De auditu

Dienstag, 30. April 2013

Eine sprachliche Unart unserer Tage, so meint jedenfalls der Kabarettist Helmut Schleich, sei die Erwiderung einer Aussage mit einem undefinierbaren Okay. Dabei ist dieses Okay als Frage intoniert und langgezogen, also vielmehr ein Okaaay? Schleich nennt das ein "Sprachneophyt und linguales Springkraut". Vor einigen Jahren, so erklärt er, habe das noch niemand gesagt. Aber heute ist Okaaay? eine eigentlich stets passende Antwort auf allerlei Erschlagenheiten des täglichen Lebens. Denn dieses irgendwie ironisch unterlegte Okaaay?, auch das hat Schleich ganz richtig erläutert, sei Ausdruck für Überforderung.

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Das muss doch mal gesagt werden

Montag, 29. April 2013

Müller-Vogg galt einige Jahre lang als renommiertester Vertreter unter den konservativen Kolumnisten. Er drechselte Sätze voll regierungsnaher Thesen, die selten besonders schön, meist aber polemisch genug waren, um als konservativer Part auch für Talkshows abonniert zu werden. Mehrmals in der Woche brachte er den Lesern seiner Kolumne in der Bildzeitung die schwere Bürde des Konservatismus nahe und mahnte beharrlich vor den Linken. Was in den letzten Monaten auffällt: Er hat ein starkes Bedürfnis danach, sich als Mann zu gerieren, der es wider aller Widerstände "mal sagt", der sich traut, das angeblich sonst Ungesagte, einfach mal zu sagen. Hierzu scheut er auch nicht die rhetorische Figur der Repetitio.

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Die große Leere im Herzen Jörg Laus

Sonntag, 28. April 2013

Ein Text von Fabian Köhler.

Die große Leere im Herzen des Terrors heißt ein Blog-Beitrag von Zeit-Redakteur Jörg Lau über das Boston-Attentat. Nicht nur über den Wahn der Attentäter liest man dort, sondern auch über einen einst sensiblen Journalisten, der nun lieber hasst als zu erklären.

Das Erfolgsrezept für Blogs zum Thema Islam und Nahost ist simpel: Möglichst viele Vorurteile, möglichst wenig Fakten, Pauschalisierungen statt Erklärungen. Eine wohltuende Ausnahme zwischen allen "politisch Inkorrekten" und "Dschihad-Watchern" war lange der Zeit-Redakteur Jörg Lau. Sein gleichnamiger Blog auf Zeit-Online bot das, was bei dem Thema ein sicherer Garant für Erfolglosigkeit ist: Differenzierungen. Dass Laus Beiträge zuweilen trotzdem so tendenziös sein konnten, wie man es von einem Redakteur einer Wochenzeitung, in dem selbst der Herausgeber schon vom "Islamofaschismus" schwafelte, erwartet, stimmt leider auch. Doch für eine Sache blieb sein Blog stets gut: Denkanstöße. Spätestens gestern hat Jörg Lau beschlossen, mit dem Denken aufzuhören.

Auf dem Felde ungeschlagen

Freitag, 26. April 2013

Dass die zwei deutschen Wirtschaftsunternehmen Borussia Dortmund und Bayern München nun höchstwahrscheinlich das Champions League-Finale bestreiten, passt blendend in diese Zeit deutscher Hegemonie in Europa. Dieses deutsch-deutsche Finale bereichert das ausgelutschte Repertoire der Hegemonieverklärer und -rechtfertiger um eine neue Facette mehr, gibt eine originelle Parabel ab.

Die Krise Europas, so die deutsche Lesart, resultiert aus falschen Moral- und Wertvorstellungen an der europäischen Peripherie. Weil es den Griechen und Spaniern an deutschen Eigenschaften, deutschen Qualitäten, deutscher Beschaffenheit mangelt, musste Europa zwangsläufig in den Abgrund rutschen. Hier koaliert die neoliberale Ökonomie mit dem deutschen Wesen, die protestantische Frugalität (nach Max Weber signifikanter Baustein des Kapitalismus) mit teutonischem Sendungsbewusstsein. Der ökonomische Machtanspruch teilt sich das Terrain mit einem Primatanspruch "deutscher Ideale", ummantelt die materialistische Komponente mit einem nationalistisch-idealistischen Gewebe.

