Unsere Jungs

Donnerstag, 30. Juli 2009

Als die Welt zu Gast bei Freunden war, 2006 war das, da keimte mit hoher Geschwindigkeit ein neuer deutscher Nationalismus auf, der von sogenannten Experten nicht skeptisch begutachtet, sondern als fröhliche Bejahung des Deutschsein interpretiert wurde. Manche glaubten noch, es würde sich um einen Nationalismus aus Jux und Dollerei handeln, der nur in Fußballstadien Obdach finde, außerhalb chancenlos sei. Man schmücke sich lediglich mit Nationalfarben, feuere mit Sportsgeist ausgestattet das eigene Land an, in welchem man den Zufall hatte geboren zu sein, sei der zwölfte Mann "unserer Jungs".

Unsere Jungs stehen nun in Afghanistan. Selbstverständlich nicht Ballack, Lahm oder Podolski (wobei man annehmen kann, dass sie dort bald eine Gala veranstalten werden), es sind andere, uniformierte, manchmal bereits mit Ehrenblech behängte Jungs. Unsere Jungs sind überall tätig, in Fußballstadien, auf den Straßen Frankreichs, bei der Tour de France, bei internationalen Koch-, Mechaniker- oder Friseurwettkämpfen, bei der Formel 1 - und ebenso auf dem Schlachtfeld. Sie sind meist Wettbewerber, diese unsere Jungs. Sie werden als unsere Jungs an den Mann gebracht, damit eine Bindung zum Hörer, Zuseher, Leser entsteht, ein Zusammengehörigkeitsgefühl, aufgeschwatzte Sympathie. Der Soldat, unser Junge, wird uns somit nahe gebracht, er tötet für uns, stirbt für uns, ist von uns - deshalb sprechen wir liebevoll vermehrt von "unseren Jungs in Afghanistan". Diese Sprechweise häuft sich in den Medien und liest man in den Kommentarbereichen von Online-Medien nach, so finden sich immer mehr Menschen, die nicht unbedingt wohlwollend dem Krieg gegenüberstehen, die sich aber dieser lieblichen Floskel anschließen.

Hier weiterlesen...

Sit venia verbo

Mittwoch, 29. Juli 2009

"Nur die Leute, die sehr viel Geld haben, kennen den Wert des Geldes, weil sie Zeit haben, den Wert abzuschätzen. Wie kann man den Wert eines Dinges erkennen lernen, wenn es einem immer gleich wieder abgenommen wird? Gepredigt aber wird, daß nur der, der nichts hat, weiß, was ein Cent wert ist. Daher die Klassengegensätze."
- B. Traven, "Das Totenschiff" -

Eingeebnete Gegensätze

Blickt man von oben hinab auf diese Republik, von einem Ausguck in den Wolken vielleicht, einer Plattform zur Begutachtung des bundesrepublikanischen Freigeheges, so möchte man beinahe annehmen, hier und da sei der Klassenkampf ausgebrochen. Man möchte es annehmen – aber wenn man ein Fernglas zur Hilfe nimmt, hinabblickt auf die Zustände dieser klassenkämpferischen Realität, so wird überdeutlich, dass man es nur annehmen möchte, nicht aber kann. Uns stechen sonderbare Protestangestellte ins Auge, von Unternehmen engagierte Arbeitnehmer, die ihr Engagement ausweiten, die Sache des Unternehmens und dessen Führungsriege zu ihrer eigenen werden lassen.

Bankangestellte pilgern an die Pforten ihres heiligen Schaffens, heben Pappschildchen hoch, auf denen sie nicht ihren Arbeitsplatz gesichert, verbessert oder besser bezahlt haben wollen, sondern den Verbleib ihres Managers fordern. Firmenmitarbeiter stimmen in das Geheul ihrer Herrin ein, fordern Zahlungen aus öffentlichen Kassen an jene Dame, die Tage zuvor noch mit Pelzmantel auftrat, jetzt aber über ihren Niedergang weint. Arbeiter von Porsche drohen Werksbesetzungen an, wenn man ihnen ihren gehaltvollen Messias nicht lasse, rascheln also mit der Anwendung klassenkämpferischer und revolutionärer Kampfmethoden durch den Blätterwald dieses Landes.

Hier weiterlesen...

