Die Kriegsbemalung auf den Schnauzen

Freitag, 17. Oktober 2014

Über die geistige Mobilmachung.

Wir sind so weit. Wir sind kriegsbereit. Unsere geistige Verfassung scheint geebnet zu sein. Man braucht nur so ein bisschen durch die Pinnwand bei Facebook klicken und man kann sehen, dass es genau so ist. Die gemäßigten, die besonnenen Stimmen sind Mangelware. Der Stoizismus kupiert. Selbst potenzielle Linke sind dort plötzlich Agitatoren des Krieges oder bekunden wenigstens ihre Solidarität mit dem Bombenkrieg. Der Islam ist in den sozialen Medien für viele natürlich nicht weniger als Faschismus. Und diese Dschihadisten seien nichts anderes als Tiere. Facebook scheint der Frontabschnitt zu sein, in dem die Verrohung und Barbarisierung popularisiert wird. Früher brauchte man Politruks, die durch die Reihen gingen, heute schwört sich der freie Teil der Welt in sozialen Netzwerken ein.

Ich traue dieser Tage meinen Augen kaum. Linke, Rechte, Konservative und Progressive, alle wollen sie mehr oder minder den militärischen Einsatz. Den Krieg. Einerlei ob nun unter UN-Mandat oder nicht. Warum nicht die Bundeswehr dorthin schicken?, fragen sie. Gegen den Islam, wäre das doch eine richtige Sache. Denn der Islam ist schlecht. Der Islam ist mörderisch. Der Islam. Es gibt ja nur den einen, so wie eben ein amerikanischer Evangelikaler und Frau Fromm, die nur Ostern in die Kirche geht und auch ansonsten nicht betet, »die Christen« sind. Das ganze verfluchte Internet ist voll von diesem »Der-Islam-ist-...«-Gewese. Jeder Trottel hat eine Ansicht zum Thema. Ansicht, aber keine Ahnung. Meist sondern sie nur Ungehobeltes, Dummes und was weiß ich alles ab.

Mann, der Islamische Staat ist die beste Erfindung, die man sich denken konnte - nicht wahr, Herr Gauck? Die Generalmobilmachung der Gemüter funktioniert heute mit Daumen nach oben. Jeder noch so ahnungslose Idiot weiß dort ein Statement abzugeben. Zusammenhangslos. Geschichtsvergessen. Einfach nur vom Gefühl der Rache angeleitet. Vor kurzem sah meine Pinnwand, diese Summe aller »Freunde«, die ich mir dort irgendwann zugelegt habe, noch anders aus. Man zürnte dem Militärpfarrer, der Krieg fordere. Im Angesicht des IS sieht dieselbe Pinnwand plötzlich ganz anders aus. Selbst das Bombardement verteidigt mancher. »Schlichtes Weltbild« nennt man es, wenn man das für einen falschen Weg hält. Und Christine Buchholz, linke Bundestagsabgeordnete, kriegt ihr Fett weg, weil sie glaubt, dass Bomben keinen adäquaten Lösungsansatz liefern. Ich las Stellungnahmen von Autoren und Bloggern, die sich davon distanzierten und von Schamgefühl quatschten. Wie kommen diese Leute jetzt alle dazu, Bomben als Grundlage einer neuen Ordnung zu akzeptieren? Bomben, die gestern auch die zerrissen, die verteidigt werden sollten ...

Die Kurden sind plötzlich ein Vorposten eines Westens geworden, in dem der ideologische Burgfrieden ausgebrochen ist. Wer hat sich denn vorher für die Sorgen der Kurden interessiert? Aber plötzlich sind sie die Herzensangelegenheit aller. Auch der Dummköpfe, die ihren Hass auf den Islamischen Staat freien Lauf lassen und es dann auch noch Meinung nennen. Einen muslimischen Blogger, den ich auch in meiner Freundesliste habe, und der versucht, dieser islamophoben Eindimensionalität Einhalt zu gebieten, nennt man dort einen »Muslim«. Muslim in Anführungsstrichen. Denn er ist friedlich, wortgewandt und humorvoll. So kann doch kein Muslim sein. Der kann zwar von denen abstammen, aber so richtig ist er sicher keiner. Das sind doch alles Tiere.

Ich könnte hier so viele Frechheiten, Anstiftungen, Gewaltbekundungen, Pogrommotive, Beleidigungen, Entmenschlichungen und Brachialrhetorik auflisten, dass dieser ganze Freitagvormittag mit dem Lesen dieses Verzeichnisses draufgehen würde. Was da anschwillt, das ist die Bereitschaft dazu, sich jetzt in einem gerechten Krieg hineinzufühlen. Endlich sind die Leitmotive da, die diese an sich pazifistische Masse aufrüttelt. Emotionalisiert durch TV-Bilder glaubt man nun, man dürfe nicht mehr falsch friedfertig sein. Pazifisten sind plötzlich die wirklichen Kriegstreiber. Denn wer nicht kämpft, der will den Untergang, belehren sie einen. Sie klingen wie Vulgärdarwinisten, wie Hitler, der über den Kampfwillen als Grundlage des Lebens rezitierte. Dabei tun sie noch so, als sei alles nur noch alternativlos.

