Das Fundament des elitären Klassenbewußtseins
Donnerstag, 23. Oktober 2008
Ist eine Gesellschaft, die offen von "sozial Schwachen" und "bildungsfernen Schichten" spricht, eingebettet in ein sozialdarwinistisches Fundament? Meint eine solche Gesellschaft etwa damit, dass Armut und mangelnde Bildung vererbte Mängel sind? Oder handelt es sich bei solchen und ähnlichen Begrifflichkeiten nur um unglücklich gewählte Wortkonstrukte?
Dazu ein kurzer Abriss zur Geschichte der Evolutionstheorie: Charles Darwin weigerte sich viele Jahre, seine gewonnenen Erkenntnisse zu veröffentlichen. Er scheute den Konflikt mit der Religion, die ja seit Jahrhunderten von der Unveränderbarkeit der Natur und der Kreaturen predigte - Darwin aber hatte erkannt, dass diese Unveränderbarkeit ein Märchen sein muß. Als er sich dann doch dazu entschloss, seine Theorie offenzulegen - vielmehr wurde er dazu genötigt, weil ein anderer Laienwissenschaftler Darwins Theorie unabhängig von ihm erahnte - entstand tatsächlich ein wissenschaftlicher Disput darüber, inwiefern die Evolutionstheorie mit der Religion vereinbar sei.
Während sich diese Form der religiösen Auseinandersetzung nur in England verbreitete, wurde um den Darwinismus - wie die Theorie nun immer öfter genannt wurde - in Deutschland ganz anders gerungen. Ernst Haeckel vertrat die Positionen der Evolutionstheorie, während Rudolf Virchow sie strikt leugnete. Dies tat letzterer nicht, weil die Theorie womöglich irrig wäre, sondern weil sie nicht ins politische Konzept paßte, besser verschwiegen werden sollte, um den Status quo nicht zu gefährden. Der begeisterte Darwinist Haeckel baute die Theorie allerdings aus und verband sie mit dem damals grassierenden Nationalismus. Er radikalisierte Darwins Theorie dahingehend, in der Vererbung die Grundlage allen Existierenden erkennen zu wollen - und vorallem hievte er die Theorie in Sphären menschlicher Gesellschaft. Darwin hatte sich strikt geweigert, die Evolutionstheorie anhand des Menschen zu erklären. Aus dieser Radikalisierung erwuchs überdimensionales Herrenmenschengehabe, offener Rassismus und die ersten Anklänge einer Untermenschentheorie. Da Blut alles war, da auch Intelligenz, Fleiß, Leistungsfähigkeit und dergleichen vererbt würden und nicht Produkt der Lebensverhältnisse seien, so schlußfolgerte man aus dem Haeckelismus, könne man durch eine gelenkte Zuchtwahl die positiven Erbanteile expandieren, gleichzeitig die negativen und unwerten Erbträger zurückdrängen. Dies habe mittels Sterilisationen und "erbgesunden Eheverhältnissen" zu geschehen. Die Evolutionstheorie in Deutschland hatte also keinen wirklichen Verfechter, die Diskussion war geprägt von Leugnern der Theorie und von denen, die die Theorie aus ihren niederträchtigen Gefühlen heraus interpretierten.
Der Schritt von der Sterilisation zur Tötung minderwertigen Lebens war nurmehr ein kleiner, wenngleich dieser erst mit Etablierung des Dritten Reiches zur realpolitischen Möglichkeit wurde. Davor wurde aber munter darüber spekuliert, wie man "erbungesunde Subjekte" entfernen könnte. Jetzt war der Sozialdarwinismus deutscher Schule nicht mehr auf Deutschland alleine beschränkt, sondern fand im angelsächsischen Raum Anklang. Ab 1907 verabschiedeten viele US-amerikanische Bundesstaaten Sterilisationsgesetze, die es erlaubten, "Epileptiker, Schwachsinnige und Geistesschwache" von Nachwuchs zu befreien. In einigen Fällen wurden sogar Kastrationen vorgenommen. Die Eugenik war Kind seiner Zeit, nicht alleine nationalsozialistisches Sektierertum, sondern schon vormals, seit geraumer Zeit, geisterten Herrenmenschengehabe und Untermenschentum in den Köpfen der Eliten herum. Und dies nicht nur in deutschen Köpfen, sondern überall in der industrialisierten Welt.
Der Sozialdarwinismus, Hand in Hand mit seinem Bruder, dem Evolutionsrassismus, wurde zur Weltanschauung des Bürgertums. Eines Bürgertums, welches sich mehr und mehr als Elite verstand, als Prätorianergarde ihrer jeweiligen Nation. Hierbei berief man sich vorallem auf die Schriften Herbert Spencers, in denen er Mildtätigkeit und Hilfsbereitschaft am Armen als Zeichen von Schwäche wertete. Denn damit würde man den "Kampf ums Dasein" und das "Überleben des Stärksten" unnatürlich beeinflussen und dem Armen (durch Vererbung) zu Vorteilen verhelfen, die für ihn von Natur aus nicht vorgesehen waren - man würde also die Natur verfälschen. Noch Jahrzehnte nach Spencers Tod, würde ein "böhmischer Gefreiter" ganz im Sinne Spencers argumentieren - manchmal so wortgetreu, dass man davon ausgehen muß, dass Hitler Spencers Schriften kannte. Durch Spencer war die Gesellschaftstheorie zum Naturgesetz erklärt worden und die Eliten aller Herren Länder konnten sich wohlig von jeglicher sozialen Verantwortung drücken, konnten weiterhin ausbeuten und Pression ausüben, weil dies ja ausdrücklich dem Naturgesetz entspräche.
Wenn heute selbsterklärte Eliten von "sozial Schwachen" und "bildungsfernen Schichten", wenn sie zudem von sogenannten "Sozialhilfekarrieren" sprechen, die "generationenübergreifend fortgeführt" werden, dann sieht es doch sehr danach aus, als ob eine altbewährte Theorie wiederbelebt worden wäre. Während Friedrich Merz frohen Mutes von "Sozialhilfefamilien" sprechen darf, in denen der soziale Status quasi vererbt würde, fabuliert Oswald Metzger davon, wie Menschen den ganzen Tag betrunken und vollgefressen vor dem Fernsehgerät sitzen, und ihre Kinder zukünftig in gleicher Weise vor sich dahinvegetieren werden. Gleichzeitig erklären die Eliten, dass das deutsche Bildungssystem durchlässig sei, dass jeder eine Chance erhielte, wenn er nur qualifiziert genug sei - dabei außer Acht lassend, dass gerade in Deutschland - so wie nirgends sonst in Europa - kaum Kinder aus der Unter- oder Arbeiterschicht in den Genuss eines Studiums kommen. Die frühe Selektion derer, die auf das Gymnasium gehen werden, der damit vorgezeichnete Weg bereits ab dem zehnten Lebensjahr, will sich die Elite zudem bewahren - eine Einheitsschule, mit der Möglichkeit später höhere Schulen - vielleicht ab der achten oder neunten Klasse - zu besuchen, kommt für sie nicht in Frage. Ihre Kinder sollen dem Elitestatus gemäß geschult werden.