Sommerliche Fairness

Montag, 27. Juli 2009

Oskar Lafontaine verkündete neulich im Sommerinterview, nachdem sein Gesprächspartner Frey selbstgefällig anschlug, man würde alle in der Sendung auflaufenden Politiker mit der gleichen Fairness behandeln, er werde sich jenen Teil des sonntäglichen Polit-Geblubbers ansehen, in dem Angela Merkel auftrete. Ob er das getan hat, läßt sich nicht nachvollziehen, der Verfassungsschutz müßte darüber Auskunft geben können. Er könnte uns dann auch gleich mitteilen, ob Lafontaine das Sommerinterview mit Horst Seehofer eingeschaltet hatte. Man darf es fast vermuten, denn gar zu konservative Kreise hegen ja ernsthaft die Anschauung, der Herz-Jesu-Sozialist Seehofer sei von den Ansichten Lafontaines gerade einmal einen Katzensprung entfernt. Da schlägt Seehofers VdK-Vergangenheit voll durch, sowas verzeiht man in der Union nie. Jedenfalls sollte man schon meinen, dass Lafontaine dieses neue Lehrstück nichtssagender Politikinformation angesehen hat - wenn man immerhin doch so verbrüdert im Geiste ist, wird man sein Geschwisterchen doch sicherlich nicht aus den Augen lassen.

Was Fairness seitens des Interviewers bedeutet, hätte oder hat Lafontaine dort sicherlich auch erkannt. Ein Bombardement an Vorwürfen und latenten Verspottungen mußte Seehofer nicht ertragen. Im Gegenteil, als er klar sagte, er würde über sein Privatleben kein Wort mehr verlieren - was man übrigens nur begrüßen kann! -, da bohrte Peter Hahne, der gestern das Gespräch leitete und dabei seinen theologisch-mahnenden Schmalz im Kleiderschrank ließ (der ist ohnehin nur für faules Gesindel gedacht), nur noch einmal ganz leise und zaghaft nach, ließ aber gleich davon ab, nachdem Seehofer sein Schweigen in dieser Frage noch einmal bestätigt hatte. Wie war das neulich, als Peter Frey wie ein Berserker auf Lafontaine losging, immer wieder uralte Kamellen herauskramte, die zudem auch noch an der damaligen Wahrheit vorbeigingen? Lafontaine hat nicht einmal vorgebracht, wie sein Geistesbruder Seehofer, er möge von diesen alten Geschichten nicht mehr reden - oh nein, er sprach, erklärte, versuchte es wenigstens, aber Frey interessierte sich nicht, unterstellte ihm immer wieder Feigheit und Verantwortungslosigkeit. Fairness war das nicht, Seehofer jedenfalls wurde gestern auf Händen getragen, Lafontaine ist nicht einmal Wohlwollen widerfahren.

Hier weiterlesen...

De dicto

Sonntag, 26. Juli 2009

"Anstatt Wiedekings Großzügigkeit als Vorbild für eine neue Wirtschaftsethik zu preisen, tadeln ihn die Politiker Joachim Poß (SPD) und Dietmar Bartsch (Die Linke) gemeinsam, als ob die Sozialistische Einheitspartei auferstanden wäre."
- BILD-Zeitung, Helmut Böger am 26. Juli 2009 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Ein großer Gönner wird uns beschrieben, der Besitzer eines Milliardenvermögens, der großzügig und sozial gesinnt wie er ist, auf die Hälfte seiner Abfindung verzichtet, der 25 Millionen Euro spenden möchte. Ein Gönner, der sich seit Jahren zweistellige Gehaltszahlungen erlaubte, der von der Quelle seiner Vermögensbildung nicht zurücktreten wollte, herumlavierte, sich missverstanden und unrechtmäßig bedrängt fühlte, aber bei einer Abfindung von 50 Millionen Euro zum Abtritt erweicht wurde. Ein Gönner, der alleine im Jahr 2008 ein, wie er und Seinesgleichen finden, leistungsgerechtes Gehalt von mehr als 77 Millionen Euro bezogen haben soll. Ein Gönner, der von seinem Milliardenvermögen den Fliegenschiss von 25 Millionen Euro in Spendenbüchsen stopft und hernach noch als neuer Messias einer neuen Wirtschaftsethik gefeiert sein will.

Hier weiterlesen...

