Der kritisierte Bildungstreik
Mittwoch, 1. Juli 2009
Einen rechtsstaatlich fragwürdigen Aktionismus nennen sie es, eine bedenkliche Aktion, Ausschreitungen hätten die Veranstaltung gepflastert. Der sogenannte Bildungstreik war ein ausschlachtbarer Erfolg für jene, die gegen den Streik waren und sind, die im Bildungswesen keinen Handlungsbedarf sehen wollen. Einiges läßt sich aus den Reaktionen des Kapitals und dessen Marionetten ablesen:
1. Verwöhnte Machthaber
Die Vertreter höherer Interessen sprechen von Ausschreitungen und zeigen auf die Bilder der vermeintlichen Bankbesetzung. Berichtet wurde, sogar in den bürgerlichen Medien weitestgehend wahrheitsgemäß, dass junge Menschen sich vor Banken setzten, auch in deren Lobby, Transparente hochhielten und Parolen an den Mann brachten. Niemand wurde verletzt, kein Bankangestellter erlitt einen Schock, wie man ihn in dieser Branche üblicherweise erleidet, wenn mal wieder ein Maskierter mit Waffe auftaucht. Einzig der reibungslose Ablauf des Tagesgeschäfts wurde behindert. Das ist also im Jahr 2009 bereits eine Ausschreitung; so wie es heutzutage bereits als Klassenkampf gedeutet wird, wenn die Belegschaft eines Unternehmens doch mal selbstbewusst Nein sagt. Das kleinste Anzeichen von Widerwillen wird als Defätismus gewertet, ein Widerwort und man wird zum Querulanten und Rabauken abgestempelt, einmal seiner anderen Meinung Ausdruck verleihen, friedlich Unmut skandieren und man spricht von Ausschreitung.
In einer Gesellschaft, in der das kleinste Aufbegehren, selbst wenn es gesittet und ohne Gewalt geschieht, bereits als Ausdruck eines ausschreitenden Gemüts begriffen wird, in einer solchen Gesellschaft hatten die selbsternannten Eliten, die Jünger des Kapitals, deren Marionetten und Propagandisten, zu lange freie Hand, mußten zu lange ohne Gegenwehr auskommen. Man ist fett geworden in kritiklosen Tagen, man hat seit Jahren kein revoltierendes Nein mehr vernommen, da klingt nun, eingeschläfert durch einen langen Frieden, jedes geflüsterte Bitte nicht! (es ist ja noch nicht einmal ein Nein) nach Pariser Barrikade, wie Pflastersteine unter denen der Strand liegt. Man hat nun so lange kein Widerwort mehr vernehmen müssen, dass jeder Funke der Negation als Eklat verstanden wird, als Affront gegenüber den herrschenden Interessen. Ruhige Zeiten haben sie verwöhnt - es gilt sie zu entwöhnen.
2. Volle Hosen
Wenn selbst harmlose Aktionen zu solch strikter Ablehnung führen, zeugt das von Dekadenz, von einer sattsam erworbenen Scheinlegitimität durch fehlende Gegenwehr, wie oben erwähnt. Aber andererseits ist darin auch ein Ausdruck von Angst zu erkennen. Die Hosen sind voll, selbst ein nicht zündender Funke, wie diese belanglose und lediglich als Symbol gedachte Bankbesetzung, machen das Kapital zittrig. Bankbesetzung ist, dies nur am Rande, ein ausgewählter Begriff, der Assoziationen entstehen lassen soll. Diese Veranstaltung soll als Besetzung durch die Medien gereicht werden, damit Außenstehenden die schlimmsten Befürchtungen gewahrwerden. So als wollte der besetzende Student Omas Sparbuch okkupieren, das dort gebunkerte Geld an sich reißen.
