Habemus papam: na und?

Mittwoch, 30. Juni 2010

oder: aus gegebenen Anlass, der eigentlich kein Anlass wäre, einige persönliche Worte.

Wenn sich in Rom der weiße Rauch noch nicht ganz verzogen hat, einige Augenblicke später ein grauhaariger Geistlicher ans Fenster tritt und ausruft, dass wir nun einen Papst hätten, dann mag das gläubige Katholiken angehen - allen anderen ist das hinlänglich egal. Geschieht Ähnliches zu Berlin, rufen sie dort ihr Habemus papam! in die Kameras, nachdem sie stundenlang im Konklave schacherten, dann ist das von Interesse für fromme Anhänger der parlamentarischen Demokratie - jemand, der den Glauben daran aber aufgegeben hat, den kümmert der neue Ersatzkaiser wenig. Zumal sich Weihnachtsansprachen ganz vortrefflich per Fernbedienung abschalten lassen.

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Nomen non est omen

Heute: "Modernisierungsverlierer"

Der Begriff "Modernisierungsverlierer" bezeichnet eine Gruppe von Menschen, die durch gesellschaftliche oder ökonomische Veränderungen benachteiligt werden. Er setzt sich aus zwei Begriffen zusammen, wobei der Erste positiv konnotiert ist (modern) und der Zweite eher negativ (Verlierer). Das Schlagwort, welches von Wilhelm Heitmeyer geprägt wurde, womit er vor allem rechtsextreme Jugendliche meinte, beinhaltet für mich gleich mehrere Problematiken.

Zum einen ist überhaupt nicht geklärt, was wirklich "modern" ist und ob die "Moderne" wirklich immer erstrebenswert sei? Neoliberales Gedankentum, ökonomische Verwurstung in allen gesellschaftlichen Bereichen sowie eine breitflächige Industrialisierung mit all ihren Folgen sind einige wenige Punkte, die als "modern" angesehen werden. Gleichzeitig benutzen vor allem Politiker und Ökonomen dieses Adjektiv, um ihre unsozialen Ansichten und Vorgehensweisen unter dem Deckmantel der »Moderne« zu verstecken. Oft ist "modern" aber auch einfach nur eine Plastikphrase, die inhaltlich wenig aussagt, aber einen positven Klang hinterlassen soll. Schließlich will niemand als unmodern, alt und überholt gelten.

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Hartz geht um die Welt

Dienstag, 29. Juni 2010

Die Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer nehmen sich ein Beispiel an Deutschland. Beim Sparen sind wir Vorbild! Das Sparpaket macht Schule, ab 2011 schnürt auch die G 20 solcherlei Sparbündel. Und weil Deutschland nun Vorreiter ist, muß es mit positivem Beispiel vorangehen! Nicht straucheln, nicht schwach werden und nachgeben: Sparen, sparen, immer weiter sparen. Wenn man schon mal einen erfolgreichen Exportschlager hat, da ist man sich einig, dann muß man sich zu diesem auch bedingungslos bekennen.

Beim Sparen sind wir Vorbild! Wahrlich, wir sind Vorbild für die Welt - wir armen Schlucker Deutschlands! An uns nehmen sie sich ein Beispiel, an uns Arbeitslosen und Rentnern, Geringverdienern und Alleinerziehenden - an den langsam aber nachdrücklich verarmenden Kindern Deutschlands will sich der reichere Teil der Welt messen lassen. Der Hartz IV-Empfänger als Global Player in Lauerstellung, sein Lebensentwurf soll rettender Maßstab für Industrieländer werden. Selbst dem geringfügig Beschäftigten gehört morgen schon die ganze Welt! Die, die im Alter ergänzende Grundsicherung beziehen, dürfen hochbetagt nochmals um die Erde reisen! Ja, die deutsche Unterschicht ist gar vorbildlich - die Welt nimmt sich ein Beispiel an ihr.

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Macht die Diktatur komplett!