Gefressene Kinder

Samstag, 25. Juli 2009

Als die Christen zur Gefahr für das römische Reich wurden - sie waren weniger Gefahr als verletzte Eitelkeit des Kaisertums -, wurde das Gerücht in die damals bekannte Welt gesetzt, Christen würden mit Vorliebe Kinderblut trinken. Das Christentum war lernbegierig und übernahm später, als es zur Weltmacht expandieren wollte, im Mittelalter also, diese Praxis, unterstellte den Juden, sie würden das Blut von Christenkindern verarbeiten, daraus ungesäuertes Brot backen. Jeder der sich den Allmachtsansprüchen dieser einzigen und wahren Kirche in den Weg stellte, hatte unter viele anderen Vorwürfen, auch immer damit zu kämpfen, als Kinderfresser verschrien zu sein - so auch Katharer und Waldenser, denen man den rituellen Kindermord in die Schuhe schob, damit die Öffentlichkeit mit spöttischer Genugtuung dem lodernden Scheiterhaufen zusah. Natürlich mußten Moslems aller Art, ob Mauren in Spanien, Sarazenen auf Sizilien und in Süditalien oder später auch die Türken des osmanischen Reiches, mit ähnlichen Vorwürfen leben. Jahrhunderte danach, der Erste Weltkrieg tobte unter den Grasnarben Europas, animierte die US-amerikanische Propaganda das Volk zum Kriegseintritt, indem sie mit Pickelhauben ausgestattete Preußensoldaten auf Kinoleinwände (es gab seinerzeit noch weniger Kinos als Nickelodeons) bannte, die Frauen vergewaltigten und mit freudiger Fratze Kinder aufspießten. Dass Kommunisten bekanntlich leidenschaftliche Kinderfresser seien, haben wir leise noch im Ohr.

Hier weiterlesen...

Der 18. Brumaire der Wüstenfüchse

Donnerstag, 23. Juli 2009

Was ist der Unterschied zwischen jenem Panzer, der in Farbe Sand aufwirbelt, und dem Kettengefährt, welches weiter unten gleicher Tätigkeit, aber dafür nur in schwarzer und weißer Tongebung, nachkommt? Der Unterschied ist ein zeitlicher, es liegen beinahe sieben Jahrzehnte dazwischen. Unwesentlich ist ein anderer Unterschied - hier Mittlerer Osten, dort Nordafrika. In beiden Fällen rollt man durch karge Landschaft, durch Wüste, kämpft um Landgewinn, Geröll und Sand. Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie hält ein erstaunliches Repertoire an Ähnlichkeiten und Déjà-vus bereit. Wie einst Rommel der Wüste das Fürchten lehrte, wie er Sandwolken durch totes Land wirbeln ließ, so wirbelt die Bundeswehr heute in totem Land umher. Das Bild aus unseren Tagen ruft ein Déjà-vu hervor, unwillkürlich kommt einen der Wüstenfuchs in den Sinn, dieser nobelste aller Wehrmachtsgranden, der heute noch eine mystische Gestalt deutschen Militarismus zu sein scheint. Der brave, folgsame, aber sittliche Soldat, der aus Versehen den Rebellentod sterben mußte.

Marx leitet seine Schrift "Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte" mit folgenden Worten ein: "Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Caussidière für Danton, Louis Blanc für Robespierre, die Montagne von 1848-1851 für die Montagne von 1793-1795, der Neffe für den Onkel." Erst die Tragödie, dann die Farce; erst die Ernsthaftigkeit und Tränen des Schmerzes, hernach Belustigung und Tränen des Verspottens. Geschichte wiederholt sich nicht, sie gleicht sich, sie entwirft verschiedene Szenarien ganz ähnlicher Situationen. So erklären sich jene Bilder aus der Wüste, so kann man Sandverwirbelungen im Weltenlauf deuten.

Hier weiterlesen...

