Prioritäten aus Fleisch und Blut
Samstag, 10. August 2013
oder Die Kantine als Knast?
Manchem Griechen fehlt das Geld für sein tägliches Brot. Für dieses dem Spardiktat geschuldete Phänomen erhält die Kanzlerin gemeinhin viel Lob. Den Deutschen ist eine wöchentlich "verordnete" Gemüsefrikadelle schon zu viel - oder besser gesagt: zu wenig. Mit der Veggie Day-Empörung zeigt dieses Land, was ihm wirklich wichtig ist.
Natürlich ist der Vorschlag der Grünen unsinnig. Der typische Versuch bürgerlicher Damen und Herren, ihren Typus anderen aufzunötigen. Aber ein Generallangriff auf die Freiheit, zu dem man diesen Vorschlag erhöht, ist das beileibe nicht.
Denn wie hat man sich denn deutsche Kantinen vorzustellen? Sitzen die Angestellten dort etwa eingepfercht und angekettet an Tischen und müssen essen, was man ihnen vorsetzt? Der Großteil der vom etwaigen vegetarischen Tag betroffenen Angestellten hätte sicherlich die Möglichkeit, auf einen benachbarten Metzger auszuweichen. Esst ihr mal schön vegetarisch!, könnte ein freiheitlicher Fleischesser ja durchaus sagen. Tut er aber nicht. Lieber ist es ihm, dass sein Journalismus für ihn wettert und die Grünen als Freiheitsfeinde tituliert, als Despoten und Umerzieher. Und in der anonymen Masse shitstormt er sich in Rage. Dass er einfach aufsteht und sich sein Essen woanders besorgt oder gar mitbringt, dafür fehlt ihm dann doch die Phantasie. Seine Kantine verkommt ihm zum Knast.
Das ist nicht neu. Es gab schon öfter verordnete Fleischlosigkeit in der Geschichte. Das hat manchen Kantinenmönch dazu angestachelt, die Maultasche als Fleischversteck zu erfinden. Was ich sagen will: Es gab immer Auswege - und die gibt es auch heute.
Was zeigt die Aufregung um das vorenthaltene Fleisch in Kantinen? Nur zwei Dinge: Nämlich dass wir als Gesellschaft endgültig in der inhaltlichen Bedeutungslosigkeit verschwunden sind, Prioritäten setzen, die zu anderen Zeiten noch Bagatelle genannt wurden. Und zweitens, dass man in Fragen des Verzichts die Empörung hierzulande nur noch kennt, wenn sie am eigenen Leib erfahren wird.
Der europäischen Peripherie diktiert man gnadenlos die Lebensweise und letztlich auch die Essgewohnheiten vor. Aber ein Tag fleischlose Kantine "im Inland" empfindet man schon gleich als Knast. Wer jetzt noch auf das griechische Elend aufmerksam macht, der bekommt zu hören: "Und wir, müssen wir etwa nicht leiden, wenn uns die Kantine vorenthält, was uns zusteht?" Aber das ist natürlich nicht Selbstgerechtigkeit, sondern das ist der Shitstorm des in Not geratenen deutschen Sendungsbewußtseins.
Das eigene Schnitzel ist einem immer näher, als das harte Brot der anderen. Der Idealismus, der da protestiert, er starrt nur gerade auf den Teller, der vor einem steht. Welch gravierenden Sorgen hat dieses Europa in dieser sorgenvollen Welt: Aber nichts davon entfesselt die Empörung so stark, als dass das System ins Schlingern gerät.
Man muss diese Empfehlung der Grünen nicht gut finden, doch die Reaktionen darauf sind nicht minder lächerlich.
Natürlich ist der Vorschlag der Grünen unsinnig. Der typische Versuch bürgerlicher Damen und Herren, ihren Typus anderen aufzunötigen. Aber ein Generallangriff auf die Freiheit, zu dem man diesen Vorschlag erhöht, ist das beileibe nicht.