Montag, 28. Juni 2010

Was das Wahlvolk will, fragt Frank Schirrmacher, sich danach ellenlang in Konfusion ergießend. Wen will das Wahlvolk: Volkspräsident Gauck oder den Bürgerpräsidenten Wulff? Mann des Volkes oder bürgerlichen Pedell? Wobei nicht ganz sicher ist, wer welche Rolle einnimmt. Was hat denn das Wahlvolk dort eigentlich mitzuentscheiden?, fragt man sich da ratlos. Es erhält doch überhaupt keine Wahlbenachrichtigung, kein Stück Kartonage, das einen erst zum Staatsbürger einer Demokratie macht. Schirrmacher geht noch viel weiter, schreibt zum Schluss seines Tohuwabohus irgendwas von einem "verdammt guten Wahlvolk". Nur welches Wahlvolk? Es gibt doch in dieser Sache gar kein Wahlvolk...

Oder ist er ein bürgerlicher Kämpfer für Basisdemokratie? Ein literarischer Held, den er selbst in seinen Zeilen andeutet; ein basisdemokratischer Literat und Gelehrter mit Weitblick und Vision? Schmiedet er diese hypothetische Fragenstellerei nur, um uns die ganze demokratische Misere dieser Demokratie vor Augen zu halten? Mag sein, dass sich Schirrmacher, wortgewandter Sachverwalter erratischer Lehrsätze, nun gegen dieses abgekartete Wahlmännerprinzip auflehnt; gegen diese Emulsion aus Zwang und Gewissen, wo man dem Gewissen der einbestellten Abnicker zwanghaft vorschreibt, für welchen Kandidaten zwingend eine Amtszeit erzwungen werden soll. Und weil diese georderten Gewissensträger schon nicht nachfragen wollen, so hat sich Schirrmacher wohl gedacht, lassen wir mal das ungefragte Wahlvolk sprechen - läßt es mich für sie sprechen! Dass dieses Ungefragtsein auch ein Glück sein könnte, gerade bei einer so flauen Auswahl, generell in einer Gesellschaft, in der charakterliche Mittelmäßigkeit und ethisches Stümpertum zu den Grundsatzerklärungen der Politik und Wirtschaft gehören: auf diese Idee kommt er freilich nicht.

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Facie prima

Samstag, 26. Juni 2010

Heute: Der Privatier, Karl-Theodor zu Guttenberg


Er wird als Normalo und bodenständiger Bürger gezeichnet. Als gemütlicher, lebensfroher Mensch, der den Boden unter den Füßen nicht verloren hat. Es gibt keinen Politiker, der sich so häufig in privater Vertrautheit ablichten läßt, wie der amtierende Verteidigungsminister. Als großer, erdverhafteter Junge von der anderen Straßenseite betritt er regelmäßig die Öffentlichkeit. Zu "einem von uns" soll ihn die Presse machen - und macht sie ihn auch. Zu einem, von dem man sagt, er sei ganz normal, ganz schlicht geblieben, damit man vergisst, dass der Junge von der anderen Straßenseite, eigentlich der steinreiche Adlige von der anderen Seite, nämlich von der anderen Seite der Gesellschaft, ist. Der auf Fotos sich privat gebende Minister, er türmt von seinem "Karl-Theodor", wird zum Kalle, zum Theo - zum konzilianten, liebenswürdigen Mordskerl; einer wählbaren Alternative zwischen all diesen abgehobenen, erdentrückten Aristokraten. Wenn einem der Spagat zwischen Dienstbeflissenheit und außerdienstlicher Normalität gelingt, dann müsse er schließlich etwas auf den Kasten haben, dann müsse er einfach gewählt werden.

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Esoterisch aus der Krise

Donnerstag, 24. Juni 2010

Weil das eine Sommermärchen torkelt, ist ein anderes dringend notwendig - und siehe da, die Krise scheint plötzlich entfleucht, ein Sommermärchen der etwas anderen Art eingezogen zu sein. Ein Märchen, ein Job-Wunder sei es, weil Kurzarbeit nun vermehrt abgemeldet würde und bis Ende des Jahres etwa 100.000 Stellen entstehen könnten - nochmals: entstehen könnten! Das alleine reicht heute schon aus, um rhetorisch ein Wunder zu bemühen! Und weil sich die Konjunktur erhole - wobei das schon sehr hoffnungsfroh formuliert ist! -, obgleich ein Sparpaket anberaumt sei, bastelt man sich daraus eine griffige Losung für die nächsten Wochen: Keine Angst vorm Sparen! Wie man darauf kommt, dass die Menschen keine Furcht vor der sparsamen Zukunft haben, es wird stets schleierhaft bleiben - wie man überhaupt so dreist sein kann, aus belanglosen Notizen ein Sommermärchen zu fingieren, scheint noch viel rätselhafter. Die einzige Wahrheit zum Sommermärchen ist wohl: es ist ein Märchen - ist also wortwörtlich begutachtet, nicht mal erlogen.

