Selbstvertrauen ist der Rohstoff solider Arbeitsmarktpolitik
Dienstag, 9. April 2013
oder Das Marktgleichgewicht durch Angebot und Nachfrage lautet im SGB II: Wer zu viel nachfragt, wird sanktioniert.
Und nochmals Erfahrungen vom sozialistischen Jetset.
Wie gesagt, einige Jahre lebte ich von Hartz IV. Mal beschnitten, weil geringes Salär aufstockend - mal in völliger Reinheit des Regelsatzes, weil wieder mal kein Einkommen vorhanden. Die stets wiederkehrende Arbeitssuche gestaltete sich in dieser Zeit steinig. Erstens weil Arbeitsplätze rar sind und, zweitens, weil Hartz IV deutliche Wirkungen zeigt. Wirkungen bei Personalchefs – auch die lesen Zeitungen, in denen wundersame Geschichten zu Hartz IV-Schmarotzern geschrieben stehen. Aber auch beim Leistungsberechtigten selbst wird die Reform mit dem unseligen Namen wirksam. Die pogromartigen Medienkampagnen gegen Erwerbslose nagen am Selbstwertgefühl - und auch das Sanktionsrepertoire, das den Behörden allerlei Drangsal erlaubt, führt man wie migränen Druck mit sich im Kopf herum, falls man doch mal zu einem Bewerbungsgespräch geladen wird; wie ein Häufchen Minderwertigkeitskomplex sitzt man jemanden gegenüber, der einen einstellen soll – in der Regel hemmt ein solcher Auftritt die Einstellungsbereitschaft immens. Und natürlich definiert das Umfeld des arbeitslosen Bewerbers ein solches Auftreten als klägliches Versagen und führt es endlich als Spiegelbild der individuellen Gesamtsituation an.
Ich kann mich nicht beklagen. Die Leute, die mir bei diversen Vorstellungsgesprächen gegenüber saßen, waren beinahe alle angenehm, jedenfalls war keiner dabei, der Gefallen daran gefunden hätte, mir mit dem Jobcenter seine Offerte schmackhafter zu erpressen. Es gab keinen Druck, keine Drohgebärden, es der Behörde zu melden, weil ich nicht Hurra! schrie bei den mir unterbreiteten Angeboten. Und die waren wirklich oft mehr als mies. Gemeldet haben sie den Gesprächsinhalt in nuce aber stets der Arbeitsvermittlung; denn die wusste immer was los war, wie es lief.
Das SGB II entkräftet die eigentlich von Marktjüngern postulierte Naturgesetzlichkeit, dass Subjekte auf dem Markt als selbstbestimmte Teilnehmer auftreten sollten, die Angebot und Nachfrage in Relationen setzten. Leistungsberechtigte nach SGB II sind hiervon ausgenommen. Zumutbar ist jede Arbeit, das Angebot, das gemacht wird, kennt keine Nachfrage – wer zu viel nachfragt, der wird für arbeitsunwillig erklärt und darf mit Sanktionen rechnen. Dreißig Prozent straffälliger Abschlag vom Regelsatz sind viel Geld von dem wenigen Geld, dass man nicht hat. Diese finanzielle Garotte, die man dem Hartz IV-Empfänger um den Hals windet, macht ihn nicht zum Teilnehmer des freien Arbeitsmarktes, sondern zu dessen Opfer. Der Zwang nicht Nein sagen zu können, macht nicht nur unfrei, sondern verängstigt auch, raubt Selbstbewusstsein und hemmt letztlich den Integrationsprozess des Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt.
Wie erwähnt, ich hatte selten das Gefühl, dass da ein Personalchef seinen Vorteil ausspielen wollte. Gleichwohl stand ich mir selbst im Weg. Vor dem Bewerbungsgespräch saß ich manchmal Stunden mit Durchfall auf dem Klo. Nervosität. Szenarien spielten sich in meinem dröhnenden Kopf ab. Was, wenn ich so ein Exemplar Arschloch vor die Nase gesetzt bekomme, das kaum etwas zahlen will, vielleicht nur ein Praktikum anbietet, das ich ablehnen möchte aus prinzipiellen Gründen, das ich dann aber nicht ablehnen darf ohne finanzielle Konsequenzen erleiden zu müssen? Dieser immense Druck, womöglich einige Tage später einen Bescheid des Jobcenters im Briefkasten zu finden, weil ich zuwiderhandelte, er rieb mich körperlich auf! Ich schlief schlecht, bekam Magenprobleme – meist schon Tage zuvor. Mit dem Gefühl krank zu sein, marschierte ich dann zum potenziellen Arbeitgeber. Das machte meinen Handlungsspielraum noch enger, denn wie sollte ich, nicht im Vollbesitz meiner körperlichen Kräfte, ein gutes Bild von mir abgeben? Ich las in jener Zeit häufig, dass Erwerbslose sich immer dann krank melden, wenn sie Termine beim Amt oder eben Vorstellungsgespräche erhielten. Mich wunderte das gar nicht – ich habe es hin und wieder auch getan, es ging nicht anders. Dieser Tage wird passend hierzu zur Treibjagd auf arbeitsunfähige Arbeitslose geblasen. Was "Krank und Hartz IV", wie Springer heute titelt, miteinander zu tun haben, kann nur verstehen, wer a) die Hartz-Reformen als das versteht was sie sind und b) selbst mal in diese missliche Lage geriet.