Facie prima

Heute: Der Wutverzerrte, der NPD-Mann


Wird von denen berichtet, die sich am rechten Rand eingenistet haben, dort wo dumpfe Parolen mit Heil verabschiedet werden, dann begleitet nicht selten eine wütende Fratze, ein schmerzverzerrter, haßerfüllter Kopf den Text. Dieser - der Text - wird zur Nebensächlichkeit, so wie die politischen Botschaften dieser Herrschaften es sowieso schon sind, denn man wirft nur ein Auge auf das Bild, um ahnen zu können, wes Geistes Kind der behandelte Charakter zu sein scheint. Die Fratze, so entstellend sie auch abgelichtet wurde, mag nicht täuschen, die dämliche Geisteskindheit trifft höchstwahrscheinlich zu. Aber weshalb nur jene Herrschaften gebräunter Gehirnlappen in dieser Weise der Öffentlichkeit zugeführt werden, warum die schweißnasse, bierselige Wut, hineingegrunzt in ein Mikrofon, nur den Männern der NPD, diesen ganzen Kerlen aus Stahl und Granit, zum medialen Markenzeichen wurde, ist symptomatisch für diese zeitgenössische Gesellschaft.

Hier weiterlesen...

In memoriam Guttenberg

Mittwoch, 22. Juli 2009

Wir sollten dieser Tage Karl Theodor zu Guttenbergs gedenken, jenes adeligen Ministers, der einstmals Beliebtheitsskalen erstürmte und sich als Widerstandskämpfer blaublütigen Zuschnitts gebärdete. Fünfzig Jahre ist es bereits her, es war der 20. Juli 2009, da Guttenberg eine historische Rede hielt, sie auch in zeitgenössischen Revolverblättern auszugsweise drucken ließ; fünfzig Jahre ist es her, da ein geistiger Umschwung die Republik erfasste, weil Deutschlands Ministerliebling vor die Presse trat, zurückhaltend aber mit Nachdruck, um der Deutschen Stolz zu beflügeln.

So stand er an jenem Tag auf den Brettern, die die Republik bedeuteten, und erklärte unseren Großvätern, „wir sollten stolz auf den Widerstand sein“ – er sprach vom Widerstand gegen Hitler, der Offizierswiderstand gegen den eigenen gottgleichen Herrn, dessen Erfolge vergangen waren und dessen Aura nicht mehr durch Blitzkriegerfolge aufglänzte, dafür aber von Kuchenkrümeln und speckigen Anzügen erfüllt war. Adlige Widerständler um Stauffenberg, unter denen auch welche des Geschlechts der Guttenbergs vorzufinden waren. Ja, so müssen wir heute, fünfzig Jahre nach seiner Rede vorbringen – ja, wir sollten stolz auf den Widerstand sein. Wir sollten stolz auf Karl Theodors Widerstand sein, den realen historischen Fakten nicht ins Gesicht sehen zu wollen, diesem Widerstand gegen jede wahre Vernunft. Wir sollten stolz sein, weil er uns bewiesen hat, dass das „hier stehe ich, ich kann nicht anders“ gegen jede Pression standhalten kann. Wir sollten dankbar sein, denn Guttenberg ist ein Musterexemplar damaliger deutschen Eliten.

Hier weiterlesen...

Aufruf zur Solidarität

Montag, 20. Juli 2009

Mit brennender Sorge müssen wir nun feststellen, dass in einem Land, in denen die Ärmsten der Armen wie Maden im Speck gedeihen, die Leistungsstärksten der Leistungsstarken einen Krückstock benötigen. Diese Gesellschaft erlaubt den Beziehern von Sozialleistungen feinen Kaviar zum Frühstück, eine moderne Einrichtung mit technischem Allerlei, noble Karossen und ein wohliges Leben in Glückseligkeit - der Leistungsträger aber wird alleinegelassen, muß von wenigen Pfennigen sein tristes Dasein bestreiten.

Wir solidarisieren uns mit Madeleine Schickedanz! Ihre Armut hat uns berührt! Wir armen Schweine der Gesellschaft, nehmen unsere Schwester in unsere Mitte, damit auch sie wieder in den Genuss eines alimentierten Lebens in Reichtum kommen kann. Es ist ein Skandal, eine Person wie jene, derart am Hungertuch nagen zu lassen. Was ihr den Geringsten unserer Schwestern antut, das tut ihr auch uns an! Wie sollen wir es eines Tages unseren Kindern erklären, dass Schwester Schickedanz nicht einmal Geld für Gemüse, Obst und Kräuter aufwenden konnte, weil sie Gemüse, Obst und Kräuter ja in ihrem Garten angebaut hatte? Wie wird es für unsere Kinder aussehen, wenn sie eines Tages erfahren, dass jene Frau für lumpige 40 Euro beim Italiener um die Ecke speisen mußte? Wir werden nichts zu unseren Gunsten vorbringen können, außer vielleicht, dass die Schickedanzens keine Bedarfsgemeinschaft waren, der Herr Gemahl seine Gemäldesammlung behalten durfte.