Krise plötzlich weg! Damit daran bloß keiner zweifelt, meldet sich auch Ernst Elitz, einst Gründungsintendant des Deutschlandradios, mittlerweile schäumender Missionar aus dem Hause Springer, zu Wort. Eine schlechte Nachricht gäbe es im Sommermärchen aber doch noch, vermeldet er: es gibt noch zu viele Miesepeter, die niemanden gute Stimmung gönnen würden. Gestrige Gespenster, nennt er sie; Gespenster, die er in die Mottenkiste packen will - Defätisten gehören eingesperrt, sie schaden dem Volkskörper!, polterten andere schon mal. Das ist zwar lange her, aber für Elitz vielleicht noch nicht zu lange! Wir haben keine Wirtschaftskrise mehr - wir haben nur noch eine Krise, weil es uns leider nicht an Miesmachern mangelt; weil wir noch immer genügend Nörgler unter uns haben, die einfach nicht ausreichend Courage besitzen, fadenscheinige Zustände durch Übermittlung positiver Energien zu beschwören, zu beschönigen.

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Eine Zigarette ist manchmal nicht nur eine Zigarette

Mittwoch, 23. Juni 2010

Fast könnte man glauben, in Bayern sei die politische Behaglichkeit ausgebrochen. Da kultivieren die Menschen mancherlei Wohlstandssorge, beobachten zwar wie der Sozialstaat vor die Hunde geht und eine übermütige Umverteilung von unten nach oben betrieben wird - aber den öffentlichen Diskurs bestimmt lediglich der anstehende Volksentscheid zum Rauchverbot.

Nebensächlich ob Pro, ob Contra; unwichtig ob man das Verbot einen Segen oder einen gesetzlich verordneten Gesundheitsfaschismus tauft - das Rauchverbot polarisiert, reaktiviert müde gewordene Wählerschaften, nötigt jedem eine eigene oder vorgefertigte - je nach geistiger Konstitution! - Meinung ab. Gleichwohl immer reichlicher Menschen in Armut abgeschoben, soziale Proteste kriminalisiert und Milliarden an Unternehmen und Banken transferiert werden, gleichwohl also dralle Sorgen, chronische Probleme das Land überziehen: das Rauchverbot wird als Prolog, Drama und Epilog der bayerischen Politik aufgeführt. Wo eigentlich monumentale Nöte thematisiert werden sollten, ereifert sich der politische Betrieb und seine Hofberichterstattung an Randnotizen, bauscht ein Vorhaben auf, welches höchstens randständig von Bedeutung wäre.

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Ridendo dicere verum

Dienstag, 22. Juni 2010

"Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehn. Das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen."
- Kurt Tucholsky -

Leistungsvollzug

Montag, 21. Juni 2010

Führerscheinentzug auch bei Diebstahl und Körperverletzung, steht nun scheinbar auf der Tagesordnung. Denn auch dieser sei eine "Art Freiheitsentzug, der die in unserer Gesellschaft so wichtige Bewegungsfreiheit einschränkt" - man ist innovativ, Fußfesseln waren einstmals; jetzt soll Bewegungsfreiheit kreativ eingeengt werden. Dabei bräuchte man gar keinen besonders reichhaltigen Fundus an Kreativität, um die Bewegungsfreiheit zu mindern.

Mit Einführung des Arbeitslosengeld II hat man doch alle Mittel ausgeschöpft, die "Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet" (Art. 11 GG) zu beschneiden. Ein gelungener Coup, der dezente Haftbedingungen in die hypothetische Freiheit einmauerte. Damit ist nicht ausschließlich die liebevoll genannte Residenzpflicht gemeint, die Artikel 11 GG einschränkt, sondern auch die finanzielle und soziale Inhaftierung der betroffenen Menschen. Mit unzureichenden Regelsätzen werden sie an der kurzen Leine gehalten, werden ausgegrenzt und landen, auch dank einer kriminalisierenden und verächtlichen Berichterstattung seitens der Medien, im gesellschaftlichen Abseits. Ein eigener Wagen wird zum unerschwinglichen Luxus, neue Kleidung zur lang geplanten Investition, kulturelle Teilhabe zum kostspieligen Pomp - und ehe man sich versieht, inhaftiert sich der Betroffene selbst, igelt sich in seinem allmählich verfallenden Zuhause ein, meidet die Öffentlichkeit und züchtet sich den feinsten Minderwertigkeitskomplex heran, den man noch nicht mal behandeln läßt, weil man sich einredet, er sei in dieser sozialen Situation logische Normalität und daher hinzunehmen.

