Das Schaufenster des Ostens

Freitag, 3. Oktober 2014

oder Gedanken zum Tag der deutschen Reinheit.

Die ganze Republik diskutiert darüber. Ganz Deutschland. Mindestens. Alle spüren sie jetzt der Frage nach: War die DDR ein Unrechtsstaat? Und wie stehts - war sie es? Keine Ahnung. Die Antwort ist ohnehin langweilig und bringt wenig Erkenntnis. Aber machen wir uns halt mal am Tag der deutschen Einheit darüber Gedanken. Ganz wie es sich gehört. Schön staatstragend.

Hören wir mal, was die Leute so sagen und tun:

»Die DDR war ein Unrechtsstaat«, sagte der private Sicherheitsmann aus dem Asylbewerberheim, faltete die Zeitung zusammen, legte sie weg, griff Bilal am Genick und sperrte ihn unter Tritten für sieben Stunden in den Isolationsraum.

»Doch, die DDR war ein Unrechtsstaat«, erklärte der Bundespolizist seinem Kollegen, bevor er einen Pulk von Fahrgästen am Bahnsteig erblickte, auf einen der Leute deutete und sagte: »Komm Klaus, den Neger dort kontrollieren wir mal genauer.«

»Ha, das vergangene Deutschland war Unrecht«, sagte der Anwalt von Bernie Ecclestone und bereitete sich auf einen neuen Prozess vor.

»Die DDR bestand aus Unrecht«, formulierte der Redakteur einen Satz in seinem Festtagstext, wechselte zu einem anderen Text hinüber und tippte: »Bulgaren und Rumänen sind kriminelles Risiko.«

»Sie war vollendetes Unrecht«, sagte sich der BND-Mitarbeiter, öffnete eine Datei und begutachtete die Ergebnisse der Online-Überwachung.

»Unrechtsstaat, das kannst du glauben«, tippte die Arbeitsvermittlerin in das Fenster des behördeninternen Chats, öffnete ein Schreiben eines ihr unterstellten Arbeitslosen und las als Grund der Unzumutbarkeit einer Arbeitsstelle, dass er mit 57 Jahren nicht fünf Stunden in der Hocke arbeiten könne - sie erließ eine Sanktion.

»Wir feiern einen glücklichen Tag, denn damals endete das Unrecht«, sagte der Minister in einer Talkshow, stand auf und eilte zu einem Interview, in dem er erklärte, dass die Hinterzimmerdiplomatie des Freihandelseinkommens völlig unbedenklich sei.

Oh ja, jetzt sehe ich es ein: Sie war ein Unrechtsstaat. Denn wenn so viele Ungerechte und Rechtsbrecher das behaupten, dann muss es doch stimmen. Sie sind schließlich vom Fach. Ob sie es aber objektiv war, kann man schlecht sagen. Darauf kommt es aber auch gar nicht an. Die Debatte will ja kein Licht ins Dunkle bringen, sondern das Licht von den Verhältnissen in diesem neuen Deutschland fernhalten. Wie gut, dass es die DDR noch in den Köpfen gibt. Sie wird noch gebraucht. Als Schaufenster des Ostens. Ungeahndetes Unrecht in einem Rechtsstaat ist doch viel besser als geschehenes Recht in einem Unrechtsstaat.

Nein, es ist insofern gar nicht der Tag der deutschen Einheit, sondern der Tag der deutschen Reinheit, dem da gedacht wird. Wir sind ja so rein. So rein von Unrecht. So rein von Schuld. Einheit war, als die Reinheit in das Territorium des ehemaligen Unrechtsstaats einzog. Schade nur, dass dieser Rechtsstaat viel weniger Gerechtigkeit als Selbstgerechtigkeit hervorbringt.

10 Kommentare:

Anonym 3. Oktober 2014 um 11:19  

"[...]Schade nur, dass dieser Rechtsstaat viel weniger Gerechtigkeit als Selbstgerechtigkeit hervorbringt[...]"