Was mich erschreckt ist nicht die Entdeckung, dass es vermutlich ohne militärischen Druck nicht zu einem Ende dieses Terrors kommt. So ist die Welt zuweilen. Aber dass plötzlich ein Massenpublikum Parolen ruft, wie sie Kriegsherren brauchen, um relativ unkontrolliert ihres Amtes walten zu können, das macht mir Sorgen. Mit Geschöpfen, die so beschaffen sind, kann dieser Schwachsinn hemmungslos vollzogen werden. Geht von mir aus als internationale Koalition von Bodentruppen dorthin. Aber auch in diesem Falle wollte ich eine Öffentlichkeit, die nicht  »Hurra!« schreit und bei jeder erfolgreichen Frontmeldung so tut, als seien tote Menschen ein Grund zur Freude. Schließlich seien es ja nur Tiere, die man mordet. Mit Zoomorphismen war es immer leichter. Die Tutsi waren Schaben. Und Juden Ratten oder Ungeziefer. Dass Krieg stattfindet, das ist ja schon schlimm genug. Wenn er aber stattfindet und die Menschen unterstützen den Einsatz ohne Skepsis und in naiver Umnachtung, dann ist das ein moralischer Niedergang.

Der Krieg steht vor der Türe, die Gemüter sind abgestumpft genug, für Einfühlungsgabe unempfindlich. Diese Haltung färbt auch auf zukünftige Konflikte ab. Ich las irgendwo auf meiner Pinnwand einige Kommentare. Dort hieß es, dass man mit den Problemen, die der islamische Teil der Welt habe, endlich mal Schluß machen müsse. Endgültig. Ihnen Regeln auferlegen. Ich befürchte, diese Denkweise setzt sich langsam durch. Die Kriegsbemalung ist schon auf diese Schnauzen aufgetragen. Wir sind bereit. Im Kopf. Als Gesellschaft. Für das große Schlachten. Für die Verantwortung in der Welt.

12 Kommentare:

Eric 17. Oktober 2014 um 09:17  

Genauso sehe ich das auch, Roberto!

Und der IS ist natürlich nicht Der Islam! Aber leider geopolitisch und medial als nützlicher Idiot von unschätzbarem Wert für Gauck(ler) und co.

Und hinzu kommt: "Her mit dem Krieg", schreien alle diese Idioten... bis wir den Krieg wirklich hier haben!

Gruß aus Kreuzberg

Eric

Sledgehammer 17. Oktober 2014 um 10:06  

Die von Lord Ponsonby in seinem 1928 erschienenen Buch "Falsehood in Wartime" benannten " Zehn Prinzipien der Kriegspropaganda" verfangen allzeit neu.
Die heutigen Kommunikationsstrukturen beschleunigen lediglich den Kampf um die (Hohl-)Köpfe.
Auf Fakten basierte Erkenntnisse, die man sich individuell erst mühsam erarbeiten müsste und die der offiziellen Lesart widersprechen, sind dabei eher inopportun.
Der einmal aktivierte Mob mag es simpel, schätzt die einfachen, griffigen - von vertrauten "Fressen" - mit Penetranz vorgetragenen Formeln und Antworten, um für sich daraus alsbald das Recht abzuleiten, geifernd den Blutzoll der vermeintlichen wie eidetisch vorgeführten Aggressoren einzufordern.

Anonym 17. Oktober 2014 um 12:19  

Danke!
Du sprichst mir aus dem Herzen.

Anonym 17. Oktober 2014 um 13:44  

Sollte es hier mal wirklich dazu kommen, dass jemand geköpft wird, oder ein größerer Anschlag verübt wird, möchte ich nicht in der Haut hiesiger Muslime stecken. Dann ist der Pöbel nicht mehr zu auf zu halten.

Anonym 17. Oktober 2014 um 15:55  

Nun, den Sindoctors ist wohl aufgegangen, dass insbesondere die Deutschen sich nicht so leicht gegen die Russen in Marsch setzen lassen. Das Kalkühl ist wohl, hat der deutsche Michel erst mal bei den Muselmanen wieder Blut geleckt, lässt er sich auch wieder gegen die slawischen Untermenschen mobilisieren. Man könnte laut schreien angesichts von so viel zynischer Menschenverachtung.

