Karl-Eduard ist jetzt gegen die SED-Nachfolgepartei

Montag, 27. Oktober 2014

Letzte Woche war das allgemeine Stimmungsbild in den Medien wieder mal eindeutig. Ein schlechte Zeit für die Demokratie sei das, weil Die Linke, die jetzt wieder verstärkt »die SED-Nachfolgepartei« heißt, nun doch eine Landesregierung leiten dürfe. Man muss sich indes fragen, ob dieser Mainstream überhaupt noch eine Ahnung davon hat, wie man Demokratie definiert.

Von einem »Schlag ins Gesicht« war die Rede. Für einen linken Ministerpräsidenten seien die Menschen vor 25 Jahren nämlich nicht auf die Straße gegangen. Schon klar, sie kannten Ramelow damals gar nicht. Aber mal im ernst: Für was sind sie es denn dann? Etwa für eine Große Koalition, die mit autokratischer Allmacht über alle parlamentarischen Bedenken hinweg regieren darf? Ist dieses unangefochtene Durchregieren etwa gar eine Sternstunde der Volksherrschaft? Und in einem demokratischen System sollte die Abwahl einer Regierung ein ganz normaler Umstand sein, nicht wahr? Wie kann man dann den thüringischen Regierungswechsel als schlecht für die hiesige Demokratie bewerten? Aber die ewige Kanzlerschaft, dieses unablösbare »Weiter-so!« bei gleichzeitiger Konzeptlosigkeit, die ist gut für die Demokratie, oder wie?

Schon komisch, über diese Unausgewogenheiten regt sich der Mainstream nicht auf. Aber über eine kleine thüringische Landesregierung, die ungefähr so viel Einfluss auf die Bundespolitik hat, wie ein verletzter Regionalligaspieler auf den Leistungseinbruch der Nationalmannschaft, regt man sich gar tierisch auf. Sie soll der Abgesang des demokratischen Gedankens sein. Das behaupten dieselben Schreiberlinge, die den Maidan-Putsch und die daraus folgenden »demokratischen Umstrukturierungen« als einen weiteren Meilenstein der demokratischen Erfolgsgeschichte feierten. Diejenigen, die Tymoschenko und Chodorkovskij als Vertreter eines neuen freien Ostens hochleben ließen und faschistische Tendenzen im ukrainischen Erwachen als demokratischen Frühling wahrnahmen.

Ausgerechnet diese Experten in Sachen Demokratie sind nun besorgt, weil Die Linke zu einem Fitzelchen Geltung kommt. Zu einigen Brösel vom ganzen Kuchen. Da bricht denen schon die Welt zusammen. Als ob Mielke bald selbst Ministerpräsident würde. Wo sehen diese Leute denn bitteschön Wiedergänger Honeckers? Sie sind ja nicht mal deren Kinder. Sie haben sich zur Distanzierung von der DDR drängen lassen. Taktisch nicht unklug. Aber unter Linken ist man sich doch ohnehin einig, dass die DDR niemand mehr haben will. Verdammt, warum reden wir denn jetzt schon wieder von der DDR? Was hat die denn mit Ramelow zu tun? Der Mann hat ja nicht mal »drüben« gelebt.

Aber es ist doch so, dass jeder von irgendwo herkommt. Ein Teil von Die Linke hat ihre Wurzeln in dem Fragment einer Partei, die mal die DDR leitete. Die Union und die Liberalen waren Sammelbecken für Leute, die mal ein Reich führten. Aber was haben diese ollen Kamellen zum Beispiel mit Kauder oder Lindner zu tun?

Ich glaube nicht mal, dass die Leute vor 25 Jahren auf die Straße gingen, weil sie auch ein Stückchen politische Landschaft der Bundesrepublik wollten. Es war doch alles eher viel banaler, viel unpolitischer. Man hatte die Mangelwirtschaft satt, wollte konsumieren. Ich schrieb vor vielen Jahren darüber. Wer »Auf die faule Haut« kennt, der erinnert sich vielleicht an das kurze Essay. Erst später erzählte man sich, der Kapitalismus sei so begehrt gewesen, dass er gewinnen musste. Aber anderes war damals möglich. Nur darum geht es gerade nicht. Deshalb zurück zum roten Faden: Tun wir mal für einen Augenblick so, als seien die Leute damals wirklich politisch motiviert auf die Straße. Tun wir mal so, als sei es ihnen um die Demokratie gegangen. Was hätten sie gewollt? Nicht auch Landesregierungen, die wechseln können? Alternativen?

