Roth wie Blut

Samstag, 11. Oktober 2014

Claudia Roth war wieder mal empört. Diesmal über die Türkei. Sie würde zu wenig tun gegen den Islamischen Staat. Und noch was hat sie gesagt, was allerdings kaum kommentiert wurde. Dieses Schweigen aber zeigt nur, wie stark die Logik der Gewalt und des Hasses schon die allgemeine Stimmung bestimmt.

In ihrer Tirade gegen die Türkei waren viele Punkte, die man aufgreifen und berichtigen müsste. Die Türkei dazu zu drängen, eine Grenzverletzung zu begehen, um letztlich damit auch gegen das Völkerrecht zu verstoßen, ist zum Beispiel schon ein burleskes Stück von epochalem Ausmaß. Als man glaubte, russische Soldaten würden dasselbe im Osten der Ukraine tun, war man nämlich noch ganz anderer Meinung. Dass man der türkischen Regierung aber gleich noch vorwirft, sie würde den Islamischen Staat deswegen unterstützen, weil sie verwundete IS-Kämpfer in Krankenhäuser medizinisch pflege, ist eine Aussage von so weittragender Unkultur, dass man es wirklich mit der Angst bekommen muss.

Klar, die Grünen waren schon mal Kriegspartei. Das wissen wir alle. Aber damals haben sie noch eine Rhetorik an den Tag gelegt, die kenntlich machen sollte: »Man treibt uns dazu. Eigentlich wollen wir ja nicht, aber die Welt ist nun mal ein Schlachtfeld. Was sollen wir denn machen?« Solche Ausflüchte hört man heute eher selten. Nicht mal mehr ein Feigenblatt hält man sich vor. Da steht tatsächlich eine Frau, die wahrscheinlich von sich selbst behaupten würde, pazifistische Positionen zu vertreten, im Namen des Humanismus unterwegs zu sein, und empört sich bitterlich, weil verletzte Menschen, die sie als feindliche Entität identifiziert hat, medizinisch versorgt werden. Die Alternative hierzu kann ja wohl nur sein, dass man verwundete Kämpfer liegen lässt oder weg schickt. Dass sie also verbluten, am Schmerz verrückt werden, jämmerlich verrecken. Oder will man mal wieder human sein und Gnadenschüsse erteilen?

Ach du liebes Bisschen, Claudia! War das nicht etwa mal die Logik deiner Großväter? Die haben es doch so gerechtfertigt. Sie haben erlöst, nicht getötet. Wolltet ihr nicht alles anders machen als die Generationen davor? Was ist davon geblieben und was ist aus Leuten wie dir geworden? »Menschlichkeit«, sagt dir das noch was? So weit ist es gekommen: Man muss das Wort schon in Anführungszeichen setzen.

Es mag Kriege geben zwischen verfeindeten Seiten. Konflikte und blutige Gewalt. Aber die Verwundetenpflege ist davon ausgeschlossen. Sie ist sakrosankt. Wer dagegen verstößt, macht sich der Kriegsverbrechen schuldig. US-Sanitäter pflegten einst auch verletzte Soldaten der Wehrmacht. Die Deutschen galten damals in der ganzen Welt als dieselben Schlächter, wie die Kämpfer des Islamischen Staates heute. Trotzdem behandelte man sie weitestgehend mit Menschlichkeit. Leider nicht immer. Die Genfer Konvention dürfte ja ein Begriff sein. Sie regelt, dass selbst in der größten menschlichen Katastrophe immer noch ein wenig Restmenschlichkeit bleibt. Sie will den Blutrausch wenigstens etwas hemmen. Oder sind IS-Kämpfer kein Fall für die Genfer Konvention, weil sie keine Soldaten im eigentlichen Sinne sind? Falls ja, dann ist Roth bloß ein anderes Wort für Bush und Guantánamo ungefähr dasselbe wie das Oktoberfest.

Spüren sie ihren sittlichen Verfall? Merken sie, wie sie immer mehr in eine Logik abdriften, die keinen Platz mehr für Menschlichkeit, für Mitleid mit dem Verletzten lässt? Klar, diese Schlächter werden nicht mit warmen Worten zu besänftigen sein. Aber wenn sie dann mit Wunden vor einem liegen, bleiben es doch trotzdem noch Menschen. Sie medizinisch zu versorgen ist kein Affront, wie Roth sagt. Es ist moralisch richtig und letztlich auch ein Akt der Würde gegen sich selbst. Denn wenn man den Menschen im Feind aufgibt, beginnt man sich würdelos zu verhalten. Heraus kommt dabei abgestumpfte Eindimensionalität. Oder eben eine Claudia Roth, die sämtliche Eckpfeiler der Zivilisation wegwischt.

