Essen und hungern lassen

Freitag, 30. August 2013

Ein Appell gegen die Instrumentalisierung des Hungerstreiks.

Der Hunger als Waffe ist wieder häufiger da. Neulich gingen einige Asylbewerber in Hungerstreik. Und vor einigen Tagen erreichte mich eine e-Mail. Darin stand, dass da jemand an einer Hungerstaffel gegen Hartz IV teilnehmen wolle und dass man die Aktion unterstützen sollte. Ich will nur empfehlen: Hört mit dem Quatsch auf! Das ist kein zielführender Protest. Und die Logik und die Aura, die darum geschmiedet wird, wirkt auf mich wie aus dem Kinderzimmer rekrutiert.

Wen wollt ihr denn bestrafen? Die Herolde von Hartz IV vielleicht? Als ob ein Loch im Magen noch jemanden schmerzen könnte außer demjenigen, der es hat. Man bestraft sich doch nur selbst. Die Clowns in den Jobcentern machen weiter wie eh und je. Man erzwingt damit nichts außer Magensonden und Zwangsernährung. Das kommt mir vor wie der Teenager im Nebenzimmer, dem ich den abendlichen Kinobesuch verbiete und der dann motzt, dass er eben nie wieder ins Kino gehen werde. Ein bisschen Trotz tut gut. Zu viel davon wird zum ideologischen Phlegma, zur bockigen Ich-strafe-Dich-indem-ich-mich-strafe-Logik. Man sollte Protest nicht mit Masochismus und Selbstkasteiung verwechseln.

Diejenigen, die hungern in ihrer Verzweiflung, will ich gar nicht angreifen. Theoretisch leuchtet die Praxis ja ein. Man macht sein Leid kenntlich, hungert sich zu einer Metapher für das eigene Unglück herunter. Zynisch könnte man von einem theatralischen Beeinflussungsversuch sprechen. Die, die hungern, sind ja wirklich arme Schweine. Blöde Schweine sind hingegen diejenigen, die in die Rolle von Betroffenheitsfunktionären schlüpfen, die den Hungerstreik zu etwas ausbauen, was er nicht ist. Baadereske Gestalten, die wie der damalige Stammheimer Hungerstreiks einleiten und mit dem Finger drauf zeigen und verschämt in ihre Stulle beißen.

Hunger ist keine Lösungsansatz. Er ist Teil des Problems. Und die widerlichen Personen, die den Hungerleider auch noch stützen, weil sie meinen, der ausgelutschte Körper sei eine irgendwie geartete politische Botschaft, die haben kein Interesse an der Lösung, die potenzieren das Problem lediglich.

Trotzdem finde ich, dass man den Hungernden raten soll: Esst was! Plündert die Kühlschränke reicher Leute! Das wäre eine Botschaft. Wer glaubt den Hunger mit Hunger bekämpfen zu können, der könnte auch den Ministern glauben, die erzählen, dass man den Krieg mit Krieg bekämpfen kann. "Intellektuell" ist das dieselbe Liga. Krieg den Palästen, um das Magenknurren in Hütten zu befriedigen! Wer die Sorgen der Hütte zum Symbol verherrlicht, der stiftet wohlige Palastruhe.

Wer jetzt sagt, es gehe dabei ja nicht um Hunger, sondern um Aufmerksamkeit, der hat nur die Hälfte begriffen. Es geht immer um Hunger. Es geht darum, jeden Tag sorglos essen zu wollen. Unter einem Dach essen zu wollen. Gesellschaftlich anerkannt seine Mahlzeit zu sich zu nehmen. Satt zu sein und zu bleiben. Auch wer, wie früher geschehen, gegen die Atomkraft hungert, dem geht es um die Sorge, bald nicht mehr oder nur noch verseucht essen zu können. Alles was wir tun, handelt in letzter Instanz immer vom Essen.

Soll ich nun den Polizisten, die die Asylbewerber ins Krankenhaus verfrachteten und den Ärzten böse sein, weil sie Zwang anwandten? Was hätten sie sonst tun sollen? Und wenn ich dann diese Funktionäre des Hungers sehe, die applaudierend neben den Hungerleidern stehen, die laut Skandal! rufen, weil Polizei und Ärzteschaft Hand in Hand Zwang anwenden, weil sie in Krankenhäuser abführen und Sonden platzieren, dann kann ich nur den Kopf schütteln. Solche Leute sensibilisieren die Welt nicht. Sie sind selbst unsensible Leute, die ihren Selbsthass auf andere richten und völlig irrational meinen, so könne die Welt besser gelingen.