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Die Inkontinenz der Alltagsrassisten

Donnerstag, 25. April 2013

Deutsche Zeitungen ergreifen Partei für türkische Beobachter im NSU-Prozess. Der Stern hält eine Podiumsdiskussion über Neonazis ab. Doch die Hoffnung auf ein Ende des Alltagsrassismus vergeht, sobald man aus der Wohnung tritt.

Geht endlich ein Ruck durch Deutschland? Die Bildzeitung gibt sich als Anwalt der NSU-Opfer, nachdem sie bis vor kurzem noch das rudimentäre Verständnis von Genetik und die rassistischen Schlussfolgerungen des Thilo S. verkündigt hatte. Die Presse hält das Verhalten des Münchner Oberlandesgerichtes für unwürdig und kritisiert es nachdrücklich. Diskussionsrunden gegen Rassismus und Xenophobie werden abgehalten. Es wirkt, als ginge es endlich der gefährlichen Unart ans Leder.

Auch Hoeneß war für den Videobeweis

Mittwoch, 24. April 2013

oder Die Videoüberwachung des öffentlichen Raumes schützt die öffentliche Hand auch nicht.

Nach Boston scheint mal wieder klar: Der Überwachungsstaat ist das Gebot der Stunde. Denn er schützt unsere Freiheit. Nur wenn wir uns zu einer Freigänger-Gesellschaft aufrappeln können, in der alle a priori verdächtig und daher mit stetem Argusauge verfolgungsbetreut werden müssen, gelingt uns der Spagat zwischen Sicherheit und freiheitlicher Grundordnung. Nur dann glückt uns ein freiheitlich grundgeordnetes Gefängnis, das kaum jemand bemerkt.

Videoüberwachung ist hierzu aber überbewertet, sie bringt keine Sicherheiten. Hat denn auch nur eine einzige Kamera am Grenzübergang zur Schweiz etwaige Steuerflüchtlinge aufgezeichnet? Und wenn ja: Wie viele? Und: Wo sind diese Aufzeichnungen denn jetzt? Nicht Kameras überführen den türmenden Reichtum, der muss sich schon selbst anzeigen, um überhaupt spruchreif zu werden. Oder er benötigt Amnestie-Gesetze, um sich zu outen. Noch nie hat eine Kamera auch nur einen Steuerflüchtling überführt.

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Sit venia verbo

Dienstag, 23. April 2013

"Nichts verbindet diese Nation so sehr wie die Abneigung gegen Randgruppen, wie das gemeinsame Gefühl des Betrogenwerdens und -seins, wie der Umstand, sich gegenseitig zuraunen zu können, wieder mal hintergangen worden zu sein. Hysterie vereint die Gesellschaft, nicht der Stolz auf Institutionen, auf Sozial- und Rechtsstaatlichkeit und so weiter. Die werden eher geächtet: das gemeinsame Betrogensein birgt die Gemeinschaft. Man steht zusammen weil man scheinbar betrogen wird - das funktioniert sogar klassenübergreifend. Die Empörung ist aber nicht nur heute modern als Klebstoff, sie war es in der letzten deutschen Demokratie auch schon. Sich kollektiv betrogen gefühlt zu haben: genau das war der Grundstock, auf den die ganz besonders empörten Herren in den braunen Phantasieuniformen bauten. Auch jene sprachen von einer Schicksalsgemeinschaft, die aber nicht sie entworfen oder terminologisch ersonnen hatten - sie rauschte in ihrer ganzen Empörung schon seit mehr als einem Jahrzehnt durch den Blätterwald, als man von dem großen Betrug an der gesellschaftlichen Mitte berichtete ..."
- Roberto J. De Lapuente, "Auf die faule Haut: Skizzen & Essays" -

Den New Conservatism verstehen lernen

Montag, 22. April 2013

Quelle: VAT Verlag
Lynndie England und Joe Bageant sind aus derselben Gegend. Aus den beiden Virginias. England machte Karriere als Foltermagd von Abu Ghuraib. Ihr kühles und sadistisch paffendes Gesicht ging um die Welt. Bageant wurde Journalist. Beide sind Kinder einer Arbeiterklasse, die gesellschaftlich vernachlässigt wurde und die es laut der von den Medien verbreiteten Ideologie von der "klassenlosen Gesellschaft" eigentlich gar nicht mehr geben dürfte. In Auf Rehwildjagd mit Jesus nimmt Bageant mit auf einen Streifzug durch ein kaltes, ja mörderisches Milieu, in dem fundamentalistische Kirchen auf fruchtbaren Boden stoßen.