11 Kommentare:

gerd 11. Oktober 2014 um 09:06  

Die ISIS ist eine Schöpfung des Westens, aber davon will der Mainstrem-verbildete NEU-Linke nichts wissen.

Anonym 11. Oktober 2014 um 12:10  

Wenn es um die Unterstützung der Türkei für diese Kämpfer geht, sollen diese Politiker einmal ihren seit Jahren vor Ort tätigen Geheimdienst fragen. Was diese Forderungen beweisen, ist nichts weiter als dass die Politiker dieses Landes keine Ahnung haben, was die "staatstragenden Dienste" alles hinter ihrem Rücken machen. Oder sie wissen Bescheid und stellen sich für die Weltöffentlichkeit dumm, nur um nicht eingestehen zu müssen, dass sie erstens geopolitische Spiele betrieben haben und zweitens, dass diese sich völlig ins Gegenteil verkehrt haben.

Was die Wundversorgung der Kämpfer angeht, so muss ich widersprechen.
Konventionen hin oder her.
Es sind und bleiben Menschen, aber ein jeder von diesen Kämpfern, der wieder gesund gepflegt wird, bedeutet potentiell wieder 5 Geköpfte nur weil sie dem falschen Volksstamm angehören oder eine falsche Lebensweise führen. Potentiell bedeutet es auch, dass der Krieg irgendwann seinen Weg nach Europa finden wird.
Im Gegensatz zu einer regulären wehrpflichtigen Armee hat sich ein guter Teil dieser Kämpfer ausgesucht, dort unten tätig zu sein.
Dies ist kein Szenario wie es im 20. Jahrhundert stattgefunden hat.

Anonym 11. Oktober 2014 um 15:11  

"[...]Dies ist kein Szenario wie es im 20. Jahrhundert stattgefunden hat[...]"

Hier muss ich widersprechen, denn zumindest was das Stillhalten der türkischen Militärs, incl. das Fernhalten der kurdischen Kämpfer von der türkischen Grenze angeht gibt es eine brutale Parallele.

Schon einmal etwas von Stalin gehört? Nein? Lies mal wie sich die "glorreiche" Rote Armee vor Warschau verhalten hat als der Aufstand Warschauer Partisanen und jüdischer Warschauer gegen die Wehrmacht blutig von dieser und der SS niedergeschlagen wurde - damals zum Ende des II. Weltkrieges hin.

Geschichte wiederholt sich eben doch - nur im Fall von Kobane als blutige Farce....die türkische Armee wartet sicher nicht ganz uneigennützig auf das Ende der Kämpfe und dann Gnade der vermeintlich "siegreichen" Seite - ich wag mich mal hier als Prophet (siehe "Warschauer Aufstand") - die Türkei marschiert dann in Kobane ein...und schlägt die Sieger blutig nieder....wie bereits erwähnt alles schon einmal dagewesen...nur in Europa zum Ende des II. Weltkrieges, und nicht im Nahen Osten....

Zynischer Gruß
Bernie

Anonym 11. Oktober 2014 um 15:13  

@Roberto J. de Lapuente,

Was die einst "pazifistisch, basisdemokratischen, ökologischen usw. usf." Grünen angeht, da geb ich dir völlig recht, die haben so ziemlich alles über Bord geworfen an welches die einst glaubten, und nicht nur beim Thema Pazifismus....

Zynischer Gruß
Bernie

Wolfgang Buck 11. Oktober 2014 um 18:57  

Leider fehlt diesem Kommentar zu Frau Roth der Link, bzw. die Quelle.

Ich hätte gerne selber gehört oder gelesen was dies Dame so verzapft.

Kannste vielleicht noch nachreichen? Danke! :)

ad sinistram 12. Oktober 2014 um 10:47  

Ich habe ihr Statement im Radio gehört. Bei welcher Gelegenheit sie es sagte, weiß ich nicht.

Anonym 12. Oktober 2014 um 11:38  

`Die ehemaligen Friedenskämpfer rechtfertigen heute mit "nie wieder Auschwitz" ihre kriegerischen Friedensmissionen.
Pervers!