Ich setze noch einen drauf eine meine, dass du die Doppelmoral des neuen Merkel-Deutschland vergessen hast zu erwähnen.

Nur mal so als Beispiel, da schimpft ein Stammtisch-Philosoph über seine Nachbarn, die "Asoziale" wären, weil die alles umsonst bekommen, und, schlimmer noch, wissen wie die es bewerkstelligen können, diese "Schmarotzer".

Tja, soll ich extra erwähnen, dass der selbige Stammtischbruder anschreiben läßt, nicht nur in seiner Stammkneipe sondern auch beim Metzger, bei anderen Einkäufen, und ansonsten auch weiß wo er im Ort umsonst Dachziegel "abstauen" kann - der gute man ist natürlich kein "Schmarotzer", aber seine Nachbarn allesamt "Hartzies" schon....

Doppelmoral eben, die immer mehr um sich greift....

....übrigens, in der großen Politik gehört dazu einerseits die Nazis im Inland zu ächten, aber - dank Nachdenkseiten wissen wir es - die Nazis der Ukraine zu hofieren....

...Doppelmoral eben auch hier....

...der Rechtsstaat glänzt eben nicht nur vor Selbstgerechtigkeit sondern ist auch ein Doppelmoralist hoch Zehn geworden....

Zynischer Gruß
Bernie

Anonym 3. Oktober 2014 um 14:29  

Beruflich hatte ich immer wieder Kontakt zu "Republikflüchtlingen". Wie oft sagte ich zu ihnen: "wir haben das gleiche System wie ihr, nur unseres ist besser getarnt". Ich erntete nur unglaubwürdiges Staunen.
Nach der Wiedervereinigung war ich zweimal in den neuen Bundesländern. Was ich dort an miesen "Geschäftspraktiken" sah, war einfach zum Kotzen.
Heute haben wir den Salat - für jeden der sehen kann, ist es offensichtlich, dass dieser Staat so nicht lange mehr bestehen kann. Es gibt klare Regeln für den Untergang eines Systems, ein Blick in die Geschichte ist aufschlussreich.
Vielleicht irre ich mich.
Hansjörg 3.10.2014

ulli 3. Oktober 2014 um 15:49  

Ich finde diesen Text ziemlich daneben. Wenn die Linke nicht rücksichtslos auf ihre eigenen Fehlschläge reflektiert, wird sie in Westeuropa nie wieder auf einen grünen Zweig kommen - zu Recht. Die Linke hat schon viel zu oft autoritäre politische Systeme zu rechtfertigen oder irgendwie wegzureden versucht. Das ist einer der wichtigsten Gründe für ihr grandioses Scheitern im 20.Jahrhundert.

Die DDR war ein großes Desaster. Da hilft auch kein Hinweis darauf, wie schlimm heute alles ist: Es handelte sich um einen Staat, der keine Demokratie und keine persönliche Freiheit zuließ, der überhaupt nur existieren konnte, indem er seine Bürger hinter einer Mauer einsperrte. Ohne Mauer wäre die DDR schon lange vor 1989 zerbröselt. Wer die Mauer überwinden wollte, riskierte sein Leben und die übrigen DDR-Bürger saßen abends zu Hause, guckten Westfernsehen und emigrierten auf diese Weise. Alle wollten in den Westen und kein Mensch wollte in den Osten - daran führt einfach kein Weg vorbei. Sobald die Mauer offen war (zuerst in Ungarn und kurz darauf in Berlin) kollabierten DDR und SED-System denn auch in kürzester Zeit. Das SED-Regime war ökonomisch und moralisch am Ende und die ganz überwiegende Mehrheit der DDR-Bürger wollte die DDR nicht mehr haben.

Wenn man die Vergangenheit nicht reflektiert, dann wird es auch nichts mit der Zukunft.

