Auf dem Felde ungeschlagen

Freitag, 26. April 2013

Dass die zwei deutschen Wirtschaftsunternehmen Borussia Dortmund und Bayern München nun höchstwahrscheinlich das Champions League-Finale bestreiten, passt blendend in diese Zeit deutscher Hegemonie in Europa. Dieses deutsch-deutsche Finale bereichert das ausgelutschte Repertoire der Hegemonieverklärer und -rechtfertiger um eine neue Facette mehr, gibt eine originelle Parabel ab.

Die Krise Europas, so die deutsche Lesart, resultiert aus falschen Moral- und Wertvorstellungen an der europäischen Peripherie. Weil es den Griechen und Spaniern an deutschen Eigenschaften, deutschen Qualitäten, deutscher Beschaffenheit mangelt, musste Europa zwangsläufig in den Abgrund rutschen. Hier koaliert die neoliberale Ökonomie mit dem deutschen Wesen, die protestantische Frugalität (nach Max Weber signifikanter Baustein des Kapitalismus) mit teutonischem Sendungsbewusstsein. Der ökonomische Machtanspruch teilt sich das Terrain mit einem Primatanspruch "deutscher Ideale", ummantelt die materialistische Komponente mit einem nationalistisch-idealistischen Gewebe.

Richtete sich Europa stärker an preußischen Tugenden aus, würde es also fleißiger, pünktlicher, ordnungsliebender und weniger wehleidig, so erwüchse ein wahrhaftig schlagkräftiges Europa. Kauder fasste das lapidar mit dem Satz zusammen, es würde wieder Deutsch in Europa gesprochen. Die Krise Europas ist demgemäß zu bändigen, wenn Europa dazu bereit ist, "Deutsch zu sprechen" und überdies Deutsch zu fühlen und zu handeln. Ein geeintes Europa muss ein deutsches Europa sein - sonst klappt es nicht. Das ist der Idealismus, den sich der neoliberale Materialismus gegeben hat, denn der Deutsche braucht auch was fürs Herz, fürs Gemüt.

Etwas fürs Herz ist auch diese passende Geschichte, die in diesen Tagen aus den Sportspalten herausrutscht, um als Beleg für das Großeganze herhalten zu dürfen. Zwei deutsche Wirtschaftsunternehmen bestreiten vermutlich das Champions League-Finale. Europa geht auch hier in Deutschland auf. Die Arroganz gebietet es nun, dies als Zeichen für deutsche Nachhaltigkeit und Gründlichkeit zu sehen. Während die überschuldeten Fußball-Unternehmen Spaniens ihren Zenit endgültig überschritten haben, stürmen nun die kraftstrotzenden deutschen Unternehmen Europas Fußballplätze, machen die Titelvergabe unter sich auf. Hier wurde anständiges Unternehmertum belohnt, südländische Entrepreneure und ihre halbseidenen Machenschaften ausgebremst. Seriöses Wirtschaften trägt Früchte. Jetzt da Deutschland Europa rettet und finanziert, da der Kontinent es bewundert und braucht, kommt ein solches Endspiel genau richtig. Dafür hätten die beiden Wirtschaftsunternehmen eigentlich einen Preis zur Wahrung und Ehrung des Zeitgeistes verdient.

War man früher noch im Felde, so ist man heute auf dem Felde ungeschlagen. Die Parolen ändern sich zuweilen nur unwesentlich. Das Deutsche braucht den Mythos, die bildhafte Geschichte, die belegt, deutlich macht und unterstreicht. Dieses deutsch-deutsche Finale ist ein solches Bild. Es macht dem größten Idioten klar, dass da etwas ganz Großes im Gange ist, das auf allenen Schienen des gesellschaftlichen Lebens nun die deutsche Qualität obsiegt.

Der Fußball wurde seit jeher als Spiegelbild der Gesellschaft missbraucht. Kraft, Ausdauer und Beharrlichkeit waren da nicht nur Eigenschaften technisch unraffinierter Kicker, sondern Adjektive einer ganzen Nation. Politiker bemühen die Sprache des Fußballs, um die Menschen bildlich zu erreichen. Als ich vor Jahren kurz vor einer betriebsbedingten Kündigung stand, meinte der für mich zuständige Vorarbeiter, mich mit Fußballquerverweisen motivieren zu müssen. Ich müsse weiterkämpfen, meinte er, nach dem Foul aufstehen und Engagement zeigen; man könne zwar verlieren, müsse aber fighten, seine Leistung trotzdem abrufen. Außerdem würde ich schon wieder einen neuen Verein finden. Er sprach, als wäre Sport das Leben. Ich gab nur zur Antwort, dass ich gleich eine Blutgrätsche von hinten in seine Waden ansetze, wenn er mich weiter so anblödelt. Vor seinem geistigen Auge wird er mir vermutlich sogleich die rote Karte gezeigt haben.