"Roth wie Blut"
Klasse Überschrift!
Ansonsten volle Zustimmung.
Den IS haben wir der verfehlten Politik des Westens zu verdanken.

kh

AL 12. Oktober 2014 um 13:09  

@Anonym (2. Kommentar):
Ich muss Ihnen widersprechen. Auch freiwillige Kämpfer, die vielleicht Verbrechen begehen werden, haben ein unverbrüchliches Recht auf medizinische Versorgung. Man muss sie ja danach nicht ins Kampfgebiet zurücklassen, sondern kann sie bis auf weiteres festsetzen. In unseren Gefängnis werden auch Mörder, Vergewaltiger und Kinderschänder medizinisch behandelt - sollten wir das auch "aus Sicherheitsgründen" einstellen?

Der Türkei ist vorzuwerfen, dass ihre Grenzen für aktive und potentielle IS-Kämpfer weit offen sind, nicht aber, dass sie Verwundete behandelt. Was sich Frau Roth dabei gedacht hat, auf die Frage der Pflege Verwundeter abzuzielen, weiß wohl nur sie selbst...

Sledgehammer 12. Oktober 2014 um 14:02  

@ Wolfgang Buck
Frau Roths Statement zur Rolle der Türkei erfolgte am 08.Oktober 2014 im ARD-Morgenmagazin (moma).
Dieses Kurzinterview ist noch bis zum 16.10.2014 abrufbar.

Louis Andiel 12. Oktober 2014 um 15:01  

Ich denke nicht, dass "jeder gesundgepflegte IS-Kampfer aus Dankbarkeit fünf Leute köpft", im Gegenteil. Gerade dann, wenn jemand vollkommen entmenscht ist, sollte man mit gutem Beispiel voran gehen und Menschlichkeit zeigen. Im Übrigen sollte man mal darüber nachdenken, woher den diese ganzen "Unmenschen" kommen - irgendwer hat die ja gemacht? Und da kann ich nur sagen, das sind die Resultate einer komplett asozialisierten Zivilisation, die ihren Namen nicht verdient hat. Wer benzinklauende Kinder in Afghanistan in ihre Elementarteilchen zerlegt, der sollte sich sowieso nicht als Richter aufspielen - sondern lieber mal etwas Demut und Scham an den Tag legen. Und würden die USA und wir - die willigen Satansknechte - nicht Krieg und Terror in die ganze Welt tragen, gäbe es vermutlich überhaupt keinen. Schlussendlich sind wir, alle gemeinsam, selbst schuld an dem ganzen Desaster - das sollte man sich mal eingestehen. Und solange man Waffen produziert und Heere unterhält, ist der Faschismus sowieso nicht besiegt - daran sollte man sich mal zu schaffen machen, bevor man sich in anderer Länder Angelegenheiten einmischt. Claudia Roth war ja mal die Managerin von Rio Reiser. Der Ärmste würde im Grab rotieren, wenn er wüsste, was die Frau so treibt. Aber egal, macht weiter so! :)

Anonym 13. Oktober 2014 um 18:35  

In einem sehr interessanten taz-Artikel schildert Karim El-Gawhary, in welche Bedrängnis die arabischen Staaten durch die Terrorgruppe Islamischer Staat geraten. Viele unter ihnen haben jahrelang islamische Fundamentalisten unterstützt. Jetzt fordern sie ein Eingreifen Europas und der USA gegen den IS. Saudi-Arabien zum Beispiel, das sich noch ganz andere peinliche Fragen gefallen lassen muss: "Saudi-Arabien war letztes Jahr nach den USA, Russland und China das Land mit den vierthöchsten Militärausgaben weltweit. Zehn Prozent des Staatshaushalts wurden für moderne Waffensysteme ausgegeben, meist mit der Begründung, Saudi-Arabien müsse sich vor der iranischen Bedrohung schützen. Nun kommt die Bedrohung statt aus dem Iran aus dem eigenen sunnitischen Lager, und die ersten arabischen Kolumnisten fragen, wozu Saudi-Arabien all diese militärische Hardware besitzt, wenn sie in einer solchen Lage nicht gegen den IS zum Einsatz kommt und stattdessen der Westen um militärische Intervention angebettelt wird."

www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=sw&dig=2014%2F09%2F03%2Fa0078&cHash=a0ba7194dfcb0d5d4fee169c2ed45f4a

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