Denn wie hat man sich denn deutsche Kantinen vorzustellen? Sitzen die Angestellten dort etwa eingepfercht und angekettet an Tischen und müssen essen, was man ihnen vorsetzt? Der Großteil der vom etwaigen vegetarischen Tag betroffenen Angestellten hätte sicherlich die Möglichkeit, auf einen benachbarten Metzger auszuweichen. Esst ihr mal schön vegetarisch!, könnte ein freiheitlicher Fleischesser ja durchaus sagen. Tut er aber nicht. Lieber ist es ihm, dass sein Journalismus für ihn wettert und die Grünen als Freiheitsfeinde tituliert, als Despoten und Umerzieher. Und in der anonymen Masse shitstormt er sich in Rage. Dass er einfach aufsteht und sich sein Essen woanders besorgt oder gar mitbringt, dafür fehlt ihm dann doch die Phantasie. Seine Kantine verkommt ihm zum Knast.
Das ist nicht neu. Es gab schon öfter verordnete Fleischlosigkeit in der Geschichte. Das hat manchen Kantinenmönch dazu angestachelt, die Maultasche als Fleischversteck zu erfinden. Was ich sagen will: Es gab immer Auswege - und die gibt es auch heute.
Was zeigt die Aufregung um das vorenthaltene Fleisch in Kantinen? Nur zwei Dinge: Nämlich dass wir als Gesellschaft endgültig in der inhaltlichen Bedeutungslosigkeit verschwunden sind, Prioritäten setzen, die zu anderen Zeiten noch Bagatelle genannt wurden. Und zweitens, dass man in Fragen des Verzichts die Empörung hierzulande nur noch kennt, wenn sie am eigenen Leib erfahren wird.
Der europäischen Peripherie diktiert man gnadenlos die Lebensweise und letztlich auch die Essgewohnheiten vor. Aber ein Tag fleischlose Kantine "im Inland" empfindet man schon gleich als Knast. Wer jetzt noch auf das griechische Elend aufmerksam macht, der bekommt zu hören: "Und wir, müssen wir etwa nicht leiden, wenn uns die Kantine vorenthält, was uns zusteht?" Aber das ist natürlich nicht Selbstgerechtigkeit, sondern das ist der Shitstorm des in Not geratenen deutschen Sendungsbewußtseins.
Das eigene Schnitzel ist einem immer näher, als das harte Brot der anderen. Der Idealismus, der da protestiert, er starrt nur gerade auf den Teller, der vor einem steht. Welch gravierenden Sorgen hat dieses Europa in dieser sorgenvollen Welt: Aber nichts davon entfesselt die Empörung so stark, als dass das System ins Schlingern gerät.
Man muss diese Empfehlung der Grünen nicht gut finden, doch die Reaktionen darauf sind nicht minder lächerlich.
14 Kommentare:
Mag man über den Vorschlag der Grünen im einzelnen halten, was man will. Was mich entsetzt, ist die furchtbare Belanglosigkeit des Themas. Haben wir wirklich keine anderen Probleme als den Kantinenspeiseplan?
Oder hält man den Wähler mittlerweile für so blöde, daß ihn wesentliche Themen schlichtweg überfordern? Im Wahlkampf (wo findet der eigentlich überhaupt statt?) erwarte ich Debatten zu relevanten Themen und nicht so einen Schwachsinn ..
es geht ganz einfach ums Prinzip....soll dieses Politpack denn alles durchsetzen?....vielleicht brauchen Künast und Konsortinnen mal einen Poppie-Day....aber wer will schon mit solchen ...
Aber Entschuldigung, wie kann denn man in Anbetracht von Massentierhaltung, Tierquälerei, Umweltbelastungen und Lebensmittelskandalen bei diesem Thema von einer Belanglosigkeit sprechen? Es gibt meines Wissens nach kein Supergrundrecht auf 3x am Tag Fleisch, auch wenn die Agrar- und Lebensmittelindustrie uns das über ihre Marketing- und PR-Kampagnen seit Jahrzehnten erfolgreich suggeriert hat und ich finde, hier müsste bei vielen Menschen noch ein Umdenken passieren. Die Anregung der Grünen ist da vermutlich noch viel zu vorsichtig.
