Sorry Malala, es geht nicht gegen dich!

Freitag, 31. Oktober 2014

Mal nur so ein Beispiel. Vor einigen Wochen bekam unter anderem Malala den Friedensnobelpreis. Die Entscheidung geht in Ordnung. Kein Vergleich zu Kissinger, Obama oder die EU. Aber dann kam die mediale Schau. Übertreibungen reihten sich an hochtrabenden Berichten. »Das mutigste Mädchen der Welt«, schrieb eine Zeitung. »So tapfer ist sie!« Und im Radio verströmten sie Ehrfurcht. Was die Kleine schon alles durchmachen musste, was sie leistet, wie unglaublich übermenschlich sie doch ist. Wie gesagt, das stimmt sicherlich mehr oder weniger alles. Aber was tue ich? Ich winke ab, nehme es nicht mehr ernst, wende mich ab, schalte weg und frage mich: Was geht mich das alles an? Und ehe ich mich versehe, desinteressiere ich mich.

Ähnlich bei Ebola. Es gibt sicherlich Grund zur Sorge. Gibt es immer. Man dürfte es vermutlich nicht runterspielen. Aber dann sehe ich, was die Medien daraus machen. Sie entfesseln einen Hype. Schüren Angst. Dazu ein ordentlicher Schuss Emotion und alle Welt ebolarisiert. Ich müsste dieses Sujet viel ernster behandeln. Aber der Chor der Stimmen, der in Funk und Fernsehen durcheinander quatscht und sich in (Auf-)Bausch und Bogen hineinsteigert, dieses Genuschel in Dauerschleife, es lässt mich angewidert wegblicken und vergällt mir jegliches Interesse. Wahrscheinlich ist das Resignation. Auf jeden Fall ein irrationaler Akt. Aber ich kann nicht raus aus meiner Haut. Ich kann einfach nicht so tun, als sei diese Kakophonie normal. Kann es nicht einfach überhören. Mir wird das einfach zu viel.

Ich mag es, wenn man Themenfelder dosiert. Nachrichten rationiert und letztlich rationalisiert. Wenn aber plötzlich diese mediale Maschinerie anrollt, die mit Donnergrollen aus jeder Meldung eine Dauerschleife macht, eine Ansammlung verschiedener Geschichten, die dann teilweise auch noch derart von Emotionsschmalz trieft, dann bin ich raus. Ich bin der Typ, der Nachrichten gerne zur Kenntnis nimmt. Ich will sie nicht verinnerlichen, als Lebensgefühl aufgedrängt bekommen. Will kein News-Emo sein. Malala wäre ja durchaus wert, dass man sich mit ihr befasst. Natürlich ohne falsche Romantik. Aber dieser Sensationismus, der sich an sie drangeheftet hat - und das teilweise schon vor dem Nobelpreis -, raubt mir jede Bereitschaft, dieses Thema überhaupt auch nur gedanklich anreißen zu wollen. Ja, ich will es nicht mal mehr zur Kenntnis nehmen. Ich weiß, Malala hat das nicht verdient. Nicht diese Verachtung. Und nicht diese Journalisten, die diese Verachtung säen.

Es gibt da eine ausgezeichnete Kurzgeschichte von Bukowski. Sie heißt ganz unscheinbar »Die Kneipe an der Ecke«. Es geht um einen Mann, der in eine ihm fremde Kneipe kommt, um dort ein Bier zu kippen und eine zu rauchen. Ein anderer Mann will mit ihm anbandeln und fragt nach einigen Dingen. Unter anderem, ob er das von den fünfzig kleinen Mädchen in dem Waisenhaus in Boston gelesen habe. Die seien dort verbrannt. »War das nicht entsetzlich?«, fragte er. Der Biertrinker antwortet ohne Emotionen, sagt, dass es vermutlich entsetzlich gewesen sei. »Sie vermuten es? Wissen Sie's denn nicht genau?« Der Mann trinkt weiter sein Bier und lamentiert, wenn er dabei gewesen wäre, hätte er mit Sicherheit sagen können, dass es entsetzlich war. Aber so ist es eine andere Situation für ihn: »... für mich wars nur eine Schlagzeile, verstehen Sie, eine Zeitungsmeldung. Ich hab mir nicht viel dabei gedacht und hab die Seite umgeblättert.« Der pure Hass schlägt ihm daraufhin entgegen. Die Kneipenbesucher, die den Dialog mitbekommen haben, wollen ihn lynchen. Aber auch für sie war dieser ehrliche Mann nur eine Unterbrechung der Monotonie. Und wie der Biertrinker die Waisenkinder mit dem Umblättern abhakte, so haben auch die Empörten den Biertrinker schnell wieder vergessen und gehen zur Tagesordnung über.

