Leistungsvollzug

Montag, 21. Juni 2010

Führerscheinentzug auch bei Diebstahl und Körperverletzung, steht nun scheinbar auf der Tagesordnung. Denn auch dieser sei eine "Art Freiheitsentzug, der die in unserer Gesellschaft so wichtige Bewegungsfreiheit einschränkt" - man ist innovativ, Fußfesseln waren einstmals; jetzt soll Bewegungsfreiheit kreativ eingeengt werden. Dabei bräuchte man gar keinen besonders reichhaltigen Fundus an Kreativität, um die Bewegungsfreiheit zu mindern.

Mit Einführung des Arbeitslosengeld II hat man doch alle Mittel ausgeschöpft, die "Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet" (Art. 11 GG) zu beschneiden. Ein gelungener Coup, der dezente Haftbedingungen in die hypothetische Freiheit einmauerte. Damit ist nicht ausschließlich die liebevoll genannte Residenzpflicht gemeint, die Artikel 11 GG einschränkt, sondern auch die finanzielle und soziale Inhaftierung der betroffenen Menschen. Mit unzureichenden Regelsätzen werden sie an der kurzen Leine gehalten, werden ausgegrenzt und landen, auch dank einer kriminalisierenden und verächtlichen Berichterstattung seitens der Medien, im gesellschaftlichen Abseits. Ein eigener Wagen wird zum unerschwinglichen Luxus, neue Kleidung zur lang geplanten Investition, kulturelle Teilhabe zum kostspieligen Pomp - und ehe man sich versieht, inhaftiert sich der Betroffene selbst, igelt sich in seinem allmählich verfallenden Zuhause ein, meidet die Öffentlichkeit und züchtet sich den feinsten Minderwertigkeitskomplex heran, den man noch nicht mal behandeln läßt, weil man sich einredet, er sei in dieser sozialen Situation logische Normalität und daher hinzunehmen.

Das Instrumentarium zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit ist bereits geliefert, der Führerscheinentzug damit unerheblich. Leistungsbezug war früher, heute gibt es Leistungsvollzug! Fürwahr mutet der offene Vollzug im Geiste des Sozialgesetzbuches kerkerhafter an, weniger human als eine einkassierte Fahrlizenz - ist damit für die Freunde energischen Durchgreifens und Bestrafens auch viel geeigneter. Man nehme Langfingern nicht die Fahrerlaubnis - man schicke ihnen einen Antrag auf ALG II ins Haus; laßt dem Raufbold die mobile Freiheit - mit dem Bewilligungsbescheid erlischt die mobile Freiheit ohnehin, weil es erstens an der Finanzierung eines Wagens mangelt und, zweitens, die Mobilität vom örtlichen Arbeitsvermittler erlaubt werden muß. An den sich nun innovativ gebenden Innenministern ist die leistungsfähigste Innovation des Justizmarktes vollkommen vorbeigegangen - mit Hartz IV zu sühnen: das ist ein zukunftsfähiger Ansatz!

Einer, der den US-amerikanischen Zuständen zuvorkommt. Denn was hinter der sachfremden Sühne etwaiger Delikte mittels Führerscheinabnahme schimmert, ist die Flucht nach vorne. Dort wo Armut nachhaltig wütet, wo staatlich organisierte Solidargemeinschaften entweder nie existiert haben oder stürmisch deinstalliert werden, gedeiht Kriminalität, erblühen Gewalt und Raub. Die Vereinigten Staaten plagen sich mit überfüllten Knästen; nicht mal im oligarchischen Rußland werden, gemessen am Bevölkerungsanteil, derart viele Menschen hinter Gittern gesetzt - von der Fußfessel, die in vielen US-Bundesstaaten ein gesetzliches Mittel zum Festsetzen von Straftätern ist, also eine Art heimisches Ersatzgefängnis darstellt, gar nicht erst zu sprechen. Knäste sind teuer, überbelegte Knäste noch teurer, in Tagen der Sparwut gar nicht finanzierbar - da muß man sich Gedanken machen, muß man ersatzweise alternative Bestrafungsmodi ersinnen. Und nachdem die Fußfessel als Testballon der öffentlichen Meinungserhebung bereits auf dem Prüfstand war und keine große Anhängerschar verzeichnen konnte, muß man konzilianter agieren.

