Aus meinem Reisetagebuch

Dienstag, 30. August 2011

Am Platz, der seinen Namen trägt, lauert er zu Füßen jener Wolkenkratzer, die heute Deutschland repräsentieren. Der Dichterfürst, einst Aushängeschild eines Landstrichs - einen Staat gab es damals noch nicht -, der sich als Hort der Dichter und Denker verstand, er kauert vor denen, die heute als Aushängeschild wirken. Sie dichten auch wie jener, wenn sie handliche Slogans für Werbespots entwerfen - und sie denken auch: vornehmlich an Profit. Frankfurt symbolisiert, wie keine andere Stadt in diesem Lande, die Veränderung, die wir in den letzten zweihundert Jahren erlebten. Da besucht man als Tourist die Paulskirche, die so was wie das erste demokratische Aufbegehren abbildet - und im Hintergrund bewundert man Hochhäuser berstend voll Bankster, die auf Demokratie bestenfalls mit Skepsis reagieren. Der Geheimrat, der als Sprachgenius und Paradeexemplar deutscher Kultur, als Kind seiner Stadt, einen Platz und eine Statue gewidmet bekam, wird erdrückt von der monumentalen Bildgewalt, mit der sich pekuniäre Genies und Paradebeispiele kapitalistischer Kultur in die Szenerie rücken. Skyline nennen sie das dann in Frankfurt.

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Kinder falscher Leute

Freitag, 26. August 2011

Das Elterngeld ist eine gescheiterte Zuchtprämie. Es hat dieser Gesellschaft nicht mehr Kinder aus vermögenden Lenden gepresst. Deswegen wollen es manche Politiker auf den Prüfstand heben. Nur deswegen natürlich. Dass es chronisch ungerecht ist, weil es das Kind armer Eltern schlechterstellt, als das Kind vermögender Eltern, kümmert nach wie vor niemanden. Für ein Kind aus der Unterschicht sind 300 Euro im Monat zu viel - für eines aus der Oberschicht sind 1.800 monatliche Euro (was der Höchstsatz ist) noch zu wenig. Für ein prekäres Kind sind 300 Euro derart viel, dass man gar dazu überging, es beim Bezug von Arbeitslosengeld II anzurechnen. Gnädig, dass man den Höchstsatz, als Ausgleich quasi, nicht nach oben geschraubt hat, um akademische Kinder zu fördern, genauer: auf die Welt zu befördern. Bessergestellte nicht noch besser zu stellen, während man Schlechtergestellte kaltstellt: das sind heutzutage schon beträchtliche Anzeichen sozialen Gewissens...

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Nomen non est omen

Donnerstag, 25. August 2011

Heute: "Zumutbarkeit"
"Es gibt tatsächlich keine Untergrenze bei der Zumutbarkeit."
- DGB-Sprecherin Falk in der taz vom 18. Dezember 2004 -
Das SGB II ist die Bibel von ALG II-Sachbearbeitern. In ihr wird z.B. auch festgehalten, welche Lohnarbeit dem Erwerbslosen als zumutbar gilt und welche nicht. Die Zumutbarkeit unterliegt demnach nicht mehr der eigenen Einschätzung und Beurteilung, sondern dem Sachbearbeiter bzw. dem Gesetzgeber. In Kapitel 2 "Anspruchsvorraussetzungen", § 10, wird die Zumutbarkeit definiert.

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In eigener Sache

Freitag, 19. August 2011

oder: ich bin dann mal weg.

Die letzten Monate waren nicht einfach. Familiäre Verwerfungen! In steter Anspannung harrend, dass endlich Entspannung an die Tagesordnung tritt... aber egal, nicht zu viel aus dem Nähkästchen an dieser Stelle. Es waren also, kurz gesagt, schwierige Tage, die ich verlebte. Dazu der Zweifel, der wöchentlich zu Gast ist, für was man eigentlich jeden Tag schreibt, formuliert, die Wände hochgeht.

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Kann denn Liebe Sünde sein...