Obwohl die propagierte Klassenlosigkeit Doktrin ist, spricht Bageant von "der großen Masse der Unterbezahlten, wenig Gebildeten und Überarbeiteten". Die Mittelschicht sei abhängig von Menschen seiner Klasse, erklärt der Autor weiter. "Wir sind der Grund dafür, dass sich Amerika einer niedrigen Inflation erfreut und die privaten Altersruhegelder der Mittelschicht stabil bleiben. Gleichzeitig hat man dafür gesorgt, dass die Arbeiterschaft vollständig am Tropf der Sozialhilfe-Programms hängt, eines Programms, das sich Social Security nennt und von der besitzenden Klasse über kurz oder lang durch die Hintertür gekürzt und privatisiert werden wird, um die Aktienkurse in einer auf wundersame Weise den eigenen Interessen dienenden Schleife und ganz im Sinne der von ihnen am meisten profitierenden oberen Mittel- und Oberschicht in die Höhe zu treiben."

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Ein Paket voller Umgangsregeln

Freitag, 19. April 2013

Zeit für Wahlprogramme. Überall schießen sie nun aus dem Boden. Alle verabschieden welche. Wer sich eines zulegt, gibt lediglich die politolinguistische Richtung für die nächsten Monate vor. Der Inhalt des Wahlprogrammes besteht nicht aus Konzepten, die gesellschaftlich organisiert werden sollen, sondern es handelt sich um reine Sprachkonzepte.

Die Sozialdemokratie zum Beispiel, die hat sich ein Wahlprogramm zugelegt, in dem der Begriff soziale Gerechtigkeit Platz findet. Verabschiedet wurde es auf Initiative jener parteilichen Avantgarde, die die soziale Gerechtigkeit vor einigen Jahren noch als Sozialromantik abtat. Es geht dabei aber auch nicht um handfeste Vorhaben, sondern um die Vereinbarung darüber, in den nächsten Monaten verstärkt und nachdrücklich der sozialen Gerechtigkeit das Wort zu reden. Es ist eine Sprachregelung, über die die Partei abgestimmt, die sie sich selbst auferlegt hat.

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Morgen ist ein neuer Tag

Donnerstag, 18. April 2013

Das Innenministerium spricht nach Boston davon, dass eine abstrakte Anschlagsgefahr weiterhin bestehe, konkrete Hinweise auf Anschläge aber nicht existierten. Was soll eine solche inhaltslose Wasserstandsmeldung? Sie hat den informativen Gehalt von Sätzen wie: Morgen ist ein neuer Tag.

Abstrakte Gefahren lauern überall. Theoretisch ist die Gefahr stetiger Begleiter. Wenn ein Ministerium so tut, als sei die Gefahr für die Allgemeinheit etwas, was nicht üblich sei, dann hat es das Wesen der Menschheit nicht begriffen. Verräterisch ist dabei das Wörtchen "weiterhin". Es suggeriert hier, als habe es menschliche Gesellschaft auch mal ohne etwaiges abstraktes Gefahrenpotenzial gegeben. Mit "intellektuellen Niedergang" alleine kann man dergleichen Statements nicht erklären.

Diese Liste bedeutet Widerstand

Mittwoch, 17. April 2013

OffshoreLeaks der Grundstein eines Yad Vashems von der Steuer verfolgter Minderheiten?

Mindestens zwei Dekaden lang las man von Leistungsträgern, die die Früchte ihrer Leistung nicht genießen dürften, weil die großen Räuberbanden (so nannte der Kirchenvater Augustinus mal den Staat) sie schächteten. Steuern runter! war das parteipolitische Bittgebet jener Denke. Peter Sloterdijk nannte die Steuererhebung sogar herablassend eine „Revolution der gebenden Hand“ und sprach von kleptokratischen Strukturen, denen sich der Reichtum zugunsten der Armut unterordnen müsse. Dass Leistungsträger selbstlos der Enteignung ihrer Einkünfte zustimmten, sei indes „ein politisches Dressurergebnis, das jeden Finanzminister des Absolutismus vor Neid hätte erblassen lassen“. Moderne Finanzminister seien daher wie Robin Hood, beschloss Sloterdijk mit sophistischer Chuzpe.