Eine solche Angst ist brandgefährlich. Sie wird nicht dort enden, wo wir morgens die Zeitung aufschlagen. Man wird sie auf die Straße tragen, damit sie dort ihre ganze angstvolle Fratze entfalten kann. Wo herrschende Interessen in Angst verfallen, verfallen Gesellschaften in staatlich legitimierte Gewalt. Der Polizeiknüppel wird in jenem Moment sprechen, da sich die Menschen dieses Landes doch noch aufraffen, sich der Ungerechtigkeit mit physischem Nachdruck entgegenzustemmen.
3. Vermeintliche Interessensvertreter
Ausgerechnet solche gehören zu den Kritikern des Bildungsstreiks, die vorgeben, für Studenten und Schüler zu sprechen. Organisationen die sich studentisch nennen, aber gleichzeitig gegen studentische Maßnahmen auflaufen. Von dort wo Hilfe und Verständnis kommen soll, kommt nur ein arrogantes Abkanzeln der zögerlichen spontanen Protestkultur. Man verlangt ritualisiertes Auftreten, Trillerpfeife und Spruchband, an guten Tagen gemeinsames Klatschen und wenn die Schulglocke tönt, dann ab in den Unterricht. Man will die Masse kontrollieren, damit deren Forderung unter Kontrolle bleiben, damit alles im Rahmen des Systems geschieht. Reförmchen - ja! Reformen - nur mit Auflagen! Veränderungen - auf keinen Fall!
Nicht nur diese Erfahrung lehrt, dass dogmatische und ideologische Verbände an solchen Protestveranstaltungen nicht teilhaben sollten. Christlich organisierte Studenten sind überflüssig, wenn sie aus irgendeiner kruden Vorstellung von Christentum heraus, das Stillhalten und Bravsein zum Protest erheben wollen, so als wäre deren Jeschua nie selbst eine Art von Revolutionär gewesen. Wenn man es ernst meint, wenn man wirklich etwas verändern möchte, dann ohne bereits gesättigte Jungfunktionäre, ohne Verbände, ohne dogmatische think tanks. Man hat sich selbst zu organisieren, neue Strukturen zu erdenken, die das zu erreichende Ziel bereits in sich vereint haben müssen. Der Zweck hat in den Mitteln zu sein: mit einer hierarchisch strukturierten und autoritär geführten Studentenorganisation läßt sich kein Bildungskodex gründen, der Hierarchie weitestgehend lockern und Autorität abschaffen will. Mit Krieg schafft man keinen Frieden, mit Hass keine Liebe, mit Autorität keine Selbstbestimmung.
4. Kritik an der Kritik
Den jungen Leuten werfen diese institutionalisierten Kritiker vor, sie würden lediglich kritisieren, nicht aber konstruktive Vorschläge machen, lediglich dogmatisch wirkende Grundsätze entwerfen. Das ist sicherlich falsch, denn unter den Studenten finden sich viele, die ganz konkrete Vorschläge machen könnten, zumal sie selbst "an der Quelle" sitzen und wissen, woran es hapert. Andererseits dürfte es aber auch gar nicht verwundern, wenn in diesen Zeiten des there is no alternative! keine utopistische Kultur mehr gepflegt wird; versteigt sich ein junger Mensch in Gedanken, in denen er eine Welt formt, wie sie sein soll, nicht wie sie ist, brandmarkt man ihn als Träumer und attestiert ihm, er würde es eines Tages schwer im Leben haben, wenn er solche Tagträume nicht ganz schnell abstellt. Und selbst wenn Studenten keine konkreten Vorstellungen hätten (sicherlich befindet sich eine ganze Reihe von Unkonkreten darunter), so ist nicht unbedingt immer Konstruktivkritik notwendig. Man kann auch gegen Mißstände sein, wenn man konkret noch nicht weiß, wie man sie behebt oder beseitigt. Der Mensch weiß nicht, wie er sich ewiges Leben sichern kann, er hat keine konkreten Pläne dazu, kann sich mit dem Thema nur schwerlich konstruktiv beschäftigen, aber der alte Menschheitstraum eines ewigen Daseins, verschwindet auch dann nicht aus den Köpfen der Menschheit. Man kann also gegen das Sterben sein, ohne dass man genau weiß, was man dem großen Ende entgegenzusetzen hätte.