Donnerstag, 18. August 2011

Christian von Boetticher war nie der Rede wert. Jetzt ist er es, sollte es aber eigentlich nicht sein. Folgende Zeilen könnten als Verteidigungsschrift für ihn gelesen werden - sie sind es aber nicht. Was verteidigt wird sind all jene, die unter dem falschen Gebrauch des Moralbegriffes leiden. Boetticher ist nur die weinerliche Charaktermaske, die mehr oder minder zufällig in den Tumult seiner Partei und bestimmter Presseorgane stolperte. Als politische Erscheinung ist er niemand, der Verteidigung verdient hätte, denn wer unkritisch in der Gefolgschaft der Christdemokraten mitmarschiert, wer Alter Herr einer pflichtschlagenden Studentenverbindung ist, wer Sinti und Roma in Anbetracht deutscher Geschichte nicht als schützenswerte Minderheit wahrnimmt und wer als Doktor den Rücktritt eines akademischen Schwindlers bedauert, den kann man nur schwerlich verteidigen wollen. Seine politischen Anschauungen sollten von Sittenwächtern beobachtet werden, nicht aber sein Privatleben. Dieses gehört, weil das Privatleben aller unantastbar sein sollte, verteidigt.

... darf es niemand wissen, wenn man sich küsst...

Boetticher hat nicht strafrelevant gehandelt. Der einvernehmliche Beischlaf mit einer Sechzehnjährigen ist nicht strafbar - ferner war sie ihm auch keine Schutzbefohlene. Hätten es einer von beiden nicht gewollt, dann gäbe es einen Straftatbestand. Das Mädchen äußerte sich aber mit keinem Wort, dass es gezwungen worden wäre. Ganz im Gegenteil. Moralisch antastbar wäre diese Handlung aber auch, wenn das Mädchen mit anderen Mitteln als unmittelbarer Gewalt zum Sex gezwungen worden wäre, wenn also nicht ihre Reife, ihre sexuelle Mündigkeit sie zu diesem Schritt mit einem älteren Mann, sondern beispielsweise gebotenes Geld oder falsche Versprechungen sie dazu ermutigt hätten. Von dergleichen ist jedoch auch nicht die Rede gewesen bislang.

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Eine Männerquote für die Rente

Mittwoch, 17. August 2011

Rekord für deutsche Rentner! Im Durchschnitt erhalten Rentnerinnen in Deutschland knapp 21 Jahre lang Rente - Männer etwas mehr als 16 Jahre. So lange wie nie zuvor. Auch wenn bei Männern die Kurve, wie bei den Frauen gleichfalls, nach oben tendiert, so muß man fragen: Muß man in einer Gesellschaft, die nicht müde wird zu betonen, die Gleichstellung sei oberste Priorität, nicht unzufrieden sein, wenn man weiterhin fünf Jahre hinterherhinkt? Ist es nicht Zeit, um mit Camus zu sprechen, in eine metaphysische Revolte zu treten? Was heißt: in eine aussichtslose Revolte, was Camus nur sprachlicher galanter umschrieb?

Da kann man wenig tun, das ist wahr. Aber man darf sich doch mal polemisch einem Thema nähern, auf das man als Mann oder Vater oder als Mann und Vater immer wieder trifft. Ungleichheit! Letztens, da wurden Rentenanwartschaften geprüft und die väterliche Erziehungszeit, die ich in Anspruch nahm, plump abgebügelt. Als Vater nicht, als Mutter schon, sagte sie. Schöne Gleichberechtigung, ich darauf. Ist so, weil normalerweise sind es immer die Mütter, meinte sie. Keine Rücksicht auf Einzelfälle, dankte ich. Dann ging es doch, dann kam das Formular, das als Namen einen Buchstaben und eine dreistellige Zahl trägt, doch noch zum Einsatz. Denn es ist ja so: man hat auch als Vater Rechte und Ansprüche, manchmal jedenfalls - und manchmal nur gut versteckt und hinter der Betonköpfigkeit des gender mainstream lauernd. Aber man läuft zuerst eigentlich immer gegen Wände, das Ressentiment sitzt tief im Fleisch dieser Gesellschaft, die Gleichstellung betreibt, aber in bestimmten Nischen des alltäglichen Lebens das Primat der Frau wie ein Heiligtum aufrechterhält.

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Sit venia verbo

Dienstag, 16. August 2011

"So verkehrt sich, was das größte Glück dieser eurer Insel auszumachen schien, dank der ruchlosen Habgier weniger Menschen ins Verderben. Ist doch diese Teurung der Lebensmittel einer der Gründe, weshalb ein jeder soviel Dienerschaft als möglich entläßt: wohin, frage ich, wenn nicht zur Bettelei oder, was ritterlichen Gemütern vielleicht besser eingeht, zur Räuberei?...So viel ist gewiß: solange ihr diese Übel nicht heilt, rühmt ihr euch vergebens eurer gerechten Strafen gegen den Diebstahl! Sie nehmen sich gut aus, aber gerecht und nützlich sind sie nicht. Denn wenn ihr die Menschen in jämmerlicher Erziehung aufwachsen, ihre Charakter von zarter Jugend an verderben laßt, um sie dann hinterher zu bestrafen...Ich bitte euch, was tut ihr anderes, als daß ihr selber sie erst zu Dieben macht und dann den Richter spielt?"
- Thomas Morus, nicht über die aktuelle Lage, sondern über die Zustände im England Heinrichs VIII. -

Politik der Entpolitisierung

Montag, 15. August 2011

Was auf der britischen Insel geschähe, sei keine politische Manifestation mehr, sondern kriminell. Das schreiben die Gazetten an der Einheitsfront der Meinungsbildung einträchtig. Chaoten, Randalierer, kriminelle Marodeure! Höchstwahrscheinlich mag dieses Urteil sogar stimmig sein. Forderungen an die Gesellschaft stellen diese Jugendlichen vermutlich nicht, jedenfalls liest man davon nichts. Sie wüten als Mob durch die Straßen und brandschatzen. Dennoch ist das eine politische Dimension, auch wenn konservative Zeitungen gerade dies zu leugnen trachten.

Eine Gesellschaft, in der über Nacht alle Hemmungen fallen, Häuser anzuzünden, in der man eben mal Menschen mit Gewalt konfrontiert, muß sich doch fragen lassen, was schiefgelaufen ist. Gelangweilte Jugendliche sind nicht per se für "jeden Spaß zu haben" - sind nicht in nuce kriminell oder gewalttätig veranlagt. Da muß schon mehr dazu kommen, um diesen bedenklichen Schritt zu gehen. Perspektivlosigkeit ist es eher, was Menschen eine Laufbahn als Verbrecher einschlagen läßt - nicht gehört, nicht wahrgenommen zu werden, die Gesellschaft nicht zu interessieren, der ungeliebte Bodensatz eines nach und nach durchmanchestesierten Kapitalismus' zu sein: das animiert zu Brandstifterei, ermutigt dazu, die Spielregeln der Gesellschaft, die einen nicht liebt, zu unterwandern und für nichtig zu erklären.

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Ideologie und Paranoia

Freitag, 12. August 2011

Schwule! Überall waren Schwule. Das Land schien schwulstig zu verkitschen. Die gute alte Familie: ein Auslaufmodell! Nurmehr Sodomie. Männer, die beim Knaben lagen, wie beim Weibe. Homosexuelle Lehrer gefährdeten das Kindeswohl, infizierten die unschuldigen Menschlein mit diesem heimtückischen Homo-Virus. Die Gesellschaft musste dringend aus den Pranken der um sich greifenden Verschwulung errettet werden. Und gottlob, es gab ja wackere Recken gegen diese Pandemie, die da unkontrollierbar überhandnahm. Da war John Briggs, ein kalifornischer Senator, der mit seiner Gesetzesinitiative schwule und lesbische Lehrer und Lehrerinnen mit Berufsverbot belegen wollte. Denn erwiesen sei, schärfte er der amerikanischen Öffentlichkeit ein, dass Schwule und Lesben Kinder zu ihresgleichen bekehrten, wenn man sie nicht aufhielt. Saftwerbefachkraft Anita Bryant, mittlerweile ins politische Fahrwasser geschwommen, predigte vom Teufel, der in jedem schwulen Leib eingefahren sei und der die Nation gefährde, indem er sie homosexuell werden ließ. Da klang sie ganz wie Präsidentenschwester Ruth Carter Stapleton, eine evangelikale Furie, die den Schwulen den Heiland ans Herz legte, um endlich von dieser grausamen Krankheit geheilt zu werden. Vorallem Bryant wurde in jenen Jahren zur Stilikone der Anti-Schwulen-Bewegung.

In dieses vergiftete Klima, in dem Homosexuelle geprügelt und hin und wieder, unter Desinteresse der Behörden, ermordet wurden, betrat Harvey Milk die Szenerie. Der Schwulenaktivist wurde Stadtratsabgeordneter San Franciscos und fand in Bürgermeister George Moscone einen liberal denkenden, progressiv agierenden Koalitionspartner für diverse Gesetzesvorhaben. Ein anderer Stadtrat, im selben Jahr wie Milk gewählt, dessen Name Dan White war, wandte sich angewidert von diesem liberalen Geist ab und geriet im Stadtrat auch deshalb mehr und mehr in Isolation. Bald schon trat er zurück, überlegte es sich binnen Tagen aber nochmal anders und versuchte einen Rücktritt vom Rücktritt. Moscone jedoch gewährte ihm dieses Zurück nicht mehr.

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Wie einst Marx

Donnerstag, 11. August 2011

Es rumort, es gärt, alle Nähte platzen. Wie dereinst Karl Marx beobachten wir die Zeichen der Zeit. Dieser meinte 1848 das Ende des Kapitalismus zu erblicken und hatte kurz zuvor noch ein Manifest, aus bald gegebenen Anlass quasi, auf den Markt geschmissen. Das publizierte Stück Marxengels blieb der Menschheit erhalten - so wie der Kapitalismus auch, der das Tohuwabohu des Jahres Achtundvierzig heil überstand. Das schon lang erwartete, analytisch ersehnte Ende des Ismus auf Kapitalbasis, entblößte sich als kurze Verschnaufpause und demonstrierte eindrücklich, welch glitschiger, windiger Bandwurm dieses Gesellschaftssystem sein kann, um nur weiterhin profitabel wirtschaften zu können.

Wie dazumal der Rauschebart, der 1848 noch wenig rauschig, noch kärglich buschig war, erblicken wir etwas, das wie das langsame, qualvolle Ende des Kapitalismus aussehen könnte. So stellen wir uns den Tod des kapitalistischen Bandwurms vor - wir wissen ja nicht, wie so ein Ende aussieht, wir haben ein solches Ende ja noch nie erlebt. Vor einigen Monaten noch Finanz- und Weltwirtschaftskrise, aktuell eine Weltmacht, die importiert und importiert und immer weniger exportiert hat - außer Soldaten und Panzer, die man überdies auf Pump finanzierte. Nun wackelt das Parkett und die darüber hetzenden Spekulanten. Seit Wochen Randale. Spaniens Marktplätze waren voller Unzufriedener, Griechenlands Straßen voller Empörter. Nordafrika erwehrt sich kapitalistisch finanzierter Despoten. Vor Jahren brannten Paris' Vorstädte, nun fackeln sie Londons Randgebiete ab. Und in Israel schreien sie derzeit nach sozialer Gerechtigkeit.

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Nomen non est omen

Mittwoch, 10. August 2011

Heute: "Realpolitik"
"Deutschland braucht Realpolitiker statt Moralapostel"
- Schlagzeile von Welt-Online vom 17. April 2011 -
Die Realpolitik bezeichnet eine Form der Politik, die sich nach pragmatischen, umsetzbaren und nach vorhandenen real existierenden Gegebenheiten richtet. Sie grenzt sich damit von einer Politik und Sichtweise ab, die normativ und werteorientiert entscheidet. Politische Entscheidungen im Sinne der Realpolitik werden zu einer verhandelbaren Masse erklärt. Alle Gesetze, Entscheidungen, Vorhaben und Ideen sollen sich nach pragmatischen Rahmenbedingungen richten. Alles was sich in diesem Spielraum bewegt, ist verhandelbar, der Spielraum selbst jedoch nicht. Der politische und wirtschaftliche Rahmen wird als gottgegeben und naturwüchsig erachtet und ist somit der Überbau des TINA-Prinzips.

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Die Radikalisierung eines Ministers

Dienstag, 9. August 2011

oder: irgendwie auch in eigener Sache.

Die Anonymität ist es! Innenminister Hans-Peter Friedrich hat nun des Breiviks Lösung. Weil das Internet ein anonymer Raum sei, könne dort die Radikalisierung wachsen und gedeihen. Die Geschehnisse auf der Insel flankieren indes seine These. Denn die Experten wissen: Nicht Jugendliche stürmen aufmüpfig Englands Straßen - Twitter randaliert. Der Anonymus ist die Gefahr. Und dort will Friedrich ansetzen. So einfach kann Welt manchmal sein.

Broder und Sarrazin schrieben niemals anonym. Sie sind namentlich bekannte Brandstifter. Sie schrieben auch nicht im vermeintlich anonymen Internet, jedenfalls nicht ausschließlich. Friedrichs Erkenntnisse sind hanebüchen. Quatsch! Aber für ihn ausreichend, um mit Konsequenzen zu fuchteln. Er fordert nun ein Internet, in dem Vor- und Zunamen selbstverständlich sein sollten. Nur so verhindert man ein nächstes Utøya. Friedrich blendet dabei aus, dass die Radikalisierung der bürgerlichen Mitte, aus der auch Breivik stammte, völlig transparent verläuft - niemand muß sich heute hinter einem Nickname verstecken, um Hetzparolen unter Kennwörtern wie "Islamkritik" oder "Sozialmissbrauch" zu verströmen. Das geht unter Namen und unter Applaus. Und es braucht dazu kein Internet - wenige Seiten Qualitätsjournalismus' reicht völlig auch.

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Jede Arbeit ist zumutbar

Der Atomausstieg war keine besonders gute Idee. Zehntausend Mitarbeiter von EON werden bald keine Mitarbeiter von EON mehr sein. Schuld habe auch der Atomausstieg, erklärt das Unternehmen. Ein wenig Vorwurf klingt da mit und die Betroffenen werden sicherlich sauer sein, zwar nun in einem halbwegs atomfreien Land zu leben, davon aber nichts zu haben.

Das ist die stinknormale Einstellung, die der Kapitalismus hervorbrachte. Der kümmert sich nicht um erschöpfliche Ressourcen, nicht um Folgen und Folgeschäden - er ist die Diktatur des schnellen Profits. Langlebigkeit ist nicht seine Sache - Langlebigkeit schmälert die Gewinne. Nur er bringt mit profitsüchtiger Triebhaftigkeit irrationale Ansichten hervor wie: Arbeitsplätze vor Atomfreiheit! Oder: Die Welt braucht erdölbasierende Kraftfahrzeuge, also decken wir sie damit zu! Das Primat der wirtschaftlichen Vernunft, die wenn man sie seziert, nichts weiter als die Begierde nach horrenden Gewinnen ist, setzt eine Spirale der Verschlechterungen in Gang.

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Pecunia non olet

Montag, 8. August 2011

Ein Gastbeitrag von Stefan Rose.

Auf der Grundschule war ich, soweit ich mich erinnere, während der ganzen vier Jahre nur ein oder zwei Mal auf dem Schulklo. Ansonsten habe ich das nach Möglichkeit vermieden. Die Toiletten befanden sich in einem abseits gelegenen Pavillon an der Schulhofmauer und stammten, wie die ganze Schule, noch aus der Kaiserzeit. Die Glastüren im Hauptgebäude ließen auf eine notdürftige Renovierung in den Fünfzigern schließen. Apropos Notdurft: In der Toilettenbaracke war gar nichts renoviert. Im Sommer stank es zuweilen so gewaltig, dass man in den Klassenzimmern, die in Richtung der Klos lagen, die Fenster besser nicht öffnete.

Später, auf dem Gymnasium, wurde die Situation dann ein wenig erträglicher. Als Mitte der Achtziger ein Neubau fertig gestellt war, hatte ich angesichts nagelneuen Sanitärs zum ersten Mal das Gefühl, in der Zivilisation angekommen zu sein. Vielleicht war ich ja verwöhnt. Vielleicht ekeln sich Kinder aber auch leichter. Viele Kinder hassen zum Beispiel Lebensmittel, die sie später als Erwachsene durchaus gern essen. Ich war in Hygienefragen nie sonderlich heikel: In Jugendherbergen, Gemeindehäusern, auf Campingplätzen und in Zeltlagern habe ich nie ein Problem gehabt – zumindest kein größeres als die anderen.

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Tippt trotzdem!

Samstag, 6. August 2011

Ich sollte nichts mehr zu diesem ganzen unappetitlichen Gelichter schreiben. Kaum erwähnt man Gestalten, die Geisterbahnen wie Feuilleton füllen, Leute wie Broder und Sarrazin, kaum kritisiert man "den Deutschen", kriecht manches Gewürm aus der braunen Erden. Diese Woche auch wieder, als ich mit "... die sprechen alle Deutsch" in balearischen, das heißt: großdeutschen Wunden stierte. Äpfel mit Birnen hätte ich verglichen. Ich habe mich indes dazu entschlossen, die Metapher so zu verstehen, dass die Birnen für die Deutschen stehen - das halte ich für passend, denn eine Birne, die allerdings wie ein Gemüse hieß, stand diesem Land schon mal vor. Und außerdem, wenn sie schon mal aus dem Scheißhaufen kriechen, den sie als ihr geistiges Zuhause ansehen, dann wollen sie mir gleich noch mit auf dem Weg geben, dass ich ja dahin zurückgehen könne, woher ich stamme. Dazu, meine lieben mir Asyl verweigernden Freunde, ist es zu spät - ich bin zu dick, als dass ich in die Gebärmutter meiner Frau Mama zurückschlüpfen könnte.

Dieses geistige Geschmeiß, es empört sich immer dann, wenn ich seine Lieblingsthemen aufgreife. Thilo und Henryk und Kai und Friede. Dann sind sie zur Stelle, kommentieren ins Leere und rauben mir den Glauben an eine Zukunft, die dieses Land haben könnte. Gut, Zukunft hat es schon. Auch das Sichwundliegen in verschissenen Windeln, diese triste Aussicht, die Mitsiebziger plagt, ist ja irgendwie eine Zukunft. Fraglich allerdings, wer mit solchen Aussichten entspannt einschläft. Wenn es nur Windeln wären, die sich dieses Land anlegte, das ginge ja noch halbwegs gut - nur fürchte ich mich eher vor gewichsten Rechts-zwo-drei-vier-Marschstiefeln. Materielle, fassbare, aus Kitschleder gestanzte Stiefel für Offizielle und ideologische, vergeistigte, von Kitschideologie gegerbte Stiefeletten für den geistigen Abschaum, der sich hier immer dann erbricht, wenn ich Dinge zur Sprache bringe, bei denen es einem eigentlich dieselbe verschlagen müsste.

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De auditu

Freitag, 5. August 2011

Es ist nicht mehr hoffähig, von Gut oder Schlecht zu sprechen. Man wägt ab und durchleuchtet auf Nutzen, auf Kosten sowieso und fällt dann ein Urteil im Stile des Einerseitsandererseits. Es sei gut oder es sei schlecht, vernimmt man dabei spärlich. Aus der Mode! Selbst der Dienst am Nächsten wird nicht als gut begriffen, man tut nichts Gutes, man übt sich in Menschlichkeit. Die Menschlichkeit, wie sie heute sprachlich gebraucht wird, beinhaltet Gutes.