Hier weiterlesen...

Sit venia verbo

"Mir war immer schon unerklärlich, dass alles, was wir an Menschen bewundern, Edelmut, Güte, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Anstand, Mitgefühl, Herz, in unserem Gesellschaftssystem nur zu Fehlschlägen führt. Während alle Eigenschaften, die wir angeblich verachten, Härte, Raffsucht, Selbstsucht und Charakterlosigkeit, zum Erfolg beitragen. Die Menschen bewundern diese guten Eigenschaften, doch was sie mit Vorliebe produzieren, sind diese grundschlechten. [...] Der Verkauf der Seelen, um die ganze Welt zu gewinnen, erfolgt heutzutage ohne äußeren Druck und einmütig."
- John Steinbeck, "Die Strasse der Ölsardinen" -

In eigener Sache: Belagern uns Ich-AGs?

Sonntag, 19. Juli 2009

Ich kann nur für mich sprechen, bin aber relativ sicher, dass von mir geschätzte Kollegen, die ihre Energien ebenso aufwenden, sich des Wahnsinns unserer Zeit schreibend entgegenzustellen, ähnliche Erfahrungen in den letzten Wochen gemacht haben. Seit geraumer Zeit kommentieren hier Leute, die im aggressiven Tone am Inhalt meines Schreiben Anstoß nehmen. Da ich bekanntlich zensiere, wird hiervon wenig in diesen Räumen gelesen - daher teile ich es auf diesem Wege mit.

Inhaltliche Kritik ist natürlich immer erlaubt, wenn sie sinnvoll ist, wenn sie nicht an den Grundfesten von Aufklärung und Humanität rüttelt und meint, sie müsse mit zynischem Kalkül Widerlichkeiten zur freien Meinung krönen. Auch kritische Worte zur stilistischen Aufmachung meiner Zeilen sind machbar, auch wenn es mich zuweilen ärgert, wenn man sich an solchen Nebensächlichkeiten aufhängt. Doch was sich aber seit Tagen und Wochen hier immer wieder ergießt, ist ein aggressiver Ton der Beschwichtigung, der alle Inhalte, all meine Empörung über Mißstände, meine ehrliche Entrüstung am real Gegebenen, zu einer Übertreibung herabmindern will. Weder würden Arbeitslose so leiden, noch würde die Bundeswehr unehrenhaft handeln und auch der Roma würde weniger angstvoll leben müssen, wie man das gemeinhin wahrnimmt, wie ich das gemeinhin wahrnehme. Besonders infam unterstellt man mir "Hetze von der anderen Seite", weil ich eigentlich lebenswerte Zustände in Grund und Boden schrübe, wenngleich natürlich wenig talentiert und stilistisch zum Haareraufen.

Hier weiterlesen...

Der Zigeuner geht um!

Samstag, 18. Juli 2009

Im Osten Europas fristen sie größtenteils ihr zwangssesshaft gewordenes Leben in Ghettos, in Italien müssen sie ihre Fingerabdrücke registrieren lassen, dem wilden Mob werden sie beinahe allerorten willkürlich ausgeliefert. Als Volksgruppe werden sie nicht geachtet, weil ihr Lebensstil sich nur schwer mit den Vorstellungen moderner Gesellschaft vereinbaren läßt, weil das nomadisierende Dasein der kapitalistischen Produktionsweise keinerlei Sicherheiten bietet. Wo kämen moderne Gesellschaften denn da hin, wenn sie es dulden müßten dass Menschen keinen festen Wohnsitz haben? Es ist der ewige, jahrtausendealte Kampf der Sesshaften gegen jene, die als Nomaden ihr Leben fristen. So war es, als die ersten Felder bestellt wurden und die ersten sesshaften Bauern das plündernde Wandervolk vertrieben; so ist es noch heute, wenn Tuareg von afrikanischen Regierungen unterdrückt werden.