Der Stoff polarisiert aber sehr schön und ist daher ein gefundenes Fressen für jeden Satiriker. Meine Linempfehlung dazu HG Butzko.
Selten hat ein Thema soviele Kommentare in SZ und ZEIT produziert. "Ökodiktatur" war das Wort der Stunde. Ich weiß nicht, was in diesem Land los ist. Massenhysterie? Massenpsychose? Dieses Land ist ein Irrenhaus.
Tatsächlich haben die Grünen - unbeabsichtigt - der deutschen Gesellschaft auf grandiose Art den Spiegel vorgehalten: NSA, Prism, Internetüberwachung, Hartz IV, 9 Millionen Geringverdiener, Kinderarmut, massive Verelendung in den Mittelmeerländern.... - geht dem deutschen Wohlstandsspießer alles am Arsch vorbei ("Ich bin ja nicht betroffen und kann mich nicht über alles aufregen!"). Aber dass ihm diese bescheuerten Grünen das tägliche Kotelett verbieten wollen, scheint eine Ungeheuerlichkeit zu sein und ruft Proteststürme hervor. Selten hat sich die deutsche Wohlstands-Kombination von spießiger Biederkeit mit borniertester Egozentrik klarer demaskiert.
da muss ich dem blue lion voll zustimmen. es kann ja wohl kaum thema für die bundespolitik sein, was der kantinenmensch zu essen hat. da gäbe es schon wichtigere themen.
Das ganze zeigt doch wie sehr die Bevölkerung dieses Landes zu einer Konsumgesellschaft verkommen ist.
Besteht die Gefahr, das der eigene Konsum, welcher zum Großteil durch die Werbeindustrie fremdbestimmt wird, auch nur minimal eingeschränkt werden könnte, gibt es sofort einen Aufschrei. Alles andere scheint der Bevölkerung egal geworden zu sein. Menschenrechtsverletzungen, Einschränkungen der eigenen Freiheit (abgesehen von der Pseudofreiheit des Konsums), nichts davon scheint ein Großteil der Bevölkerung auch nur ansatzweise zu interessieren.
Ich verstehe die ganze Aufregung über die vermeintliche Aufregung der Bürger nicht.
Mag sein, dass in Postillen gegen den Veggi-Day polemisiert wird.
Aber man sollte sich doch mal die grundsätzliche Frage stellen:
Regt sich der Bürger auf, weil er Angst hat, dass er in der Kantine nicht jeden Tag Fleisch bekommt, oder doch eher darüber weil er es satt hat als mündiger Bürger oberlehrerhafte Erziehungsmaßnahmen zu ertragen?
Ich persönlich will mir von der ollen Künast in GAR NIX reinreden lassen, ob es nun meinen Fleischkonsum betrifft oder wie lange ich abends das Licht anlasse.
@ Stefan
"wie kann denn man in Anbetracht von Massentierhaltung, Tierquälerei, Umweltbelastungen und Lebensmittelskandalen bei diesem Thema von einer Belanglosigkeit sprechen?"
Also selbst deine Argumente verblassen am Himmel der Belandlosigkeit in Anbetracht eines Arguments. Diese Argument ist HUNGER! Klar werden die Preise für Grundnahrungsmittel auch extrem über Nahrungsmittelspekulation (Buchempfehlung: Jean Ziegler - Wir lassen sie verhungern) und ähnliches in die höhe getrieben was zu der damit einhergehenden Verachtung von Tieren als Ding (früher sagte man ja nicht zu unrecht "sich verdingen"/Lohnarbeiten), als Produkt führt, aber unser fast unermesslicher Trieb (welcher uns anerzogen wurde) danach Fleisch zu fressen ist eben auch einer der Mitgründe für Hunger andernorts. Ich hoffe immer wenn ich von Vegetariern die Argumente höre Masssentierhaltung, Tierquälerei, etc., dass sich nicht hinter dem WEGLASSEN des Arguments, Hunger auf der Welt, eine subtile Menschenverachtende Haltung versteckt, sondern die Erkenntniss dass sich die Menschen in "unserem" Teil der Welt einen Dreck für das Elend dass außerhalb ihrer Sehweite liegt, interessieren.
