De auditu

Dienstag, 16. April 2013

Schulden und Schuld sind sprachlich und vom Sinngehalt verschwistert. Wer Schulden hat, trägt Schuld mit sich. Bringschuld, die Schuld, die Ausstände zu begleichen. Schulden tragen somit terminologisch eine ethische Klassifizierung mit sich. Der Schuldner hat nicht nur pekuniäre, also materielle Verpflichtungen, die offen sind, sondern steckt letztlich auch moralisch in Kalamitäten. Das Wort Schulden hat auch deshalb einen schlechten Ruf, weil es moralischen Ursprungs, weil es die Zuweisung eines Missstandes ist, der aber in der modernen Gesellschaft unausweichlich, ja notwendig wird. Denn ohne die Aufnahme von Schulden entsteht nicht das Maß an Investitionen, das in der arbeitsteiligen Industriegesellschaft nötig ist.

Fraglich ist jedoch, ob man die Schulden, die Menschen aufhäufen, die in Armutsverhältnissen leben müssen, auch wirklich als Schulden bezeichnen kann. Welche Schuld trägt jemand, der sein Konto nur dafür überzieht, um sich Lebensmittel kaufen zu können? Der sich zwecks Mobilität ein Monatsticket für den Bus zulegt? Der ins Minus geht, um sich neue Schuhe zu erwerben? Wieviel Schuld steckt in Schuldnern, die Schulden haben, weil sie aus Gründen finanzieller Not über Katalog Bestellungen aufgeben, die sie nie werden begleichen können? Sind Schulden da noch mit Schuld verwandt? Macht sich derjenige, der sich die notwendigen Befriedigungen des körperlichen Daseins auf Grundlage von Geld finanziert, das er nicht hat, wirklich schuldig? Kommt nicht erst das Fressen, bevor die Moral wirken kann? Fangen Schulden (der Wortherkunft nach) nicht erst dort an, wo alle menschlichen Bedürfnisse, alle existenziellen Bedarfe abgedeckt sind?

Schulden sind nicht Schulden. Es ist überhaupt zweifelhaft, ob eine Gesellschaft, die Investitionen nur stemmen kann, wenn es die Bereitschaft zum Verleihen von Kapital gibt, Schulden mit dem ethischen Ursprung des Wortes in Verbindung bringen kann. Diese sittliche Einbettung von Verbindlichkeiten ist jedoch dann völlig unangebracht, wenn sie entstehen, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen. In einer Mangelgesellschaft, in der man sich auf Pump kleidete oder aß, mag die Schuld mitgeschwungen sein. Denn in ihr ist diese Versorgung auch immer die Nichtversorgung anderer. Aber in Tagen der Überproduktion und der Lebensmittelfülle nimmt niemand mehr Schuld auf sich, wenn er sich Geld vorschießen läßt, weil er es zur Abgeltung seiner Körperlichkeit benötigt. Die Verewigung des Daseinskampfes (Marcuse) bewirkt allerdings, dass das Wort Schulden weiterhin nah an der Schuld gebaut sein kann. Dasein zu wollen ist somit immer noch eine ethische Frage, gleichwohl sie es nicht sein müsste.



6 Kommentare:

Anonym 16. April 2013 um 08:22  

...oh je...welch tiefsinnige Gedanken...ich habe aus einer Firmenpleite so anaähernd über 500.000 € angehäuft.....aber irgendwie Schuldgefühle kommen bei mir nicht auf.....was macht es schon den Banken aus?....

Anonym 16. April 2013 um 15:02  

ANMERKER MEINT:

Genau so ist es, Roberto. Wobei noch anzumerken ist, dass die Politiker_innen bewusst oder unbewusst mit genau der von Dir dargestellten Kalamität umgehen. Indem sie Schuldenbremsen installieren, die, wie wir ja wissen ökonomischer Unsinn sind,spielen sie exakt mit dem von Dir geschilderten Schuld/Schuldenszenario und bringen die Menschen zustimmend hinter sich; denn Schulden sind ja was Böses, wie jede schwäbische Hausfrau weiß. Die muss man begleichen, und zwar auf Teufel komm raus. Und schwupps haben die Regierenden ihr Wahlvolk am moralischen Wickel und können mit dem Slogan "alternativlos" am Wohle des Volkes vorbeiregieren, obwohl sie darauf einen Eid abgelegt haben.

MEINT ANMERKER

Hartmut B. 16. April 2013 um 16:28  

Ein zentrales und zugleich komplexes Thema mit dem wohl jeder Mensch in seinem Leben irgenwann konfrontiert wird. Sowohl Schuld als auch Schulden können einen Menschen dermaßen belasten, dass er a) hiervon seelisch krank wird und b) am Leben so schwer hindern, bis in den Suizid.

Eugen Drewermann sagt hierzu.

Daß Menschen in Schuld geraten, ist schlimm;
aber sich schuldig zu fühlen und
nicht an Vergebung glauben zu können -
das ist die Hölle.

Tipp

Schulden, David Graeber

In diesem sehr umfangreichen Werk setzt sich der Autor mit Schuld(en) intensiv in geschichtlichen, politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen auseinander.

Anonym 16. April 2013 um 20:09  

Guten Abend,

mehr zum gleichen Thema, danke.


PS: Graeber zum Thema gelesen?
PPS: hiermit bewies ich: ich bin kein Roboter.

Maxim 16. April 2013 um 23:45  

Bei tagesschau.de kam kürzlich die Meldung, dass wegen der automatischen Kürzungen in den USA nun Medicare-Patienten von privaten Krebskliniken aus Kostengründen abgewiesen werden. Ein Kommentator unter dem Artikel meint dazu (sinngemäß), das sei nun mal leider so, aber immer noch besser, als neue Schulden aufzunehmen.
Nicht nur Politiker sind inzwischen soweit, dass sie für den heiligen Zweck der Haushaltskonsolidierung bereit sind, über Leichen zu gehen. All das stets im Namen einer nicht näher bestimmten, zukünftigen Generation, die offenbar gar nicht existiert, weil jede Generation sich für das Wohl der nächsten zurücknehmen muss.

flavo 17. April 2013 um 15:53  

Schulden wären zudem noch zu verrechnen nach dem Teil, der aus dem abgeschöpften Mehrwert entspringt, welcher den Arbeitenden oder Tätigen abgezwackt wird, zur Mehrung gesammelt wird und sodann unter umständen unter gewandelten Vorzeichen diesen zum Kredit dargereicht wird zur Bewältigung des Daseins, auf den dann auch noch der Zins zu zahlen ist. Die Ausbeutung quadriert sich hierin. Nicht aber die Schuld. Wie gesagt, wohl nur in der Theorie.

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