Im Wirken der Eliten, gerade im letzten Punkt betreffend dem Schulsystem, wird erkennbar, dass sie nicht im System oder den Lebensverhältnissen die Grundlage der Ungleichheit erkennen. Mutig genug, im Blut, in den Genen, kurz: in der Vererbung, die mögliche Ungleichheit zu vermuten, sind sie freilich in Zeiten politischer Verbalkorrektheit nicht. Aber der Unterton schwingt mit, wenn sie ganze Familien als faules, nichtsnutziges Gesindel stilisieren, wenn sie Arme zu "sozial Schwachen" degradieren, wenn sie das Schulsystem trotz aller offensichtlichen Mängel als funktionierend betrachten. Schuld ist in ihren Augen nicht die Welt, wie sie ist - nicht das System, nicht Ausbeutung, nicht Unterdrückung, nicht die Armut. Schuld hat das Individuum - in ihm liegt der Grund der Schuldigkeit. Es liegt ihm quasi im Blut, ist seine persönliche biologische Konditionierung und ist, so muß man schlußfolgern, eben Ausdruck seiner Vererbung. Er ist leistungsschwach, weil sein Vater nur Hilfskraft war; er ist dumm, weil seine Mutter die Hauptschule abbrach oder die Sonderschule besuchte - dass Leistungsschwäche und "Dummheit" womöglich auf ein falsches Schulwesen, auf die Armut der Eltern oder auf die Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegenüber Unterschichtenkindern zurückzuführen ist, auf diese Idee kommen die Eliten freilich nicht. Dürfen sie gar nicht kommen, wenn sie ihr selbsterrichtetes Weltbild nicht zerstören, wenn sie darin weiter in wohliger Weltentrücktheit leben wollen. Und wie sie eine Karriere, wie die des Albert Camus, erklären wollen, bleibt im Nebel ihrer bornierten Weltsicht gefangen. Denn Camus war Kind einer Analphabetin, die zudem nicht mit großem Intellekt gesegnet war - als Camus 1957 den Literaturnobelpreis erhielt, konnte seine Mutter nicht verstehen, was dies genau bedeuten soll. Würde die Erblehre zutreffen, die so unterschwellig das Weltbild unserer Eliten kennzeichnet, so wäre Camus niemals über den Status eines Hilfsarbeiters hinausgekommen.
Aber man muß es in drastischer Form klar formulieren: Wer heute so auftritt, wer leugnet, dass die reale Welt die Hauptschuld für soziale Ungleichheit trägt, wer damit einem (meist) latenten Sozialdarwinismus frönt, in dem er die Schuld in den Genen des Dummen, Armen, Kranken oder Leistungsschwachen sieht, der ist Bestandteil einer alten Tradition, in der von "Erbungesunden" gesprochen wurde und in der es kein Tabu mehr war, von eugenischen Radikalschritten zu schwärmen. Auschwitz nahm seinen Anfang eben nicht mit Hitlers Machtergreifung, sondern schon lange vorher - der Massenmord an Juden, Sinti und Roma, an Homosexuellen, Kranken und Behinderten, fand bereits Jahrzehnte vorher in den Köpfen der Eliten statt. Und noch etwas ist zu erwähnen: Politische Gegner und Oppositionelle wurden im Dritten Reich verfolgt und als krank betrachtet, als gesellschaftszersetzende Elemente begriffen - der Sozialdarwinismus hat es erlaubt, aus jedem Mißliebigen einen "erbkranken Idioten" zu machen. Mit dieser Scheinwissenschaftlichkeit läßt sich das elitäre Bürgertum seit mehr als einem Jahrhundert blenden - und heute wieder mehr denn je.
Wer sich also in solcher Weise äußert, genauer: wer sich in solcher sozialdarwinistischen Weise äußert, der muß sich gefallen lassen, dass man ihn als Jünger von Auschwitz bezeichnet - als jemanden, der aus der Geschichte nicht gelernt, für die Zukunft nichts begriffen hat. Freilich werden solche Zeitgenossen einen solchen Einspruch nur schwerlich dulden, werden sich soetwas nicht gefallen lassen wollen. Aber hätte man jene Sozialdarwinisten vor der Auschwitz-Ära mit Auschwitz konfrontiert, mit der Zukunft also, die aus dem Sozialdarwinismus erblühte, so hätten sie sich einen Vergleich mit den Zukünftigen auch verbeten. Auch hier stehen die heutigen Jünger ihren Vorfahren im Geiste, in nichts nach...
Dazu ein kurzer Abriss zur Geschichte der Evolutionstheorie: Charles Darwin weigerte sich viele Jahre, seine gewonnenen Erkenntnisse zu veröffentlichen. Er scheute den Konflikt mit der Religion, die ja seit Jahrhunderten von der Unveränderbarkeit der Natur und der Kreaturen predigte - Darwin aber hatte erkannt, dass diese Unveränderbarkeit ein Märchen sein muß. Als er sich dann doch dazu entschloss, seine Theorie offenzulegen - vielmehr wurde er dazu genötigt, weil ein anderer Laienwissenschaftler Darwins Theorie unabhängig von ihm erahnte - entstand tatsächlich ein wissenschaftlicher Disput darüber, inwiefern die Evolutionstheorie mit der Religion vereinbar sei.
Während sich diese Form der religiösen Auseinandersetzung nur in England verbreitete, wurde um den Darwinismus - wie die Theorie nun immer öfter genannt wurde - in Deutschland ganz anders gerungen. Ernst Haeckel vertrat die Positionen der Evolutionstheorie, während Rudolf Virchow sie strikt leugnete. Dies tat letzterer nicht, weil die Theorie womöglich irrig wäre, sondern weil sie nicht ins politische Konzept paßte, besser verschwiegen werden sollte, um den Status quo nicht zu gefährden. Der begeisterte Darwinist Haeckel baute die Theorie allerdings aus und verband sie mit dem damals grassierenden Nationalismus. Er radikalisierte Darwins Theorie dahingehend, in der Vererbung die Grundlage allen Existierenden erkennen zu wollen - und vorallem hievte er die Theorie in Sphären menschlicher Gesellschaft. Darwin hatte sich strikt geweigert, die Evolutionstheorie anhand des Menschen zu erklären. Aus dieser Radikalisierung erwuchs überdimensionales Herrenmenschengehabe, offener Rassismus und die ersten Anklänge einer Untermenschentheorie. Da Blut alles war, da auch Intelligenz, Fleiß, Leistungsfähigkeit und dergleichen vererbt würden und nicht Produkt der Lebensverhältnisse seien, so schlußfolgerte man aus dem Haeckelismus, könne man durch eine gelenkte Zuchtwahl die positiven Erbanteile expandieren, gleichzeitig die negativen und unwerten Erbträger zurückdrängen. Dies habe mittels Sterilisationen und "erbgesunden Eheverhältnissen" zu geschehen. Die Evolutionstheorie in Deutschland hatte also keinen wirklichen Verfechter, die Diskussion war geprägt von Leugnern der Theorie und von denen, die die Theorie aus ihren niederträchtigen Gefühlen heraus interpretierten.