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De auditu

Dienstag, 16. April 2013

Schulden und Schuld sind sprachlich und vom Sinngehalt verschwistert. Wer Schulden hat, trägt Schuld mit sich. Bringschuld, die Schuld, die Ausstände zu begleichen. Schulden tragen somit terminologisch eine ethische Klassifizierung mit sich. Der Schuldner hat nicht nur pekuniäre, also materielle Verpflichtungen, die offen sind, sondern steckt letztlich auch moralisch in Kalamitäten. Das Wort Schulden hat auch deshalb einen schlechten Ruf, weil es moralischen Ursprungs, weil es die Zuweisung eines Missstandes ist, der aber in der modernen Gesellschaft unausweichlich, ja notwendig wird. Denn ohne die Aufnahme von Schulden entsteht nicht das Maß an Investitionen, das in der arbeitsteiligen Industriegesellschaft nötig ist.

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Kleine Waffenkunde nackter Brüste

Montag, 15. April 2013

Wir haben uns überlegt, was Frauen Radikales tun können, ohne Granaten werfen zu müssen - und da haben wir unsere Brüste hervorgeholt, sagte neulich eine gegen Putin gerichtete Feme im Morgenmagazin. Titten als Geschoss? Warzenhöfe als Schrapnell? Geht es hier noch um politische Signale oder ist die Aktion nur noch infantiler Spieltrieb?

Schon vor über vierzig Jahren waren solche "Kundgebungen" peinlich und sinnlos. Damals stürmten zum Beispiel drei Studentinnen barbusig auf Adornos Podium, wollten den Soziologen als Büttel des Staates kennzeichnen, mit ihren Brüsten verdeutlichen, dass er politischer eher rechts steht. Damalige Linke beklatschten diese Sinnlosigkeit freudig. Und sie tun es heute auch. Wenn sich linker Bewegungsdrang innerhalb des neoliberalen Kapitalismus so äußert, dass das Hervorholen von Titten schon applauswürdig ist, dann steht es um die politische Linke schlechter als gedacht.

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Medizinische Notwendigkeit

Samstag, 13. April 2013

oder Es gibt für die Medizin nicht die Notwendigkeit, jedem zu helfen.

In Deutschland wird zu viel operiert. Der Gesundheitsminister will daher unnötige Operationen künftig verhindern. Operationen, die nicht medizinisch notwendig seien, müssten demnach auf den Prüfstand. Wer soll aber prüfen, was medizinisch notwendig ist oder nicht? Der MDK vielleicht, der nebenher auch gleich AU-Bescheinigungen von Arbeitslosen auswerten soll.

Natürlich lassen sich immer Fälle aufführen, in denen unnötig operiert wurde. Das Morgenmagazin im Ersten führte beispielsweise einen Mann auf, dessen Knie voreilig durch ein künstliches Gelenk ersetzt wurde. Gleichzeitig ließen sich aber auch Fälle aufzeigen, in denen notwendige Operationen verschleppt oder gar nicht gemacht wurden. Paradebeispiele für Sachverhalte jeglicher Art findet man in der Gesellschaft immer. Damit läßt sich also wenig beweisen. Und Ärzte, die sich zusammen wie viele Köche am Brei verhalten, dürften wohl auch keine überparteiliche und neutrale Instanz sein. Da geht es immer um Profit, Launen und Revierstreitigkeiten gegenüber Kollegen, die vielleicht schon vorher dem Patienten einen Befund ausgestellt hatten.

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Eine deutsche Melodie

Freitag, 12. April 2013

oder Der Scheißdeutsche als Schmiede der Nation.

Rechtskonservative Kreise bemerkten schon vor Jahren, dass eine besonders perfide Form des Rassismus die Deutschenfeindlichkeit sei. So prügelten ausländische U-Bahn-Schläger Deutsche, dabei Scheiß Deutscher! brüllend und zeigten damit ihren Deutschenhass. Nun hallt es nicht mehr nur unter Tage so, jetzt vernimmt man aus allen Ecken Europas etwas, was man hierzulande vereinfacht Deutschenhass nennt. Diese Simplifizierung ähnelt einer Stimmung von dazumal.