Sie sind sicher nicht auf die Straße gegangen, um Jahrzehnte danach einigen Journalisten zuhören zu müssen, wie sie aus einer sozialen Alternative eine SED-Kaderschmiede stilisieren oder wie sie uralte Episoden aufwärmen, mit denen die heutigen Protagonisten so gut wie gar nichts mehr zu tun haben. Ob sie wohl auf die Straße gingen, damit sie ihren alten Karl-Eduard von Schnitzler gegen neue, modernere von derselben hetzerischen Sorte eintauschen konnten? Nein, nicht Die Linke als Teil einer Regierung stößt den Menschen, die damals protestierten, vor den Kopf. Es ist dieser Mainstream, diese kleinkarierten Meinungs- und Scharfmacher, die demokratische Normalitäten skandalisieren, die ins Gesicht dieser Menschen schlagen.

8 Kommentare:

Ströbitzer49 27. Oktober 2014 um 10:31  

Als ich vor 25 Jahren auf die Straße ging wollte ich keinen Karl-Eduard
von Schnitzler und auch keinen Löwental mehr sehen und hören.
Heute stehe ich fassungslos vor ihren
Kopien.
Vielen Dank für Ihren großartigen
Artikel.

Anonym 27. Oktober 2014 um 10:55  

Wie immer voll ins Schwarze getroffen, aber was die CDU/CSU, und sogar die FDP, angeht, da liegst du mit dem Vergleich von Filbinger/Globke, und anderen Ex-Nazis in der CDU/CSU/FDP, sicher nicht daneben, aber die Sache wird noch perverser, denn Merkel hatte ja mit den Blockparteien der Ost-CDU bzw. Ost-FDP nie Probleme

(ja, die soll es auch gegeben haben, die Blockparteien in der DDR, die mit der SED gemeinsam "regieren" durften)

nur mit der SED von der Sie als FDJ-Agitatorin hat die gute zum neoliberalen Thatcherismus Merkel so ihre Probleme.

Ist übrigens in jeder Ideologie so, die "Neubekehrten" sind die schlimmsten Gegner der vermeintlich falschen Ideologie, die diese einst ebenso vehement verteidigt haben, wie die diese Ideologie nun bekämpfen.

Merkel ist da keine Ausnahme.....

Übrigens, unter "Ideologie" zähle ich auch die Religion, aber dies ist ein anderes Thema, dass ich hier nicht weiter vertiefen will.....nur soviel, die fanatischsten Islamisten sind diejenigen, die neu zum Islam konvertiert sind, und nicht die Muslime, die schon immer den Islam gelebt haben....

Gruß
Bernie

Anonym 27. Oktober 2014 um 11:43  

ANMERKER MEINT

Nun ja, es geht wie immer ums Große und Ganze.
Nämlich darum, diesen blöden Ossis einzublaeuen, was es heißt in unserem politischen System zu leben: Anti kommunist zu sein! Und wer das nicht begreift, soll doch gefälligst "drüben bleiben"!

MEINT ANMERKER

Reinard 27. Oktober 2014 um 12:20  

Befreiend klar.

Anonym 27. Oktober 2014 um 14:07  

roberto: mir wäre neu, dass die ost-liberale und ost-cdu die großen widerständler in der ddr waren, darüber wird selten geredet. die gesamte polit. diskussion läuft über die jornalisten, welche oftmals "huren der macht" sind!!wieso bist du eigentlich so gegen direktdemokratische elemente? wie soll sich ohne stärkere polt. partizipationsmöglichkeiten fürs volks was ändern?

maguscarolus 27. Oktober 2014 um 15:57  

Es ist dieser Mainstream, diese kleinkarierten Meinungs- und Scharfmacher, die demokratische Normalitäten skandalisieren, die ins Gesicht dieser Menschen schlagen.

Und? Merken's die Geschlagenen? Die kollektive Demenz ist mittlerweile schon so weit voran geschritten, dass nichts wirklich Wichtiges mehr bis in das Bewusstsein vor dringt.
Das Fernsehprogramm bis ca. 22:00Uhr bildet diese Trostlosigkeit korrekt ab.

Anonym 27. Oktober 2014 um 16:34  

skandal, skandal, daß eine regierung auf landesebene mit einem womöglich linken ministerpräsi möglich ist....
wo bleibt denn der aufschrei der mainstreamkamarilla über unsere ehemalige sekretärin für agitprop der fdj - vulgo mutti - oder diesen kriegsgeilen oberpräsideppen, dessen vorvorgänger gehen musste weil er den krieg in afghanistan einen krieg nannte?!?
meint der psychotiker

Anonym 27. Oktober 2014 um 17:58  

Was ist eine Partei, die die Mitglieder einer Partei vollständig übernimmt? Natürlich eine Nachfolgepartei. Diesen Schuh sollte sich die Linkspartei anziehen und offensiv damit umgehen, statt zu versuchen, dies unsinnigerweise zu leugnen.

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