So brutal das jetzt auch klingen mag, dieser Ansatz nüchterner Einsilbigkeit ist für mich wahrscheinlich die einzige Art und Weise, wie man sich Nachrichten heute zu Gemüte führen sollte. Je mehr Emotion in eine Neuigkeit gelegt wird, desto schwieriger wird es, Nachrichten in rationaler Distanz aufzunehmen. Wer keinen Abstand wahren kann, der will nicht »benachrichtigt« werden, sondern möchte etwas für das Gemüt.

Wenn man dann auch noch bis zum Kotzen überinformiert wird, aus dem gefühlvollen Enthusiasmus ein Delirium wird, dann nehme ich die Haltung jenes Mannes an, der bei Bukowski ein Bier in einer ihm fremden Kneipe bestellt. Ich brauche diesen Abstand. Damit ich Sachlagen zur Kenntnis nehmen kann. Mich nicht in Gefühle verstricke, wo ich den Verstand benötige. Und ich brauche ihn auch, um leben zu können. Um weitermachen zu können. Wer sein Herz in den Weiten der Nachrichtenindustrie verliert, der hat endgültig verloren. Der ganze Zirkus ist ja eigentlich als Medium angelegt, folglich als Übermittler und Botschafter, nicht aber als etwas, was ans Herz gehen soll.

So drastisch wie der Biertrinker, würde ich es freilich nicht formulieren. Mein Taktgefühl funktioniert noch. Wenn auch immer schlechter, weil ich mich mit den Jahren immer schwerer damit tue, jemanden etwas vorzumachen. Aber summa summarum liegt er völlig richtig mit seiner Reserviertheit. Denn es gibt meiner Meinung nach nur zwei Möglichkeiten, diesem allgemeinen Trend der gefühlsduseligen Berichterstattung gegenüberzutreten. Entweder man konsumiert es so, wie es kommt, mit allen Gefühlsschwankungen. Dann ist man zwar nicht seriös informiert, dafür hat man etwas Seelenbalsam aufgetragen bekommen und hat was fürs Herz. Oder man grenzt sich von dieser schmierigen Journalistenart ab und nimmt in Kauf, dass manche Themen einfach an einem vorbeilaufen. Auch wenn sie es vielleicht wert wären, dass man sich tiefergehend mit ihnen befasst. Dazwischen gibt es meiner Ansicht nach nichts.

Sorry Malala, es geht also nicht gegen dich! Du bist sicher großartig. Sie machen halt nur alles mutiger und begabter, als es gewesen ist. »Es wird übertrieben. Die menschliche Rasse übertreibt alles. Ihre Helden, ihre Feinde, ihre Bedeutung.« Das ist nicht von mir. Es ist ebenfalls vom Altmeister. Von wem sonst? Wenn sie dich wieder seriös behandeln, den ganzen Kitsch weglassen, dann könnte ich mich für dich doch noch interessieren, Malala. Solange schalte ich aber auf Durchzug.

9 Kommentare:

Duderich 31. Oktober 2014 um 11:37  

Wie Du, liebe ich Bukowski, dem Godfather der enttäuschten Erwartungen. Neulich las ich eine Kurzgeschichte von ihm, die ebenfalls (wo sonst?) in einer Kneipe spielte. Er wurde gefragt, was er denn vom Krieg halten würde - mit ähnlichem Ergebnis.

Zum Spiel von B. mit Erwartungen und scheinbar alternativlos vorgegebenen Gefühlsreaktionen nachfolgend einer meiner Lieblingsgedichte von ihm:

Das Genie

Heute hab ich im Zug einen
genialen Jungen
kennengelernt.
Er war ungefähr 6 Jahre alt,
saß direkt neben mir,
und als der Zug an der Küste
entlangfuhr
sah man das Meer
und wir schauten beide aus dem
Fenster
und sahen das Meer an
und dann drehte er sich
zu mir um
und sagte,
“Das is nich schön.”

Da ging mir das zum
ersten Mal
auf.

Liebe Grüße,
Duderich

P.S.: Inhaltlich stimme ich mit Dir übrigens auch überein.

Die Cochones, bspw. Snowden den Friedensnobelpreis zu verleihen, wird dem Komitee wohl nie wachsen...