Dass die Furcht vor Konsequenzen üblich ist bei der Jobsuche, war für mich bedrückend, aber doch scheinbar eine Tatsache, die völlig normal sei. Bis ich aus dem Leistungsbezug fiel. Aus Gründen, die hier egal sind. Ich suchte jedoch weiterhin Arbeit. Und erst jetzt wurde mir der Unterschied augenfällig. Ohne Druck ging ich zu Gesprächen, konnte auf Augenhöhe plaudern, war freundlich aber bestimmt, nicht devot, ging auch in die Offensive. Kurz: Ich hatte Selbstvertrauen dadurch erhalten, nicht mehr der Willkür eines Fallmanagers und seiner Treue zu Sozialgesetzen ausgeliefert zu sein. Geriet ich an einen Arbeitgeber, der beim Gespräch schon suspekt war, dann sprach ich das auch an. Einer meinte, bei ihm würde man in der Arbeitszeit ordentlich ranklotzen und leiden müssen. Leiden hat er wortwörtlich gesagt. Leiden könne ich nicht, sagte ich ihm - und ihn schon gleich gar nicht. Dergleichen hätte ich früher nicht kontern können. Was wäre denn gewesen, wenn er das als Beleidigung aufgefasst hätte? Hätte meine Sachbearbeiterin im Jobcenter mir wohl geglaubt, dass er mir Leiden androhte? Dass er sprach, wie der Kapo einer Strafkolonne?
Dieses neue Selbstbewusstsein ließ mich anders auftreten. Und ich hatte das Gefühl, dass auch die potenziellen Arbeitgeber anders mit mir umgingen. Eine Mitbewerberin, die mit mir auf ihr Bewerbungsgespräch wartete, trat ganz anders auf. Sie bezog Hartz IV – beim Gespräch ließ der Typ die Türe auf und ich konnte zuhören, wie er mit ihr umsprang. Er war schroff, meiner Ansicht unterschwellig sexistisch und sein Charme bestand daraus, der Bewerberin zu vermitteln, sie sei so ziemlich das Letzte - aber doch sehr gutaussehend. Sie sollte Dank winseln, auch nur von einem Arbeitgeber wie ihm zur Kenntnis genommen worden zu sein. Er bot ihr auch keine Stelle, sondern nur ein Praktikum an. Sie wehrte sich nicht. Als ich an der Reihe war, bat ich bestimmt darum, man möge die Türe schließen. Das tat er widerspruchslos. Danach führte er einen Monolog über seine Lebensleistungen, über seinen Fleiß und seinen Betrieb. Er erzählte mir, wie er einen altbewährten Mitarbeiter feuerte, weil er ihm zu langsam arbeitete – ich unterbrach ihn und meinte, das seien Dinge, die mich gar nichts angingen. Wir trennten uns bald, ich war ehrlich zu ihm und sagte ihm, dass ich nicht bei ihm arbeiten wolle, weil ich ihn für einen Stümper in Sachen Menschenführung halte. Was für ein Gefühl, so ehrlich auf Arbeitssuche gehen zu dürfen!
Später wurde diese Ehrlichkeit und diese Lockerheit bei einem Bewerbungsgesspräch belohnt. Sie kam gut an und wird heute noch geschätzt.
