ökonomischen Wert er im Frühstücksfernsehen zu multiplizieren weiß. Weit unterhalb seiner gedanklichen Sphären unterliegt Herr Gabriel trotz allem den weltlichen Gegebenheiten (Naturgesetze und -konstanten, Bedürfnissen und Zwängen) denen alle unterliegen, unabhängig von ihrer Sicht der Welt. Wer mit dem Zeh gegen den Türrahmen rennt kommt um diese Wahrheit nicht herum.

Bei einem philosophischen Ansatz frage ich mich zudem immer wieder: Was ist die Erkenntnis daraus, und was können ich und die Gesellschaft davon lernen? Eine gemeinsame gültige Weltsicht mag es nicht geben, aber das ist ein alter Hut (auf gut Kölsch: Jeder Jeck es anders).

Dass man mit Worten alles schlüssig erklären aber dennoch komplett daneben liegen kann, führen uns nicht nur hippe Jungphilosophen sondern auch Politiker und Manager jeden Tag vor. So ist auch Herrn Gabriels Wurf nichts mehr als eine bunte Perle, die mal kurz ganz hübsch in der Sonne der Spiegel Bestsellerliste glänzen mag. In Kürze dürfte sie wie Herrn Prechts "Erkenntnisse" im bunten Rauschen der Realität verschwinden.

ad sinistram 12. August 2013 um 08:03  

Philosophie, die nicht nützt - ahja, sage da noch einer, die Kosten-Nutzen-Analyse habe nicht auch in linken Fahrwassern gefruchtet. Bücher helfen nicht, Philosophie nicht. Alles nichts wert, alles Tand. Das ist der Unsinn des Aktionismus gepaart mit dem üblichen Intellektuellenhass.

ninjaturkey 12. August 2013 um 08:32  

Hab ich das gemeint? Nein. Gesagt? Gut, kann man rauslesen. Philosophie ist aus meiner Sicht eine der wichtigsten und edelsten Tätigkeiten. Wozu hat man schließlich ein Gehirn, wenn man damit nicht nach Sinn und Einsicht sucht. Zunächst mal unabhängig von einem möglichen Nutzen. Andererseits hat ja die Philosophie selbst (ähnlich wie die Wissenschaft) den Anspruch, halbwegs sichere Standpunkte zu finden, von denen man sich weiter entwickeln kann. Ich sehe da einen konkreten Nutzen für mich und andere - einen ideellen Nutzen. Ist das verwerflich?
Zu behaupten die Welt sei nicht existent sondern nur ein Konstrukt unserer Sicht und auch davon nur eine Teilmenge ist nicht neu genug um das Büchlein interessant zu machen. Das geht direkt auf die Frage zurück ob die Dinge existieren würden wenn wir sie nicht betrachteten. Bei Herrn Gabriel scheint sich die Realität sogar in der Beliebigkeit der individuellen subjektiven Erkenntnis aufzulösen, und das ist einfach zu wenig. Insbesondere mit ein wenig eigener Lebenserfahrung, die ich nicht selten selbst philosohierend verbracht habe - langfristig mit einem hohen Nutzwert ;-)

Passend zu Thema des aktuelle captcha: dropMe 6
;-))

maguscarolus 12. August 2013 um 08:41  

Ich sehe das Buch mehr als logisches Vergnügen, denn als Aussage über "die Welt".

Gabriel definiert uns doch erst mal, was nach seiner Überzeugung unter "der Welt" zu verstehen sei, um dann zu beweisen, dass es die so von ihm definierte Welt logischerweise nicht geben kann.

"Die Welt" jedes einzelnen Menschen bleibt davon völlig unberührt.

ad sinistram 12. August 2013 um 08:53  

@magnuscarolus
Insofern gibt es "die Welt" nicht, aber doch viele Milliarden Welten.

Hartmut B. 12. August 2013 um 15:25  

Markus Gabriel kannte ich bisher noch nicht mal namentlich. Von daher kann ich mir über seine Philosophie keinerlei Aussagen anmaßen.

Der Titel "Den Sack voller Scheiße, den es nicht gibt" ist ja erstmal sehr abstrakt und vieldeutig.....

Die vergleichenden Gedanken zwischen Bukowski und Gabriel haben mich schon verblüfft.....

Eigentlich kann ich hierzu nur einen schwachen Kommentar schreiben.

Dennoch erschließt sich mir aus Deinem Artikel, gerade was Denken und Philosophie betrifft eine in die Gedankenlosigkeit führende Abhandlung.

