Im Käfig
Donnerstag, 3. Juni 2010
Fast ist es so, als würde man bei der Geburt unmittelbar in eine Voliere gepresst. In eine Voliere, die Freiheit auftischt, gleichwohl sie begrenzt, absteckt, einfriedet. Eine, die das Fruchtwasser durch Gitter, durch metallene Streben, horizontal wie vertikal übereinandergekreuzt, ersetzt. Käfig, in dem Konventionen und Ideale gelehrt, Gut und Böse beigebracht, Verhaltensweisen eingehämmert werden. Auf wenige Quadratmeter beschränkt spielt sich Leben ab, wird es eingerichtet und bequem ausstaffiert. Enge, die nicht einengt: Enge, die zum gewollten Korsett gemeinschaftlichen Lebens ausgeschrieben wird. In der Voliere zwitschert der Käfigbürger sein täglich' Lied, trällert er jene Couplets, die seine Halter ihm vorpfeifen. Kantaten von Freiheit und Wohlstand, Balladen von Demokratie und Gleichheit: unbedarft ziepende Vögelchen.
Gitterstäbe, die Freiheit verheißen; ein eingehegter Innenraum, der sich Freiheit nennt, unterdessen die andere Seite, die geschieden ist vom Innenleben, die sich anderseits des Gitterwerkes entfaltet, zum Hort der Unfreiheit proklamiert wird. Drüben herrsche Unordnung, Chaos, mangele es an Begrenzungen, die den Wust an menschlicher Verruchtheit und Schäbigkeit in ordentliche Bahnen lenke. Außerhalb der Voliere, wo die Konventionen und Ideale des eingegrenzten Innenlebens nicht herangebildet wurden, treibe die Konfusion ihr Unwesen. Will dann jemand, ein Gaffer vielleicht, die Gitterstäbe anfeilen, durchbrechen, hochbiegen, so wähnt man sich bedroht. Da will einer den Tumult, das Getümmel, das Chaos hineinlassen, fürchten sich die tirilierenden Insassen - laßt uns die Stäbe zurück in unsere Gewalt bringen, rufen sie sich ermutigend zu; verschweißt sie wieder, macht sie bruchsicher, laßt die Wirrnis nicht hinein.
Die Beengtheit der Voliere wird zum Bollwerk, zur Befestigungsanlage. Man stellt Wachen an die Vergitterung - Wachen, die nochmals Beengung erzeugen, die das Innenleben abermals komprimieren. Das ist der Preis der Freiheit, weiß man drinnen. Und zu Erbauung tremoliert man Freiheitslieder, betont bei jeder alltäglichen Handlung mit sakralem Gepräge die Freiheit, die nur zwischen Gittern heimisch sein kann. Wer uns die Gitter raubt, uns die Gitterstäbe sprengen will, so ist man sich einig, der will uns lediglich unsere Freiheit entreißen, der will uns in die Knechtschaft der Gitterlosigkeit entführen. Im Herzen des Käfigs, im Mittelpunkt der vergitterten Gemeinschaft, in der Mitte der Gesellschaft, läge die größte Freiheit - nähere dich nicht dem Gittergeflecht, rufen sie den umzäunten Insassen zu, bleib' in der Mitte. Kommt er dem Rand seiner Freiheit doch zu nahe, wird man seiner habhaft, denn es speist sich der Verdacht, dass er ein von Außen hineingeschlichener Chaot sei, einer, der Gitter verachtet und sprengen würde, wenn man ihn ließe. Bleib' in der Mitte, haben sie nicht umsonst als Losung hinausposaunt - hineinposaunt: in den Käfig hineingemahnt. Es war Warnung an alles, was nicht Zentrum, was nicht zentrisch ist - sollte das Exzentrische ausmerzen, es vom gefährlichen Rand verdrängen.