Den Sinti und Roma geht es in weiten Teilen Europas ähnlich. Sie gelten als das umherziehende und bettelnde Volk, als verschlagene Charaktere, als niederträchtige Gewalttäter, denen man nur mit staatlicher Repression Herr zu werden glaubt. Und weil man zur Repression auch immer eine demokratische Basis braucht, sofern man Wert darauf legt, auch als Demokratie anerkannt zu sein, muß auch das Volk daran teilhaben. So hetzen Medien und Regierungen auf, lassen Verfolgungsjagden und Lynchmentalitäten in den Gemütern sprießen, machen die fröhliche Zigeunerjagd, wenn schon nicht legitim, so doch wenigstens salonfähig und rauben ihnen den faschistoiden Ruch des Verbrechens.

Hier weiterlesen...

Der Burgfrieden lauert

Freitag, 17. Juli 2009

Tapferkeitsorden für deutsche Krieger. Allgemeine Anerkennung für gefallene deutsche Jungs. Öffentliche Bewunderung bewaffneten Heldenmutes. Ein Bundespräsident, der Uniformen kleidsam findet und sie gerne öfter bei öffentlichen Auftritten sehen möchte. Deutsche Presse die immer kriegstreiberischer schreibt und den bereits entflammten Krieg als alternativlos hinstellt. Bundeswehr-Häscher, die auf Arbeitsämtern junge Männer mit der Gewalt deren Perspektivlosigkeit shanghaien. Provinzielle Stadtfeste (wie neulich in Ingolstadt), die mit Bundeswehr-Werbestände aufwarten, flankiert von überdimensionalen Feldjägern, die ihre Schusswaffe in die Menge hineinräkeln. Truppeneinsatz für Musiker - ganz wie einst Marlene Dietrich oder wie Johannes Heesters auf anderer Seite.

Man möchte es gerne lapidar abtun, es durch ein Paar Worte des Trostes entkräften, darüber hinweggehen, aber es scheint kaum möglich. Dieses Land ist drauf und dran, seine Traditionen zu reanimieren. Es ist kein Preußen als Namensgeber nötig, um preußische Liebhaberei ins Leben zurückzuholen; der geschliffene Marschschritt, der gewichste Stiefel und der blankpolierte Uniformknopf liegen dieser Nation im Blut, liegen den hiesigen Eliten im Charakter. Deutschland hat seinen Platz in der Welt zu verteidigen, und sei es auch nur als Propagandamasche für das Inland. Es ist so oder so dienlich für diejenigen, die in Zeiten der Krise Angst haben müssen, ihren sozialen Posten zu verlieren. Wo sich bekriegt wird, da werden Einflussbereiche wankender Eliten gefestigt, da wird die rumorende Burg befriedet. Die kriegerische Gesellschaft nach Außen kann, wenn sie gut gegossen, fein gehegt und gepflegt, regelmäßig gedüngt wird, eine friedlich gewordene Gesellschaft im Inneren werden - zumindest eine Zeit lang.

Hier weiterlesen...

Nomen non est omen

Mittwoch, 15. Juli 2009

Heute: "Naturkatastrophe"

"Früher war die Naturwissenschaft ein Mittel zur Abwendung von Naturkatastrophen. Heute zur Anwendung."
- Dr. phil. Jeannine Luczak -
Das Wort Naturkatastrophe setzt sich aus dem lateinischen Wort "natura", die Geburt, und dem griechischen Begriff "katastrephein" für umwenden zusammen. Als Naturkatastrophen werden Vulkanausbrüche, Erdbeben, Fluten, Stürme, Waldbrände und Bergeinstürze bezeichnet. Eine einheitliche Definition des Begriffes gibt es bis heute nicht. Vielfach wird die Naturkatastrophe als ein Ereignis definiert, das negative Auswirkungen auf den Menschen und dessen Infrastruktur und Wirtschaft zeitigt. Der Terminus suggeriert, als seien diese Katastrophen rein natürlichen Ursprungs und der Mensch sei lediglich Opfer dieser Ereignisse. Dabei wird verschwiegen, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel entschieden dazu beiträgt, Naturkatastrophen zu forcieren.

Hier weiterlesen...