Mit der Keule der zu kurzen Kritik darf sich die Studentenschaft, darf sich keine Protestbewegung, niederschlagen lassen. Gerade herrschende Interessen praktizieren eine solche pragmatische Kritik in vielen Bereichen ihres Tuns. Doch von oben aus ins Blaue kritisiert, da nennt man das Vernunft, Staatsräson, ökonomische Zwänge. Aus einer Kritik, die nur dezent konstruktiv, vielleicht sogar nicht konstruktiv ist, erwächst im Moment kollektiven Kritisierens eine neue Konstruktion. "Die Lust der Zerstörung ist gleichzeitig eine schaffende Lust."
5. Kritik
Kritik ist dennoch nötig. Auch so schärft man sein Profil. Was dem kurzen Aufflackern von Gegenwehr anzukreiden ist, ist eben das kurze Aufflackern. Entgegen der Stimmen aus dem Establishment, schritten die Proteste nicht aus, sie waren noch zu bieder, noch zu brav und überallem zu kurz. Die Jugend, sofern sie etwas verändern will, aber auch alle anderen, die in den nächsten Monaten und Jahren Veränderungen erstreiken wollen, muß das ritualisierte Demonstrieren ablegen. Selbst wenn die jungen Leute, die kürzlich auf der Straße versammelt waren, einen muntereren Eindruck machten als streikende Ärzte: ihnen ist das ritualisierte Aufbegehren immer noch im Blut. Protestbewegungen müssen begreifen, dass ihr Parlament die Straße ist, die legitimierten Vertreterschaften des Volkes sind Staffage, zeigen kaum mehr Wirkung, sind zu Vorzimmern und Gremien der oberen Zehntausend verkommen. Die Kultur aus der institutionalisierten Vertreterschaft ist nicht zu kopieren, eine neue Kultur muß her - und diese hat sich im Protest zu manifestieren. Endlose Diskussionsrunden haben sicher ihre Berechtigung, aber Unmutsbekundung wird nicht durch kleinbürgerliches Totquatschen sichtbar. Von diesem Parlamentsoptimismus ist abzufallen.
Proteste können keine temporär festgesetzten Ereignisse sein, die im Kalender des Studenten neben einem Konzert einer angesagten Band oder der Geburtstagsfeier einer Freundin notiert sind. Sie müssen dauerhaft sein, sich in die Gehirnwindungen derer einbrennen, an die sich der Unmut richtet. So aber wissen diese Herrschaften, dass sie nur eine windige (nicht mal stürmische) Woche überstehen müssen, bis wieder alles so ist, wie es war. Auch hier winkt der Ritus, das angekündigte Happening, die Mentalität einer Gesellschaft, die immer und überall durchorganisiert und zeitlich eingeteilt sein will. Aber Protest gegen Mißstände sind nicht mit dem Taschenkalender zu führen, sondern mit der notwendigen Leidenschaft, mit der Kraft der Empörung, nachhaltig und rücksichtslos im Bezug auf Regeln und Anstandsnormen. Man fühlt sich an Goscinnys Humor erinnert, wenn er Römer auf Briten stoßen läßt, diese zum afternoon tea unterbrechen oder ins weekend gehen. Schlachten schlägt man nur im Comic in dieser lächerlichen Art und Weise. Damit der Protest nicht zum Comic wird, zur Karikatur eben, muß ohne falsche Unterbrechung weitergerungen werden. Ein Streik, der zeitlich begrenzt ist, ist das größte Geschenk an die Machthaber. Ein kalkulierbares Volk, unterteilt in kalkulierbare Gruppen, die auch noch kalkulierbar aufeinander gehetzt werden können - was braucht es mehr um zu knechten?