Wer eine Arbeitsmarktpolitik machen möchte, die Menschen in würdige Arbeit bringt, der muss eine Politik betreiben, die den Menschen Freiheiten erlaubt. Die Möglichkeit Nein sagen zu können, stärkt das Auftreten und schärft den Charakter. Sagen zu können, dieser oder jener Job sei nichts für einen, spart unnötige Diskussionen, Sorgen und Kosten. Eine Politik, die Selbstvertrauen als Rohstoff am Arbeitsmarkt beidseitig zulässt, kann zwar keine Wunder vollbringen, dürfte aber weitaus effektiver sein als die, die wir heute haben und die Menschen unwürdig ihres Selbstbewusstseins beraubt. Überhaupt wäre es zweckdienlich, wenn potenzielle Arbeitgeber nicht erfahren würden, ob der Kandidat für einen Arbeitsplatz derzeit noch Transferleistungen erhält oder nicht – letzterer könnte viel freier auftreten, könnte ein Nein auf den Lippen tragen, ohne sich vor finanziellen Konsequenzen fürchten zu müssen, die ihm ein Personalchef vielleicht durch die Blume in Aussicht stellte. Ich sehe mich kurzum bestätigt, dass die Aufhebung der Sanktionspraxis unumgänglich ist, wenn man solide Arbeitsmarktpolitik machen möchte - nur wenn das Existenzminimum unantastbar ist, ist auch die Würde unantastbar. Die Teilhabe am Arbeitsmarkt ist nur mit dem Rohstoff Selbstvertrauen realisierbar. Nicht Sanktionen bringen Menschen in Arbeit – es ist das Bewusstsein der eigenen Würde. Und letzteres ist derzeit nicht Gegenstand des SGB II...
Ich kann mich nicht beklagen. Die Leute, die mir bei diversen Vorstellungsgesprächen gegenüber saßen, waren beinahe alle angenehm, jedenfalls war keiner dabei, der Gefallen daran gefunden hätte, mir mit dem Jobcenter seine Offerte schmackhafter zu erpressen. Es gab keinen Druck, keine Drohgebärden, es der Behörde zu melden, weil ich nicht Hurra! schrie bei den mir unterbreiteten Angeboten. Und die waren wirklich oft mehr als mies. Gemeldet haben sie den Gesprächsinhalt in nuce aber stets der Arbeitsvermittlung; denn die wusste immer was los war, wie es lief.
Das SGB II entkräftet die eigentlich von Marktjüngern postulierte Naturgesetzlichkeit, dass Subjekte auf dem Markt als selbstbestimmte Teilnehmer auftreten sollten, die Angebot und Nachfrage in Relationen setzten. Leistungsberechtigte nach SGB II sind hiervon ausgenommen. Zumutbar ist jede Arbeit, das Angebot, das gemacht wird, kennt keine Nachfrage – wer zu viel nachfragt, der wird für arbeitsunwillig erklärt und darf mit Sanktionen rechnen. Dreißig Prozent straffälliger Abschlag vom Regelsatz sind viel Geld von dem wenigen Geld, dass man nicht hat. Diese finanzielle Garotte, die man dem Hartz IV-Empfänger um den Hals windet, macht ihn nicht zum Teilnehmer des freien Arbeitsmarktes, sondern zu dessen Opfer. Der Zwang nicht Nein sagen zu können, macht nicht nur unfrei, sondern verängstigt auch, raubt Selbstbewusstsein und hemmt letztlich den Integrationsprozess des Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt.
Wie erwähnt, ich hatte selten das Gefühl, dass da ein Personalchef seinen Vorteil ausspielen wollte. Gleichwohl stand ich mir selbst im Weg. Vor dem Bewerbungsgespräch saß ich manchmal Stunden mit Durchfall auf dem Klo. Nervosität. Szenarien spielten sich in meinem dröhnenden Kopf ab. Was, wenn ich so ein Exemplar Arschloch vor die Nase gesetzt bekomme, das kaum etwas zahlen will, vielleicht nur ein Praktikum anbietet, das ich ablehnen möchte aus prinzipiellen Gründen, das ich dann aber nicht ablehnen darf ohne finanzielle Konsequenzen erleiden zu müssen? Dieser immense Druck, womöglich einige Tage später einen Bescheid des Jobcenters im Briefkasten zu finden, weil ich zuwiderhandelte, er rieb mich körperlich auf! Ich schlief schlecht, bekam Magenprobleme – meist schon Tage zuvor. Mit dem Gefühl krank zu sein, marschierte ich dann zum potenziellen Arbeitgeber. Das machte meinen Handlungsspielraum noch enger, denn wie sollte ich, nicht im Vollbesitz meiner körperlichen Kräfte, ein gutes Bild von mir abgeben? Ich las in jener Zeit häufig, dass Erwerbslose sich immer dann krank melden, wenn sie Termine beim Amt oder eben Vorstellungsgespräche erhielten. Mich wunderte das gar nicht – ich habe es hin und wieder auch getan, es ging nicht anders. Dieser Tage wird passend hierzu zur Treibjagd auf arbeitsunfähige Arbeitslose geblasen. Was "Krank und Hartz IV", wie Springer heute titelt, miteinander zu tun haben, kann nur verstehen, wer a) die Hartz-Reformen als das versteht was sie sind und b) selbst mal in diese missliche Lage geriet.