Menschlichkeit ist Güte, Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft, Empathie, Liebe. Wir erkennen in der Menschlichkeit Vorzüge. Wenn wir jemanden auffordern, er solle sich bitte etwas menschlicher verhalten, dann meinen wir, er sollte zartfühlender sein. So wie der Mensch eigentlich ist: und zwar gut. Das geht so weit, dass soziale Strukturen im Tierreich zur Menschlichkeit verklärt werden. Wie menschlich die Meerkatzen im Umgang miteinander doch sind, weil sie ihre Artgenossen vor Gefahren warnen! Die Begriffsverwendung ist eine Verknappung, sie tilgt die traurige Erkenntnis vieler Jahrhunderte, dass Menschlichkeit auch Gnadenlosigkeit, Egoismus, Gleichgültigkeit, Gewaltbereitschaft und Hass ist. Auch diese Eigenschaften entsprechen dem Menschen, sind menschlicher (allzumenschlicher) Abkunft, machen seine Menschlichkeit aus. Der Mensch, er ist in alle Richtungen hin denkbar. Menschlichkeit ist lieben und hassen, ist karitatives Engagement und Atombombe, ist Zivilcourage und Mord. Es ist menschlich, gut zu sein - es ist menschlich, schlecht zu sein.

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... die sprechen alle Deutsch

Donnerstag, 4. August 2011

Urlaubszeit ist und Springers Primus wartet mit einer jahreszeitkompatiblen Serie auf. Urlaub für immer, nennt sich das recht langweilige, wenig informative Ding. Da kredenzt man dem Leser einen Rentner, der auf Mallorca sein Eiapopeia gefunden hat. Fester Wohnsitz Mallorca! Sein Gesundheitszustand besserte sich auf spanischem Boden ungemein (ein Argument, das bei Florida-Rolf nicht gegolten hat!) und mallorquinische Tomaten und Zitronen schmecken ihm gar köstlich - und überdies durfte er vor Spaniens Monarchin Choräle trällern! Ja, man möchte neidisch werden! Kurzum, es ist ein Berichten für die üblichen Springer-Spießer, die Fernweh befällt.

Und doch bleiben Seltsamkeiten offen, die man mit der üblichen BILD-Hetze in Relation setzen sollte. Ein fader Beigeschmack, denn integriert wirkt der Mann nicht gerade.

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Jedem Anfang wohnt die Rachsucht inne

Mittwoch, 3. August 2011

Die Problematika, die Umwerfungen mit sich bringen, ist dieser Tage wieder leicht zu lesen. Nach langer und zäher Tyrannei entledigte sich das ägyptische Volk seines Despoten. Nun wütet eine Militärjunta, die die Demokratie nach Maghreb-Art einführen soll. Behäbig natürlich, nur langsam versteht sich. Man will nicht verschrecken, den Pöbel nicht überfordern. In der Kriechspur jener Schnecke, die hier Demokratisierung genannt wird, droht nun die Hinrichtung des ehemaligen Quislings, einst bezahlt von seinen Auftraggebern des demokratischen Westens, jetzt fallengelassen.

Damit sich alles ändert, muß alles gleich bleiben?

Besonders dramatisch sind jene zwei Paradebeispiele, die man aufführt, wenn man belegen will, dass der Geist der Revolution sich immer an den Überresten des vorherigen Regimes verschluckt. Der Zar schickte vornehmlich nach Sibieren, was zwar keiner humanistischen Gesinnung geschuldet war, doch eine unvergleichliche Besserstellung zum leninistisch-stalinistischen Massenmord war. Bevor das Fallbeil einziger Gegenstand französischer Innenpolitik war, konnte man sich im königlichen Frankreich jedenfalls noch vorstellen, Dissidenten einzusperren, sie nicht gleich auf Nackenhöhe zu durchschlagen. Einige Nummern kleiner dann dasselbe Trauerspiel. In Havanna liquidierte man weiterhin unliebsame Personen, so wie einst unter Fulgencio Batista - nachdem die Europäer abgezogen waren, gab es weiterhin massenhaften Tod in den unabhängigen Staaten Afrikas, die freilich so unabhängig nie waren - nachdem die Unterschriften auf der Unabhängigkeitserklärung eingetrocknet waren, wurde nicht etwa die Todesstrafe als unfreiheitlich diffamiert und abgeschafft, sondern als Gabe der vormaligen Herren weiterhin praktiziert; wahrscheinlich sah man die Todesstrafe für nicht besonders unfreiheitlich an, weshalb sie im Freiheitsdrang der Amerikaner keine Rolle spielte.

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