1. Verwöhnte Machthaber
Die Vertreter höherer Interessen sprechen von Ausschreitungen und zeigen auf die Bilder der vermeintlichen Bankbesetzung. Berichtet wurde, sogar in den bürgerlichen Medien weitestgehend wahrheitsgemäß, dass junge Menschen sich vor Banken setzten, auch in deren Lobby, Transparente hochhielten und Parolen an den Mann brachten. Niemand wurde verletzt, kein Bankangestellter erlitt einen Schock, wie man ihn in dieser Branche üblicherweise erleidet, wenn mal wieder ein Maskierter mit Waffe auftaucht. Einzig der reibungslose Ablauf des Tagesgeschäfts wurde behindert. Das ist also im Jahr 2009 bereits eine Ausschreitung; so wie es heutzutage bereits als Klassenkampf gedeutet wird, wenn die Belegschaft eines Unternehmens doch mal selbstbewusst Nein sagt. Das kleinste Anzeichen von Widerwillen wird als Defätismus gewertet, ein Widerwort und man wird zum Querulanten und Rabauken abgestempelt, einmal seiner anderen Meinung Ausdruck verleihen, friedlich Unmut skandieren und man spricht von Ausschreitung.
In einer Gesellschaft, in der das kleinste Aufbegehren, selbst wenn es gesittet und ohne Gewalt geschieht, bereits als Ausdruck eines ausschreitenden Gemüts begriffen wird, in einer solchen Gesellschaft hatten die selbsternannten Eliten, die Jünger des Kapitals, deren Marionetten und Propagandisten, zu lange freie Hand, mußten zu lange ohne Gegenwehr auskommen. Man ist fett geworden in kritiklosen Tagen, man hat seit Jahren kein revoltierendes Nein mehr vernommen, da klingt nun, eingeschläfert durch einen langen Frieden, jedes geflüsterte Bitte nicht! (es ist ja noch nicht einmal ein Nein) nach Pariser Barrikade, wie Pflastersteine unter denen der Strand liegt. Man hat nun so lange kein Widerwort mehr vernehmen müssen, dass jeder Funke der Negation als Eklat verstanden wird, als Affront gegenüber den herrschenden Interessen. Ruhige Zeiten haben sie verwöhnt - es gilt sie zu entwöhnen.
2. Volle Hosen
Wenn selbst harmlose Aktionen zu solch strikter Ablehnung führen, zeugt das von Dekadenz, von einer sattsam erworbenen Scheinlegitimität durch fehlende Gegenwehr, wie oben erwähnt. Aber andererseits ist darin auch ein Ausdruck von Angst zu erkennen. Die Hosen sind voll, selbst ein nicht zündender Funke, wie diese belanglose und lediglich als Symbol gedachte Bankbesetzung, machen das Kapital zittrig. Bankbesetzung ist, dies nur am Rande, ein ausgewählter Begriff, der Assoziationen entstehen lassen soll. Diese Veranstaltung soll als Besetzung durch die Medien gereicht werden, damit Außenstehenden die schlimmsten Befürchtungen gewahrwerden. So als wollte der besetzende Student Omas Sparbuch okkupieren, das dort gebunkerte Geld an sich reißen.
Eine solche Angst ist brandgefährlich. Sie wird nicht dort enden, wo wir morgens die Zeitung aufschlagen. Man wird sie auf die Straße tragen, damit sie dort ihre ganze angstvolle Fratze entfalten kann. Wo herrschende Interessen in Angst verfallen, verfallen Gesellschaften in staatlich legitimierte Gewalt. Der Polizeiknüppel wird in jenem Moment sprechen, da sich die Menschen dieses Landes doch noch aufraffen, sich der Ungerechtigkeit mit physischem Nachdruck entgegenzustemmen.