Dass die Furcht vor Konsequenzen üblich ist bei der Jobsuche, war für mich bedrückend, aber doch scheinbar eine Tatsache, die völlig normal sei. Bis ich aus dem Leistungsbezug fiel. Aus Gründen, die hier egal sind. Ich suchte jedoch weiterhin Arbeit. Und erst jetzt wurde mir der Unterschied augenfällig. Ohne Druck ging ich zu Gesprächen, konnte auf Augenhöhe plaudern, war freundlich aber bestimmt, nicht devot, ging auch in die Offensive. Kurz: Ich hatte Selbstvertrauen dadurch erhalten, nicht mehr der Willkür eines Fallmanagers und seiner Treue zu Sozialgesetzen ausgeliefert zu sein. Geriet ich an einen Arbeitgeber, der beim Gespräch schon suspekt war, dann sprach ich das auch an. Einer meinte, bei ihm würde man in der Arbeitszeit ordentlich ranklotzen und leiden müssen. Leiden hat er wortwörtlich gesagt. Leiden könne ich nicht, sagte ich ihm - und ihn schon gleich gar nicht. Dergleichen hätte ich früher nicht kontern können. Was wäre denn gewesen, wenn er das als Beleidigung aufgefasst hätte? Hätte meine Sachbearbeiterin im Jobcenter mir wohl geglaubt, dass er mir Leiden androhte? Dass er sprach, wie der Kapo einer Strafkolonne?
Dieses neue Selbstbewusstsein ließ mich anders auftreten. Und ich hatte das Gefühl, dass auch die potenziellen Arbeitgeber anders mit mir umgingen. Eine Mitbewerberin, die mit mir auf ihr Bewerbungsgespräch wartete, trat ganz anders auf. Sie bezog Hartz IV – beim Gespräch ließ der Typ die Türe auf und ich konnte zuhören, wie er mit ihr umsprang. Er war schroff, meiner Ansicht unterschwellig sexistisch und sein Charme bestand daraus, der Bewerberin zu vermitteln, sie sei so ziemlich das Letzte - aber doch sehr gutaussehend. Sie sollte Dank winseln, auch nur von einem Arbeitgeber wie ihm zur Kenntnis genommen worden zu sein. Er bot ihr auch keine Stelle, sondern nur ein Praktikum an. Sie wehrte sich nicht. Als ich an der Reihe war, bat ich bestimmt darum, man möge die Türe schließen. Das tat er widerspruchslos. Danach führte er einen Monolog über seine Lebensleistungen, über seinen Fleiß und seinen Betrieb. Er erzählte mir, wie er einen altbewährten Mitarbeiter feuerte, weil er ihm zu langsam arbeitete – ich unterbrach ihn und meinte, das seien Dinge, die mich gar nichts angingen. Wir trennten uns bald, ich war ehrlich zu ihm und sagte ihm, dass ich nicht bei ihm arbeiten wolle, weil ich ihn für einen Stümper in Sachen Menschenführung halte. Was für ein Gefühl, so ehrlich auf Arbeitssuche gehen zu dürfen!
Später wurde diese Ehrlichkeit und diese Lockerheit bei einem Bewerbungsgesspräch belohnt. Sie kam gut an und wird heute noch geschätzt.
Wer eine Arbeitsmarktpolitik machen möchte, die Menschen in würdige Arbeit bringt, der muss eine Politik betreiben, die den Menschen Freiheiten erlaubt. Die Möglichkeit Nein sagen zu können, stärkt das Auftreten und schärft den Charakter. Sagen zu können, dieser oder jener Job sei nichts für einen, spart unnötige Diskussionen, Sorgen und Kosten. Eine Politik, die Selbstvertrauen als Rohstoff am Arbeitsmarkt beidseitig zulässt, kann zwar keine Wunder vollbringen, dürfte aber weitaus effektiver sein als die, die wir heute haben und die Menschen unwürdig ihres Selbstbewusstseins beraubt. Überhaupt wäre es zweckdienlich, wenn potenzielle Arbeitgeber nicht erfahren würden, ob der Kandidat für einen Arbeitsplatz derzeit noch Transferleistungen erhält oder nicht – letzterer könnte viel freier auftreten, könnte ein Nein auf den Lippen tragen, ohne sich vor finanziellen Konsequenzen fürchten zu müssen, die ihm ein Personalchef vielleicht durch die Blume in Aussicht stellte. Ich sehe mich kurzum bestätigt, dass die Aufhebung der Sanktionspraxis unumgänglich ist, wenn man solide Arbeitsmarktpolitik machen möchte - nur wenn das Existenzminimum unantastbar ist, ist auch die Würde unantastbar. Die Teilhabe am Arbeitsmarkt ist nur mit dem Rohstoff Selbstvertrauen realisierbar. Nicht Sanktionen bringen Menschen in Arbeit – es ist das Bewusstsein der eigenen Würde. Und letzteres ist derzeit nicht Gegenstand des SGB II...