Keine Gleichsetzung, nur ein Vergleich, um zu belegen, wie sich die Zeiten manchmal ähneln können: Als 1934 und 1938 jeweils die italienische Auswahl die Weltmeisterschaft errang, nahm man das als allgemeinen Beleg dafür, dass der faschistische Mensch dem antiquierten Menschentypus überlegen sei und daher zwangsläufig siegreich vom Spielfeld treten müsse. Diese Parabel auf die neue Zeit war für jeden verständlich, war herrlich einfach und schien alle Wahrheit zu beinhalten. So platt würde das heute keiner mehr sagen. Aber fühlen und andeuten und mit pseudoseriöser Miene vortragen ist schon mal drin. Denn wie sagte schon der Fußball-Philosoph Rehhagel, der nun im Auftrag der Kanzlerin in Griechenland unterwegs ist, um gute Stimmung zu machen: Die Wahrheit liegt auf dem Platz. Und genau deshalb eignet sich dieser Doppelerfolg deutscher Fußball-Aktiengesellschaften besonders gut zur ideologischen Erbauung.


6 Kommentare:

Anonym 26. April 2013 um 07:31  

Eine andere Metapher drängt sich auf: Nur Großunternehmen können sich solche sündhaft teueren Gladiatoren-Ankäufe leisten. 37 Millionen für einen Spieler, das erinnert an Head-hunting für 'Führungskräfte'. Im Grunde gewinnt immer der Verein mit dem größten Portefeuille...

Anonym 26. April 2013 um 08:15  

ANMERKER MEINT:

Gut gegeben, Roberto. Auf ideologischer Ebene sollte vielleicht noch mal daran erinert werden, dass Beckenbauers "Sommermärchen" eine wichtige Etappe auf dem Weg zum "Wir sind wieder wer!" war. Und dass "Das WIR entscheidet", wissen wir ja dank der vaterländischen SPD ja auch. Also vorwärts und alles vergessen! Die deutsche Dampfwalze kann weiter dampfen und platt machen bis, ja bis das restliche Europa sich vielleicht eines gemeinsamen Widerstandes entsinnt und diesen auch tätigt - zumindest sollte man das auch hoffen. Denn der derzeitige deutsche Hochmut wird immer unerträglicher. Aber bekanntlich kommt Hochmut ja vor dem Fall. Manchmal bewahrheiten sich Sprichwörter!

MEINT ANMERKER

altautonomer 26. April 2013 um 08:33  

Sport ist in Deutschland vor allem ein Oberbegriff für alle Disziplinen, in denen Deutsche zur Weltspitze gehören, also Fußball, Boxen, Tennis und Autorennfahren. Henry Maske hat seine Boxer-Karriere beendet, die Gebrüder Klitschko sind irgendwie keine richtigen Deutschen, sondern eher Ukrainer, Boris Becker und Michael Stich schon lange anderweitig beschäftigt und Michael Schumachers Comeback verlief eher schleppend, bis er von Christian Vettel abgelöst wurde – Sport ist also vor allem ein anderes Wort für Fußball. Seit der Fußballweltmeisterschaft 2006 ist Deutschland nicht mehr das Land, welches einst den Meister Tod so großzügig beherbergte, sondern vor allem »Weltmeister der Herzen«.

Professioneller Spitzen-Fussball (BL, CL)hat vier Funktionen:

1. Er zeigt, dass Deutschland wieder friedlich auf internationalem Parkett zeigt, wer in der EU das Sagen hat.

2. Die Akzeptanz hoher Jahres-Einkommen in zweistelligen Millionebeträgen - analog zu den Managergehältern.

3. Die patriotische Identifikation mit Klassenfeinden, solange sie zu den Siegern gehören.

4. Schaffung einer von gesellschaftlichen Problemen ablenkenden Kommunikationsebene für Fussballinteresierte aller Klassen.

Anonym 26. April 2013 um 21:06  

Arnd Zeigler hat "mich" gewissermassen darauf gebracht…
Wieso heisst es eigentlich 'deutsch-deutsches Finale', obwohl man, würden es die spanischen Clubs schaffen, schlicht von einem '(rein) spanischen Finale' schreiben und sprechen würde...(?)
Aber der Papst wird hierzulande ja auch Franziskus genannt, obwohl man ihn in der Tat 'Franz'rufen müsste.

Anonym 27. April 2013 um 17:28  

Fulminant, wie immer, aber - um mal vom Thema Deutschlands Neoliberalismus wegzukommen - mich treibt schon seit Anfang der Krise, d.h. eigentlich sogar schon vorher, die Frage um:

Sind Neo"liberalismus" und Neu"faschismus" nicht vereinbar?

Ist das der Grund warum diese erneute menschenverachtende, und sogar den normalen Alltag umfassende, Ideologie (die offiziell keine Ideologie sein will) so erfolgreich ist, neben dem Geld, dass via PR für seine Erhaltung nach dem neoliberalen Mauerfall aufrecht erhalten wird?

Soviel ich weiß wurde diese Ideologie ja in Südamerika gerade bei Faschisten wie Pinoquet sehr beliebt, und so manche "konservative" (heute nennt man sich ja nicht mehr gerne Faschist) Regierung in Südamerika liebt diese Ideologie bis 2013, und darüber hinaus, dank Unterstützung - auch von - dt. FDP-CDU/CSU-Stiftungen....

Gruß
Bernie

Ichmeinemal 27. April 2013 um 19:21  

"Deutsch zu fühlen" - dazu wäre zu sagen, dass die Deutschen eines der emotional gehemmtesten Völker sind. Um dies zu kompensieren, beschäftigen sie sich ständig intern und extern mit ihrem Status. Besserung ist wohl nicht zu erwarten. Diese Hemmung anderen Völkern anerziehen zu wollen, ist natürlich der pathologische Gipfel. Aber erklär das mal einem Deutschen ...

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