3. Vermeintliche Interessensvertreter
Ausgerechnet solche gehören zu den Kritikern des Bildungsstreiks, die vorgeben, für Studenten und Schüler zu sprechen. Organisationen die sich studentisch nennen, aber gleichzeitig gegen studentische Maßnahmen auflaufen. Von dort wo Hilfe und Verständnis kommen soll, kommt nur ein arrogantes Abkanzeln der zögerlichen spontanen Protestkultur. Man verlangt ritualisiertes Auftreten, Trillerpfeife und Spruchband, an guten Tagen gemeinsames Klatschen und wenn die Schulglocke tönt, dann ab in den Unterricht. Man will die Masse kontrollieren, damit deren Forderung unter Kontrolle bleiben, damit alles im Rahmen des Systems geschieht. Reförmchen - ja! Reformen - nur mit Auflagen! Veränderungen - auf keinen Fall!
Nicht nur diese Erfahrung lehrt, dass dogmatische und ideologische Verbände an solchen Protestveranstaltungen nicht teilhaben sollten. Christlich organisierte Studenten sind überflüssig, wenn sie aus irgendeiner kruden Vorstellung von Christentum heraus, das Stillhalten und Bravsein zum Protest erheben wollen, so als wäre deren Jeschua nie selbst eine Art von Revolutionär gewesen. Wenn man es ernst meint, wenn man wirklich etwas verändern möchte, dann ohne bereits gesättigte Jungfunktionäre, ohne Verbände, ohne dogmatische think tanks. Man hat sich selbst zu organisieren, neue Strukturen zu erdenken, die das zu erreichende Ziel bereits in sich vereint haben müssen. Der Zweck hat in den Mitteln zu sein: mit einer hierarchisch strukturierten und autoritär geführten Studentenorganisation läßt sich kein Bildungskodex gründen, der Hierarchie weitestgehend lockern und Autorität abschaffen will. Mit Krieg schafft man keinen Frieden, mit Hass keine Liebe, mit Autorität keine Selbstbestimmung.
4. Kritik an der Kritik
Den jungen Leuten werfen diese institutionalisierten Kritiker vor, sie würden lediglich kritisieren, nicht aber konstruktive Vorschläge machen, lediglich dogmatisch wirkende Grundsätze entwerfen. Das ist sicherlich falsch, denn unter den Studenten finden sich viele, die ganz konkrete Vorschläge machen könnten, zumal sie selbst "an der Quelle" sitzen und wissen, woran es hapert. Andererseits dürfte es aber auch gar nicht verwundern, wenn in diesen Zeiten des there is no alternative! keine utopistische Kultur mehr gepflegt wird; versteigt sich ein junger Mensch in Gedanken, in denen er eine Welt formt, wie sie sein soll, nicht wie sie ist, brandmarkt man ihn als Träumer und attestiert ihm, er würde es eines Tages schwer im Leben haben, wenn er solche Tagträume nicht ganz schnell abstellt. Und selbst wenn Studenten keine konkreten Vorstellungen hätten (sicherlich befindet sich eine ganze Reihe von Unkonkreten darunter), so ist nicht unbedingt immer Konstruktivkritik notwendig. Man kann auch gegen Mißstände sein, wenn man konkret noch nicht weiß, wie man sie behebt oder beseitigt. Der Mensch weiß nicht, wie er sich ewiges Leben sichern kann, er hat keine konkreten Pläne dazu, kann sich mit dem Thema nur schwerlich konstruktiv beschäftigen, aber der alte Menschheitstraum eines ewigen Daseins, verschwindet auch dann nicht aus den Köpfen der Menschheit. Man kann also gegen das Sterben sein, ohne dass man genau weiß, was man dem großen Ende entgegenzusetzen hätte.
Mit der Keule der zu kurzen Kritik darf sich die Studentenschaft, darf sich keine Protestbewegung, niederschlagen lassen. Gerade herrschende Interessen praktizieren eine solche pragmatische Kritik in vielen Bereichen ihres Tuns. Doch von oben aus ins Blaue kritisiert, da nennt man das Vernunft, Staatsräson, ökonomische Zwänge. Aus einer Kritik, die nur dezent konstruktiv, vielleicht sogar nicht konstruktiv ist, erwächst im Moment kollektiven Kritisierens eine neue Konstruktion. "Die Lust der Zerstörung ist gleichzeitig eine schaffende Lust."
5. Kritik
Kritik ist dennoch nötig. Auch so schärft man sein Profil. Was dem kurzen Aufflackern von Gegenwehr anzukreiden ist, ist eben das kurze Aufflackern. Entgegen der Stimmen aus dem Establishment, schritten die Proteste nicht aus, sie waren noch zu bieder, noch zu brav und überallem zu kurz. Die Jugend, sofern sie etwas verändern will, aber auch alle anderen, die in den nächsten Monaten und Jahren Veränderungen erstreiken wollen, muß das ritualisierte Demonstrieren ablegen. Selbst wenn die jungen Leute, die kürzlich auf der Straße versammelt waren, einen muntereren Eindruck machten als streikende Ärzte: ihnen ist das ritualisierte Aufbegehren immer noch im Blut. Protestbewegungen müssen begreifen, dass ihr Parlament die Straße ist, die legitimierten Vertreterschaften des Volkes sind Staffage, zeigen kaum mehr Wirkung, sind zu Vorzimmern und Gremien der oberen Zehntausend verkommen. Die Kultur aus der institutionalisierten Vertreterschaft ist nicht zu kopieren, eine neue Kultur muß her - und diese hat sich im Protest zu manifestieren. Endlose Diskussionsrunden haben sicher ihre Berechtigung, aber Unmutsbekundung wird nicht durch kleinbürgerliches Totquatschen sichtbar. Von diesem Parlamentsoptimismus ist abzufallen.
Proteste können keine temporär festgesetzten Ereignisse sein, die im Kalender des Studenten neben einem Konzert einer angesagten Band oder der Geburtstagsfeier einer Freundin notiert sind. Sie müssen dauerhaft sein, sich in die Gehirnwindungen derer einbrennen, an die sich der Unmut richtet. So aber wissen diese Herrschaften, dass sie nur eine windige (nicht mal stürmische) Woche überstehen müssen, bis wieder alles so ist, wie es war. Auch hier winkt der Ritus, das angekündigte Happening, die Mentalität einer Gesellschaft, die immer und überall durchorganisiert und zeitlich eingeteilt sein will. Aber Protest gegen Mißstände sind nicht mit dem Taschenkalender zu führen, sondern mit der notwendigen Leidenschaft, mit der Kraft der Empörung, nachhaltig und rücksichtslos im Bezug auf Regeln und Anstandsnormen. Man fühlt sich an Goscinnys Humor erinnert, wenn er Römer auf Briten stoßen läßt, diese zum afternoon tea unterbrechen oder ins weekend gehen. Schlachten schlägt man nur im Comic in dieser lächerlichen Art und Weise. Damit der Protest nicht zum Comic wird, zur Karikatur eben, muß ohne falsche Unterbrechung weitergerungen werden. Ein Streik, der zeitlich begrenzt ist, ist das größte Geschenk an die Machthaber. Ein kalkulierbares Volk, unterteilt in kalkulierbare Gruppen, die auch noch kalkulierbar aufeinander gehetzt werden können - was braucht es mehr um zu knechten?
9 Kommentare:
Die offensichtliche Verlogenheit und Bigotterie der Berichterstattung und der herrschenden Kaste ist zurzeit sehr gut zu beobachten:
Die Proteste im Iran werden von aufrechten Demokraten geführt, die gegen einen Diktator aufstehen und Widerstand leisten.