Die Mitte rückt enger zusammen, denn das Wachpersonal wird aufgestockt. Der Rand der Voliere, die Grenzmark dieses Innenlebens, sie ist denen unterworfen, die im Auftrag der Freiheit bewachen und verhaften, verwunden und erschießen. Zurück bleibt ein immer eingekeilterer, zusammengepressterer Kern, als Mitte jenes Bollwerkes, jener Trutzburg: burgische, bürgerliche Mitte. Dichtgedrängt tummeln sich die Käfigbürger dort, stehen still, rühren sich kaum. Stillstand, um der Freiheit Raum zu lassen. Wer seine Voliere liebt, wer stolz auf sie ist, so säuseln es die Halter den Insassen, der zelebriert Stillstand mit Freuden, der findet am Stillstehen einen sinnvollen Lebensinhalt, der pflegt einen ehrsamen Gemeinsinn. Bleib' ruhig: für die Freiheit. Hadere nicht mit den Wachen, sie schotten dich nur von deinen Feinden, diesen Chaoten von jenseits, ab. Stillstehen und frei sein: das ist der beste aller möglichen Käfige.
Eingeschnürt und bedrängt wird weitergelebt. Die Gitter allerdings bleiben, werden verstärkt; die Hohlräume der Vergitterung mit weiteren Gittern ausgefüllt, zur Gitterwand, zur Gittermauer konstruiert, damit denen aus der Mitte, die Löcher im Käfig fordern um Platz zu schaffen, das ideelle Wasser abgegraben wird. Wird aus dem porösen Gitter aber eine undurchdringliche Mauer, so ist das, was drüben ist, kein Gegenstand der Diskussion mehr, bleibt nur der Innenraum, jetzt aber in Dunkelheit getaucht. Dunkelheit, die dieses halbseidene, gitterlose Gesindel zum Untertauchen ermutigt, weswegen erneut eine Aufstockung der Wachkräfte geschieht. Aus dem Vorhaben, sich der Einengung zu entwinden, vollzieht sich Verschärfung, schnürt sich die Mitte erneut ab, stranguliert sie sich abermals. Und die Lieder von Freiheit und Demokratie, sie werden lauter denn je geschmettert. Zwischen Gittern, so lernt es nun jedes Kind, hat die Freiheit ihre Heimstatt. Daher, liebes Kind, meide die Gitterlosigkeit, denn sie fesselt dich ans Joch, macht einen Sklaven aus dir. Wer die Freiheit liebt, der liebt zwangsläufig den Käfig - wer sie liebt, liebt die Vergitterung.
Gitterstäbe, die Freiheit verheißen; ein eingehegter Innenraum, der sich Freiheit nennt, unterdessen die andere Seite, die geschieden ist vom Innenleben, die sich anderseits des Gitterwerkes entfaltet, zum Hort der Unfreiheit proklamiert wird. Drüben herrsche Unordnung, Chaos, mangele es an Begrenzungen, die den Wust an menschlicher Verruchtheit und Schäbigkeit in ordentliche Bahnen lenke. Außerhalb der Voliere, wo die Konventionen und Ideale des eingegrenzten Innenlebens nicht herangebildet wurden, treibe die Konfusion ihr Unwesen. Will dann jemand, ein Gaffer vielleicht, die Gitterstäbe anfeilen, durchbrechen, hochbiegen, so wähnt man sich bedroht. Da will einer den Tumult, das Getümmel, das Chaos hineinlassen, fürchten sich die tirilierenden Insassen - laßt uns die Stäbe zurück in unsere Gewalt bringen, rufen sie sich ermutigend zu; verschweißt sie wieder, macht sie bruchsicher, laßt die Wirrnis nicht hinein.
Die Beengtheit der Voliere wird zum Bollwerk, zur Befestigungsanlage. Man stellt Wachen an die Vergitterung - Wachen, die nochmals Beengung erzeugen, die das Innenleben abermals komprimieren. Das ist der Preis der Freiheit, weiß man drinnen. Und zu Erbauung tremoliert man Freiheitslieder, betont bei jeder alltäglichen Handlung mit sakralem Gepräge die Freiheit, die nur zwischen Gittern heimisch sein kann. Wer uns die Gitter raubt, uns die Gitterstäbe sprengen will, so ist man sich einig, der will uns lediglich unsere Freiheit entreißen, der will uns in die Knechtschaft der Gitterlosigkeit entführen. Im Herzen des Käfigs, im Mittelpunkt der vergitterten Gemeinschaft, in der Mitte der Gesellschaft, läge die größte Freiheit - nähere dich nicht dem Gittergeflecht, rufen sie den umzäunten Insassen zu, bleib' in der Mitte. Kommt er dem Rand seiner Freiheit doch zu nahe, wird man seiner habhaft, denn es speist sich der Verdacht, dass er ein von Außen hineingeschlichener Chaot sei, einer, der Gitter verachtet und sprengen würde, wenn man ihn ließe. Bleib' in der Mitte, haben sie nicht umsonst als Losung hinausposaunt - hineinposaunt: in den Käfig hineingemahnt. Es war Warnung an alles, was nicht Zentrum, was nicht zentrisch ist - sollte das Exzentrische ausmerzen, es vom gefährlichen Rand verdrängen.