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Gebt, damit wir nehmen können

Sonntag, 20. Juni 2010

Ein abgefangenes Kassiber, das im deutschen WM-Quartier nie ankam.

Wie könnt ihr uns nur dermaßen in den Rücken fallen? Was war denn abgemacht? Halbfinale war vereinbart - Halbfinale und ein großes Tamtam seitens der Medien! An denen liegt es ausnahmsweise nicht - aber ihr, ihr vertändelt den Aufstieg ins Achtelfinale und bringt unseren schönen Plan ins Wanken. Wenn ihr tatsächlich gegen Ghana eingeht, woher soll dann der Rummel, das Tratra herkommen? Ihr gefährdet nicht nur euren sportlichen Erfolg, ihr gefährdet den sozialen Frieden, ihr unverantwortlichen Hampel! Ein wenig mehr Verantwortungsgefühl stünde euch blendend zur Visage.

Vorgabe war, dass ihr die Massen toll macht; ihr solltet einen nationalen Massenrausch für Arme inszenieren, damit wir denen - den Armen - ungestört in die Taschen fassen können. Der soziale Friede braucht den Suff, er kann nur im trunkenen Milieu gedeihen. Und ihr entzieht denen die Trunkenheit und uns die zahme Gemütslage. Bemüht euch, kämpft, marschiert - die Medien warten nur auf das Spektakel: sie haben uns versprochen, die wirkliche Welt außerhalb des Fußballs stillstehen zu lassen, wenn ihr ein erfolgreiches, den sozialen Frieden sicherndes Turnier spielt. Stillstehen lassen, damit wir in der Stille fuhrwerken können. Könnt ihr uns verraten, welches Ablenkungspotenzial wir noch in petto hätten? Nach der Weltmeisterschaft wacht die Tristesse, gibt es keine massentaugliche Zerstreuung mehr - nur ihr könnt sie in den Griff bekommen!

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Ein für pessimistisch befundener Realist

Samstag, 19. Juni 2010

oder: zum Tode José Saramagos - ein Nachruf.


Nur wenigen Romanen wird die unaufhörliche Aufmerksamkeit des Lesers zuteil; nur wenigen Romanciers gelingt es, die Leserschaft so sehr an eines ihrer Werke zu fesseln, dass diese nicht mehr aus der Erzählung heraussteigen will. Nur wenige Erzähler vermögen es, den Leser wie gebannt ins gebundene Papier starren, ihn unablässig die Geschichte weiter und weiter treiben zu lassen. Noch ein Satz - noch ein Absatz - noch eine Seite - noch ein Kapitel! Wie im Akkord schuftet und schwitzt er sich durch das Buch, nur selten unterbrechend, selten pausierend. Es gibt nur wenige Autoren, die dem Leser das Weglegen eines ihrer Werke erschweren, nur wenige, die das Verlangen nach Weiterlesen schüren können, die es beherrschen, den Leser dazu zu drängen, möglichst gleich wieder dessen Nase in die Angelegenheiten des Romanciers zu stecken. Nur wenige Romane; nur wenige Romanciers! Ein solcher Roman ist die "Stadt der Blinden"; ein solcher Romancier ist... war José Saramago.