Sympathie hege ich mit diesen Funktionseliten der Besitzständler sicher nicht. Aber hier kann und will ich nicht gegen sie stehen.

Mit linker Weltsicht, mit progressivem Blick auf die menschliche Gemeinschaft, hat die Apotheose des Hungerstreiks nichts, aber auch gar nichts zu tun. Das sind gesinnungsfaschistische Methoden, die auf das große Nichts zusteuern, die den täglichen Kampf um eine etwas erträglichere Welt in den Nihilismus weisen, die eine Leere erzeugen. Die Divinisierung des Märtyrers wird dabei nicht selten mit esoterischer Verve poliert - das was sich halt einstellt, wenn Leere entsteht.

Was die Konservativen zum Hungerstreik sagen, nämlich dass er Erpressung ist, lasse ich aber nicht gelten. Klar ist er Erpressung. So wie alles in der Welt. Darauf beruhen Gemeinwesen und Familien. Das man mit dem Hungerstreik das Erpressungsmonopol staatlicher Behörden antastet, ist also kein Argument. Erpresser kann jeder sein. Natürlich erpresst das geregelte Leben zwischen Menschen, vulgo Staat genannt, bequemer, weil mit vollerem Bauch.

Wenn ich möchte, dass alle Menschen essen sollen, wobei "das Essen" hier auch symbolisch und metaphorisch für Sorgenfreiheit aller Art stehen kann, dann kann die Forcierung der Sorge nicht der richtige Weg sein. Wie gesagt, wer das dennoch glaubt, der kann auch am Krieg einen Akt der Befriedung erkennen. Ist es also ein Zufall, dass die Aktivisten rund um die Hungerstreiker und die Menschenrechtskrieger nicht selten aus derselben Klientel stammen?


10 Kommentare:

Lutz Hausstein 30. August 2013 um 09:33  

Ich habe im Laufe meiner Arbeit verschiedene menschliche Typen und die unterschiedlichsten Arten von Protest und Widerstand kennengelernt. Einige haben meine i.d.R. nüchtern-sachliche Herangehensweise kritisiert, manche sogar abschätzig bewertet. Ich wiederum teile auch so manche Protestform nicht. Sie scheint mir mal zu plakativ, mal zu wirkungslos, mal zu selbstverliebt, mal zu was-auch-immer.

Eines habe ich jedoch im Laufe der Zeit für mich festgestellt. Auch wenn ich die Formen nicht unmittelbar teile, akzeptiere ich sie jedoch (außer Gewalt). Jeder hat andere Ideen, andere persönliche Hintergründe, andere Umstände.

Wenn wir dabei auf dasselbe Ziel hinarbeiten, dabei nur andere Wege beschreiten, ist dies für mich kein Hinderungsgrund. Ich respektiere dies, beobachte dies ggf. mit Wohlwollen oder unterstütze dies gar im Rahmen meiner Möglichkeiten.

Ebenso betrachte ich Hungerstreiks. Nicht unbedingt meine Art des Protestes, habe ich aber Respekt vor dem Mut und der Willenskraft, die dafür nötig sind. Ob dies so erfolgreich ist, steht dabei gar nicht immer so einfach fest. Oftmals ist es das Zusammenwirken von verschiedenen Protestformen, die erst in der Summe die Durchschlagskraft entwickeln.

Von daher sollte man auch diese Protestform nicht völlig verwerfen, auch wenn man sie persönlich nicht teilt.

michal 30. August 2013 um 11:28  

Ich finde, Sie haben recht, Roberto.
Im Grunde sollte es eine Diskussion um die Anstifter geben, aber die gibt es nie.

Hartmut B. 30. August 2013 um 11:36  

Danke Roberto, wieder mal eein super Artikel !

Und wahrhaftig - es geht im Leben immer nur um materielle und emotionale "Nahrung".

Der Hunger, bzw. auch der Hungerstreik ist wirklich sowas von sinnlos , das sollte sich jeder klarmachen. - Er leitet schwere Erkankungen ein und ist letztendlich ein Tod auf Raten.

- Im Gegensatz hierzu steht die Unersättlichkeit. Denn daran "leiden" wohl alle Herrschenden, insbesondere die Politker. Spontan fällt mir nur eine Ausnahme ein: Mahathma Gandhi. -

Wolfgang Buck 30. August 2013 um 21:20  

@Lutz Hausstein

Ich bin ja auch einer der eher sachlichen Typen. Aber eines muss uns klar sein: mit Sachlichkeit hat noch nie jemand die Welt verändert. Nicht mal ein Imanuel Kant.
Die Typen die mit Emotionen werben sind die Weltveränderer. Ganz gleich welcher Couleur. Von Jesus, über Hitler bis Kennedy oder Brandt.

@Roberto:

ein guter Artikel. Allerdings ein Artikel ohne die Erwähnung Gandhis dessen Hungerstreiks wohl die Vorlage ist für die meisten aktuellen Nachahmer? Interessant.

landbewohner 31. August 2013 um 08:05  

wenn schon, denn schon. kenn das aus den 80ern.
besser saufen für den frieden, als hungern gegen den krieg.
lustiger isses allemal.

Ellen V. 31. August 2013 um 11:04  

Dem Grunde nach sehe ich es ähnlich wie Roberto.
Hungern gegen den Hunger (als Synonym für immer schlechter werdende Lebensbedingungen unzähliger Menschen)...das erinnert mich an das, was ich unlängst hörte:
"Waffeneinsatz für den Frieden ist wie f***** für die Jungfräulichkeit"

Ich verstehe die Verzweiflung der Menschen, keine Frage.Doch es scheint mir, als versuche man mit dem Mut der Verzweiflung an die Moral "der Anderen" zu appelieren, die es so nicht mehr gibt.Wenn es sie je gab...

Daher hinkt aus meiner Sicht auch der Vergleich mit Ghandi.
Dieser wollte mit dem Hungerstreik eben nicht die Briten moralisch überzeugen, vielmehr wollte sein eigenes Volk davon abhalten, einen gewaltsamen Bürgerkrieg zu entfachen. Dass dies gelang, hing vermutlich mit dem großen Respekt des Volkes vor ihm und seiner konsequenten Haltung des friedlichen Widerstandes zusammen.

Lazarus09 31. August 2013 um 16:11  

Alles Gelaber ,gehungere , diskutiererei, beterei ..taugt nichts !1!

Der alte APO Spruch :'Macht kaputt, was euch kaputt macht.'

oder wo Klausbaum gerade MalcolmX bemüht :'Sometimes you have to pick the gun up to put the Gun down.'

etwas anderes wird von den leistungslosen Einkommens-und Maximalrenditenbezieher,Bodenrentengenerierer, Rettungsschirmler und Brandmaurer, Lohndrücker sowie deren Marionetten in Politik und Wirtschaft nicht wahrgenommen .

Aufgemerkt wird bei Widerstand und Protest mit über einer Mio Sachschaden und/oder wenn die Feuerwehr einen aus der "Leistungselite" vom Boden wischen muss ...

Dieser Tage wäre auch wieder ein Stauffenberg Terrorist egal ob er versuchte zutiefsts undemokratische, grundrechtswidrige Praktiken zu beenden .

Never ever forget that everything Hitler did in Germany was legal !!

Aber gut nach alter Tradition hat Widerstand Zeit, bis es zu spät ist.Drum wird brav weiter gelabert und rumgeeiert, keine Meinung zu haben, schützt vor Ärger. Keine klare Meinung haben und wenig bis nichts tun bestenfalls ein wenig kritisieren,damit kann man so gut leben, dass man selbst von einer Diktatur überhaupt nichts wahrnimmt...

just my 20p


der Herr Karl 1. September 2013 um 12:53  

Leben und sterben lassen.

Lazarus09 1. September 2013 um 15:20  

Eine wirklich gute Idee erkennt man daran, daß ihre Durchführung von vornherein komplett ausgeschlossen erscheint. ( Einstein..glaub ich )

Wie weit "uns" die best versteckteste Diktatur gebracht hat und wem sie ausschließlich nutzt sollte offensichtlich sein ..sollte..

M.Brand 1. September 2013 um 16:10  

Nur Proteste und Aktionen welche es in die Schlagzeilen der Massenmedien schaffen und sich dort über längere Zeit halten können haben eine Chance irgend etwas zu bewirken. Genau aus diesem Grund werden sie ja von den "Eliten" so sehr gefürchtet und daher diffamiert und kriminalisiert.
Leider, nur was Aufsehen erregt wird wahr genommen und hat Aussicht auf Erfolg.
Die Sachlichen, das sind die, die den Status Quo zu Gunsten der oberen 1% verwalten.
es ist auch möglich, im Recht zu sein und emotional.
Ich gehör leider zu den Sachlichen bei den unteren 50%.

MfG: M.B.

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