Der Parteivorsitzende, der sich mit Bin Ladin traf

Samstag, 1. November 2014

oder Aber Allende war beeindruckender.

An was krankt die Sozialdemokratie? Das fragen wir uns seit Jahren. In nuce wahrscheinlich an Leuten, die hoch hinaus wollen und dann dort angelangt, alle ihre Vorhaben und Vorstellungen vergessen. Der amtierende Parteivorsitzende entspricht diesem Typus in Reinkultur.

Letzte Woche war er wieder mal stolz wie Oskar. Das heißt, nicht wie »Oskar«. Der sitzt ja jetzt in der Linkspartei und das Wort »Stolz« sollte man mit diesem Namen nicht in einem Satz verwenden müssen. Zumindest, wenn man das Sozi-Parteibuch besitzt. Gabriel hat eins, also war er stolz wie Gerhard. Aufgestiegen aus Ruinen und der Zunft ganz zugewandt. Der Zunft der Eliten, ihrer Macher und Vollstrecker, den alten Funktionseliten, die »es zu was gebracht« haben. Leuten wie Kissinger zum Beispiel. Mit dem hat Gabriel geschwatzt, hat er bei sich auf Facebook verkündet. Anderthalb Stunden. Es sei sehr beeindruckend gewesen.

Das Scheidungskind aus Goslar hat es weit gebracht. Ich schreibe das nicht, um einen Makel zu betonen. Es ist ein Status. Man muss es ohne Wertung erwähnen dürfen. Er ist stolz darauf, doch etwas geworden zu sein. Man merkt es. Selbst wenn er mit Kissinger, diesem Reptil von einem Friedesnobelpreiskrieger, ein Kännchen Kaffee teilt, sickert ihm Stolz aus jeder Pore. Als wollte er sagen: »Seht her, ich hab es zu was gebracht. Selbst Henry nimmt mich jetzt wichtig. Tut ihr es gefälligst auch.« Ganz egal, über was er sich mit ihm unterhalten hat - wahrscheinlich war es das Freihandelsabkommen -, so eine Zusammenkunft adelt den Parvenü, wertet ihn auf. Egal, ob der Gegenüber ein Schreibtischgangster, ein Völkerrechtsverbrecher oder einer ist, der Mordaufträge erteilte. Als homo novus wird man blind für solche Kinkerlitzchen.

Ich wollte dem Sozialdemokraten ja raten, dass er sich lieber mal mit Salvador Allende treffen sollte, um sich mit ihm über Partizipation oder die freche Art von Geheimdiensten zu unterhalten. Da hätte er was lernen können, was auch der Sozialdemokratie geholfen hätte in dieser schweren Zeit. Aber dann fiel mir ein, dass es Allende gar nicht mehr gibt. Das hatte ich ja fast vergessen. Er starb an 9/11. Nein, nicht in den Türmen. Es war das 9/11 im Jahr 1973. Und es war ein vom amerikanischen Geheimdienst unterstützter Putsch. Die damalige Boeing steuerte also die CIA in die Hochhäuser der chilenischen Demokratie. Der Planungschef, der Bin Ladin hinter dieser ganzen Aktion, hieß seinerzeit Kissinger. Schon beeindruckend. Wirklich. Aber Allende war beeindruckender.

Exakt diese Sorte von Sozi ist es, die diese Partei im Laufe von Jahren völlig jeglicher inhaltlichen Substanz beraubt hat. Wenn der Stolz des sozialen Aufsteigers nur noch darin besteht, zu denen, die schon oben sind, moralisch aufzuschließen, dann ist die Verkommenheit perfekt. Die Sozialdemokratie wollte den Aufstieg durch politische Arbeit mal nutzen, um die Gesellschaft zu verändern. Heute nutzt man ihn, um einfach nur jemand sein zu können, etwas darzustellen. Die ehemaligen Nachbarn aus Goslar oder wer weiß woher sollen anerkennen, dass es der rundliche Hosenscheißer von einst doch zu was gebracht hat. Das treibt solcherlei Aufsteiger an. Verantwortungsgefühl ist kein Antrieb. Eher Hemmnis. Und Ideale? Och bitte, jetzt werden Sie doch nicht kindisch! Dass man jedenfalls neuen Wind in die verknöcherten Oberschichten bringt, scheint heute ausgeschlossen. Man will lieber selber ein alter Knochen sein. Das gibt Sicherheit.

Er hätte Kissinger ja stehen lassen können. Wer hätte es ihm verübelt? Der alte Schmidt vielleicht, der mit Henry befreundet ist? Und wenn schon! Aber die Chance war wohl zu verlockend. Denn wenn erst all die Leute aus der alten Siedlung, die uns immer ein bisschen herablassend behandelt haben, jetzt aus der Zeitung erfahren, dass ich mit Kissinger beraten habe, dann werden sie erröten vor Ärger, mag er sich gedacht haben. Solche kleinen intimen Befindlichkeiten treiben die Sozialdemokratie an. Eine Utopie ist es schon lange nicht mehr.

13 Kommentare:

Anonym 1. November 2014 um 10:08  

...was soll am von Gabriel erwarten.....so wie sein Kumpel Schröder emporgekommen aus einer unteren Schublade und vergessen woher er kommt.....