Damit wir uns nicht falsch verstehen, es sind Argumente die vollkommen richtig sind, allerdings wirken sie für mich im vergleich mit dem des Hungers wie ein Vergleich zwischen Springers Bild-Zeitung und Horkheimers & Adornos Dialektit der Aufklärung.
@BlueLion
"Oder hält man den Wähler mittlerweile für so blöde, daß ihn wesentliche Themen schlichtweg überfordern?"
Diese Frage können Sie der BILD-Zeitung stellen, die die Idee des Veggie Days, den die Grünen seit Jahren anregen und im Frühjahr ohne Tamtam ins Parteiprogramm geschrieben haben, jüngst groß gehypt hat. Der Grund liegt auf der Hand. Die Bild ist im Wahlkampf. Und dabei offenbar erfolgreich.
Ich verstehe die ganze Aufregung nicht (außer das die Grünen das politisch festzulegen gewillt scheinen) - wenn ich in Kantinen, Mensen oder Restaurants essen gehe, gibt es schon seit ganz vielen Jahren die Möglichkeit zu wählen ... entweder Fleisch oder eben ohne ...
Eins vorweg: Ich bin Vegetarier und finde den Vorschlag der Grünen auch unsinnig!
Er setzt meiner Meinung nach genau am falschen Ende des Problems an, die Verbraucher. Durch einen schärferen Tierschutz und mehr Auflagen, sollten die Hersteller in die Pflicht genommen werden.
Vielleicht ist das auch ein Beispiel dafür, wie sehr die Grünen mittlerweile zum Establishment gehören, da hier ein Problem wiedereinmal nach unten weitergereicht wird zu denen, die sich nicht wehren können, damit die Industrie nicht belastete wird.
@ Roberto J. De Lapuente
„Esst ihr mal schön vegetarisch!, könnte ein freiheitlicher Fleischesser ja durchaus sagen. Tut er aber nicht.“
Vielen Dank für diesen Satz!
Er bringt etwas auf den Punkt, dass mich als Vegetarier schon seit Jahren stört: Viele Fleischesser können eben nicht einfach so akzeptieren, dass man keine Fleisch isst! Wobei ich auch das Problem habe, am A... der Welt zu wohnen (Nordfriesland) wo die Menschen noch etwas … na ja … nennen wir es mal konservativ sind.
Wenn ich an all die „Diskussionen“ denke, in denen zwanghaft nach Widersprüchen in meiner Moral und Ernährung gesucht wurde um mir vorzuwerfen, dass ich nicht noch moralischer bin …
Ich finde es allgemein lächerlich, wenn jemand der nichts tut, einem anderen, der wenigstens versucht nicht Teil eines Problems zu sein, vorwirft nicht noch mehr zu tun, während er selbst den Allerwertesten nicht hochkriegt um überhaupt irgendetwas zu tun!
Tut mir leid, wenn ich hier jetzt einigen Fleischessern zu nahe trete, aber ich bin mittlerweile der Meinung, viele von euch fühlen sich schlicht und einfach durch die bloße Existenz eines Vegetariers moralisch angegriffen, weil ihr im Grunde eures Herzens wisst, dass das Fleisch auf eurem Teller gelitten hat.
Tatsächlich ist es so, dass ich mir auch nicht vorstellen kann, kein Fleisch zu essen. Ich sage ganz bewusst: leider. Aber ohne geht es bei mir dauerhaft nicht.
Ich fühle mich aber nicht moralisch angegriffen, weil es Vegetarier gibt. Manchmal ist ein Vegetarier eben nur ein Vegetarier und kein Imperativ. Aber klar ist, dass Fleischkonsum Mitschuld erzeugt. Nur in die völlige Entschuldung im Dasein nicht machbar. Heißt: Man kann von bewussteren Fleischverzehr sprechen, muss aber nicht radikal abschwören. Die Stoßrichtung des Grünenvorschlags ist ja nicht falsch. Aber eben ein moralischer Aufzwingversuch, der nicht haltbar ist.
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