Anonym 17. Oktober 2014 um 17:55  

Was mich am meisten an diesem ganzen Kriegsgeschwätz stört ist, dass er uns als alternativlos verkauft wird und wer dagegen argumentiert wird als naiver Idiot abgestempelt.

Wann haben wir eigentlich aufgehört miteinander zu diskutieren, wenigstens zu versuchen einen Konsens zu finden?
Dabei meine ich nicht nur dieses Thema hier, allgemein sind die Leute nur noch auf Konfrontation aus, der Zementierung des eigen Standpunktes. Merke ich auch immer wieder in meinem Freundeskreis. Früher haben wir noch miteinander geredet, den eigenen Standpunkt und die eigenen Fehler überdacht und auch mal dem anderen Recht gegeben. Heute klammern sich die Leute nur noch an ihre Wahrheit und am liebsten verteidigen sie sie, in dem der andere zum Vollidioten erklärt wird.
Ich mache dafür vor allem zwei Dinge verantwortlich, das Internet und den vermeintlichen Sieg des Kapitalismus und damit unserer Lebensweise. Früher gab es wenigstens noch Alternativen, aber heute können wir uns einreden, dass unsere Art zu leben die einzig wahre ist.

Anonym 17. Oktober 2014 um 18:10  

Dieses „Der-Islam-ist...“ Gerede geht mir nur noch auch den Sack!!!
Ich hab keine Lust auf „Kampf der Kulturen“ und genau darum geht es ja bei der ganzen Sache.
„Der Kampf der Kulturen, wenn es ihn denn gibt, ist immer nur ein Kampf der Religionen“
Hagen Rether
Diesen Kampf müssen wir nicht führen, aber leider scheinen ihn ja viel unbedingt führen zu wollen.
Profitieren werden von dieser Ablenkung am Ende wieder nur ein paar Kapitalisten.

Anonym 17. Oktober 2014 um 18:24  

@ Anonym 17. Oktober 2014 15:55

Interessante Theorie!
Ich bin selbst immer wieder überrascht, wenn ich Arbeitskollegen, Verwandten und Bekannten so zuhöre, die sonst nicht gerade durch kritisches Denken auffallen. Auf einmal betrachten sie den Ukrainekonflikt differenziert, reden von Propaganda und glauben nicht mehr was in der Presse steht. Sogar der Bild wird nicht geglaubt!
Allerdings scheinen einige von denen auch den Putin zu mögen, deswegen bin ich jetzt mal gemein und behaupte, die Hetze gegen Russland verfängt bei den Deutschen nicht, weil sie sich im Grunde nach einem starken Mann wie Putin sehnen.

Anonym 17. Oktober 2014 um 21:59  

Ich warte fürchtend auf den Moment, wo sich Selbstmordattentatsbereite dazu nutzen lassen, sich mit Ebola zu infizieren und dann in europäische Städte einreisen. Das wäre dann das Ergebnis der US-Politik der letzten Jahrzehnten, in denen man die dritte Welt im ökonomischen Würgegriff hielt.
Ich muss dabei immer an das Zitat von Jon Lennon denken:
Unsere Gesellschaft wird von Verrückten geführt, für verrückte Ziele. Ich glaube wir werden von Wahnsinnigen gelenkt, zu einem wahnsinnigen Ende, und ich glaube ich werde als Wahnsinniger eingesperrt, weil ich das sage. Das ist das wahnsinnige daran.

Anonym 18. Oktober 2014 um 12:11  

Ich fühle mich rund dreißig Jahre in die Vergangenheit zurück versetzt, als ich den Kriegsdienst verweigert habe. Und wieder gilt, wer nicht zum Töten bereit ist, als Drückeberger.

Anonym 18. Oktober 2014 um 14:31  

Stimmt, IS ist natürlich nicht Islam.
Aber schließlich hat der Islam ja auch nichts mit dem Islam zu tun...

Anonym 20. Oktober 2014 um 06:03  

Als Ergänzung noch die Stimme eines Ex-Salafisten bzw. -Islamisten, die auch einmal gelesen werden sollte:

"[...]Ahmad Mansour – Überlegungen eines Ex-Salafisten

"Einen Islam zeigen, der mit Radikalismus nichts zu tun hat"[...]"

Quelle und kompletter Text:

https://hpd.de/artikel/10323

Die Gleisetzung von Islam = Faschismus soll wohl davon ablenken, dass die westliche Gegenideologie, der Neoliberalismus, selbst faschistische Wurzel hat - man kann es nicht oft genug erwähnen, der Marktradikalismus auch Neoliberalismus genannt wurde mitsamt den Neokonservatismus in dem Land des Faschisten, Massenmörders und Diktators Pinoquet geboren...und ist unsere herrschende Kriegsideolgie hier im Westen....

Gruß
Bernie

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