16 Kommentare:
Ich sehe es genauso... 3 Jahre AlG II haben auch bei mir ihre Spuren hinterlassen. Bis heute wundert es mich auch, dass Leute mich abschätzig ansehen, wenn ich ihnen erzähle das ich bestimmte "Jobangebote" einfach Ablehne, wenn auch quasi kein Spielraum vorhanden. "Ich würde jeden Job annehmen! Bist dir wohl zu Schade Job XY anzunehmen, ich war auch schon Kloputzen!" Bekam ich oft zu hören. Duktus?
na ja..das hört sich ja richtig dramatisch an....mit eine wenig Geschick ist es kein Problem solche "Angebote" auszuschlagen....tritt einfach als "Selbstständiger" auf, der eine neue Herausforderung sucht.....
Vielen Dank Roberto für Deinen offenen und ehrlichen Artikel !
In den 80ern war ich auch Bezieher von ALG. Die Situation von damals ist zwar mit der heutigen kaum vergleichbar, aber doch, von der psychischen Belastung und besonders was das Selbstvertrauen betrifft, ähnlich. - Und genau, das ist das A und O für einen Bewerber/in.
Obwohl ich nicht unbedingt ein Fan von Goethe bin, doch folgendes Zitat von ihm finde ich hier zutreffend:
"Mut und Selbstvertrauen sind mehr wert als alles Wissen und Erlernte."
Interessante Sichtweise. Ich "leiste" mir auch mehr oder weniger den "Luxus", mich nicht von irgendeiner Behörde in irgendeine Drecksarbeit "vermitteln" zu lassen - was mir so schon mehr als genügend Nachteile beschert...
Allerdings sieht es um mein "Selbstbewusstsein" deshalb auch nicht viel besser aus, gerade weil ich mir insgesamt der Aussichtslosigkeit meiner Lage bewusst bin; es mir im Ergebnis nicht viel bringt, irgend nen kleinen unverschämten Chef oder Personaler darauf hinzuweisen, dass er mich mal kreuzweise kann. Nein zu sagen so sollte ja eigentlich selbstverständlich - und nicht selbstbewusstseinsfördernd wirken.
Das Hartz-System wirkt aber eben gerade auch mittelbar, es soll in erster Linie "disziplinieren"! Den existenziellen Druck, die Angst habe ich eben auch so oder so; auch ohne den Rüffel vom "Fallmanager" zu fürchten. Es ist ja genau die Angst, schon bald wirklich nicht anders zu können, als sich eben doch wieder mit diesen Leuten rumärgern zu müssen...
Das Paradoxe ist ja: eigentlich bin ich im Kern wesentlich selbstbewusster als viele andere: weil ich eben meinen eigenen Willen und eigene Vorstellungen habe; mich nicht für alles verkaufen und allem unterwerfen will! Aber wer honoriert es...?
"Selbstbewusstsein" wird ja gerade in den heutigen blenderischen Zeiten auch oft mit der Kunst verwechselt, sich gut "verkaufen" zu können; und darum geht es ja im Wesentlichen bei so genannten Vorstellungsgesprächen. Ehrlichkeit kommt da ganz schlecht...!
Zwei ANMERKUNGEN:
1.Ich halte es für unnötig die eh schon dramatische Situation der Betroffenen mit dem Begriff "Pogrom" in Verbindung zu bringen, bedeutet doch Pogrom gewaltätiges Vorgehen gegen eine bestimmte Menschengruppe. Dass es auch strukturelle Gewalt gibt will ich nicht bestreiten, aber der Pogrombegriff ist eindeutig mit tätlicher Gewalt definiert.
2.Das von Dir angesprochene selbstbewusste und freie Handeln und Aushandeln und die damit verbundene Menschenwürde ist übrigens eine der Vorstellungen, die den Verfechtern des bedingungslosen Grundeinkommens vorschwebt: Wer ein Grundeinkommen hat, muss sich dann eben nicht bedingungs- und würdelos verkaufen, wenn er es aufstocken möchte. Womit nicht gesagt sein soll, dass nicht andere Wege auch in unserem System möglich wären. Aber sind die erwünscht?