Die Mitte rückt enger zusammen, denn das Wachpersonal wird aufgestockt. Der Rand der Voliere, die Grenzmark dieses Innenlebens, sie ist denen unterworfen, die im Auftrag der Freiheit bewachen und verhaften, verwunden und erschießen. Zurück bleibt ein immer eingekeilterer, zusammengepressterer Kern, als Mitte jenes Bollwerkes, jener Trutzburg: burgische, bürgerliche Mitte. Dichtgedrängt tummeln sich die Käfigbürger dort, stehen still, rühren sich kaum. Stillstand, um der Freiheit Raum zu lassen. Wer seine Voliere liebt, wer stolz auf sie ist, so säuseln es die Halter den Insassen, der zelebriert Stillstand mit Freuden, der findet am Stillstehen einen sinnvollen Lebensinhalt, der pflegt einen ehrsamen Gemeinsinn. Bleib' ruhig: für die Freiheit. Hadere nicht mit den Wachen, sie schotten dich nur von deinen Feinden, diesen Chaoten von jenseits, ab. Stillstehen und frei sein: das ist der beste aller möglichen Käfige.
Eingeschnürt und bedrängt wird weitergelebt. Die Gitter allerdings bleiben, werden verstärkt; die Hohlräume der Vergitterung mit weiteren Gittern ausgefüllt, zur Gitterwand, zur Gittermauer konstruiert, damit denen aus der Mitte, die Löcher im Käfig fordern um Platz zu schaffen, das ideelle Wasser abgegraben wird. Wird aus dem porösen Gitter aber eine undurchdringliche Mauer, so ist das, was drüben ist, kein Gegenstand der Diskussion mehr, bleibt nur der Innenraum, jetzt aber in Dunkelheit getaucht. Dunkelheit, die dieses halbseidene, gitterlose Gesindel zum Untertauchen ermutigt, weswegen erneut eine Aufstockung der Wachkräfte geschieht. Aus dem Vorhaben, sich der Einengung zu entwinden, vollzieht sich Verschärfung, schnürt sich die Mitte erneut ab, stranguliert sie sich abermals. Und die Lieder von Freiheit und Demokratie, sie werden lauter denn je geschmettert. Zwischen Gittern, so lernt es nun jedes Kind, hat die Freiheit ihre Heimstatt. Daher, liebes Kind, meide die Gitterlosigkeit, denn sie fesselt dich ans Joch, macht einen Sklaven aus dir. Wer die Freiheit liebt, der liebt zwangsläufig den Käfig - wer sie liebt, liebt die Vergitterung.
5 Kommentare:
Chapeau!
Kafka in Zeiten des Weltkriegs gegen den "Terror"!
Tja, und die Insassen sollen immer schöen ruhig bleiben: wem nützt der soziale Friede? Den Herrschenden!
Schon den kleinen Kindern wird beigebogen, was sie zu tun und zu lassen haben - niemand fragt die kleinen Menschen WIRKLICH nach IHREN Interessen. Nein, sie haben dies und jenes zu wollen, sie MÜSSEN wollen - sie dürfen aber nciht das wollen, was sie selbst wollen.
Und am Ende heißt es (zumindest bis jetzt noch): Recht auf freie Selbstentfaltung. Ein Witz NACH der Zurichtung der Kinder und Jugendlichen zu Insassen. Die ganze freie Selbstentfaltung erschöpft sich dann schließlich auch in vorgestanzter Form: "Selbstverwirklichung im Beruf" - was für ein zynischer SCH***! Nur die allerwenigsten Berufe verdienen überhaupt die Bezeichung "Selbstverwirklichung" - die ALLERMEISTEN Jobs werden aus purer Geldnot gemacht, sind Drecksjobs. Na ja, aber eine SOLCHE Selbstverwirklichung ist die EINZIGE, die das System mit den Leuten geplant hat: für mehr WIRTSCHAFTSWACHSTUM, das wiederum die Springquelle der Macht des Systems ist. Also, die ganze "Selbstverwirklichung im Beruf" ist der Dienst der Lohnarbeiter an der Herrschaft über sie - das heißt sie selbst arbeiten an der Stärkung ihrer eigenen Fesseln.