Mit der konstruierten Gemeinschaft, die sich auf der angeblichen Ablehnung aller anderen gründet, die als gemeinschaftlichen Ursprung das Gefühl nährt, man stehe alleine gegen die ganze Welt, hübschen sich Regierungen in Deutschland zuweilen ihre Isolierung auf. Man nennt sich einen beleidigten Lonesome Cowboy und gibt als Erklärung ab, dass das europäische Ausland den alten und so völlig unerklärlichen Hass wieder belebt hat, wieder Scheiß Deutscher! ruft. Über diesen "Rassismus gegen die deutsche Rasse" ist man schockiert, gleichzeitig ein Bestsellerautor kürzlich noch genetische Finten ausstreute, was man allerdings als Wissenschaft bezeichnete.

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Ein Sozialstaat am Stammtisch

Donnerstag, 11. April 2013

Der Arbeitslose ist nicht arbeitslos, sondern macht blau. So sieht das wenigstens der politische Boulevard. Den Blaumachern soll es nun an den Kragen gehen. Arbeitslose seien nicht nur häufiger krank als Arbeitnehmer. Sie seien es immer dann, wenn auf dem Plan des Förderns und Forderns letzteres steht.

Dass Bezieher des Arbeitslosengeld II häufiger krank sind, kann systematisch erklärt werden. Als man die Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe zusammenlegte, mischte man zwei Gruppen staatlicher Leistungsberechtigter zusammen. Beide hatten nur bedingt einen gemeinsamen Hintergrund aufzuweisen: Da waren die Arbeitsfähigen, die sich auf dem Arbeitsmarkt schwer taten. Und diejenigen, die aufgrund begrenzter Arbeitsfähigkeit nicht als Kandidaten für den Arbeitsmarkt taugten. Mit Hartz IV wurde plötzlich so gut wie jede Arbeit für so gut wie jeden Leistungsberechtigten zumutbar. Die Klientel wurde deshalb aber nicht gesünder und damit arbeitsfähiger – im Gegenteil.

Ridendo dicere verum

Mittwoch, 10. April 2013

"Frauen, die die gleichen Rechte wie Männer fordern, sind auf jeden Fall bemerkenswert genügsam."

Selbstvertrauen ist der Rohstoff solider Arbeitsmarktpolitik

Dienstag, 9. April 2013

oder Das Marktgleichgewicht durch Angebot und Nachfrage lautet im SGB II: Wer zu viel nachfragt, wird sanktioniert.

Und nochmals Erfahrungen vom sozialistischen Jetset.

Wie gesagt, einige Jahre lebte ich von Hartz IV. Mal beschnitten, weil geringes Salär aufstockend - mal in völliger Reinheit des Regelsatzes, weil wieder mal kein Einkommen vorhanden. Die stets wiederkehrende Arbeitssuche gestaltete sich in dieser Zeit steinig. Erstens weil Arbeitsplätze rar sind und, zweitens, weil Hartz IV deutliche Wirkungen zeigt. Wirkungen bei Personalchefs – auch die lesen Zeitungen, in denen wundersame Geschichten zu Hartz IV-Schmarotzern geschrieben stehen. Aber auch beim Leistungsberechtigten selbst wird die Reform mit dem unseligen Namen wirksam. Die pogromartigen Medienkampagnen gegen Erwerbslose nagen am Selbstwertgefühl - und auch das Sanktionsrepertoire, das den Behörden allerlei Drangsal erlaubt, führt man wie migränen Druck mit sich im Kopf herum, falls man doch mal zu einem Bewerbungsgespräch geladen wird; wie ein Häufchen Minderwertigkeitskomplex sitzt man jemanden gegenüber, der einen einstellen soll – in der Regel hemmt ein solcher Auftritt die Einstellungsbereitschaft immens. Und natürlich definiert das Umfeld des arbeitslosen Bewerbers ein solches Auftreten als klägliches Versagen und führt es endlich als Spiegelbild der individuellen Gesamtsituation an.

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Unternehmen brauchen keine Charakterschulung

Montag, 8. April 2013

Der Boykottaufruf als Bestätigung des Mantras, wonach der Markt moralisch sei.