Der Schritt von der Sterilisation zur Tötung minderwertigen Lebens war nurmehr ein kleiner, wenngleich dieser erst mit Etablierung des Dritten Reiches zur realpolitischen Möglichkeit wurde. Davor wurde aber munter darüber spekuliert, wie man "erbungesunde Subjekte" entfernen könnte. Jetzt war der Sozialdarwinismus deutscher Schule nicht mehr auf Deutschland alleine beschränkt, sondern fand im angelsächsischen Raum Anklang. Ab 1907 verabschiedeten viele US-amerikanische Bundesstaaten Sterilisationsgesetze, die es erlaubten, "Epileptiker, Schwachsinnige und Geistesschwache" von Nachwuchs zu befreien. In einigen Fällen wurden sogar Kastrationen vorgenommen. Die Eugenik war Kind seiner Zeit, nicht alleine nationalsozialistisches Sektierertum, sondern schon vormals, seit geraumer Zeit, geisterten Herrenmenschengehabe und Untermenschentum in den Köpfen der Eliten herum. Und dies nicht nur in deutschen Köpfen, sondern überall in der industrialisierten Welt.
Der Sozialdarwinismus, Hand in Hand mit seinem Bruder, dem Evolutionsrassismus, wurde zur Weltanschauung des Bürgertums. Eines Bürgertums, welches sich mehr und mehr als Elite verstand, als Prätorianergarde ihrer jeweiligen Nation. Hierbei berief man sich vorallem auf die Schriften Herbert Spencers, in denen er Mildtätigkeit und Hilfsbereitschaft am Armen als Zeichen von Schwäche wertete. Denn damit würde man den "Kampf ums Dasein" und das "Überleben des Stärksten" unnatürlich beeinflussen und dem Armen (durch Vererbung) zu Vorteilen verhelfen, die für ihn von Natur aus nicht vorgesehen waren - man würde also die Natur verfälschen. Noch Jahrzehnte nach Spencers Tod, würde ein "böhmischer Gefreiter" ganz im Sinne Spencers argumentieren - manchmal so wortgetreu, dass man davon ausgehen muß, dass Hitler Spencers Schriften kannte. Durch Spencer war die Gesellschaftstheorie zum Naturgesetz erklärt worden und die Eliten aller Herren Länder konnten sich wohlig von jeglicher sozialen Verantwortung drücken, konnten weiterhin ausbeuten und Pression ausüben, weil dies ja ausdrücklich dem Naturgesetz entspräche.
Wenn heute selbsterklärte Eliten von "sozial Schwachen" und "bildungsfernen Schichten", wenn sie zudem von sogenannten "Sozialhilfekarrieren" sprechen, die "generationenübergreifend fortgeführt" werden, dann sieht es doch sehr danach aus, als ob eine altbewährte Theorie wiederbelebt worden wäre. Während Friedrich Merz frohen Mutes von "Sozialhilfefamilien" sprechen darf, in denen der soziale Status quasi vererbt würde, fabuliert Oswald Metzger davon, wie Menschen den ganzen Tag betrunken und vollgefressen vor dem Fernsehgerät sitzen, und ihre Kinder zukünftig in gleicher Weise vor sich dahinvegetieren werden. Gleichzeitig erklären die Eliten, dass das deutsche Bildungssystem durchlässig sei, dass jeder eine Chance erhielte, wenn er nur qualifiziert genug sei - dabei außer Acht lassend, dass gerade in Deutschland - so wie nirgends sonst in Europa - kaum Kinder aus der Unter- oder Arbeiterschicht in den Genuss eines Studiums kommen. Die frühe Selektion derer, die auf das Gymnasium gehen werden, der damit vorgezeichnete Weg bereits ab dem zehnten Lebensjahr, will sich die Elite zudem bewahren - eine Einheitsschule, mit der Möglichkeit später höhere Schulen - vielleicht ab der achten oder neunten Klasse - zu besuchen, kommt für sie nicht in Frage. Ihre Kinder sollen dem Elitestatus gemäß geschult werden.
Im Wirken der Eliten, gerade im letzten Punkt betreffend dem Schulsystem, wird erkennbar, dass sie nicht im System oder den Lebensverhältnissen die Grundlage der Ungleichheit erkennen. Mutig genug, im Blut, in den Genen, kurz: in der Vererbung, die mögliche Ungleichheit zu vermuten, sind sie freilich in Zeiten politischer Verbalkorrektheit nicht. Aber der Unterton schwingt mit, wenn sie ganze Familien als faules, nichtsnutziges Gesindel stilisieren, wenn sie Arme zu "sozial Schwachen" degradieren, wenn sie das Schulsystem trotz aller offensichtlichen Mängel als funktionierend betrachten. Schuld ist in ihren Augen nicht die Welt, wie sie ist - nicht das System, nicht Ausbeutung, nicht Unterdrückung, nicht die Armut. Schuld hat das Individuum - in ihm liegt der Grund der Schuldigkeit. Es liegt ihm quasi im Blut, ist seine persönliche biologische Konditionierung und ist, so muß man schlußfolgern, eben Ausdruck seiner Vererbung. Er ist leistungsschwach, weil sein Vater nur Hilfskraft war; er ist dumm, weil seine Mutter die Hauptschule abbrach oder die Sonderschule besuchte - dass Leistungsschwäche und "Dummheit" womöglich auf ein falsches Schulwesen, auf die Armut der Eltern oder auf die Gleichgültigkeit der Gesellschaft gegenüber Unterschichtenkindern zurückzuführen ist, auf diese Idee kommen die Eliten freilich nicht. Dürfen sie gar nicht kommen, wenn sie ihr selbsterrichtetes Weltbild nicht zerstören, wenn sie darin weiter in wohliger Weltentrücktheit leben wollen. Und wie sie eine Karriere, wie die des Albert Camus, erklären wollen, bleibt im Nebel ihrer bornierten Weltsicht gefangen. Denn Camus war Kind einer Analphabetin, die zudem nicht mit großem Intellekt gesegnet war - als Camus 1957 den Literaturnobelpreis erhielt, konnte seine Mutter nicht verstehen, was dies genau bedeuten soll. Würde die Erblehre zutreffen, die so unterschwellig das Weltbild unserer Eliten kennzeichnet, so wäre Camus niemals über den Status eines Hilfsarbeiters hinausgekommen.