Sledgehammer 31. Oktober 2014 um 13:17  

Es ist dieser elende, oftmals ekelbehafte Erregungsjournalismus, der gesellschaftliche Katastrophen oder Sensationen konstruiert und dabei ungerechtfertigt Personen wie Ereignisse hervorhebt oder überbetont - vielfach dem Nichts, dem Banalen und dem Selbst eine großmäulige, plakative, betroffenheitsgeschwängerte Stimme verleiht - der das Ich wütend macht und das dessen plärrende Entsprechungen deshalb möglichst (ver-) meidet.

Anonym 31. Oktober 2014 um 14:22  

"Aber der Chor der Stimmen, der in Funk und Fernsehen durcheinander quatscht"

Wie soll denn vermieden werden, dass sich Nachrichten nicht auf allen Kanälen wiederholen? Soll das ZDF keine Nachricht bringen, die schon in der ARD war? Man hört oder sieht doch immer nur EIN Programm, und da quatscht nichts durcheinander, wenn es nicht gerade eine Talkrunde ist.
Wie soll denn das funktionieren? Sollen sich alle Sender ständig absprechen, wer welches Thema behandelt? Das würde die Einseitigkeit doch noch weiter zementieren. Sollen die Sender denn davon ausgehen, dass die Leute ständig hin- und herschalten und sich daher alle Sender stündlich absprechen, damit die Themen möglichst unterschiedlich sind?
Diesen "Chor der Stimmen", den gibt es ja nur, wenn man mehrere Sender gleichzeitig anmacht.
Die meisten Leute hören EINEN Sender.

ad sinistram 31. Oktober 2014 um 15:03  

Oh ja, da hat einer den Text grundsätzlich begriffen. Gratuliere.

Schlemil 31. Oktober 2014 um 16:06  

Ja, schlimm, dass in dieser Welt jeder funken und senden kann ohne verordnete Emotionalisierungsrichtlinien. Der gesunde Menschenverstand sollte diesen Leuten endlich mal eingetrichtert werden. Früher war das noch anders, da war die Erziehung besser, da hat das auch so funktioniert... und es gab nur eine handvoll Radio- und Fernsehkanäle. Ohne diese Konkurrenz und diesen unerträglichen Wildwuchs heute, dem man nicht mehr beikommen kann.

Braman 31. Oktober 2014 um 17:41  

"Nebelkerzen-Journalismus", das ist mein Begriff für diese Art der Berichterstattung. Tangiert mich aber eher wenig da ich dem TV schon lange den rücken gekehrt habe, Radio selektiv höre, bei den gedruckten Presseerzeugnissen auf absoluter Schonkost bin und im Internet nach der Überschrift, maximal der Einleitung weiß, ob ich weiter lesen will. Von daher stört mich dieser "NJ" nur, wenn er mir von Freunden und Bekannten dar gebracht wird. Allerdings nutze ich dann die Gelegenheit für eine, manchmal, erfolgreiche Diskussion über das, was die Medien uns täglich unterjubeln (wollen) und was tatsächlich für uns wichtig ist.
Ich werd mir doch nicht meine Nerven und meine Laune ruinieren indem ich mich über Nebelkerzen aufrege.
MfG: M.B.

Braman 31. Oktober 2014 um 17:42  

PS: Sei nicht so gemein zu 14:22

MfG: M.B.

Anonym 31. Oktober 2014 um 19:06  

Vielen Dank Roberto, das hat jetzt richtig gut getan!

Anonym 31. Oktober 2014 um 19:17  

Als Ebola erstmals auftauchte, ich meine hier im Westen, da wurde der Leser jeden Tag, und das ist gerade mal 3 Wochen her, auf der linken Seite von Google News Schlagzeilen über neue Katastrophen informiert so bald man auch nur die Seite anklickte. Das ist vorbei! Man muss jetzt schon nach Ebola in Google News suchen. Ist denn deshalb jetzt alles gut? Ist Ebola bald erledigt? Nein, es wird immer schlimmer, aber berichtet wird nicht mehr darüber, jedenfalls nicht mehr so intensiv wie vor 3 Wochen auf Google News. Warum ist das so? Wird Ebola langweilig, weil nicht mehr medienwirksam oder wird Ebola, von wem auch immer, aus den Schlagzeilen genommen um keine Panik im westlichen Volk aufkommen zu lassen. Oder folgt Google News einfach nur einem digitalen Algorithmus der vorgibt, das Ebola jetzt out sein muss?. Wie oft wird jetzt noch von ARD und ZDF über Ebola berichtet?

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