Proteste in Deutschland - und seien sie noch so klein - gegen das diktatorische marktradikale System, werden stets von Rabauken, Chaoten, "Ewig-Gestrigen", Linksradikalen usw. geführt.
Ich wünsche, ich könnte noch so ausschreiten, wie vor 15 Jahren.
PS.: Wenn Ethik bzw. moralisches Handeln bestimmt sein müsste, von allen Faktoren, auch von dem, mal "Nachteile" für die eigene Person zu akzeptieren; wenn also im Handeln der Tonangebenden das soziale Moment weggeschnitten wird, wenn sie also asozial werden und diese Asozialität zur Norm - nur für sich selbst - erheben, dann müssen sie alles, wodurch ihnen finanzielle Nachteile entstehen verteufeln, also auch das Kranksein ihrer Arbeiter und Angestellten.
epikur, mit den Protesten ist es doch so so so einfach! Sie sind immer gut, "demokratisch", wenn sie sich gegen Regierungen richten, welche sich nicht widerstandslos den Führungs- und Einmischungsansprüchen des imperialistischen "Westens" beugen, unterwerfen!(ob Honecker & Co., Casto, Cavez, Putin, Achmadinischad, etc....)
Dagegen sind im "freien Westen" Proteste im Grunde immer suspekt, werden sehr schnell zu "Krawallen", "Randale", "Chaotentum" diffamiert.
Ganz einfach deswegen, weil im "freien Westen" mit seinen "freien Wahlen" und seinen "freien" , d.h. STAATSTRAGENDEN "Arbeitnehmervertretungen" im Grunde bereits das "Himmlische Jerusalem" schon fast erreicht sei...., "nahe ist"...
In etwa so dämlich halten Deutschlands Ton angebende "Eliten" ihre kleinen dummen spießigen Untertanen...., und in der Tat: Ein nicht unerheblicher Teil scheint auch so dumm, verblödet zu sein.
Frucht von mehr als 60 Jahren Indoktrination, fast gleichgeschalteter Mainstream- Medien!
Gruß, Hansi
Du sagst es, Roberto
Proteste, wie sie bei uns stattfinden, sind "zahnlose Tiger".
Wahrscheinlich ist, dass die geballte Dekadenz im zehnten Stock eines chicen Hochhauses hockt, bezeichnender Weise in einem verglasten Bankhochhaus, und sich vor Lachen die Bäuche hält, während die sogenannten Protestler mit Ihren lächerlichen Plakaten vorüber ziehen.
Man braucht doch nur zu warten, bis der Spuck vorüber ist, und es geht genauso wie vorher weiter, wie Du ja schon geschrieben hast.
Jeder Protest, der auch Folgen zeitigen soll, muss mit einem Ultimatum verbunden werden, das einen klaren Zeitpunkt vorgibt, wann es zu entsprechenden Gesprächen kommen muss, um einen weiteren, dann natürlich noch heftigeren Streik zu vermeiden.
Sollte dieses Ultimatum ohne eine Reaktion der "Gegenseite" verstreichen, muss mit härteren Massnahmen gedroht und im Zweifel diese auch ausgeführt werden.
Das muss solange weiter geführt werden, bis das Anliegen für die Protestler einen zufriedenstellenden Ausgang gefunden hat.
Nur so und nicht anders muss das laufen, würde ich sagen, so man mich fragen würde.
Vive la france!
Sprechen wir es doch aus: es braucht ein zweites '68. Ein heftigeres zudem, es braucht einen Sturm sondergleichen, bei dem den Medien einfach nur noch die Luft weg bleibt - nicht zuletzt, weil die Redaktionen schlicht auch gestürmt werden. Es braucht eine Revolution durch die Bank weg.