Aber man muß es in drastischer Form klar formulieren: Wer heute so auftritt, wer leugnet, dass die reale Welt die Hauptschuld für soziale Ungleichheit trägt, wer damit einem (meist) latenten Sozialdarwinismus frönt, in dem er die Schuld in den Genen des Dummen, Armen, Kranken oder Leistungsschwachen sieht, der ist Bestandteil einer alten Tradition, in der von "Erbungesunden" gesprochen wurde und in der es kein Tabu mehr war, von eugenischen Radikalschritten zu schwärmen. Auschwitz nahm seinen Anfang eben nicht mit Hitlers Machtergreifung, sondern schon lange vorher - der Massenmord an Juden, Sinti und Roma, an Homosexuellen, Kranken und Behinderten, fand bereits Jahrzehnte vorher in den Köpfen der Eliten statt. Und noch etwas ist zu erwähnen: Politische Gegner und Oppositionelle wurden im Dritten Reich verfolgt und als krank betrachtet, als gesellschaftszersetzende Elemente begriffen - der Sozialdarwinismus hat es erlaubt, aus jedem Mißliebigen einen "erbkranken Idioten" zu machen. Mit dieser Scheinwissenschaftlichkeit läßt sich das elitäre Bürgertum seit mehr als einem Jahrhundert blenden - und heute wieder mehr denn je.
Wer sich also in solcher Weise äußert, genauer: wer sich in solcher sozialdarwinistischen Weise äußert, der muß sich gefallen lassen, dass man ihn als Jünger von Auschwitz bezeichnet - als jemanden, der aus der Geschichte nicht gelernt, für die Zukunft nichts begriffen hat. Freilich werden solche Zeitgenossen einen solchen Einspruch nur schwerlich dulden, werden sich soetwas nicht gefallen lassen wollen. Aber hätte man jene Sozialdarwinisten vor der Auschwitz-Ära mit Auschwitz konfrontiert, mit der Zukunft also, die aus dem Sozialdarwinismus erblühte, so hätten sie sich einen Vergleich mit den Zukünftigen auch verbeten. Auch hier stehen die heutigen Jünger ihren Vorfahren im Geiste, in nichts nach...
29 Kommentare:
Vor dem Hintergrund dürfte auch klar sein, wie Guido Westerwelles Aussage, in Deutschland würden "die Falschen" die Kinder kriegen, zu werten ist!
Lieber Roberto J. De Lapuente,
das meinte ich weiter unten auch damit, dass seit 1945 nichts dazu gelernt wurde, von unseren selbst ernannten "Eliten" die sich als Enkel Adolf Hitlers mit Sozialdarwinismus gegen "sozial Schwache" und - was man auch mal erwähnen sollte - Wirtschaftsflüchtlinge wenden.
Es ist eine neue Form des Rassismus bzw. der Apartheid, wie der Wilhelm Heitmeyer in seiner Langzeitstudie - Folge 6 rausgefunden haben will - der Hass gegen alles "sozial Schwache", womit eben generell Hartz IV Empfänger - egal welcher Nationalität - gemeint sein dürften.
Was die Wirtschaftsflüchtlinge angeht sogar dort wird ausgewählt, die Asylbewerber, die gut ausgebildet und vergleichsweise situiert sind, werden in Deutschland gerne genommen, die anderen - egal was furchtbares die erlebt haben (z.B. Folteropfer) oder woher die kommen (z.B. Darfur - Völkermordverdacht dort) werden eiskalt wieder zurückgeschickt. Übrigens in Südafrika gibt es für die neue Apartheid bereits einen Begriff "Die Apartheid aufgrund der Klasse".
Dort wird nämlich auch schon unterschieden zwischen reichen Afroafrikanern und armen in den Townships - das sah ich so mal im TV, und ich denke, dass diese Form der Apartheid sich bald auch auf Deutschland 1:1 übertragen läßt - nämlich dann wenn es Ghettos für die Arbeitslosen und Hartz IV-Empfänger gibt und sich die Reichen einigeln, wie - nicht allein - das Beispiel Südafrika zeigt.
Gruß
Nachdenkseiten-Leser
PS: Es sei nur am Rande erwähnt, dass laut Wissenschaftsjournalisten wie z.B. Joachim Bauer - dem Buchautor des Buches "Das kooperative Gen" eine neue Theorie sich breit macht, die beweist der Sozialdarwinismus existiert so nicht einmal im Tierreich. Im Gegenteil, wäre die Menschheit schon immer egoistisch gewesen dann wären wir längst ausgestorben - die Theorie der Neoliberalen basiert eben wie du völlig richtig schreibst auf längst überholten Grundpfeilern....
"[...]Und noch etwas ist zu erwähnen: Politische Gegner und Oppositionelle wurden im Dritten Reich verfolgt und als krank betrachtet, als gesellschaftszersetzende Elemente begriffen - der Sozialdarwinismus hat es erlaubt, aus jedem Mißliebigen einen "erbkranken Idioten" zu machen.[...]"
Dazu hat Albrecht Müller auf Nachdenkseiten auf ein gutes Buch verwiesen, dass genau diesen Punkt beweist:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=2215#more-2215
Der Autor Gunter Haug übrigens will demnächst mit Albrecht Müller zusammen - gerade aufgrund den Übereinstimmungen in seinem Buch - ein Buch mit dem Titel "Meinungsmache" veröffentlichen. Mal sehen ob er auch was vom Sozialdarwinismus unserer Eliten in Meinungsmache erwähnt....
Gruß
Nachdenkseiten-Leser
Der heute von großen Teilen der Eliten gelebte Sozialdarwinismus kann unter neoliberalem Terror subsumiert werden, welcher gerade sein politisches und finanzielles Armageddon erlebt.
Die Eliten haben ganze Gesellschaften zersört.
In den Eliten manifestiert sich der Anti-Christ, das Böse, die Vernichtung, der Tod.
"[...]In den Eliten manifestiert sich der Anti-Christ, das Böse, die Vernichtung, der Tod.[...]"
Lieber Otti,
da bin ich grundsätzlich anderer Meinung, die "Eliten" sind schlecht, dass stimmt.
Den "Anti-Christen" findest du aber hier nur, wenn du Christus positiv definierst - Zunächst einmal es ist kein historischer, oder gar archäologisch stichhaltiger Beweis für eine Person mit dem Namen Jesus Christus vorhanden - angebliche "Beweise" entpuppten sich ziemlich schnell als gut gemachte Fälschungen.