Cherry 3. Oktober 2014 um 17:40  

25 Jahre sind verdammt schnell vergangen, aber auch eine sehr lange Zeit. Immerhin war ich da schon 45, und somit schon älter als wahrscheinlich viele hier es heute sind. Da hatte ich aber schon 20 Jahre als Musiker in zwei verschiedenen Bands hinter mir.
Es war damals verboten mit drei Gitarren aufzutreten. Also mußten wir uns was einfallen lassen, und improvisierten mit Trompete und Akkordeon.
Zensiert wurde streng, denn 40% West und 60% Ost Musik waren angesagt.

Ich war lange im Visier der Stasi, weil ich immer eine progressive Meinung hatte und die auch äußerte. Eines Morgens holte man mich mit 4 Mann vom Schiff, ich arbeitete auf der Werft.
Der Ausflug dauerte 2 ganze Jahre. Zwei Jahre meiner Jugend eingesperrt und die Zukunft zerstört.
Ich bin heute froh, daß die Jugend nicht mehr solchen Auflagen und Repressalien ausgesetzt ist.
Heute bin ich rehabilitiert, und bekomme noch eine kleine Opferrente, die jetzt zum 25. Jahrestag um 50 € aufgestockt wurde.

Froh darüber, daß ich heute im zweiten Lebensabschnitt die Musik machen darf, die mit gefällt, und ein Homestudio, sowie eine mobile Disko besitze und in einem Gesangsduo wirken darf.
Vor allem aber die freie Meinungsäußerung und Reisefreiheit, wie wir es damals laut gewünscht haben.
Heute wird alles als selbstverständlich hingenommen. Das ist es nicht.

Anonym 3. Oktober 2014 um 18:03  

Was an dieser Verklärungs- und Beschuldigungsmoral das Gefährliche ist: Irgendwann bringt es jemanden auf die Idee, die Mauer wieder zu errichten.
Man braucht sich nicht zu wundern, wenn eine solche Bevölkerungsstimmung entsteht, wenn man jegliche Kultur, jegliches Dasein und jegliche Errungenschaften eines vergangenen Staates, nur weil man ihn nicht mag, öffentlich in den Dreck zieht.
Es steht die Befürchtung, dass es auch hier irgendwann zu einem Ukraine-Konflikt kommen wird.
Für jeden, der mit diesem Unsinn nichts zu tun hat, ist dies ein Alptraum.

Anonym 3. Oktober 2014 um 18:42  

Für mich kam die Wende damals ziemlich überraschend. Ich war noch recht jung, hatte gerade meine Lehre abgeschlossen und wollte mich für 25 Jahre bei der Nationalen Volksarmee bewerben, was aber nicht klappte, da keine Planstelle mehr frei war und so verpflichtete ich mich auf 15 Jahre als Berufssoldat. Teilweise eigennützig, aber auch zum Teil aus Überzeugung.

Ich hatte in der Gastronomie gelernt und wurde Sachbearbeiter für Verpflegung bei der NVA.
Dementsprechend genoss ich gleich diverse Privilegien wie zb. ein verhältnismäßig gutes Gehalt und bekam auch innerhalb weniger Monate eine 2 Raum Wohnung für damals 45 Mark Miete.
Ich hatte Glück, dass einer meiner unmittelbaren Vorgesetzten gleichzeitig für das Verteilen von Wohnungen zuständig war, denn ansonsten musste man recht lange warten.

Eigentlich habe ich ganz gern in der DDR gelebt, ich habe tatsächlich daran geglaubt, etwas Gutes zu vollbringen, indem ich mein Heimatland vor den bösen Kapitalisten schützen wollte.

Die Wende erlebte ich dann in der Kaserne und ich kann mich noch erinnern, wie wir die Sandsäcke an der Wache aufstapelten und Anweisungen hatten das Tor durch Waffengewalt zu schützen, wenn das Volk auf die Idee gekommen wäre die Kaserne zu stürmen um sich mit Waffen zu versorgen.
Zum Glück kam es aber nicht dazu, denn mit hoher Wahrscheinlichkeit hätten wir auch geschossen.