Braman 1. November 2014 um 13:16  

Ja, es ist schon erstaunlich und auch interessant, die Metamorphose eines 'Unterschichtlers'mit anzusehen.
Die 'Oberschichtler' beobachten natürlich die Aktivitäten politisch und wirtschaftlich aktiver 'Unterschichtler', bewerten sie nach den Kriterien: Nutzt er oder kann er unseren Interessen Schaden.
Kann er diesen Interessen Schaden wird er mit den zur Verfügung stehenden Mitteln (Medien, Justiz usw.) 'neutralisiert'.
Nutzt er jedoch, dann wird er gefördert, erhäkt Amt, Macht und Prestige und, als Ritterschlag, die persönliche Aufmerksamkeit eines Mitglieds dier 'Oberschicht'.
Das hat john Lennon mit seinem Lied "Working Class Hero" sehr schön beschrieben. Es ist so gut wie nie zu hören im Radio, in den uSA war es in einigen Bundesstaaten sogar verboten.
Seine zunehmend kritische Einstellung gegenüber dem 'System' hat ihm wohl auch sein Leben gekostet.

MfG: M.B.

Sledgehammer 1. November 2014 um 13:45  

Der extensiv entbeinte und seiner Organe beraubte, mit Stroh gepolsterte Kadaver der SPD manifestiert sich in persona in diesem präpotenten Provinzfürsten.

Anonym 1. November 2014 um 16:09  

"Die neue politische Trennlinie in Europa scheidet nicht rechts von links, Sozialdemokraten und Konservative, sondern jene, die sich im postideologischen Zeitalter anpassen können, und jene, die sich aussortiert und ohne Stimme fühlen. Diese Art von Spaltung hat zwar immer schon exisitert. In der Vergangenheit aber konnte dies Gefühl der Enteignung und Einflusslosiskeit politisch durch die Organisationen der Linken und der Arbeiterbewegung ausgedrückt werden. Das war einmal."
http://kenanmalik.wordpress.com/2014/05/18/europes-new-faultline/

ad sinistram 1. November 2014 um 16:19  

@Braman, schön dass hier mal einer den "Working Class Hero" ins Gespräch bringt. Und weil er im Radio nicht läuft, lege ich ganz oft die CD ein. Drehe auf und gebe Gas. Schade, denn denen, denen ich den Text um die Ohren hauen möchte, verstehen kein Wort davon...

maguscarolus 1. November 2014 um 17:09  

Freilich sind solche sozialdemagogische "Erfolgsstories" à la Schröder, Gabriel, Müntefering, etc. zum Fortrennen, aber ist nicht die übergeordnete Kategorie die, dass nur Arschlöcher in die oberste Führungsebene aufrücken? (Ausnahme Willy Brandt)

Und da ist die Menge der Kandidaten aus der Oberschicht bei weitem die Mächtigere, weil dort die A-Erziehung schichtspezifisch schon mit der Muttermilch verabreicht wird, während die von unten kommenden Aspiranten erst mal ihr "ich will da rein!" ans Tor des Kanzleramts hin pinkeln müssen.

Aber schichtübergreifend gilt: Ein A ist ein A und bleibt ein A.

Anonym 1. November 2014 um 22:48  

Danke, Herr De Lapuente! Wie immer auf den Punkt gebracht. Nannte man das nicht früher auch einmal Großmannssucht? Oder war es Kleingeist?

Anonym 2. November 2014 um 14:20  

roberto: stimmt einfach nicht , dass die spd heute keine themen hat, einwanderung von nicht-eu-bürgern und trainigsmaßnahmen oftmals ohne sinn für arbeitslose hats du vergessen!

Wolfgang Buck 2. November 2014 um 21:11  

Gabriel hat sicher viel für seine Karriere getan. Gebuckelt, geschuftet, sich verbogen. Heute kann er sich zu den Gewinnern zählen (na, wenigstens zu den kleineren Gewinnern...). Da kommt man doch gerne mal mit den gaaanz großen Gewinnern wie Kissinger zusammen. Alende hingegen zählt zu den Loosern. Tot, vergessen. Nix für Möchte-Gern-Macher wie Sigi Pop.

Anonym 2. November 2014 um 21:25  

"Die Sozialdemokratie wollte den Aufstieg durch politische Arbeit mal nutzen, um die Gesellschaft zu verändern. Heute nutzt man ihn, um einfach nur jemand sein zu können, etwas darzustellen."

Wenn ich Robert Kurz richtig lese, geht eine Sozialdemokratie aus dem Liberalismus hervor.
In sofern kann und konnte von irgendeiner gesellschaftliche Veränderung im Sinne von Verbesserung niemals die Rede sein.
Das ist natürlich auch und gerade Gabriel klar - sein Treffen mit Kissinger nur Konsequent.

Gruss Markus

Anonym 3. November 2014 um 12:11  

"Wer betrügt, der fliegt." (Horst Seehofer)

"Wer betrügt, der sitzt." (Sahra Wagenknecht)

Eine wie der andere...

Anonym 7. November 2014 um 00:41  

Erst jetzt mal wieder auf der Seite.

Crumb - die Zeichnung wurde ja perfekt von Zappa in - Im The Slime - umgesetzt.

Anonym 15. November 2014 um 12:09  

... ich fürchte, Sie haben recht mit Ihrer Interpretation der Beweggründe ...

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