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Sit venia verbo

Freitag, 18. Juni 2010

"Die moralischste Wirtschaftsordnung ist diejenige, die mit dem geringsten Anspruch an die Moral des Einzelnen auskommt."
- Oswald von Nell-Breuning -

Die sich vergessen machen

Donnerstag, 17. Juni 2010

Unbedingt vergessen machen, dass es die Mafia gibt!, wurde zum neuen Gebot der sizilianischen Cosa Nostra, als sich im Jahr 1992 die Wut der Sizilianer gegen sie richtete. Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, beide Juristen, die zwei bekanntesten und erfolgreichsten "Mafia-Jäger", fanden von Mörder- und Mafiahand den Tod - und wie selten zuvor machten die sizilianischen Massen deutlich, dass sie so ein Vorgehen, dass sie diese Brutalität der Mafia nicht mehr dulden werden. Für Bernardo Provenzano, Kopf der Cosa Nostra, capo dei tutti capi (Boss aller Bosse) Siziliens war es unbestreitbar, dass sein Gewerbe keine Imagekampagne braucht: es sollte geräuschlos gemacht, für nicht existent erklärt werden. Die Mafia, so schrieb es Provenzano seinen Mitarbeitern vor, gäbe es nicht für die Öffentlichkeit nicht mehr, habe es eigentlich nie so wirklich gegeben - was es aber gäbe sind Verbrechen und Verbrecher, Gruppen mit bestimmten Interessen, aber diese seien nicht zentralistisch beauftragt. Einzelfälle von Kriminalität eben, einzelne Kriminelle, einzeln verstreute Straftaten - jedoch keine organisierte Kriminalität. Und just schmettern korrumpierte italienische Politiker Arien von den vielen kleinen Verbrechern, die nur vereint in ihrer Gewaltbereitschaft, nicht aber in einer Organisation sind.

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Bloß keine Reichensteuer!

Mittwoch, 16. Juni 2010

Zögerlich kommt die Reichensteuer aufs Tapet. Lediglich verhalten selbstverständlich, nur bedächtig widmet man sich ihr - aber einige Prozentchen, so sprudelt es selbst aus dem Mund begüterter Zeitgenossen, wären schon drin, sollten auch unbedingt abgeleistet werden. Man muß nicht übertreiben, liest man aus solchen Äußerungen, man muß ja nicht gleich an den Grundfesten des Reichtums herummelken, aber eine unmaßgebliche Abschlagszahlung sollte doch machbar sein und auch politisch umgesetzt werden. Ein bisschen Reichensteuer bittesehr, damit klassenübergreifend gespart werden kann; damit eine friedliche Nation von Sparern erblüht, in der jeder seinen Beitrag zur gemeinsamen Kraftanstrengung leistet, in der alle ohne Rücksicht auf geldliche Verhältnisse gleichermaßen gemolken werden.

Die unaufdringliche Reichensteuer, so wie sie manchem betuchten Verfechter vorschwebt, sie ist nicht mehr als ein Feigenblatt; soll die bodenlosen Kürzungen im Sozialwesen, wenn nicht verstecken, so doch erträglich machen. Habt euch nicht so!, rufen sie dann vom Olymp herab, wir leisten doch auch Anteil, führen mehr Steuern ab, lassen uns unseren Wohlstand eingrenzen. Sicherlich tut es mancher Mutter aus der Unterschicht weh, kein Elterngeld zu erhalten; freilich sind zurückbehaltene Heizkostenzuschüsse schmerzlich - aber bitte, nicht so eingleisig, nicht so egozentrisch! Auch andere leiden, auch andere müssen mit weniger auskommen - alle in einem Boot! Und weil dem so ist, dürfen die Insassen nicht derart einseitig Platz nehmen, denn sonst kippt der Kahn. Wer über gestrichene Zuschüsse klagt, dazu auch noch einen Groll gegen Bessergestellte hegt, so werden sie dann bekanntgeben, der ist blind für den klassenübergreifenden Kraftakt dieser Nation, der ist wahrscheinlich sogar ein bisschen asozial.

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Sie konnten gar nicht anders handeln...

Dienstag, 15. Juni 2010

Das Vertrauensverhältnis hätten Sie schwer belastet, liebe Frau Emme - diminutiv "Emmely" gerufen -; so urteilte das Bundesarbeitsgericht zwar auch, gab Ihrem ehemaligen und wahrscheinlich baldigen Arbeitgeber demzufolge recht, kassierte aber die gegen Sie ausgesprochene Kündigung dennoch ein. Eine Abmahnung zur Bestrafung Ihrer Dreistigkeit, die Sie zwei verwaiste Pfandbons einlösen ließ, hätte völlig genügt, urteilten die Richter. Ob ein solches Einlösen moralisch ist oder nicht, soll hier nicht mehr erläutert werden: zu oft wurde Ihre Geschichte wiedergekäut, aufgebauscht, ausgeschlachtet - und moralische Exegese wurde eh wild betrieben. Daher keine weiteren ethischen Bulletins hierzu!