Der Hype um Amazons Betriebspraxis ist abgeebbt. So berechtigt die Kritik gewesen ist, so enthüllend war sie gleichzeitig. Denn die Kritiker haben illustriert, dass sie die Handlungen der Akteure des Finanzkapitalismus immer noch als Charakter- nicht als Systementscheidungen betrachten.

Man muss die Betriebspraxis, die bei Amazon offenbar wurde, durchaus als unethisch einordnen. Sie ist es aber nicht ausschließlich und vielleicht am wenigsten von jenem Unternehmen selbst, sondern als Produkt der Möglichkeiten anzusehen, die politisch geschaffen wurden. Ein starkes Niedriglohnsegment, das mit Menschen aufgestockt werden kann, die die Freizügigkeit des vereinten Kontinents genießen dürfen und letztlich aus Not heraus schier zu Leibeigenen herabgewürdigt werden können, kann man nur zum Teil Amazon anlasten. Als Unternehmen, das ist einer deregulierten Marktwirtschaft wirken möchte, wäre es aus betriebswirtschaftlicher Sicht wahrscheinlich unethisch, nicht dergestalt unethisch zu sein.

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Jede Zeit hat ihre Schutzwälle

Sonntag, 7. April 2013

Parolen haben manchmal kurze Halbwertszeiten. „Die Mauer muss weg“ hielt fast ein Vierteljahrhundert. Nun soll sie allerdings bleiben. Denn Mauerbekenntnisse passen überhaupt nicht schlecht in diese Zeit. Sie sind ein Lebensgefühl.

Vor nicht einmal zwei Jahrzehnten tanzten Berliner verächtlich auf der Mauer, stemmten Brocken heraus, sorgten dafür, dass Segmente von ihr einbrachen. Zwei Jahrzehnte später sind vielleicht jene, die damals Presslufthammer ansetzten, wieder an der Mauer. An dem, was davon übrig ist. Diesmal wollen sie den Abriss verhindern, diesmal soll die Mauer nicht weg, sie soll bleiben. Ein bisschen Mauer darf schon sein. Keine ganze, keine endlose – nur ein wenig Gemäuer fürs in memoriam.

Deine Mörder kommen mit einem Lächeln

Freitag, 5. April 2013

oder Das Unfreundliche ist die wahre Freundlichkeit.

Vor einiger Zeit meinte Johanna Adorján im Feuilleton der FAZ, dass der "Skandalauftritt" Katja Riemanns nur zeige, "welch stumpfe Freundlichkeit wir inzwischen von Stars im Fernsehen erwarten". Das dürfte nur die verkürzte Sicht der Dinge sein. Stumpfe Freundlichkeit wird nicht nur in Interviews erwartet, sondern durchzieht diese schöne neue Welt als generelles Prinzip. Diese Gesellschaft nimmt für sich in Anspruch, selbst unbequeme Sachverhalte noch freundlich zu präsentieren. Dabei werden Typen immer rarer, Agendamenschen überschwemmen uns auf allen Kanälen.

"Hochgezüchtete Honigkuchenpferde" nennt der Kabarettist Helmut Schleich jene Kreaturen, die mit ihrer zweckorientierten Freundlichkeit auf jedes Gemüt schlagen. Ausdruck dieser Scharlatanerie sind manche Floskeln, behauptet Schleich. Schönen Tag noch! sei zum Beispiel ein wenig beredtes Sputum der Überfreundlichkeit bis ins letzte Loch hinein. Schönen Tag noch! wird mit solcher unaufrichtiger Penetranz gewünscht, wie am Fließband hingeklatscht, dass dabei nur noch ein verballhorntes Schnentanoch! herauskommt. Schleich sagt, diese Redensart habe sich ohne Not eingebürgert, denn es gab vorher schon synonym dazu eine passende Phrase, die da lautet:e Schleich Di!, (bay.); Hau ab!, Geh weg! [ugs.].