Legst du aber das Christentum mit Inquisition, Judenverfolgung, Hexenwahn, Bücherverbrennungen, Anti-Modernisteneid eines Papstes im vorletzten Jahrhundert (alles "moderne" ist des Teufels), und der Verfolgung Andersdenkender gleich, dann ist nicht der "Anti-Christ" (übrigens eine Bezeichnung die oft zur Ausgrenzung gegen Juden, das "teuflische Volk" schlechthin für die katholische Kirche - noch bis zur Shoa hin) das Böse sondern das Christentum schlechthin.
In diesem Sinne ist Angela Merkel, als protestantische Pfarrerstochter, eine überzeugte "Christin", die im Namen der christlichen Liebe heutzutage Sozialdarwinismus, Ausgrenzung Andersdenkender und andere neoliberale Schwachsinnigkeiten vertritt.
Die Ausgrenzung von Juden - der Antisemitismus -, die ist zum Glück out, dank der furchtbaren Nazi-Verbrechen, aber dafür gibt es ja ein anderes Bevölkerungsteil gegen das man Volksverhetzung betreiben kann...Hartz IV-Empfänger...Islam(isten).... etc. etc.
Da bin ich froh, dass ich Agnostiker bin und bleibe...
Gruß
Nachdenkseiten-Leser
Endlich bringt es mal jemand auf den Punkt - ich dachte schon, dass ich der einzige bin der hier Parallelen zur Endzeit der Weimarer Republik, und der Frühzeit des NS-Staates, sieht. Mir geht es eigentlich immer so als würde ich nach Studium der deutschen Sozialgeschichte in einem Buch heute in einem schlechten Alptraum aufwachen. Wirklich vieles erinnert an die Zeit die Wolfgang Ayaß in seinem - leider wieder - hochaktuellen Buch ""Asoziale" im Nationalsozialismus" bereits 1995 beschrieb. Damals als historische Vergangenheit, aber dank Schröder/Merkel ist diese Vergangenheit heute wieder Gegenwart - und bald Zukunft. Ich denke einmal die 500 Milliarden, die man nur mit halbherzigen Bedingungen an die Banken abdrückte sind die Vorstufe für einen noch gewaltigeren Sozialabbau als sonst schon und der Einschränkung von Arbeitnehmerrechten.
Ich wünsche mir ja so, dass ich Unrecht behalte, aber leider haben sich meine Prognosen bis dato immer bewahrheitet.
Hallo Nachdenkseiten-Leser,
ich bin auch einer - aber das nur am Rande. Kennst du das Buch "Der Gotteswahn" von Richard Dawkins? Das muss ich an dieser Stelle einfach mal empfehlen. Übrigens: ich war auch mal Agnostiker - bis ich das Buch gelesen habe ...
Ich habe mir heute übers Netz HartAberFair angesehen. Es ging um Leiharbeit und darum, daß Leiharbeiter oft nur die Hälfte an Lohn der fest angestellten Arbeiter bekommen. Darauf angesprochen, antwortete Herr Gerster, die Leiharbeiter seien ja arbeitslos gewesen, hätten somit ihre Qualifikation verloren. Und da diese erst wieder aufgebaut werden müßte, bekämen sie so lange nur die Hälfte, bis sie auf eine Vollzeitstelle übernommen werden.
Die Herrenmenschen laden die Schuld auf die, die ihre Opfer sind, hier Opfer ihrer Ausbeutung.
Ich hatte vor Jahren, als die Bundesregierung davon sprach, daß Hartz IV optimiert werden müsste, man nannte es Optimierungsgesetz, ich hatte ein Foto im Internet veröffentlicht von Eichmann und darunter geschrieben: Bundesregierung beauftragt Eichmann mit der Durchführung des Optimierungsgesetzes.
Die heftigste Kritik kam von links, und das Standardargument ist, man verharmlose damit den Holocaust. Wenn man aber den Anfängen wehren soll, kann man nicht auf einen neuen Holocaust warten, damit die Vergleiche stimmen, denn dann ist es zu spät.
Lieber Klaus, an Dir zweifle ich nicht, nicht an dem, was Du hier erzählst. Aber ich bezweifle, dass die kritischen Stimmen von Links kamen, bzw. dass es Linke - nicht solchen von der LINKEN - waren, die Dich dafür kritisiert haben. Inhalt der Neuen Linken war immer, den Status quo als Form des Faschismus zu sehen - wenn der Prototyp des Faschismus, der "beliebige Hanswurst" (Hannah Arendt), Eichmann also, als Mahnmal vor Augen geführt wird, dann ist das eigentlich nur im Sinne der Linken...
Wer da kritisiert ist kaum links orientiert, sondern ein verkappter Kämpfer um den Status quo.
Hallo anonymer "Gotteswahn"-Empfehler,
ja, das Buch von Richard Dawkins, das so polarisiert, kenne ich sehr genau, aber hier ist kein Religionsforum - nur soviel - auch als Agnostiker oute ich mich als Fan von Richard Dawkins, und dem Ex-Theologen und Kirchenkritiker Karlheinz Deschner.
Vielleicht bin ich auf dem gleichen Weg wie du - was Religionskritik angeht?
Vielleicht bezeichne ich mich selbst auch nur deswegen als Agnostiker, um nicht gleich mit der Extremposition Atheismus in die Tür zu fallen?
Das raten überlasse ich dir ;-)
Gruß
Nachdenkseiten-Leser
PS: Was Richard Dawkins angeht, der ist auch Autor des Buches "Das egoistische Gen", dass neu aufgelegt wurde - mit aktuellem Vorwort -, um die Argumente derer zu entkräften, die in Dawkins einen unverbesserlichen Sozialdarwinisten wittern wollen....wie der Autor des Buches Joachim Bauer, den ich weiter oben erwähne, der aber - mitsamt Dawkins - eben die Neuerungen in der Wissenschaft nicht übersehen können, d.h. beide keine Betonköpfe sind.
Ganz im Gegensatz zu den dogmatischen Neoliberalen weltweit, die meinen ihr neoliberal-sozialdarwinistischer Irrglaube wurde unveränderlich und für ewig gültig in Stein gemeiselt....und wenn die Wissenschaft sich laufend ändert, egal, als Neoliberaler bin ich unverbesserlicher Dogmatiker....mal aus deren neoliberal-ideologisch-verblendeten Sicht gesehen...
@nachdenkseitenleser: ich würde vorschlagen zwischen religions- und kirchenkritik zu unterscheiden.
lieber roberto,
heftige kritik gab's auf einem emailverteiler von attac.