Der Führerschein als Repressionsmittel ist hierzu bestens geeignet. Schließlich kennt jeder Leute, denen schon mal der Schein abgenommen wurde - das Vorgehen ist demnach nichts Neues, auch wenn die Gründe für den Entzug nun viel variabler sein können als früher. In Zeiten da der Solidaritätsgedanke, der letzte Rest Sozialstaat nun endgültig atomisiert werden soll, die Kriminalität zwangsläufig anwachsen wird, will sich als europäisches Land von Format eine Unze Aufgeklärtheit konservieren, indem man dem direkten Polizei- und Knaststaat mittels Varianten offenen Strafvollzugs entflieht - nur einen indirekten Polizeistaat anstrebt und den Gewahrsam privatisiert. Der geplante Führerscheinentzug ist bloß eine maßvolle Spielart - Hartz IV, nicht nur geplant, sondern schon lange wirklich und stets neu justiert und optimiert, entkleidet sich als brutale Version des in Haft nehmenden Staates. Und "justieren" bedeutet in diesem Kontext: das Existenzminimum so weit herabzuschrauben wie möglich, dabei aber penibel darauf achten, die betroffenen Menschen nicht zu Kriminellen werden zu lassen - SGB II-Optimierunggesetz bedeutet demnach: zum Leben zu wenig, zum Stehlen zu viel zu belassen. Und darüber schwebt die ständige Angst vor der Regelsatzkürzung; auch sie ist präventive Kriminalitätsbekämpfung und Einschüchterungstaktik, soll diejenigen zähmen, die urplötzlich beginnen, am Unrecht der bürgerlichen Eigentumsidee zu zweifeln.

Was dann noch folgen könnte, ist die Banlieuisierung der Städte, die freiheitlich-demokratische Fassung der Ghettoisierung - ungeplante Ghettos, die rein zufällig entstanden seien, weil es der freie Markt so gelenkt habe und die der Gesellschaft eine eigene Gesetzgebung abnötigen...

13 Kommentare:

endless.good.news 21. Juni 2010 um 07:57  

So lange es genug Menschen gibt die das Privateigentum auf die Grundrechte erheben werden solche Absurditäten immer wieder entstehen. Dabei ist jetzt schon klar, dass ab einer bestimmten Menge Eingetum das Recht auf Leben dem Recht auf Besitzt nachsteht. Eine Villa lässt sich eben nicht in 9 Monaten bauen.

Anonym 21. Juni 2010 um 10:44  

mehr demokratie wagen war früher. mehr polizeistaat wagen ist heute. die brandtregierung hat damals mit dem polizeistaat angefangen. wegen dem radikalenerlaß.

Anonym 21. Juni 2010 um 11:06  

die werden privatisiert und die Gefangenen dürfen Zwangsarbeit für Umsonst verrichten

falsch gedacht: Zwangsarbeit darfst du auch bei Hartz 4 verrichten. Erst stehst du vor deinem "PAP" stramm, er sagt dir zu welcher Zeitarbeits-Klitsche du gehen darfst, und da hast du dann deinen "Arbeitsvertrag" als Tablettabfeger beim Billigbäcker zu unterschreiben. Sonst gibts Kürzung, denn du bist nicht arbeitswillig. So sieht das aus. Da kannst du ruhig Studium mit 1 abgeschlossen haben.

Anonym 21. Juni 2010 um 12:02  

die initative führt offensichtlich nur das fort,was die herrschenden schon lange spüren und in ihrem leben schon im vorgriff realisiert haben..... diebe brauchen einen chauffeur!!!

Lucre 21. Juni 2010 um 15:56  

Eine zutreffende Beobachtung!