Wie weit D davon aber weg scheint, wurde mir jedoch klar, als ich mir von Arbeitskollegen anhören durfte, dass es absolut okay ist, eine Mitarbeiterin nach ~20 Jahren rauszuwerfen und öffentlich an den Pranger zu stellen wegen fehlenden 1 Eur 30. In diesen düsteren Momenten denk ich mir, dass jeder bekommt, was er verdient. Immer her mit dem neuen Mittelalter, es geht noch viel zu langsam.
Wenn die Studenten es nicht durchziehen, sind sie selber schuld. Wie auch wir. Wer nichts tut, nicht richtig tut, der darf sich im Grunde auch nicht beschweren, dass jene alles an sich raffen, die es mit aller Macht und Skrupellosigkeit tun.
Hart und auch nicht fair, noch sinnvoll. Es braucht schon Blogs wie Ad Sinistram und derlei mehr. Vielleicht liefern sie eben genau den einen Funken, ich hoffe es sehr. Hut ab. Ich bringe nicht einmal die Muße auf, mich so messerscharf und klar gegen den Strom auszudrücken. Aber vielleicht werde ich sie wiederum bald schon haben ... und auch für mehr.
in diesem unseren schönen land gibt es z zt inoffiziell, aber wirklich, 6,9 millionen arbeitlose, die gleiche anzahl von prekär bis unter übelbedingungen arbeitenden und sonstigen armen - studis, rentner dürfte nicht zu hoch gegriffen sein. und alle, die noch uner halbwegs bis guten bedingungen arbeiten dürfen sind akut bedroht!! uns steht eine wirtschaftskrise sondergleichen ins haus und großkapital und ihr hofstaat aus polit-, medien-,wissenschafts- und showkaspern machen sich nochmal so richtig fett die taschen voll. es ist einfach an der zeit, sich zu wehren. und wenn 15-20 millionen auf die strasse gehen und die arbeit und den konsum verweigern, da hat auch die bundeswehr im inneren ihre schwierigkeiten. nur es muß getan werden - und es müß von der basis aus organisiert werden. dazu gehört allerdings mut und das wissen, wenn ich weiter in meinem häuschen hocke und verdi etc vertraue und dann noch hoffe, ich komme davon, dann wird das nie was!!!!!!!! bunte proteste sind was für den karneval oder abifeiern, damit ändert man nichts. und alleine ist jeder alleine - egal ob als individuum oder als verdi-sparte erzieherinnen. allerdings, so 20 jahre und mehr als gelerntes und gelebtes schaf, daß nun mal seinen leithammel braucht, müssen vorher überwunden werden. sieht nicht rosig aus, aber vielleicht geschieht ja doch noch ein wunder.........
Wohl gesagt Beobachter, aber woran mag es liegen, dass nicht einmal 1 Millionen gleichzeitig auf die Strasse zu bekommen sind? 1 Millionen Schüler, Studenten, Arbeitslose, 1€-Jobber, Alleinerziehende, Verarmte....
Woran liegts?
@Rainer: Es liegt eben in der Tatsache begründet, dass den meisten Menschen das Gefühl der Zusammengehörigkeit abseits von Sportereignissen vollständig abhanden gekommen ist. Kaum jemand ist noch willens oder in der Lage, über seinen eigenen beschränkten Tellerrand hinauszudenken. Vielmehr herrscht eine diffuse Abwehrhaltung vor, wenn es um Leute geht, die gemeinsam etwas zu erreichen suchen.
Rainer fragt sich, genau wie ich, warum die Leute nicht auf die Straße gehen.
Vielleicht, weil der Staat die Politik von "Teile und Herrsche" in Grundzügen noch aufrecht erhält,
weil Sozialhilfeempfänger oft nur Informationen aus dem Fernsehfunk beziehen und zum Beispiel von "Attac" noch nie gehört haben,
weil eine organisatorische Kraft fehlt und weil, ganz schlicht, viele Menschen nicht genügend nachdenken?
Oder wie ich neulich gelesen habe:
"Demonstrationen nützen gar nichts, sonst wären sie verboten"
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