"Politische Gegner und Oppositionelle wurden im Dritten Reich verfolgt und als krank betrachtet, als gesellschaftszersetzende Elemente begriffen - "
Wenn ich sehe bzw. lese wie perfide die meinungsführende Presse (SPON, Welt, FAZ usw.) und die Diskussionsrunden bei ARD und ZDF mit den anders denkenden, wie Sodann, Ypsilanti (aktuell in SPON:"Ypsilanti will sich in Obamas Windschatten an die Macht schleichen") und Lafontaine umspringt--- dann sind wir nur einen Steinwurf weit von den oben beschriebenen Verhältnissen entfernt.
Ein(e) Anonym schrieb: "Ich wünsche mir ja so, dass ich Unrecht behalte, aber leider haben sich meine Prognosen bis dato immer bewahrheitet."
Und ich zitiere mal Thomas Carlyle: "Die Zeit ist schlecht? Wohlan. Du bist da, sie besser zu machen."
Schöner Artikel!!!
Selbiges habe ich auf meinem Blog (KrAutism) öfters schon thematisiert. Der hier erwähnte "Sozialdarwinismus" scheint in gewisser Weise auch "universell" zu sein, wenn ich mir z.B. die Debatte um "den Islam" oder "Muslim(a) in Deutschland" anschaue. Deshalb passt auch gut der Hinweis auf Heitmeyer (von "Anonym", weiter oben).
Was ich persönlich ziemlich erschreckend empfinde, ist, wie offen und ungeniert diese "menschenfeindliche" Tendenz heute zu Markte getragen wird. Ein neustes Beispiel findet sich in der von Klaus Baum erwähnten Hart-aber-fair-Sendung (22.10.2008). Mit welcher Dreistigkeit und mit wie wenig Empathie dort Gerster und Meyer agierten, welch autistische Resistenz gegenüber den geschilderten Realitäten beide an den Tag legten, das war kaum auszuhalten. Auch hatte ich das Gefühl, dass die sich "outende" Hartz-iV-Empfängerin zwischen den erfahrenen Medienleuten doch eher wie ein "Zoo-Objekt" wirkte. Vielleicht sollte das auch sein. Ich will dieser Person in der Hinsicht keinen Vorwurf machen, der geht eher an die Redaktion und an den Moderator, der sich nicht zu schade war, immer wieder zu betonen, wie mutig es ist, diese unpopuläre Meinung in der Öffentlichkeit zu vertreten. In der Rückblende kann ich mich nicht des Gefühls erwehren, dass diese Person regelrecht "vorgeführt" wurde und als solches "Anschauungsobjekt" wohl eher noch Wasser auf die Mühlen der Sozialdarwinisten goß.
Wenigstens war keiner der Anwesenden noch so zynisch, die für die Frau verantwortlichen ARGE-Sachbearbeiter zu animieren, das in der Sendung verdiente Honorar zu prüfen. Solch eine Geschmacklosigkeit hatte sich vor längerer Zeit der gescheiterte CDU-Anbiederer und EX-Grüne Metzger bei Maischberger geleistet.
Was ich bei all diesen Dingen nicht wirklich verstehe, ist, wie wenig Widerstand sich regt. Öffentliche Entrüstung dafür, gibt es wenig. Woran liegt das? Sind wir wirklich so weit, dass "der Untermensch im Prekariat" als unveränderlicher "Fakt" akzeptiert wird?
Sehr geehrter Herr De Lapuente,
der Vergleich zum Scheindarwinismus ist sehr anregend. Ich denke, er ist Teil einer Legitimationsstrategie des Bürgertums. Mit dem Slogan vom "Leistungsträger" der Gesellschaftt verteidigt es seine Position im sozialen Raum. Das Bürgertum muss seinen sozialen Status gegen Aufsteiger verteidigen und gleichzeitig den Abstieg, wie er viele in den letzten Jahren ereilt hat, verhindern. Um auf Ressourcen der Gesellschaft zugreifen zu können und Herrschaftspositionen für sich beanspruchen, muss es sich durch Leistung, Fleiß, Risikobereitschaft und Bildung legitimieren. Oft wird suggeriert, dass diese Eigenschaften durch die Gene weitergegeben werden, das ist natürlich so nicht richtig.
"Vererbt" wird aber tatsächlich etwas, nämlich kulturelles Kapital. Der frz. Soziologe Pierre Bourdieu hat eine empirisch gut gestützte Macht- und Konflikttheorie vorgelegt. Die besagt u.a., dass die Zeit der Sozialisation eines Kindes in einer ökon. und kulturell gut ausgestatteten Herkunftsfamilie auch die Zeit der Akkumulation von kulturellem Kapital ist. Bourdieu hat gezeigt, dass das Bildungssystem für die Reproduktion gesellschaftlicher Ungleichheit genutzt wird. Durch die Akkumulation kulturellen Kapitals werden sehr früh die Weichen für Kinder gestellt, die letztlich zu höheren Bildungsabschlüssen führen. "Unterschichtenkinder", Kinder aus bildungsfernen Schichten, werden ausgelesen und abgedrängt in niedere Abschlüsse. Selbst wenn sie höchste Abschlüsse erreichen, mit denen ein Erwerb von Bildung bescheinigt wird, können sie oft nicht aufsteigen. Grund dafür ist, dass Bildung erst im Zusammenhang mit ökonomischen Ressourcen (bspw. Besuch einer Eliteuniversität, Auslandsaufenthalt, schnelles Studieren), mit der Gesamtheit kulturellen Kapitals (Herkunft aus "besseren Kreisen", Elitedenken und deren Habitus) und nicht zuletzt durch soziales Kapital (Netzwerke, persönliche Beziehungen) seine aufstiegsfördernde Wirkung entfaltet.
Deshalb greift die Scheinlösung des Bildungsgipfels in Dresden mehr Bildung=sozialer Aufstieg zu kurz!
@ Arbo Moosberg
Ich denke die Menschen resignieren. Jeder sieht wie ungerecht es zugeht. Jeder sieht aber auch, dass diejenigen belohnt werden die solche Sprüche reißen. Die Bankenkrise ist das perfekte Beispiel dafür. Wasser predigen und Wein saufen. Wenn das jemand auf den Punkt verfeinert hat dann unsere Elite. Ich frage mich manchmal wie diese Menschen in Spiegel sehen können.
Arbo Moosberg schrieb: "Sind wir wirklich so weit, dass "der Untermensch im Prekariat" als unveränderlicher "Fakt" akzeptiert wird?"
Das in einer Gesellschaft eine sog. Unterschicht akzeptiert wird gibt es schon sehr lange. Auch in anderen Kulturen (ich denke da z. B. an das indische Kastensystem). Trotzdem ist es (für mich) inakzeptabel.
