Sit venia verbo

Dienstag, 2. August 2011

"... aber mit Blick auf den jähen Verfassungsbruch des Königs Ernst August von Hannoverfällt heutzutage auf, um wieviel Substanz betrogen die in der Bundesrepublik Deutschland seit sechzig Jahren gültige Verfassung mittlerweile ist. Sie hält nicht, was sie verspricht. Weder ist die ihr eingeschriebene Verpflichtung des Eigentums Wirklichkeit geworden, noch ist jeder Bürger vor dem Gesetz gleich. Als sie nach dem Zerfall des anderen deutschen Staates Aussicht auf Einheit bot, wurde der Schlußartikel des Grundgesetzes, der im Fall möglicher Vereinigung beider Staaten vorschrieb, der gesamtdeutschen Bevölkerung eine neue Verfassung vorzulegen, gebeugt und später getilgt. Und seitdem das Verfassungsrecht auf Asyl beschnitten, nur noch Fragment ist, sind Abschiebehaft und gewaltsames Abschieben von Flüchtlingen tagtägliche Praxis; beschämend nicht nur für jeden, der sich noch immer Verfassungspatriot nennt. An diese beschädigte Grundlage des Staates könnte mich kein Eid binden. Und hätte ich, was mir erspart blieb - in welcher Funktion auch immer - auf ihren noch heilen, einst vielversprechenden Wortlaut einen Eid geleistet, müßte ich ihn nunmehr brechen, allein schon wegen des brutalen Umgangs mit Asylsuchenden, des Rückfalls in Barbarei."
- Günter Grass, "Grimms Wörter" -

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