Aber:
Tatsächlich "plagen" sich die USA nicht allzu sehr mit der hohen Zahl der Inhaftierten. (Hierzu: http://prisonvalley.arte.tv)

Gerade aufgrund des steigenden Interesses privater Gefängnisbetreiber an Häftlingen steht Dank Lobbyarbeit im Kongress sogar in Aussicht, dass noch mehr Inhaftierungen stattfinden, weil das Geschäft mit den "Schuldbeladenen", den "Verurteilten", sehr lukrativ ist. Was in den USA durch Gefängnisse geschieht, ist hierzulande auf einer Ebene zu beobachten, wie sie hier im Artikel beschrieben wurde. Und eigentlich noch perfider: denn während im klassischen Sinne der Strafvollzug wegen eines Gesetzesbruchs stattfand, reicht es heute, "keine Leistung mehr zu erbringen".

In welche Kategorie diese Entwicklung gehört, wird jeder für sich selbst ergründen können.

klaus baum 21. Juni 2010 um 21:26  

kann man denn dann so kleine kriminelle handlungen nach lust und laune begehen, wenn man keinen führerschein hat?

die logik unser politiker ist an irrwitz nicht mehr zu überbieten. krank, durch und durch. oder sollte man sagen: hinter der realität als satire kann man als satiriker nur hinterherlaufen.

endless.good.news 22. Juni 2010 um 07:24  

Ich Frage mich auch, wann das erste Arbeitslosenghetto kommt. Das wäre zumindest der logische nächste oder übernächste Schritt. Der Vorteil für die Unternehmen wäre, dass sie nur vorfahren und abholen müssten. Je nachdem ob sie jemanden brauchen oder nicht.

Anonym 22. Juni 2010 um 12:52  

Hallo,

ich lese hier ganz gerne mit. Aber ich muss gestehen, daß sich der Sinn dieses Artikels mir verschließt.

Da haben wir einmal den FS-Entzug als Mittel zur Bestrafung. Dann sind wir dabei, daß Hartz-IV auch einengt. Und dann auf einmal in überfüllten Gefängnissen in Amerika.

Ich entschuldige mich für meinen eingeschränkten Itellekt. Aber kann mir jemand diesen Artikel mal näher bringen? Auch ich finde, völlig in Unkenntnis der Problematik, daß eine Strafe bestrafen soll. Und wenn ein Übeltäter den FS-Entzug als Strafe empfindet, ist's doch OK. Oder geht es in dem Artikel darum, zu erklären, was passiert, wenn ein sowieso schon eingeschränkter Hartzer auch noch den FS abgenommen bekommt?

Aufklärungsarbeit ist gerade gefragt.


sorry
Hermann

Anonym 22. Juni 2010 um 13:52  

Ohne Auto auskommen zu müssen ist allerdings auch deshalb eine "Strafe", weil es zuweilen an passablen Angeboten des öffentlichen Nahverkehrs mangelt, der - wie der Name "öffentlich" schon besagt - eine Angelegenheit des Staates ist. Dieser wiederum kürzt die Mittel für gute Anbindungen, um das Geld anderswo zu verpulvern: beispielsweise in Steuererleichterungen private Unternehmen.

Solange das Auto ein Fetisch bleibt, ist dessen Entzug eine Strafe.

kohlendioxid 22. Juni 2010 um 19:51  

Straftäter die Diebstahl begehen, sollen dann den Führerschein abgeben ?
Wirklich alle ?
Dann geht die Verbrecherbande von Regierung,
die das Volk Tag für Tag bestiehlt, bald zu Fuß.
Die Todesstrafe für Hochverrat wäre auch wieder gut zu gebrauchen.
Wir hätten dann zwar keine Regierungen mehr,
aber alle dürften wieder Auto fahren.

Anonym 22. Juni 2010 um 22:10  

Ausgezeichnete Beschreibung bundesrepublikanischer Zustände!

Was die Steuerentlastungskasper betrifft, sei auf folgenden Link verwiesen. Die Schlussfolgerungen treffen auf Deutschland auch zu.

http://www.angrybearblog.com/2010/06/when-presidents-must-look-like-they.html

Anonym 22. Juni 2010 um 22:14  

Richtiger Link!
http://www.angrybearblog.com/2010/06/presidents-tax-burden-and-corruption.html

klausi strauch 23. Juni 2010 um 11:22  

jetzt hat es auch die BLÖD kommentiert.

schau da

man sollte verbrechern die schreiblizenz entziehen

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