Von der "bösen Stasi" usw. wusste ich tatsächlich nicht viel, nur eben, dass sie gegen Volksverräter vorgehen und das selbe Ziel wie ich haben, nämlich mein Heimatland vor "Verbrechern" zu schützen.
Bin halt in der DDR aufgewachsen und dementsprechend sozialistisch erzogen worden. Ich hab da eigentlich nie großartig etwas hinterfragt. Die Erziehung ging in Richtung "stinkender, faulender Kapitalismus", das waren unsere Feinde.

Anonym 4. Oktober 2014 um 07:12  

Bei der Flucht aus der DDR sollen 1065 Menschen den Tod gefunden haben, während des gesamten Bestehens des Staates.
In der BRD sollen sich bisher 5000 Menschen im Zuge der Hartz- Gesetze das Leben genommen haben, in knapp 10 Jahren.
Ich nenne es politische Verfolgung.
Von was soll man den sonst sprechen als von einem Unrechtsstaat.

Anonym 4. Oktober 2014 um 09:32  

Etwas, was die Oberen auch hätten machen sollen, wäre, nicht pamphletartig den Kapitalismus verteufeln und die Leute vom Übel unterrichten mit Phrasen, die aus dem Buch stammen. Sie hätten besser daran getan, es ihnen a lá Olsenbande an konkreten Beispielen mit konkreten Zusammenhängen zu präsentieren wie die Wirtschaft und Gesellschaft jenseits der Mauer funktioniert. Es hätte es weitaus anschaulicher gemacht und verdeutlicht, worauf die westliche Konsumgütervielfalt eigentlich fußt (die man im eigenen Land stets - zu Recht - kritisiert hatte).

Anonym 6. Oktober 2014 um 11:53  

Sicher gab es in der DDR Unrecht. Schon allein die Mauertoten sind ein Drama.
Sie hätte es nicht geben müssen, wäre der Westen auf die Vorschläge Moskaus (ein neutrales Deutschland) eingegangen, nachzulesen oder zu hören im Gespräch (YouTube) mit dem damaligen Bundespräsidenten Gustav Hei(y?)nemann.

Mir, als ehemalige DDR-Bürgerin ist es einfach nur noch leid, von den Wessis oder sonst wem zu hören, daß die DDR ein Unrechtsstast war, zumal die heutige BRD rein gar nichts mit einem Rechtsstaat zu tun hat. Hier regiert das Geld und es wurde auch in diesem Staat schon so viel Unrecht getan. Man denke nur an Gustl Mollath, die NSU-Sauerei usw., Hartz IV, die Kriegseinsätze (die Bundeswehr prahlt ja geradezu auf ihrer Homepage, daß sie eine Armee im Einsatz ist und somit auch im Ausland den Menschen in Deutschland dient, was die meisten Menschen in Deutschland gar nicht wollen), die falschen Informationen der Medien, besonders übel finde ich die Berichterstattung über die Ukraine usw.
Ich will gar nicht weitertippen, aber wer die BRD als Rechtsstaat sehen kann....egal, dieser angebliche Rechtsstaat soll sich einfach an die eigene Nase fassen, bevor er andere Staaten als Unrechtsstaat verurteilt.
.....und dann der jetzige Bundespräsident und auch noch aus dem Osten....ein wahres Dilemma.

G. Bieck

Anonym 11. Oktober 2014 um 16:31  

"[...]Was an dieser Verklärungs- und Beschuldigungsmoral das Gefährliche ist: Irgendwann bringt es jemanden auf die Idee, die Mauer wieder zu errichten[...]"

Yep, nur diesmal an der Grenze zu Rußland - dem kapitalistischen Paradies, das Obamas ukrainischen Verbündeten so gar nicht in den Kram paßt.

Zynischer Gruß
der Putin-Versteher Bernie

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