FRAGT ANMERKER
Schade, dass dieser gute und sehr positive Text von denjenigen, die's angeht, nie und nimmer gelesen wird.
„Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“. Aussage von Bundesarbeitsminister und Vizekanzler Müntefering (SPD) laut Zeit (http://www.zeit.de/online/2006/20/Schreiner/komplettansicht); diese Aussage hat er zur Verteidigung des Harz-IV-Regimes gemacht.
Damit ist alles auch gesagt. Wer da nicht verstehen will, dass der deutsche Sozialstaat mit diesem "Gesetzt" Vergangenheit geworden ist, dem ist sowieso nicht mehr zu helfen.
Die Würde des Menschen ist unantastbar (Artikel 1 GG).
§ 2 SGB II in Verbindung mit § 31, §31a, § 31b und § 32 SGB II machen die Würde des Menschen nicht nur antastbar, sondern relativieren diese komplett.
Anhänger des 04.08.1789
Die Spitzenköche der Deutschen Wirtschaft, welche in ihren diversen think tanks die berühmte Agenda 2010 mit ihrem Kern Hartz 4 kreierten, waren keine dummen Leute, die nicht wussten, was sie da dem Arbeitervolk durch ihren Kellner Gerd servierten.
Sie hatten von Anbeginn ein klares Ziel vor Augen und setzten es mit Hilfe ihrer Agenten aus der gesamten deutschen Politik durch.
Ehre, wem Ehre gebührt, der Erfolg dieser Reform übertrifft doch alle Erwartungen.
Der Traum jedes tüchtigen Unternehmers, die Ware Arbeitskraft zu möglichst billigsten Bedingungen einkaufen zu können, wurde für viele Unternehmen von zuvor nur feuchten Träumen zu einer wirkmächtigen gesellschaftlichen Realität.
Arbeit muss sich wieder lohnen, ganz richtig - für die Unternehmer, Kapitaleigner!
Wie sich dabei die modernen Lohnsklaven fühlen mögen, ist eh so lange völlig, absolut belanglos, so lange sie wieder und wieder nach kapitalistischer Lohnarbeit lechzen, sich ein Leben ohne sie, also Sozialismus und Kommunismus, nicht vorstellen können oder vorstellen wollen.
Und so hat das Kapital alle Trümpfe in der Hand.
Und wenn sich aufgrund dieser neuen herrlichen Zustände die einheimische Lohnarbeitermanschaft nicht mehr genügend vermehrt, auch das kein Problem, endlose Kriege und Bürgerkriege, Hunger und Elend dieses kapitalistischen Planeten setzten bei Bedarf Millionen Gestalten in Bewegung.
Da mag die NPD noch so viel von "Umvolkung" warnen, das von Hause aus kosmopolitische Kapital kennt solche Bedenken nicht, der Profit allein, und nur der Profit entscheidet, wann, wo und warum Menschen leben dürfen - oder auch nicht(mehr).
Das ist die Lage, Freunde der Marktwirtschaft, seht ihr ins Auge und überlegt selbst, was, wohin ihr wollt in dieser Welt.
Und zum Schluß noch eine kleine Bitte: Bitte kein Geschrei mehr nach einem BGE, also lumpenproletarischen Geschrei nach "panem et circenses", ihr bekommt es in der von euch erträumten Höhe ohnehin nicht von euren Herren spendiert, es ist einfach nur dumm und würdelos!
MfG
Bakunin
Gern reiche ich das weiter:
http://norbertwiersbin.de/serie-hartz-iv-verstost-gegen-internationales-und-nationales-recht/
Die Hartz-Gesetze richten sich auch, und wie ich meine vor allem, gegen die (Noch)Arbeitsplatzinhaber. Deren Selbstbewußtsein und Widerstand sollte gebrochen werden. Nur mit der Drohkulisse HartzIV ließen sich der Mehrheit der Arbeiter und Angestellten all die Reallohnverluste abtrotzen.
Auch wenn es nur die wenigsten Arbeitssklaven zugeben wollen, so wissen sie doch nur zu genau, dass auch sie im Grunde nur 13 Monate von HartzIV entfernt sind - einen Monat Kündigungsfrist und zwölf Monate ALG1. Das macht Angst! Und diese lässt viele Menschen noch kleinlauter und duckmäuserischer werden, als sie es ohnehin schon sind.