Lassen Sie uns über das Vertrauen sprechen, mit welchem in Ihrer Branche, so scheints, noch so hoch gehandelt wird. Ein prahlerisches Elysium voller Zutrauen und Verlässlichkeit, baut sich da vor unserem geistigen Auge auf; wir sehen Supermärkte und Discounter, in denen das Vertrauen waltet - sich strebsam gegen den allerorten praktizierten und vorangetriebenen Stellen- und Vertrauensabbau sträubt. Und dann beobachten wir Sie, liebe Frau Emme, wie Sie täppisch in dieses Idyll stolpern, berechnend raffgierig und knauserig eigennützig. Wie können Sie nur?, will man Ihnen zurufen. Weshalb demolieren Sie diese vertrauensvolle Welt?, möchte man Sie fragen. Kein Wunder, Ihr Dienstherr erdichtete sich frei von jeglicher Scham, ganz öffentlich, ansehnlich medienwirksam, ein Vertrauensverhältnis, welches Sie mutmaßlich strapaziert hätten - und die Richterschaft hat fleißig mitgedichtet, sich allerlei Reime über Vertrauensbruch einfallen lassen. Klar, dass man als neutraler Beobachter irgendwann glaubt, Sie hätten das Vertrauen aus Ihrer Branche geprügelt, die heilige Omertá Ihres Berufszweigs gebrochen.

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De auditu

Montag, 14. Juni 2010

Mit der Einsicht, es müsse unbedingt gespart werden, geht man zur Zeit nicht besonders sparsam um. Überall wird sie breitgetreten, wird sie zum Stoff von Diskussionen und Artikeln. Wir müssen sparen!, ist die Parole der Stunde - war sie vorher schon, nur jetzt soll "so richtig gespart" werden. Daher werden Sparpakete benötigt - ganze Stapel von Sparmaßnahmen also, damit am Sparwillen bloß nicht gespart und damit vorallem auch nicht am falschen Ende gespart wird - wobei es Definitionssache ist, wo das falsche, wo das richtige Ende liegt. Dass die Regierung spart, ist die Binsenweisheit der letzten Tage; jeder glaubt es zu wissen, jeder meint das Sparvorhaben begriffen zu haben: Wenn wir nicht sparen, endet es böse! Das Sparen, es ist derzeit mehr denn je in aller Mund, in aller Ohren und liegt in (fast) aller Magen.

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Wehret den Schmunzlern!

Samstag, 12. Juni 2010

Ist das grauslich; ist das scheußlich! Nicht überraschend fürwahr, kein unverhoffter Schock: nur schaurig. Kein schlagartiger Schreck, kein urplötzliches Aufflammen rassentheoretischer alter Schule, denn Sarrazin und seine clownesken Narreteien kennt und erträgt man leider schon länger hierzulande - viel zu lange schon. Doch auch wenn man ihn und seine beschränkten Eseleien bereits kennt: man gewöhnt sich nur schwerlich an dieses Auftreten fremdenfeindlicher und rassentheoretischer Machart - selbst jetzt, da dieses Benehmen, dieser Schliff rassenspezifischer Ethnologie, zur Normalität in dieser Republik gedeiht, mag man sich damit nicht anfreunden, mag man nicht einfach weghören, wegsehen.

Der natürliche Weg sei es, der uns als Gesellschaft durchschnittlich dümmer mache, predigte er nun seinen aufmerksamen Scholaren vom Katheder herab. Natürlicher Weg heißt: Zuwanderer aus der Türkei, dem Mittleren und Nahen Osten und aus Afrika drückten das Bildungsniveau. Wie erwähnt, derlei rassistische Ausführungen verblüffen keineswegs mehr, sie machen nur traurig, ärgerlich, treiben in Resignation oder zur Gewaltbereitschaft - je nach Lage, je nach Gemüt und Verfassung. All das ist bedrohlich, jedoch schon fast normal - ist immer wieder erstaunlich, jedoch beinahe schon nicht mehr überraschend - ist stets erneut gefährlich, jedoch nahezu alltäglich. Sarrazinaden durchdringen den politischen Ungeist immer hartnäckiger, werden verstärkt zum Usus, zum gebräuchlichen Aufhänger zu klärender Gesellschaftsfragen.

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Schönwetterprämissen

Freitag, 11. Juni 2010

Schönes Wetter! Schönes Wetter? Hören Sie, ich dünste aus, gare in meiner eigenen Tunke. In meiner Achselhöhle brodelt und blubbert es, dem Rücken läuft ein überdimensionaler Sturzbach hinab, mein Kopf ist so naß, dass man annehmen könnte, ich hätte ihn eben in einen Wolkenbruch gehalten. Schönes Wetter? Mein Schritt ist durch und durch, mit Sack und Pack durchfeuchtet, der Schambereich barock bewässert, über die natürlichen Furchen meiner Arschphysiognomie strömt der Sturzbach meines Rückens postwendend die Oberschenkel hinab. Ich japse gierig nach Luft, kann hieran meine eigene Verschwitztheit, dieses Parfüm meiner Körperausscheidungen, das eine salzig-herbe Blume verströmt, kaum noch ertragen, ringe nach einem Augenblick, in dem ich nicht meine stinkende Abgekochtheit hinnehmen muß, in dem ich nicht innerlich koche. Das Hemd liegt schon beiseite, die Jeans obenauf, bleibt nur noch der Slip, den ich mir runterziehen möchte, stets hoffend, einen winzigen Windhauch, ein wenig Abkühlung zu erhaschen. Nur der Slip - und die Haut, die ich mir am liebsten vom Fleisch kratzen würde! Und das Fleisch, dass ich mir irre vom Knochen schaben möchte! So als Skelett hätte man es fein, so voller Hohlräume, übersät von Durchzugslöchern, so luftig geschaffen...

So ein Unfug! Schönes Wetter! Wo denn bitteschön? Ich nehme jedenfalls keinen Sprüh- oder Nieselregen wahr. Und besonders schummrig ist es auch nicht - ganz gegenteilig: hell ist es. So gleißend hell, dass es mir die Pupillen nahezu zerreißt. Ich kann kaum denken, so durchflutet von Sonnenlicht werde ich. Und dann dieses Jucken und Kratzen, dieses Triefen und Nässen - Pollen in den Augen, in der Nase, in jeder Körperspalte. Niesen, Halskratzen, grüner Auswurf! Grün, sonnenbeschienenes Grünzeug - da bleibt nichts verborgen, so blendend hell, wie es ist. So hell, dass ich depressiv werde, mich in Melancholie zurückziehe und dem Herbst und dem Frühling ein Requiem heule. Schönes Wetter also? Schönes Wetter ganz ohne leichten Regen, ohne Bewölkung, ohne Schweiß? Gibt es das? Was wollen Sie mir denn da eigentlich einreden?

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Sit venia verbo

Donnerstag, 10. Juni 2010

"Wo ich Lebendiges fand, da fand ich den Willen zur Macht; und noch im Willen des Dienenden fand ich den Willen Herr zu sein."
- Friedrich Nietzsche, "Also sprach Zarathustra" -

Das ist schon keine Kriegserklärung mehr...

Mittwoch, 9. Juni 2010

Dass man den Eltern, die ohnehin wenig bis gar nichts besitzen, auch noch das auf das Arbeitslosengeld II anrechnungsfreie Elterngeld streicht: das wird ausreichend tragische Verhältnisse beschwören, wird manche unstemmbare Sorge verursachen, etliche Ehezwiste schüren, mehrere Kinder noch enttäuschter zurücklassen, als sie ohnedies schon sind. Sich sorgend, zankend, grämend aber hinauf blicken zu müssen, dorthin, wo das Geld etwas stattlicher fließt, wo das Elterngeld um keinen Cent gekürzt wurde, wo man weiterhin im besten Falle 1.800 Euro im Monat einstreicht: das setzt dem Drama noch ein Dornenkrönchen auf.