Beim nochmaligen Lesen Deines Artikels empfinde ich diesen, es sei mir erlaubt, als eine großartige Persiflage auf Merkel...... von daher Danke !

flavo 13. August 2013 um 08:39  

Es scheint eine Art Einführung in die Philosophie der Endlichkeit von Welten für jene zu sein, die mit dem Denken noch keinen Kontakt gehabt haben. Eine sonderbare Vorgehensweise: ein metaphysisches Megaobjekt herstellen und dann zeigen, dass es dies nicht gibt. Was für ein idiotischer Weltbegriff. Dabei übersehen, dass es eine gemeinsame Welt sehr wohl gibt, ja geben muß. Ansonsten wären wir zueinander im ignorierenden Unverständnis wie ein Wurm zu einem Baby. Jedenfalls konnte der Schreiber sich darauf verlassen, dass eine Welt in allen Köpfen in jedem Moment im Vollzug ist, die zumindest dahingehend zureichend Eine ist, dass sie das vorgelegte Buch verstehbar machen kann und nicht, sagen wir, die Hälfte sich auf Hieroglüfen schauen sieht. Und andererseits scheint er über die starke eine Welt der Ökonomie nicht hinaus zu kommen. Ihr zu sagen, sie sei nur eine relative Welt, ist zu wenig: darauf reagiert sie mit Ignorieren und vor allem mit Handlung: rede du ruhig von der Relativität der Welten, wir erhandeln indes die EINE Welt, wie sie uns gefällt.
Unterm Strich ist auch dies hier wohl eine individuelle Lernerfahrung, die Gelegenehit hatte, sich in einem Buch abzudrucken. Ein Blog hätte vermutlich gereicht.
Es gibt keine Philosophie im traditionellen Sinne mehr. Dessen mußman eingedenk werden.
Zweifellos sind Institute für Philosophie nach wie vor groß und beliebt, insbesondere durch ihren neuerdings wieder aufgelebten klassistischen Zug. Das Edelste für die Edeln. Griechische Zustände halten wahrlich Einzug. Daran erkennt man auch ihre Belanglosigkeit: sie ist heute größtenteils in die Ideologie eingebettet, wie ein verlötetes Blech in ein anderes. Jungsporne elitärer bis höherer Mittelschichten Abkunft erquicken sich am Durcharbeiten vergangener Philosophien. Philosophie ist nicht mehr Praxis, sondern blanke Elfenbeintheorie. Einfache Zusammenhänge, wie, dass auch der Elfenbeinturm aus arbeitender Hand genährt sein muß oder, milder, auch dieser in einer Welt sozialer Verhältnisse lebt, sind hier nicht mehr durchdenkbar und werden höchstens abgeschmettert mit Verweis auf den Bestand der gesellschaftlichen Es-ist-nun-mal-so-Verhältnisse. Aber noch darüber hinaus: der abgeschmackte jünglingshafte unternehmerische Projektantengeist tobt sich ja gerade an vergangenen Philosophien aus und produziert Berge an Interpretationen, anschlussfähigen Debatten und Philologismen. Dass es auf internationaler Ebene eine Debatte mit führenden Köpfen gibt, dies scheint generell die letzte Sinnstiftung und prinzipielle Struktur der heutigen Philosophie zu sein. Warum es sie gibt, das kann man nicht sagen. Ziel kann es offensichtlich keines geben. Wer wollte heute noch von Zielen reden, wenn er es Ernst meint? Unsere Welt, auch wenn dieser Schreiber hier meint, es gebe sie nicht, bietet keine Ziele mehr, die für eine Philosophie noch tauglich wären. Was geschieht hier? Automation. Liest ein Mensch zahlreiche Texte ergibt es sich in der Regel, dass er eine individuelle Schlussansicht zum Lesevorgang von sich geben kann. Mehr oder weniger ist dies die Zustand der heutigen Philosophie. Eine paradoxes Relikt, ein Partikel, der noch im Drall vergangener Zeiten durch unsere Gegenwart schlittert. Vermutlich wird es wieder eine Zeit des Denkens geben.




Sledgehammer 15. August 2013 um 08:49  

Existiert die "Welt", wie wir sie zu kennen glauben, tatsächlich/wahrscheinlich nicht; muss sie in ihrer Ausdehnung und Ausprägung weiter/enger gefasst und gedacht werden?
Ist sie etwas anderes, als wir, die wir möglicherweise in Sinusmillieus gefangen/beheimatet sind, erfassen?
Oder Existiert sie in Gänze nicht?
Was immer sie ist oder zu sein vorgibt/vorspiegelt; in Ermanglung eines Sammelbegriffs für das Nichts, seine Illusion und/oder eine wie immergeartete Realität, nenne ich sie Welt.

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