Das Ergebnis sind Ja-Sager, Schleimer, Arschkriecher und Selbstdarsteller aller Orten, und das noch nicht einmal um die Karriereleiter empor zu klettern, nein, einzig und allein um auf dem derzeitigen Posten verharren zu dürfen.
In den frühen 80ern war auch ich für einige Monate arbeits- und mittellos. Beim damaligen Sozialamt habe ich noch sehr gute Erfahrungen gemacht. Nach einem kurzen Gespräch bekam ich an der Kasse in bar mehrere hundert Mark ausbezahlt um erst einmal meinen Kühlschrank zu füllen und um die Zeit bis zur Leistungserteilung zu überbrücken. Meine Sachbearbeiterin ging mit mir zur Wohngeldstelle (aus eigenem Antrieb, ich bin kein Womanizer) und regelte mit der dortigen Mitarbeiterin meine Miete etc.
So unterstützt und abgesichert konnte ich mir eine selbständige Existenz organisieren, so dass ich mich (natürlich auch mit Glück) schon nach drei Monaten bis heute selbst finanzierte.
Auch auf dem Arbeitsamt, dass allerdings damals schon keine Vermittlung schaffte (das half mir zur Selbständigkeit) war der Ton freundlich und in meinem Sinne engagiert.
Im gleichen Gebäude an der Information wurde allerdings ein mit starkem Akzent radebrechender Türke von der dortigen Mitarbeiterin derartig herablassend und duzend (!) abgebügelt, dass ich mich genötigt sah, die Dame öffentlich zurechtzuweisen und um einen angemessenen Ton zu bitten - was sie dann auch tat. Wahrscheinlich war ich der letzte Besucher eines Arbeitsamtes, dem dies gelungen ist.
Meine Hochachtung gilt allen heutigen "Kunden" der "Arbeitsagenturen", die dort nicht vorbeugend übel riechende Wurfgeschosse mit sich führen. Nach fast 30 Jahren Selbständigkeit bin ich für ein Angestelltenverhältnis ohnehin nicht mehr geeignet...
Passt doch ganz gut hier her.
Während ich den Artikel lese, fällt mir eine französiche Anzeige auf.
"Suchen Sie eine NouNou (Kindermädchen)? Ein Kinderspiel! Ab 1,58 Euro die Stunde!
220.000 Kindermädchen in Frankreich. Schrieben Sie sich jetzt kostenlos ein!"
Gruss Troptard.
Bei meiner neuen Sachbearbeiterin hängt an der Wand, genau in Kopfhöhe neben dem Platz, an dem die Kunden sitzen, ein Zettel mit allen "MUSS-Bestimmungen" des SGB 2 fein säuberlich untereinander aufgelistet. Damit gleich mal eine positive Gesprächsatmosphäre entsteht...
Hartz4 war ja schon ein Verbrechen gegen die Arbeitnehmerschaft, aber was die CDU/FDP mit ihren "Anpassungsgesetzen" noch draufsetzen, spottet jeder Beschreibung. Alle Leistungen auf "Kann" reduziert, erhöhter Druck, verstärkte Kontrollen, verstärkte Sanktionen. Wieso wehren wir uns eigentlich nicht, wir sind Millionen von Betroffenen: organisieren wir doch selbst mal "Hausbesuche" und bauen Gegendruck auf. Und zeigen, dass man uns nicht ungestraft wie Dreck behandeln darf.
pillo hat gesagt...
"Das Ergebnis sind Ja-Sager, Schleimer, Arschkriecher und Selbstdarsteller aller Orten, und das noch nicht einmal um die Karriereleiter empor zu klettern, nein, einzig und allein um auf dem derzeitigen Posten verharren zu dürfen."
Dem ist nun wirklich nichts mehr hinzuzufüghen, so sieht es leider heute in den Betrieben aus, ebenso in Ämtern und Behörden mit den vielen Befristeten, Prekären.
Hartz 4 , ein totaler Erfolg - für's Kapital!
Wir sollten dabei nur nicht vergessen, dazu auch unseren famosen "Gewerkschaften" unseren Dank zu versagen, deren "Verantwortungsbewusstsein" für den "Standort" Deutschland..