Man könnte VERRÜCKT werden - mit solchen Thesen steht man als ABSOLUTER Außenseiter da - hallo da draußen, versteht jemand, was ich sage? Oder bin ich etwa schon verrückt? Werde ich jetzt abgeholt?
...mir fällt immer wieder nur Kafka ein... immer wieder ... und manchnmal denke ich daran, wie er sich mal vorstellte, als kleines Männchen in eine Schublade gesteckt zu werden, und darin so lange festgehalten zu werden, bis er erstickt ist ... irgendwie fühle ich manchmal ähnlich - als vernünftiger "Verrückter" unter wahnsinnigen "Normalen"
Kafkaeske Grüßle
Daniel
Ja, das ist der status quo. Die Dunkelheit sozusagen...
Aber die ach so soliden Gitterstäbe sind nur die Überzeugungen des Menschen, das, was er wirklich glaubt. Und wer wirklich Freiheit will - und ich glaube, das sind gar nicht so viele - der muss einfach seine Überzeugungen überprüfen und bei Nichtgefallen Andere wählen. Die gute alte Selbsterkenntnis eben...
Wie man Glaubenssätze ändert
...vielleicht ist Widerstand der falsche Weg, vielleicht sollten wir alle Hebel daran setzen, den Niedergang zu beschleunigen - Mit Vollgas gegen die Wand - um danach, in einer Art Katharsis, eine neue, bessere Welt zu erschaffen...
Wenn man jahraus jahrein mit spitzer Feder gegen das bestehende Unrecht anschreibt, ohne dass sich wirklich etwas ändert,muss man sich irgendwann einmal fragen, ob dies der richtige Weg ist...
Danke für deinen Beitrag.
Wir sind in der glücklichen Lage unser Kind NICHT der öffentlichen Bildung aussetzen zu müssen. Wir wohnen im Ausland und dürfen home-schooling machen.
Schlimm genug, (und Pech für's Kind) dass wir selbst nicht aus unserem Käfigdenken ausbrechen können. Ausserdem werden ausgebrochene Kinder entweder wieder eingefangen und in den besonders harten Gesellschaftsbildungsvollzug übernommen, oder auf der Flucht erschossen.
Aber wir denken viel nach und arbeiten dran ...
@Daniel,
kann Deinen Frust gut verstehen. Hinweise auf die Tradition der Gesellschaftskritik werden gemeinhin mit Augenverdrehen gekontert, dass man gesehen habe, wohin das führe (UdSSR, DDR etc.). Kapitalismus ist zwar in erster Linie ein Herrschaftssystem, dass die wahrhaft Mächtigen abschottet, so dass sie ihre Macht quasi inkognito ausüben können. Doch die Leute, darauf hinzuweisen, dass sie letztlich Prostituierte des Gelderwerbs sind, bringt augenscheinlich nichts, wird als unumgängliche Realität akzeptiert. Man hat schließlich auch was davon: iPod, Händi, Flachbildfernseher, all-inclusive Urlaub etc. pp.. Nicht zuletzt kann man auf Erwerbslose heruntergucken.
Aus diesem Strom verblendender Ablenkung zur Beruhigung einer Art kognitiven Dissonanz, die aus einer meist misslingenden beruflichen Selbstverwirklichung entsteht, gibt es wohl ohne wirklich existentielle materielle Nöte kein Entrinnen für die breite Masse. Letztlich will sie es auch nicht anders!
Oder, um es mit Kant zu sagen: "Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es Anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen."
Gegenargumente bringen es einfach nicht. Man muss wohl an der Absurdität des gemeinen marktwirtschaftlichen Wahns ansetzen, wobei der Humor nicht zu kurz kommen darf. Nur so lassen sich eventuell Freiräume für ein Andersdenken und -handeln gewinnen oder Löcher im Gitter, um Bild zu bleiben.
Gruß Andreas
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