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De dicto

Donnerstag, 4. April 2013

"Mensch Merkel
[...]
... jedes Jahr traf sie dort Oberkellner Cristoforo Iacono (59). Dieses Jahr aber war er nicht mehr da.
[...]
... die Kanzlerin hat ein ganz bestimmtes Ziel: das Haus des früheren Hotelmitarbeiters."
- Bildzeitung vom 3. April 2013 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Es menschelt um die Kanzlerin. Sie ist im Urlaub, ist ungeschminkt und ohne BH unter der Bluse. Mensch Merkel eröffnet die Bildzeitung. Hinter der fotomontierten SS-Uniform steckt halt doch ein Mensch. Gerade richtig zur Verhitlerung Merkels an der Peripherie Europas kehrt man die Aktion Mensch hervor, hat man es zum redaktionellen Leitmotiv gemacht, den sterilen Hosenanzug in legere Wäsche zu stecken. Die Urlaubskanzlerin soll die Fotomontagen vergessen machen. Und besonders menschlich scheint die Geschichte von der treuen Urlauberin, die ihren cameriere nachtrauerte.

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Unter Pultdächern

Mittwoch, 3. April 2013

Sascha Lobo meinte mal sinngemäß irgendwo, es habe ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Was früher zunächst privat war, für das öffentliche Auge erst freigegeben werden musste, ist heute durch den unbedarften Gebrauch sozialer Netzwerke erst öffentlich, bis man per Wink verordnet, es möge doch lieber privat bleiben. Die Facebookisierung hat bewirkt, dass das Label Privatsphäre nicht a priori herrscht, sondern erst angebracht werden muss. Alles ist öffentlich, bis es privatisiert wird - wir sprechen hier natürlich ausschließlich vom Normalbürger.

Schemata eines Sciapuno;
Quelle: Geschichte der Architektur

Dieser umgekehrte Umgang mit den jeweiligen Räumen kann als Rückschritt ins Primitive gesehen werden. Die Yanoama-Indianer, die im Orinoco-Gebiet angesiedelt sind, leben beispielsweise in einem Zustand, der das Private nicht kennt - oder besser gesagt: das Private ist dort Allgemeingut und für jeden sichtbar. Die architektonische Ausformung der für alle zugänglichen Privatheit nennt sich Sciapuno. Das sind Mehrfamiliensiedlungen, die kreisförmig angeordnet sind und nur aus Pultdächern bestehen. Es ist eine primitive Siedlungsform, die ähnlich in vielen Weltgegenden üblich war, bis der Fortschritt trennende, verbergende Wände entwarf, hinter denen bestimmte soziale Umgänge für die Betrachter ohne unmittelbaren Bezug zum Geschehen, privatisiert wurden.

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Merkel nach Den Haag!

Dienstag, 2. April 2013

Wir brauchen einen neuen Straftatbestand. Der Völkermord kann nicht mehr nur als unmittelbar verordnete Handlung angesehen werden, sondern seine Begriffsdefinition bedarf dringend der Überarbeitung. Ein Völkermord, der nicht direkt tötet, nicht selbst Hand anlegt oder Order erteilt, sondern im indirekten Vorsatz Leid und Tod über Völker ausschüttet, muss Aufnahme ins genozidale Repertoire finden. Und die Regierung Merkel hat vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu landen.

Wer "Mitgliedern [von] Gruppe[n] schwere körperliche oder seelische Schäden […] zufügt", macht sie des Straftatbestandes des Völkermordes schuldig. So liest man das heute schon in der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes. In der steht über die indirekte Vermittlung von Zuständen, die einen genozidalen Charakter annehmen, reichlich wenig. Zwar wird die Unmittelbarkeit des Völkermordes nicht ausdrücklich erwähnt, aber sie läßt sich doch erahnen. Es sind Gruppen oder Regierungen gemeint, die den Genozid verordnen und absegnen, die zwar nicht mittelbar selbst morden, aber im linearen Verwaltungsakt töten lassen bzw. alles dafür arrangieren, dass Strukturen entstehen, die dem Ethnozid gleich noch genozidalen Auswuchs versprechen.

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Das Ende des politischen Aprilscherzes

Montag, 1. April 2013

Wir leben in einer losen Aneinanderreihung zusammengehöriger Aprilscherze. Aktuell ist es die europäische Finanzkriegserklärung an eine kleine Insel im Mittelmeer, die im Überbau des Sparsamkeitskapitalismus aufgeht. Über oktroyierten Demokratieabbau, defizitär gehaltenen Sozialstaat und die Aushebelung nationaler Selbstbestimmung hätten andere Generationen innerhalb der Epoche der europäischen Integration nur fade gelächelt und mit April, April! den Ulk entlüftet. So ein April, April! gibt es aktuell nicht mehr. Der Aprilscherz scheint Agenda geworden.

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