MfG
Bakunin
Bakunin , d'accord soweit, und ansonsten wie seit Jahren -> START ->...jeden Tag ne neue Ungerechtigkeit, Verarsche, Betrug in feinstem orwellschen Neusprech über die Systemmedien hirngewaschen schön geredet , von den wenigen Kritikern in den blumigsten Worten chirurgisch genau definiert, analysiert ,kommentiert und inhaliert ..und.. solange der ausgeMERKELte räudige Köter Volk bei jedem Tritt nur aufjault statt sich umzudrehen und zu beißen ändert sich .. N-I-C-H-T-S !! STOP- REWIND -
Schöner Artikel, der die Situation am Arbeitsmarkt gut beschreibt. Ich zähle aktuell (noch) zu den Glücklichen, die einen nach meinem Empfinden guten AG haben, der zwar der Branche/Beruf üblichen Löhne eher unterschreitet, aber es ist dennoch genug für ein angenehmes Leben.
Ansonsten sind alle anderen Faktoren äusserst angenehm (Atmosphäre, Kollegen, Tätigkeiten, etc...) und diese wiegen für mich min. genauso stark wie ein angemessener Lohn.
@D.B. Ich bin mir nicht sicher, ob dein Kommentar "Kloputzen" als unwürdigen Job ansieht oder du einfach nur einen AG zitieren wolltest. Wie auch immer, für mich sind Jobs die gemacht werden müssen (Hygiene ist ja wohl nicht irrelevant) niemals unwürdig. Es ist natürlich etwas, was wohl kaum jemand Spass machen wird und da kommen wir wieder zur Kernaussage des Artikels.
Wäre es den meisten möglich eben genau diesen Unmut über die "Qualität" dieses Jobs zu äussern und auch Nein zu sagen, wäre das Angebot an Putzstellen hoch, aber die Nachfrage gering. Und dann könnten endlich die berüchtigten "Marktmechanismen" greifen wie sie sollen.
Entweder man müsste diesen Job durch z.B. besseres Werkzeug/Maschinen (Dampfstrahler, selbstreinigende Toiletten, dreckabweisende Beschichtungen, etc...) "einfacher" machen ODER dei Stundenlöhne müssen kontinuirlich anteigen, bis sich genug Nachfrage generiert. Helfen beide Massnahmen nicht, tja, dann scheint der Job einfach so ätzend zu sein, dass man sich komplett was neues einfallen lassen muss. Zum Beispiel, dass jeder arbeitsfähige mit anpacken muss und sagen wir 5h/Woche auch irgendwo putzt und zwar OHNE Ausnahme (also nix mit Vitamin B, weil Sohnemann von Politiker XY sich zu schade ist).
Der letzte Abschnitt ist natürlich nur eine Idee und soll nicht von oben herab sondern demokratisch legitimiert in direkter politischen Wahl (z.B. mit Vorschlägen aus unabhängiger Expertenkommision oder Top 5 Ideen aus dem Volk) abgestimmt werden.
Denn aktuell haben wir eher die perplexe Situation, dass bestimmte Branchen und Tätigkeiten hohe Löhne und Vermögen erzeugen, aber die volkswirtschaftliche Relevanz hierfür in Frage zu stellen ist (Finanzsektor war 12% des BIP in DE im Jahr 2010, aber bin mir nicht ganz im Jahr sicher). Da wurden teils mit Spekulation und fragwürdigen Finanzprodukten Forderungen generiert, wo ich nicht den Mehrwert für die Gesellschaft sehe, ausser das diese Branchen hohe Gewinne erzielen und oft zu Lasten anderer und das nur weil sie sozusagen direkt am Geld sitzen (Banklizenz und so) und somit schon fast Verteilungspolitik betreiben.
Wie soll man den effektiv einen Manager bewerten. Wenn er einen grossen Kredit an eine Firma vergibt, aber dort zig Nachteile für die Firma bestehen, da der Manager hohe Provisionen dafür erhält und die Bank bestimmte Kreditformen forciert, was genau hat das mit Qualität zu tun? Er ist monetär erfolgreich und gilt somit offiziell zu den "Leistungsträgern", aber entsteht durch solches Handeln der Bank und des Managers, bis auf die eigene Steigerung des Vermögens wirklich die Folge, dass der Kreditnehmer, also dem Fall die Firma, ein für sie zugeschneidertes und qualitativ hochwertiges "Produkt" erhält?
Ich wollte mit dem Beispiel aufzeigen, wie stark wie unsere qualitative Bewertung bestimmter Produkte und Dienstleistungen, nur von dem Faktor abhängig machen, wie stark die Umsätze, Gewinne, Löhne, usw. einiger Branchen sind, also eine rein monetäre Bewertung.
Mein Fazit: Ein intelektuelles Armutszeugnis, wenn eine (sich selbstnennende) moderne Gesellschaft des 21.Jh so wenige Parameter und Variablen für die Bewertung der oben beschrieben "Qualität" herangezogen werden.
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