Denn man wird schwer daran zu nagen haben, seinem Kind schon an der Schwelle seines Daseins kaum etwas Lebensqualität außerhalb des Existenzminimums schenken zu können - dabei aber auch noch zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass es Kinder gibt, für die die Gesellschaft aufzukommen bereit ist: das ruiniert einem die letzte verbliebene Zuversicht. Gleichwohl Frau Doktor oder Frau Juristin ein Jahr Mutterurlaub auf 1.800 Euro-Basis fristet, treibt man Frau Unterschichten-Mama in den Niedriglohnsektor, der sie weder von Hartz IV befreien noch in den Genuss eines Sockelsatzes des Elterngeldes bringen würde.

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Ein Gaukler für alle

Dienstag, 8. Juni 2010

Mehr Mut, verlangt er. Mehr Mut von Politikern, die Dinge auch mal beim Namen zu nennen, Kontroversen zu suchen, Risikobereitschaft generell. Mehr Mut, denn es bräche nicht gleich alles zusammen. Phrasenhaftes Gedresche, doch erquickliches Labsal für die bürgerliche Mitte - Gauck, der alternative Bundespräsident, der freigeistige, humane Streiter, der besser zum Präsidenten aller Deutschen taugt, als sein jüngerer Zwilling aus Hannover: er weiß seiner Klientel zur Ohrenweide zu werden.

Zeigt mehr Mut, erklärt er der Welt, einen Mut, wie Gerhard Schröder damals. Gauck der Verklärer sozialdemokratischer Wohltaten: "Als Bundeskanzler Schröder einst die Frage aufwarf", so schwatzt er, "wie viel Fürsorge sich das Land noch leisten kann, da ist er ein Risiko eingegangen. Und es begann eine Phase, in der Politik und Risiko zusammen gingen. Solche Versuche mit Mut brauchen wir heute wieder." Mut wie Schröder, mehr Mut zur Reform, Mut zu neuen Hartz-Experimenten. Gauck: das ist der nonkonformistisch duftende, der sich unpolitisch anfühlende Kandidat - der Kandidat aller Deutschen. Einer, der wenig übrig hat für die Habenichtse; einer, der die Mittellosen kritisierte, weil sie sich immer montags trafen, zu Demonstrationen, zu Montagsdemos. Töricht und geschichtsvergessen seien jene gewesen, die den Begriff "Montagsdemo" verwendeten, kritisierte Gauck dereinst. Heute ist er es, der seine possierliche und törichte Geschichtsvergessenheit zur Schau stellt, weil er aus Schröder einen waghalsigen und mutigen Herkules spinnt. Was für ein selbstgerechter Offenbarungseid!

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Der brave Christ?

Montag, 7. Juni 2010

Was für ein Segen, dass es in diesem Land kaum von Religiosität berauschte Menschen gibt! Das ist ein Glücksfall, den uns die Säkularisierung einhandelte. Ein zufälliges Glück, wenn man das so salopp festhalten darf - und ein Glück auch für eine Studie, die nun ihren langen Weg durch die Vorzimmer und Institutionen der Vierten Gewalt nimmt, die von jungen Muslimen behauptet: je gläubiger, desto brutaler. Und noch etwas weiß die Studie zu erzählen: Junge Christen mit steigender Religiosität begehen weniger Straftaten. Das Christentum als Hort der Lämmer - der Islam: ein heulendes Wolfsrudel?

Leben, die regelmäßig mit Ideologie unterspritzt werden, pflegen stets einen Hang zur Gewalt. Dabei ist die Beschaffenheit der Ideologie unerheblich - ob profane Ideenlehren, ob Kommunismus oder Kapitalismus, Progressivismus oder Konservatismus: erst zum Gedankengebäude errichtet, zum Sockel für die Lebensplanung, wohnt dem -Ismus immerzu die Brechstange, das brachiale Stemmeisen inne. Den sakralen Ideologien ergeht es da kaum anders: wer sein Leben zwischen die Gebote, Vorgaben, Engstirnigkeiten einer strikten Religionsauslegung quetscht, inhaliert die Gewaltbereitschaft mit, selbst wenn sich diese oftmals zunächst im rüden Wort oder nur im barschen Vorurteil gegen Andersglaubende artikuliert. Die Gebote und Dogmen von Ideologien für lose Empfehlungen zu halten, nicht für Patentrezepte und imperative Instruktionen: das läßt Gewaltpotenzial schwinden; wo sich starre Lehrsätze und verbindliche Dekrete lockern, da löst sich auch die Gewaltwilligkeit aus ihrer fortwährenden Alarmbereitschaft.

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