In einer Leistungsgesellschaft wird nur derjenige hoch angesehen, der (sich) etwas leistet. Kaum einer stellt die Frage, ob es auch (für alle) möglich ist, Leistung zu erbringen. So ist das Entstehen einer Unterschicht - also einer Gruppe von Gesellschaftsmitgliedern die keine allg. akzeptierte oder erwartete Leistung bringt - fast schon vorprogrammiert.
Das es kaum Widerstand dagegen gibt liegt auf der Hand: welche Möglichkeiten gibt es denn etwas zu verändern bzw. anders zu machen? Im Kapitalismus ist Kapital Voraussetzung und nicht etwas das man sich durch Leistung erarbeitet.
anonym schrieb: "Um auf Ressourcen der Gesellschaft zugreifen zu können und Herrschaftspositionen für sich beanspruchen, muss es sich durch Leistung, Fleiß, Risikobereitschaft und Bildung legitimieren."
Wirklich? Ich denke: nein - denn die Machthabenden haben das Kapital. Die Darstellung von Leistung(serbringung) ist eine Täuschungsmassnahme um die Kapitallosen ruhig zu stellen bzw. in dem Glauben zu halten, dass sie aufgrund von Leistungserbringung ihre Lage verbessern könnten. Das ist aber eine Illusion. Zumindest solange es die Abhängigkeit vom Kapital gibt. In diesem Zusammenhang kann ich das Buch Erd-Demokratie von Vandana Shiva empfehlen.
Sehr geehrter Herr De Lapuente,
gerade Charles Darwin nahm sich die sozialdarwinistischen Theorien von Thomas Malthus zum Vorbild für seine Evolutionstheorie.
Um es kurz zu machen:Wer sich für die
Entstehung der Evolutionstheorie und vor allem ihre Abängigkeiten vom sozialen Kontext eingehender beschäftigen möchte,dem kann ich d a s Standardwerk "Darwin" von Adrian Desmond u. James Moore, deutsch erschienen bei rowohlt nur empfehlen.
Sehr geehrter Herr De Lapuente,
danke.
Lieber Roberto De Lapuente,
nur kurz der Hinweis auf einen Beitrag auf folgender Homepage, der gut zu dem von dir geschriebenen zu passen scheint - er befasst sich aus anderen Gründen mit dem Thema Ernst Haeckel - laßt dich von der Überschrift nicht täuschen:
http://hpd.de/node/5595
Die Homepage "hpd - Humanistischer Pressedienst" empfehle ich aus anderen, aufklärerischen Gründen, gerne weiter....er ist für Religionskritiker/Agnostiker/Konfessionslos und Atheisten (auch in der jeweiligen weiblichen Form) das was Nachdenkseiten für Kritiker des herrschenden Gesellschafts- bzw. Wirtschaftssystems ist...
Ein Gedanke von mir, der frei ist, ist nicht auch die Religionskritik mit ein Hebel, um die Gedankenblockaden bei Neoliberalen zu durchbrechen? Ich denke nur an die Leistungen, die Religionskritik in früheren Zeiten - anno 1789 z.B. in Frankreich, dem das so genannte "Zeitalter der Aufklärung" vorausging - gesamtgesellschaftlich vollbracht hat.
Mein Fazit:
Bräuchten wir nicht ein zweites "Zeitalter der Aufklärung", dass über den Hebel Religionskritik - was die Kirchen ja gerne verschweigen bzw. geschichtsklitternd für sich in Anspruch nehmen wollen "Die Aufklärung" - gesamtgesellschaftlich für Veränderungen sorgt? Vielleicht als Vorstufe für eine neue große gesellschaftliche Revolution, wie anno 1789?
Gruß
Nachdenkseiten-Leser
PS: Ich trenne eben nicht zwischen Religionskritik, und Kritik an CDU/CSU/FDP/SPD/GRÜNEN. Ich denke einmal, dass dies - im Sinne Kants - zusammengehört - die Religion und die Falschentwicklungen in der jeweiligen Gesellschaft zu kritisieren. Der EKD z.B. ist doch ein Teil des neoliberalen Systems, wie man z.B. im Buch "Die Dax-Ritter" nachlesen kann, d.h. die Kirche (nicht nur die evangelische) ging immer schon mit der herrschenden Schicht Hand in Hand statt mit dem einfachen Volk....schon seit Paulus das Christentum begründet hat...
Hallo,
treffender Artikel.
Übrigens las ich irgendwo einmal von einem "Antisemitismus ohne Juden", da eben viele Vorurteile die unsere Eliten predigen ihren Ursprung in der Frühphase des Dritten Reiches hatten. Wußtet ihr, dass z.B. im Nazihetzfilm "Jud Süß" die jüdischen Mitbürger als "Parasiten und Schmarotzer am deutschen Volkskörper" bezeichnet wurden? Mir wird wirklich Angst und Bange, wenn ich daran denke in was für geistiges Fahrwasser die Neoliberalen in den deutschen Parteien sich da begeben haben. Mal aus deren Sicht: Gäbe es nicht die Naziverbrechen und die Shoa, würden Neoliberale ihre Vorurteile dann wieder gegen Juden richten? Ich lass mich gerne eines besseren belehren, aber der deutsche Antisemitismus ist unausrottbar, und richtet sich heute halt mehrheitlich gegen Nichtjuden - das ist mit "Antisemitismus ohne Juden" nämlich gemeint....
Vielen Dank für den sehr guten Artikel, der die typisch bürgerliche Denkweise über alle nationalen Grenzen auf den Punkt bringt.
Es sei vielleicht noch der Hinweis gestattet, dass mehr zu den alten Klassikern wie in diesem Falle Rudolf Hilferding gegriffen werden muss, um klar und deutlich zu verstehen, dass die Ursachen für den bürgerlichen Rassismus in Art und Weise zu finden, wie wir produzieren.
Das imperialistische Bewusstsein ist ein rassistisch biologisches, welches seine imperialen Handlungen so zu rechtfertigen sucht.
Lieber Nachdenkseiten-Leser,
"Ich trenne eben nicht zwischen Religionskritik, und Kritik an CDU/CSU/FDP/SPD/GRÜNEN."
...genau das solltest du aber tun. Und was die Religionskritik betrifft, auch noch zwischen Religions- und Kirchenkritik unterscheiden.
Ich leugne ja nicht, dass die Kirchen so einiges falsch machen. Aber deshalb die Religion grundsätzlich zu verwerfen (ob du nun gläubig bist, oder nicht), ist nicht gerechtfertigt. Für mich bedeutet Religion zum Beispiel die Hoffnung darauf, dass etwas Besseres als die jetzige Situation möglich ist, und gibt auch Anleitungen, wie die Welt verbessert werden kann (Nächstenliebe etc.).