Ich habe versagt

Dienstag, 14. Juli 2009

Neulich beim Belauschen eines Gesprächs zwischen zwei famosen Müttern. Man hatte den Eindruck, beide wüßten haargenau wovon sie redeten, man glaubte beinahe, Kindererziehung sei eine exakte Wissenschaft, die Patentrezepte zulasse und Theoretika erlaube. Beide haben eine Handvoll Kinder, beide haben Karriere gemacht - richtige Kraftfrauen, muskulöse Amazonen, die am Midas-Komplex leiden, alles zu Gold verwandeln, wenn sie es auch nur anhauchen. Es geht ihnen alles locker von der Hand, sie erziehen zudem vorbildlich, sind Mütter par exellance. Ihre Kinder müssen glückliche Wesen sein, konnte man erahnen, bekommen stete Aufmerksamkeit, verbringen viel Zeit mit ihren Eltern, haben die Tugend der erzieherischen Weisheit direkt vor ihrer Nase sitzen.

Und da wurde es mir offenbar: Ich bin ein Versager! Ich habe als Vater versagt! Mit dieser Menge, vorallem aber mit dieser Qualität erzieherischen Sendungsbewußtseins, bin ich nicht ausgestattet. Ich bin nicht der immer souveräne, immer gelassene, immer überblickende Vater, der da zwischen den Zeilen der beiden verbrauchten Damen lümmelt. Es kommt schon vor, dass ich laut werde, auch mal richtig schreie; es kommt vor, dass ich meine Kinder ungerecht behandle; es kommt vor, dass ich meinen Kindern keine Aufmerksamkeit schenke, wenn sie wieder einmal in ein Gespräch hineinzuplatzen versuchen; es kommt vor, dass ich meinem Sohn empfehle, er möge seinen alltäglichen Schulhofpeiniger einfach mal eine verpassen, wenn dieser das nicht anders kapieren will; es kommt vor, nicht zu knapp, dass ich meinen Kindern auch das Nein gegenüber deren Obrigkeit lehre. Ich habe nicht nur versagt, ich versage täglich erneut, immer wieder, beinahe zielgerichtet. Den Eindruck, ich würde ausgewogen nach pädagogischem Plan, involviert in die exakte Lehre des Erziehens, meine Kinder durchs Leben geleiten, habe ich nicht, hatte ich nie. Stattdessen scheint es, als herrsche das Chaos.

Hier weiterlesen...

De dicto

Montag, 13. Juli 2009

"Kein Zweifel: Es ist etwas faul im Abkassierer-Staat. Die Senkung von Steuern und Abgaben ist deshalb kein Luxus; sie ist überfällig."
- BILD-Zeitung, Hugo Müller-Vogg am 13. Juli 2009 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Nun betätigt sich Müller-Vogg als Sloterdijk für Minderbemittelte, stellt den ellenlangen Aufsatz, den der Philosoph neulich in der FAZ abdrucken ließ, auf BILD-Niveau um, streicht, kürzt, läßt Passagen weg, zieht die bloße Quintessenz. Und siehe da: Zwölf Sätze, fünf Absätze, von Rousseau wird gar nicht mehr gesprochen, aber das Fazit ist unumstößlich: Wie leben in einem Abkassierer-Staat! Mehr braucht der Leser nicht wissen, keine Spur vom Landraub und solchem Schnickschnack, keine Darlegung historischer Fäden, die erklärbar machen könnten, warum der Diebstahl zur Grundlage der Macht und des Besitzes wurde. Seine Dialektik ist keine hinführende, sondern eine plump behauptende - das unterscheidet, bei aller finalen Gleichheit, Sloterdijk dann doch noch vom wortverklemmten Schwulstikus.

Hier weiterlesen...

Ich kenne einen...

Die Hartz IV-Regelsätze sind nicht zu niedrig, meint er. Er kenne auch einen Hartz IV-Empfänger, ganz persönlich, ein Intimus quasi, und der lebe immerhin in Saus und Braus, der rauche sogar und käme ab und an auf ein Bier in die Kneipe herüber. Ich kenne einen, leitet er dann seinen Satz ein, ich kenne einen Arbeitslosen, dem geht es gut. Er kenne einen Arbeitslosen, der ein schönes Leben habe, Zeit und ausreichend Geld, genug Jammerkraft habe er zudem. Aber schuld sei der Erwerbslose an der Misere nicht, viele wollen ja arbeiten, bestimmt die Hälfte der Arbeitslosen, meint er mitmenschlich. Er sei ja kein Unmensch, aber man müsse schon deutlich sagen, dass jemand, der nicht arbeitet, auch keine zu hohen Ansprüche stellen dürfe. Schon gar nicht, wenn es denen eh so gut geht.

