Kurz kommentiert

Dienstag, 6. August 2013

"Der Fall Berlusconi ist ein Symbol für die Unreife des politischen Systems in Italien."
- Tobias Piller, Frankfurter Allgemeine vom 2. August 2013 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Man kann als Kommentator selbstverständlich über die "Unreife des politischen Systems in Italien" spekulieren. Ob sich allerdings diese Unreife an der Behandlung des Falles Berlusconi abzeichnet, nur weil parallel dazu noch wirtschaftliche Probleme das Land in Atem halten, ist aber schon fraglich. Man könnte als Journalist aber natürlich auch über die juristische Reife Italiens sprechen. Eine Reife, die man hierzulande vermisst.

Ist es ein Zeichen von Reife, einen geschmierten Kanzler nicht per Beugehaft zur Offenlegung seiner Geldgeber zwingen zu wollen? Worin liegt die Reife einer Justiz, die immer wieder die Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft vor schweren Strafen schützt und manchmal sogar ganz straffrei belässt? Ist es nun Reife oder Klüngelei, wenn ein Staatsanwalt über den Umweg der Medien mit einem Steuerbetrüger über eine Bewährungsstrafe kommuniziert?

Italien hat sich politisch gesehen sicher als unreif erwiesen in den letzten Jahren. Welches Land nicht? Und ist es Unreife oder nicht doch Manipulation? Berlusconi ist ja nicht irgendein Schurke, sondern der Besitzer von TV-Anstalten, die zu seinen Gunsten die Massen verblöden. Aber juristisch betrachtet hat sich die italienische Republik stets als unabhängiger und mutiger erwiesen als die deutsche. Immer wieder legten sich Staatsanwälte mit Politik und deren Mafia an, kamen dafür zu Tode oder erreichten Verurteilungen. Die Mani pulite-Untersuchungen wurden gegen den Widerstand der politischen Kaste in die Wege geleitet. Sicherlich hat sich Andreotti fast immer aus der Affäre ziehen können. Andererseits hat die Justiz aber nie aufgesteckt und den Mann immer wieder vor Gericht geschleppt. Dasselbe gilt nun bei Berlusconi.

Nicht immer griff diese juristische Unabhängigkeit, oft gab es Misserfolge und wie überall wahrscheinlich nachlässige Staatsanwälte. Aber wäre ein breites Verfahren gegen die politische Korruption und Amtsmissbrauch in diesem Deutschland denkbar? Ein Ex-Kanzler unter Hausarrest? Könnte man sich das in Deutschland vorstellen? Ein Finanzminister und vormaliger Kofferempfänger, der dauerhaft vor seinen Richter erscheinen muss? Auch nur ansatzweise denkbar? Piller täte gut daran, sich weniger mit der Unreife des politischen Italiens zu beschäftigen, um dafür die ultramontane Reife des Justizapparates zu thematisieren. In dieser Beziehung kann Italien Deutschland als Vorbild dienen.


5 Kommentare:

Anonym 6. August 2013 um 08:01  

Die Fälle Kohl und Koch sind ein Zeichen der Unreife des Bundesdeutschen Justizsystem.

maguscarolus 6. August 2013 um 12:35  

Ganz gewiss hat Italien auch eine leichter mobilisierbare und kritischere intellektuelle Jugend als Deutschland, wo alle Tag und Nacht mit der Verehrung des Goldenen Kalbes und der Unterwerfung unter dessen Hohepriester beschäftigt sind.

Schorschel 6. August 2013 um 21:00  

Roberto, da muss ich dir 100% zustimmen. Italien hat zumindest eine unabhängige Justiz. Deutschland hat nur eine weisungsabhängige Justiz, die den jeweiligen Justizministerien untersteht. Daher kommt in D nie ein Verfahren gegen einen hohen amtierenden Politiker zustande: Den Staatsanwalt pfeift der jeweilige Justizminister (CDUler oder SPDler oder FDPler) zurück. Und der Wachhund der Demokratie geht dann brav zurück in sein Häuschen und beißt vor Frust in einen dicken Knochen. Kein Spaß in D ein pflichtbewußter Wachhund zu sein...

Helmut M. 6. August 2013 um 23:15  

Wir dürfen nicht vergessen, dass wenigstens kein deutsche Presseorgan keinem Politiker gehört (zumindest mir nicht bekannt. Die Presse ist immerhin auch eine Gewalt im Staat und hat schon einigen die Richtung gezeigt.

flavo 7. August 2013 um 15:29  

Immerhin der einzige Politiker in Europa der Merkel etwas entgegen zu setzen hat.
Insgesamt fällt diese ganze Berlusconikommentierung unter Südeuropabashing. Sie hat keinen anderen Zweck. Man kann ein Land in dieser Textform nicht bewerten und auch nicht wegen eines Politikers.
Darüber hinaus haben sich die wenigsten die Mühe gemacht, seine Politik jenseits seiner persönlichen Gesetze anzusehen. Dazu sind die meisten auch gar nicht in der Lage, aber könnte es ja versuchen. Dann sähe man, dass seine Regierungen im Großen und Ganzen den neoliberalen Mainstream durchgezogen haben, allerdings phasenweise weit weniger radikal und zeitweise keynesianistischer als etwa Deutschland.
Was die Medien betrifft kommt in Deutschland unter dem Strich dasselbe heraus wie in Italien, auch wenn keinem Politiker ein Medium gehört. Durch die Gestalt Berlusconi hat man nur ein offensichtliches Objekt, das man in die eigene Rede einbauen kann und an das man alle Fäden des Übels heften kann. Zugleich hat man dann eine Folie: seht, wie ordentlich wir es hier haben.

Es wäre eine Diskursanalyse wert, um zu sehen, ob das italienische Staatsfernsehen kritischer ist als das deutsche. Auch zu Regierungszeiten von Berlusconi.

Besonders in deutschsprachigen Zonen ist die Disposition zum Italienbahsing gerade zu eklatant. Man handelt das ganze Land emotional ab. Einerseits positive Gefühlsbilder vom Urlaubsparadies, andererseits negative Gefühlsbilder von faulen und mafiösen Menschen. Große Teile daran sind bloße Phantasien. Fehlt nur noch in einem Satz den faulen Süditaliener zu erwähnen.

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