Dass es viele sog. Kirchenvertreter gibt, die korrupt sind und damit den christlichen Grundsätzen ganz und gar nicht entsprechen, heißt nicht, dass das Konzept Religion an sich im Widerspruch zu aufklärerischem Denken steht.
Ich denke viel eher, dass der Materialismus traurigerweise zu einer Abwendung von der Religiosität geführt hat... und weil ohne die Sicherheit, einer Religionsgemeinschaft anzugehören, manchen Menschen etwas fehlt- Halt, oder moralische Richtlinien- meinen sie dann, dies in Sekten zu finden.
Diese Art der Religion ist doch zu kritisieren, die Fundamentalisten und Kreationisten heranzüchtet, wie man das in den USA und zunehmend leider auch in Deutschland beobachten kann.
Die "traditionellen" Kirchen sehe ich da eher in einer (teilweise selbstverschuldeten) Opferrolle.
Was das vielgelobte "Gotteswahn"-Buch angeht, so ist mir das schon allein wegen der Tatsache, dass es wochenlang auf den von mir nicht sehr geschätzten Spiegel- und Konsorten- Bestsellerlisten stand, suspekt. Vielleicht sollte ich es lesen, nur im ihm widersprechen zu können. Ich halte schon den Titel für unzutreffend, weil das Problem der heutigen Gesellschaft in meinen Augen keineswegs der Gotteswahn- sondern eher die Moral- und wenn man Religion als moralische Autorität sieht- Gottlosigkeit.
Mir fehlt eigentlich die Zeit, aber nur kurz, du schreibst:
"[...]Was das vielgelobte "Gotteswahn"-Buch angeht, so ist mir das schon allein wegen der Tatsache, dass es wochenlang auf den von mir nicht sehr geschätzten Spiegel- und Konsorten- Bestsellerlisten stand, suspekt. Vielleicht sollte ich es lesen, nur im ihm widersprechen zu können. Ich halte schon den Titel für unzutreffend, weil das Problem der heutigen Gesellschaft in meinen Augen keineswegs der Gotteswahn- sondern eher die Moral- und wenn man Religion als moralische Autorität sieht- Gottlosigkeit.[...]
Mir liegt es fern jemand bekehren zu wollen, als Agnostiker sehe ich eben die Religion als Übel an - der derzeitige Krieg gegen den Islam wird ja im Namen Allahs und Gottes eben mit hoher moralischer Instanz - von beiden Seiten - geführt. Die Aussage, die du triffst, dass "Gottlosigkeit" mit Moral nichts zu tun hat ist ein historischer Trugschluß auf den ich nicht weiter eingehe - das Gegenteil ist der Fall mit Religion (auch weltlicher - egal ob autoritärer Sozialismus oder Neoliberalismus - nur um 2 Beispiele zu nennen) wird jede moralische Sauerei bis heute gerechtfertigt:
Die Religion, die nur auf Theologie gebaut ist, kann niemals etwas Moralisches enthalten.
(Imanuel Kant, dt. Philosoph, 1724-1804)
...wie schon Kant sagte Moral und Religion sind unvereinbar...
Was den Titel von "Gotteswahn" angeht, der ist im englischen tatsächlich anders "God Desillusion" was frei übersetzt "Gottesbetrug" heißen soll, wie ich vor kurzem las.
Gruß
Nachdenkseiten-Leser
PS: Hitler und Stalin waren übrigens, wie von vielen Religiösen immer wieder geleugnet, keineswegs Atheisten, sondern Menschen, die katholisch (=Hitler) waren, oder eine eigenständige Religion schaffen (=Stalin) wollten....wie ich vor kurzem im Netz lesen durfte....
Lieber anonymer,
hier noch was:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/29/29020/1.html
Die Kirche(n) ist mit dem Raubtierkapitalismus (=Neoliberalismus) ins Bett gestiegen, was mich nur bestätigt warum ich aus der röm.-kath. Kirche ausgetreten bin - irgendwie sehe ich die Kompetenz der Kirche nicht als Stellvertreter der Frankfurter Börse....
Gruß und Schluß
Nachdenkseiten-Leser
Soviel zur Moral des Christentums - Überschrift: "Das Märchen von der Bedeutung christlicher Wertevermittlung" - mehr dazu hier:
http://ibka.org/artikel/miz98/werte.html
Nachdenkseiten-Leser hat recht, das Christentum leugnet immer wieder Moral bei AtheistInnen während die christliche Religion selbst nur die Moral hat "im Namen der Liebe" zu morden, zu foltern und Andersdenkende zu verfolgen - bis heute - siehe die Evangelikalen in den USA, nur um ein Beispiel zu nennen...
Lieber Nachdenkseiten-Leser,
Ich bin der Meinung, dass du das Kant-Zitat falsch verstanden hast.
Wo steht dort bitte, dass Moral und Religion unvereinbar sind?
Kant meint doch, dass Religion, die nur auf Theologie- also auf reiner Theorie- gebaut ist, nicht moralisch sein kann. Aber es sollte klar sein, dass es bei Religionen auch um nicht logisch erklärbare Dinge, wie Hoffnung oder Spiritualität geht.
Rein logisch kann man die Existenz Gottes weder begründen noch widerlegen- aber dennoch gibt es zigtausend Leute, die daran glauben. Das zeigt doch wohl, dass Religion nicht ausschließlich mit Theologie gleichzusetzen ist.
Wie schon gesagt leugne ich nicht, dass es seitens der Kirchen viel Unrecht gegeben hat. Aber glaubst du wirklich, dass es bei dem Konflikt zwischen Christentum und Islam wirklich um religiöse Meinungsverschiedenheiten geht? Für mich sind das eher Machtspielchen, und die Religion wird mehr oder weniger als Vorwand gebraucht.
Das ist keine Rechtfertigung, den Religionen an sich- oder gar den ganz normalen Gläubigen- die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben.
Außerdem scheinst du zu übersehen, dass im Namen der Kirche auch viel Gutes geschehen ist. Soweit ich weiß wurden die ersten sozialen Einrichtungen, Krankenhäuser, Schulen usw ausschließlich von Kirchen betrieben.
Für mich ist und bleibt die Religion ein erwünschtes Gegengewicht zum Materialismus, auch wenn sie dieser Rolle manchmal nicht ganz gerecht wird.
Dies hängt natürlich auch von dem jeweiligen Religionsverständnis ab, ich halte den von dir genannten Neoliberalismus zum Beispiel nicht für eine Religion, sondern lediglich eine Ideologie.
<a href="http://fuerwahrheitundrecht.blogspot.com/2010/04/190-jahre-herbert-spencer.html>Du tust dem Herbert Spencer vermutlich Unrecht!</a>
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