Die wollen sich nur in unserem Sozialstaat einnisten, meint er. Er kenne selbstverständlich auch Asylbewerber, nicht zu persönlich, aber immerhin. Alleine schon, dass man sie erstmal aufnimmt, sie wochen- und monatelang auf Verfahren warten läßt, sie in dieser Zeit durchfüttere - sind wir Deutschen denn des Wahnsinns? Die säßen alle nur in ihrer afrikanischen Steppe, warten darauf, endlich ihrer Heimat zu entfliehen und dann reißen sie sich unseren Wohlstand unter den Nagel, meint er. Er wisse das, sein bekannter Asylant habe ihm das in aller Deutlichkeit gesagt. Eine Mauer würde er errichten lassen, sich abkapseln von diesem faulen Pack jenseits des Mittelmeeres, Selbstschussanlagen installieren. Man sollte mehr Spendenaktionen ins Leben rufen, schließlich sei man trotz alledem Mensch und Christ. Und denen, die eine humanere Verwahrung von Asylstellern fordern, gehöre ordentlich die Fresse poliert. Man halte die Hoffenden zwar sehr spartanisch, aber es gehe ihnen doch gut, sie bekämen Suppe und Aspirin - mehr wollen die eh nicht. Nicht Arbeit, nur Sozialhilfe sei das Ziel, bekräftigt er, dies sagte ihm sein asylierender Bekannter.

Hier weiterlesen...

Journalistischer Umgang mit Diktaturen

Samstag, 11. Juli 2009

Ersterer läßt sich nach zweifelhaften Wahlen zum Präsidenten ausrufen - zweiterer wird immer wieder gewählt, weil ihn sein selbstgefälliges Haus- und Hofmedienimperium stets erneut reinwäscht. Der eine läßt Demonstranten mit Gewalt niederknüppeln - der andere hat zur Rottenbildung ermuntert, läßt Bürgerwehren zu, die mit Stahlrohren an Minderheiten und Migranten Zivilcourage üben. Dieser spricht sich für eine drakonische Gesetzgebung aus, bei der auch Hände dem Säbel zum Opfer fallen dürfen - jener erläßt per Gesetz Selbstamnestien, die ihn nach seinem Machtmißbrauch als unschuldigen Mann aus Amt und Würden entlassen. Der eine läßt religiöse Mystiker, fremde Glaubensgemeinschaften und Sekten verfolgen - der andere verfolgt eine rigide Politik des Rassismus, behandelt Afrikaner wie streunendes Vieh. Hier weint man um Neda Agha-Soltan - dort um Carlo Giuliani.

Was Berlusconi und Ahmadinedschad verbindet ist der Umstand, dass demokratische Strukturen gut zu ihnen waren. Die freie Wahl hat sie zu dem gemacht, was sie heute sind. Beide sind Volkstribune, weil sie ihre Macht auf legitime Wahlen begründen; beide können sich nicht Diktatoren nennen, weil sie die Macht nie ergriffen, ihrem Volk nie aufdiktiert haben, sondern nur dankbar annahmen, als das Volk sie ihnen in den Schoß warf. Sie diktieren ihrem Volk Untragbarkeiten auf, diktieren ihnen die Spielregeln von Meinungsfreiheit und Oppositionsarbeit vor, sind aber keine diktierenden Diktatoren. Der Faschismus und das Totalitäre sind in demokratischen Fahrwassern angekommen. Es gibt keine Diktatoren mehr, nicht weil die Welt besser geworden, nicht weil das Diktatorische ausgestorben wäre - nein, weil sie - die Welt - demokratischer geworden ist, weil sie den Ruch demokratischer Legitimität kultiviert hat. Wenn das Volk einen Lumpen auf den Thron setzt, dann ist er kein Tyrann mehr, dann ist er der Mann des Volkes. Oder, frei nach Roosevelt, und damit das Motto US-amerikanischer Außenpolitik zitierend: Dann ist er zwar ein Hurensohn, aber deren Hurensohn, der Hurensohn des Volkes.

Hier weiterlesen...

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP