Sie konnten gar nicht anders handeln...
Dienstag, 15. Juni 2010
Das Vertrauensverhältnis hätten Sie schwer belastet, liebe Frau Emme - diminutiv "Emmely" gerufen -; so urteilte das Bundesarbeitsgericht zwar auch, gab Ihrem ehemaligen und wahrscheinlich baldigen Arbeitgeber demzufolge recht, kassierte aber die gegen Sie ausgesprochene Kündigung dennoch ein. Eine Abmahnung zur Bestrafung Ihrer Dreistigkeit, die Sie zwei verwaiste Pfandbons einlösen ließ, hätte völlig genügt, urteilten die Richter. Ob ein solches Einlösen moralisch ist oder nicht, soll hier nicht mehr erläutert werden: zu oft wurde Ihre Geschichte wiedergekäut, aufgebauscht, ausgeschlachtet - und moralische Exegese wurde eh wild betrieben. Daher keine weiteren ethischen Bulletins hierzu!
Lassen Sie uns über das Vertrauen sprechen, mit welchem in Ihrer Branche, so scheints, noch so hoch gehandelt wird. Ein prahlerisches Elysium voller Zutrauen und Verlässlichkeit, baut sich da vor unserem geistigen Auge auf; wir sehen Supermärkte und Discounter, in denen das Vertrauen waltet - sich strebsam gegen den allerorten praktizierten und vorangetriebenen Stellen- und Vertrauensabbau sträubt. Und dann beobachten wir Sie, liebe Frau Emme, wie Sie täppisch in dieses Idyll stolpern, berechnend raffgierig und knauserig eigennützig. Wie können Sie nur?, will man Ihnen zurufen. Weshalb demolieren Sie diese vertrauensvolle Welt?, möchte man Sie fragen. Kein Wunder, Ihr Dienstherr erdichtete sich frei von jeglicher Scham, ganz öffentlich, ansehnlich medienwirksam, ein Vertrauensverhältnis, welches Sie mutmaßlich strapaziert hätten - und die Richterschaft hat fleißig mitgedichtet, sich allerlei Reime über Vertrauensbruch einfallen lassen. Klar, dass man als neutraler Beobachter irgendwann glaubt, Sie hätten das Vertrauen aus Ihrer Branche geprügelt, die heilige Omertá Ihres Berufszweigs gebrochen.
Dabei ist jene Sparte, in der billig noch zu teuer ist, in der Preise unterboten und nochmals unterboten werden, kein gesegnetes Pflaster für vertrauensvolle Basen. Wo die Geizgeilheit und die Billigmanie wüten, da ist für Vertrauen wenig Spielraum. Geringfügig bezahltes Personal, unbezahlte Überstunden, die Demontage sozialversicherungspflichtiger Stellen - all das läßt Vertrauen zu einer unerfüllbaren Annahme werden, zu einem fossilen Begriff, der eben nicht mehr als Begriff ist, keinesfalls spürbare Konstellation zwischen Partnern. In so einem Biotop fühlen sich Angestellte schnell ausgenutzt und ausgebeutet, entwickeln Unzufriedenheit, glauben sich zum selben austauschbaren Ramsch zu verformen, den sie tagsüber in Discounter-Regale ordnen. Aufmüpfige Belegschaften zieht man sich da heran, die man kontrollieren, begutachten, überwachen, prüfen und kleinhalten muß. Hier kommen die Horrormeldungen aus dem Paradies der Billigware ins Spiel: Beschattung, Observation, heimlich angelegte Mitarbeiterakten und allerlei stasifiziertes Vorgehen mehr.
Auch solche Meldungen aus dem Hause Lidl, Schlecker, Penny und so weiter, wurden medial eingehend abgehandelt - sie zu rekapitulieren wäre müßig, außerdem sind sie hinlänglich bekannt und bergen keine neuen Erkenntnisse. Sicher, Frau Emme, Sie waren bei Kaiser's Tengelmann kassierend - Tengelmann! Bei den Konzerntöchtern TEDi und KiK weiß man auch, wie man Vertrauen zertrümmert - bei Kaiser's selbst freilich ohnehin, man ist ja lange genug im Geschäft. In dieser Welt geschah Ihr Einbruch ins vorgebliche Idyll. Welches Vertrauen haben Sie also untergraben? Jenes etwa, welches Ihnen Ihr Arbeitgeber entgegenbrachte? Dieses Gebräu aus Überwachung und Kontrolle, Ausbeutung und unbezahlter Mehrarbeit? Und dass man zwei Bons bei Ihnen gefunden hat, dokumentiert doch nur bestens, wie dort geschnüffelt und ausgeforscht wird - da haben die Spitzel ganze Arbeit geleistet. Ein schweres Stück Arbeit, denn zwei winzige Pfandbons müssen erstmal gefunden werden. Wie genau man Ihnen auf die Schliche kam, wurde indes kaum erläutert. Handtaschenkontrolle etwa? Auch solcherlei soll es im Vertrauensparadies geben, hört man dann und wann...
Die Wahrheit ist, dass Sie gar keine Vertrauensbasis niedergewalzt haben, weil es überhaupt keine Grundlage für Vertrauensbildung gab. Sie, liebe Frau Emme, sofern Sie sich denn die Bons wirklich angeeignet haben - was Sie ja stets verneinten -, haben nur so reagiert, wie es Ihnen Ihr geistig-moralisches Vorbild, Ihr Arbeitgeber nämlich, täglich vorexerziert hat. Gehen wir nochmals davon aus, dass Sie jene Handlung begangen haben; gehen wir ferner davon aus, dass so eine Tat als schändlich zu werten ist, eine Schandtat ist demgemäß: wer wäre zu tadeln? Sie gewisslich nicht, denn Sie sind nur Produkt Ihres Dienstherrn, haben gelehrt bekommen, was Vertrauen wirklich heißt. Vertrauen ist nämlich nicht gut, Kontrolle besser - nein, gutes Vertrauen basiert auf Kontrolle: so muß man das verstehen, so verstehen das Supermärkte und Discounter heute. Misstrauen ist Vertrauen, könnte man auch sagen - und in so einer verdrehten Welt, da handeln Subjekte eben nicht mustergültig und tadellos; da modifizieren sie lediglich die niederen Instinkte und Triebe der Vorbilder innerhalb der Subkultur, des Mikrokosmos.
Kurzum, Sie saßen da ganz unrechtmäßig auf der Klägerbank, die in den Medien dann zur Angeklagtenbank modelliert wurde. Sie, Frau Emme, hätten da nicht sitzen dürfen - die Richter, die Ihren steinigen Weg zum letztlichen Erfolg ebneten, sie hätten urteilen, hätten erklären müssen: Frau Emme hat sich möglicherweise Pfandbons widerrechtlich angeeignet und daher verurteilen wir ihren Arbeitgeber, der sie zu dieser Tat ermutigte, der sie dazu trieb, der sie zur vertrauensunbegabten Kassenkraft erzog. Ja, die Richter hätten verkünden müssen: Schuldig ist unserer Ansicht nach ein Arbeitgeber, der in seinen Hallen ein Klima erzeugt, in dem kein halbwegs gesunder, halbwegs mit Selbstwert gesegneter Mensch arbeiten und sein mag. Schuld hat der vom Vertrauen faselnde Dienstherr, der nur Vertrauen in Spitzelprotokolle, Kameraaufnahmen und Spinddurchsuchungen setzt. Und sie hätten aus ihren Roben blaffend erklären müssen, dass Sie vielleicht in einem streng ethischen Milieu verfehlt hätten, dass man Sie dort hätte verurteilen müssen: nicht aber dort, wo Sie tatsächlich zur Handlung ansetzten. Frau Emme, hätten sie bekunden müssen, streng betrachtet haben Sie einen Verstoß begangen, aber im Anbetracht der wirklichen Umstände, in diesem Flair aus Kontrolle und Lohnsklaverei, Misstrauen und Verdächtigung, konnten Sie gar nicht anders handeln. Frau Emme, Sie waren über dreißig Jahre dort angestellt, dreißig Jahre in einer Branche, die immer mehr Wesenszüge der Staatssicherheit oder der Geheimen Staatspolizei annahm: Sie sind ja fast unzurechnungsfähig, in einer Ausnahmesituation, die ein unethisches Tun erklärt und sogar rechtfertigt. Sie sind, so hätten es die höchstrichterlichen Damen und Herren ein für allemal darbringen müssen, ein Produkt Ihres Umfeldes, das Resultat unwürdiger Zustände, die logische und folgerichtige Konsequenz - Sie sind die verkörperte Bilanz einer betriebswirtschaftlichen Denkart, die den Angestellten zwar Mitarbeiter nennt, ihn damit zunächst auf eine Stufe mit seinen Herrn stellt, die aber diesen Mitarbeiter für einen überteuerten, dem Anspruchsdenken verfallenen Kostenfaktor und Feind hält. Anders vorgebracht: Ihr freier Wille war insofern keiner, Sie wurden abgerichtet, dressiert, domestiziert - Sie, liebe Frau Emme, sind insofern eben nicht Frau Ihrer selbst gewesen, sondern Kind einer harten Schule, der Sie tagtäglich ausgesetzt waren; Spross, verniedlicht gesagt eine Emmely eben, einer Erziehung, die mit Vertrauen gar nichts anfangen konnte, weswegen Sie auch keinen blassen Schimmer von vertrauensvollem Umgang erlangen konnten. Lieber Arbeitgeber, müssten die Gerichte unisono predigen, du hast dir deine Belegschaft verzogen, bist kein leuchtendes Leitbild von Vertrauen, belästige die Justiz daher erst dann, wenn du so mit deinen Leuten umgehst, wie du gerne mit dir umgegangen haben willst!
Natürlich sprechen Gerichte nicht in dieser Form, weil sie sich stets nur um den konkreten Sachverhalt, nicht aber um das Großeganze scheren. Gerichte werkeln im Kleinen, haben nichts Großes vor Augen. Und aus diesem Grund, liebe Frau Emme, unterstellt man Ihnen, Sie hätten irgendein undefinierbares Vertrauensverhältnis untergraben - Gerichte prüfen keine Vertrauensgrundlagen, sie gehen optimistisch und hoffnungsfroh einfach von solchen aus. Und wenn der gepeinigte, sich im Ehrgefühl beleidigte Dienstherr so beflissen von Vertrauen spricht, so denkt man sich prozessabkürzend, dann wird da schon ein Stäubchen Wahrheit dahinterstecken. Ob Sie dann überhaupt diesen Diebstahl begangen haben, steht auf einem anderen Fetzen Papier.
Und dass man dieser Tage mit einer Abmahnung auch noch zufrieden sein soll, obwohl man womöglich unschuldig ist, obwohl man Vertrauen dort beschädigte, wo das Vertrauen gar nie heimisch war, gehört zu den traurigen Umständen des zeitgenössischen Arbeitsmarktes. Frei nach Benn: Abmahnung akzeptieren und Schnauze halten - das ist das Glück! Und Sie, Frau Emme, Sie haben dieser Definition gemäß, ein kleines Glück errungen: kosten Sie es aus, denn bald stehen Sie vielleicht wieder hinter der Kasse - und dann hat es sich ausgeglückt! Denn Sie sind für Ihren Arbeitgeber, diesem Herrn guter Sitten, mit einem Stigma behaftet. Trotzdem so halbwegs wie ein Sklave behandelt zu werden, wie ein Mensch dritter Klasse also: auch das nennt sich heute Glück, auch da ruft man einem zu, es hätte ihn schlechter treffen können, da hätte er doch nochmal Glück gehabt! Denn mit ihm würde zwar wie mit einem Sklaven umgegangen, aber Sklaven sind Menschen und somit würde man wie ein Mensch behandelt - Hauptsache Mensch, wenn auch einer von niederer Güte. Ein Schnipsel Menschenrecht wird man dann schon zuerkannt bekommen, jedenfalls mehr als man einem Gorilla verleiht...
Lassen Sie uns über das Vertrauen sprechen, mit welchem in Ihrer Branche, so scheints, noch so hoch gehandelt wird. Ein prahlerisches Elysium voller Zutrauen und Verlässlichkeit, baut sich da vor unserem geistigen Auge auf; wir sehen Supermärkte und Discounter, in denen das Vertrauen waltet - sich strebsam gegen den allerorten praktizierten und vorangetriebenen Stellen- und Vertrauensabbau sträubt. Und dann beobachten wir Sie, liebe Frau Emme, wie Sie täppisch in dieses Idyll stolpern, berechnend raffgierig und knauserig eigennützig. Wie können Sie nur?, will man Ihnen zurufen. Weshalb demolieren Sie diese vertrauensvolle Welt?, möchte man Sie fragen. Kein Wunder, Ihr Dienstherr erdichtete sich frei von jeglicher Scham, ganz öffentlich, ansehnlich medienwirksam, ein Vertrauensverhältnis, welches Sie mutmaßlich strapaziert hätten - und die Richterschaft hat fleißig mitgedichtet, sich allerlei Reime über Vertrauensbruch einfallen lassen. Klar, dass man als neutraler Beobachter irgendwann glaubt, Sie hätten das Vertrauen aus Ihrer Branche geprügelt, die heilige Omertá Ihres Berufszweigs gebrochen.
Dabei ist jene Sparte, in der billig noch zu teuer ist, in der Preise unterboten und nochmals unterboten werden, kein gesegnetes Pflaster für vertrauensvolle Basen. Wo die Geizgeilheit und die Billigmanie wüten, da ist für Vertrauen wenig Spielraum. Geringfügig bezahltes Personal, unbezahlte Überstunden, die Demontage sozialversicherungspflichtiger Stellen - all das läßt Vertrauen zu einer unerfüllbaren Annahme werden, zu einem fossilen Begriff, der eben nicht mehr als Begriff ist, keinesfalls spürbare Konstellation zwischen Partnern. In so einem Biotop fühlen sich Angestellte schnell ausgenutzt und ausgebeutet, entwickeln Unzufriedenheit, glauben sich zum selben austauschbaren Ramsch zu verformen, den sie tagsüber in Discounter-Regale ordnen. Aufmüpfige Belegschaften zieht man sich da heran, die man kontrollieren, begutachten, überwachen, prüfen und kleinhalten muß. Hier kommen die Horrormeldungen aus dem Paradies der Billigware ins Spiel: Beschattung, Observation, heimlich angelegte Mitarbeiterakten und allerlei stasifiziertes Vorgehen mehr.
Auch solche Meldungen aus dem Hause Lidl, Schlecker, Penny und so weiter, wurden medial eingehend abgehandelt - sie zu rekapitulieren wäre müßig, außerdem sind sie hinlänglich bekannt und bergen keine neuen Erkenntnisse. Sicher, Frau Emme, Sie waren bei Kaiser's Tengelmann kassierend - Tengelmann! Bei den Konzerntöchtern TEDi und KiK weiß man auch, wie man Vertrauen zertrümmert - bei Kaiser's selbst freilich ohnehin, man ist ja lange genug im Geschäft. In dieser Welt geschah Ihr Einbruch ins vorgebliche Idyll. Welches Vertrauen haben Sie also untergraben? Jenes etwa, welches Ihnen Ihr Arbeitgeber entgegenbrachte? Dieses Gebräu aus Überwachung und Kontrolle, Ausbeutung und unbezahlter Mehrarbeit? Und dass man zwei Bons bei Ihnen gefunden hat, dokumentiert doch nur bestens, wie dort geschnüffelt und ausgeforscht wird - da haben die Spitzel ganze Arbeit geleistet. Ein schweres Stück Arbeit, denn zwei winzige Pfandbons müssen erstmal gefunden werden. Wie genau man Ihnen auf die Schliche kam, wurde indes kaum erläutert. Handtaschenkontrolle etwa? Auch solcherlei soll es im Vertrauensparadies geben, hört man dann und wann...
Die Wahrheit ist, dass Sie gar keine Vertrauensbasis niedergewalzt haben, weil es überhaupt keine Grundlage für Vertrauensbildung gab. Sie, liebe Frau Emme, sofern Sie sich denn die Bons wirklich angeeignet haben - was Sie ja stets verneinten -, haben nur so reagiert, wie es Ihnen Ihr geistig-moralisches Vorbild, Ihr Arbeitgeber nämlich, täglich vorexerziert hat. Gehen wir nochmals davon aus, dass Sie jene Handlung begangen haben; gehen wir ferner davon aus, dass so eine Tat als schändlich zu werten ist, eine Schandtat ist demgemäß: wer wäre zu tadeln? Sie gewisslich nicht, denn Sie sind nur Produkt Ihres Dienstherrn, haben gelehrt bekommen, was Vertrauen wirklich heißt. Vertrauen ist nämlich nicht gut, Kontrolle besser - nein, gutes Vertrauen basiert auf Kontrolle: so muß man das verstehen, so verstehen das Supermärkte und Discounter heute. Misstrauen ist Vertrauen, könnte man auch sagen - und in so einer verdrehten Welt, da handeln Subjekte eben nicht mustergültig und tadellos; da modifizieren sie lediglich die niederen Instinkte und Triebe der Vorbilder innerhalb der Subkultur, des Mikrokosmos.
Kurzum, Sie saßen da ganz unrechtmäßig auf der Klägerbank, die in den Medien dann zur Angeklagtenbank modelliert wurde. Sie, Frau Emme, hätten da nicht sitzen dürfen - die Richter, die Ihren steinigen Weg zum letztlichen Erfolg ebneten, sie hätten urteilen, hätten erklären müssen: Frau Emme hat sich möglicherweise Pfandbons widerrechtlich angeeignet und daher verurteilen wir ihren Arbeitgeber, der sie zu dieser Tat ermutigte, der sie dazu trieb, der sie zur vertrauensunbegabten Kassenkraft erzog. Ja, die Richter hätten verkünden müssen: Schuldig ist unserer Ansicht nach ein Arbeitgeber, der in seinen Hallen ein Klima erzeugt, in dem kein halbwegs gesunder, halbwegs mit Selbstwert gesegneter Mensch arbeiten und sein mag. Schuld hat der vom Vertrauen faselnde Dienstherr, der nur Vertrauen in Spitzelprotokolle, Kameraaufnahmen und Spinddurchsuchungen setzt. Und sie hätten aus ihren Roben blaffend erklären müssen, dass Sie vielleicht in einem streng ethischen Milieu verfehlt hätten, dass man Sie dort hätte verurteilen müssen: nicht aber dort, wo Sie tatsächlich zur Handlung ansetzten. Frau Emme, hätten sie bekunden müssen, streng betrachtet haben Sie einen Verstoß begangen, aber im Anbetracht der wirklichen Umstände, in diesem Flair aus Kontrolle und Lohnsklaverei, Misstrauen und Verdächtigung, konnten Sie gar nicht anders handeln. Frau Emme, Sie waren über dreißig Jahre dort angestellt, dreißig Jahre in einer Branche, die immer mehr Wesenszüge der Staatssicherheit oder der Geheimen Staatspolizei annahm: Sie sind ja fast unzurechnungsfähig, in einer Ausnahmesituation, die ein unethisches Tun erklärt und sogar rechtfertigt. Sie sind, so hätten es die höchstrichterlichen Damen und Herren ein für allemal darbringen müssen, ein Produkt Ihres Umfeldes, das Resultat unwürdiger Zustände, die logische und folgerichtige Konsequenz - Sie sind die verkörperte Bilanz einer betriebswirtschaftlichen Denkart, die den Angestellten zwar Mitarbeiter nennt, ihn damit zunächst auf eine Stufe mit seinen Herrn stellt, die aber diesen Mitarbeiter für einen überteuerten, dem Anspruchsdenken verfallenen Kostenfaktor und Feind hält. Anders vorgebracht: Ihr freier Wille war insofern keiner, Sie wurden abgerichtet, dressiert, domestiziert - Sie, liebe Frau Emme, sind insofern eben nicht Frau Ihrer selbst gewesen, sondern Kind einer harten Schule, der Sie tagtäglich ausgesetzt waren; Spross, verniedlicht gesagt eine Emmely eben, einer Erziehung, die mit Vertrauen gar nichts anfangen konnte, weswegen Sie auch keinen blassen Schimmer von vertrauensvollem Umgang erlangen konnten. Lieber Arbeitgeber, müssten die Gerichte unisono predigen, du hast dir deine Belegschaft verzogen, bist kein leuchtendes Leitbild von Vertrauen, belästige die Justiz daher erst dann, wenn du so mit deinen Leuten umgehst, wie du gerne mit dir umgegangen haben willst!
Natürlich sprechen Gerichte nicht in dieser Form, weil sie sich stets nur um den konkreten Sachverhalt, nicht aber um das Großeganze scheren. Gerichte werkeln im Kleinen, haben nichts Großes vor Augen. Und aus diesem Grund, liebe Frau Emme, unterstellt man Ihnen, Sie hätten irgendein undefinierbares Vertrauensverhältnis untergraben - Gerichte prüfen keine Vertrauensgrundlagen, sie gehen optimistisch und hoffnungsfroh einfach von solchen aus. Und wenn der gepeinigte, sich im Ehrgefühl beleidigte Dienstherr so beflissen von Vertrauen spricht, so denkt man sich prozessabkürzend, dann wird da schon ein Stäubchen Wahrheit dahinterstecken. Ob Sie dann überhaupt diesen Diebstahl begangen haben, steht auf einem anderen Fetzen Papier.
Und dass man dieser Tage mit einer Abmahnung auch noch zufrieden sein soll, obwohl man womöglich unschuldig ist, obwohl man Vertrauen dort beschädigte, wo das Vertrauen gar nie heimisch war, gehört zu den traurigen Umständen des zeitgenössischen Arbeitsmarktes. Frei nach Benn: Abmahnung akzeptieren und Schnauze halten - das ist das Glück! Und Sie, Frau Emme, Sie haben dieser Definition gemäß, ein kleines Glück errungen: kosten Sie es aus, denn bald stehen Sie vielleicht wieder hinter der Kasse - und dann hat es sich ausgeglückt! Denn Sie sind für Ihren Arbeitgeber, diesem Herrn guter Sitten, mit einem Stigma behaftet. Trotzdem so halbwegs wie ein Sklave behandelt zu werden, wie ein Mensch dritter Klasse also: auch das nennt sich heute Glück, auch da ruft man einem zu, es hätte ihn schlechter treffen können, da hätte er doch nochmal Glück gehabt! Denn mit ihm würde zwar wie mit einem Sklaven umgegangen, aber Sklaven sind Menschen und somit würde man wie ein Mensch behandelt - Hauptsache Mensch, wenn auch einer von niederer Güte. Ein Schnipsel Menschenrecht wird man dann schon zuerkannt bekommen, jedenfalls mehr als man einem Gorilla verleiht...
8 Kommentare:
G´schpassig und eloquent wie immer.
Aber die Stoßrichtung zerfasert ein bißchen.
Wäre das Herumreiten auf dem Vertrauen nicht noch wuchtiger ausgefallen, wenn man auf das NS-Erbe im Arbeitsrecht abgehoben hätte? Da sollte Gefolgschaft auch im Betrieb auf gegenseitigem Vertrauen und unverbrüchlicher gegenseitiger Treue beruhen. Die Richter konnten also gar nicht anders, als nach der von ihnen interpretierten Gesetzeslage entscheiden.
Zudem: Das "blinde Vertrauen" wurde ja hinterher immerzu gegeisselt. Da muß doch der Führer eines Betriebes die Augen seiner Überwachungskameras weit offenhalten, daß so etwas wie damals aus blindem Vertrauen heraus nicht wieder passiert.
Ich habe mal in einem hiesigen Supermarkt abends mitbekommen wie eine Verkäuferin so sinngemäß zur anderen sagte:
"So, ich bin dann gleich weg. Ich geh' dann noch eben zum Chef zur Taschenkontrolle".
Spontan entsprang mir die Frage: "Wie, bei Ihnen werden die Taschen der Beschäftigten kontrolliert??!"
Antwort der anderen Verkäuferin: "Aber natürlich, warum auch nicht?! Ich finde das richtig."
Der deutsche Michel kann auch eine Micheline sein, dachte ich mir.
Nun kann man sich aber auch fragen, ob diese Verkäuferin ihre Kolleginnen und deren evtl. Diebstahlverhalten oder ihr eigenes gut kennt.
Dann müsste dieser Logik gemäß in jedem Unternehmen Taschenkontrollen efolgen: bei Banken, in Industriebetrieben (Werkzeuge), Bäckereien (Produkte), Friseuren (Haargel), in der Verwaltung (Kopierpapier), in Krankenhäuser und Rettungsdiensten (Verbandsmaterial), usw. usw..
Aber vielleicht kommt auch das noch.
Da ich dort aber langjähriger Kunde bin, hätte ich nie gedacht, dass diese langjährigen und mir deshalb schon vertrauten Verkäuferinnen je potentielle Straftäterinnen sein könnten. Und dann bin ich wieder bei 'Micheline'
anonym
taschenkontrollen sind schon seit jahrzehnten in grossbetrieben die regel!! damit beschäftigt man die werksfeuerwehr - brennt ja nicht ständig und die muss doch auch arbeit haben.
und zum vertrauen: wie ist das denn, wenn der arbeitgeber massenhaft arbeitsvertäge bricht, weil er einfach aus dem verband ausscheidet, abteilungen auslagert oder mit der gewerkschaft zusammen die löhne kürzt??
Hallo Roberto, ich vermute ganz stark, dass es bei diesen Bagatell-Kündigungen keinesfalls um Vertrauensbrüche geht sondern um klare Machtdemonstrationen der Arbeitgeber gegenüber ihren Gefolg- pardon: Belegschaften!
Neben der Massenarbeitslosigkeit und Hartz 4 wurde mit den Bagatell-Kündigungen und ihrer wirksamen medialen Aufbereitung ein weiteres Instrument zwecks totaler Unterwerfungen der Lohnabhängigen unter die Interessen und Ansprüche des Kapitals "salonfähig" gemacht.
Wie Klagen gegen derartige Kündigungen nach einem langen Rechtsweg auch immer ausgehen mögen, die meisten Beschäftigten verstehen bereits vor jedem Richterspruch diese "Lexionen" der Arbeitgeber sehr gut, wissen, "wo der Hammer hängt"!
Guter Artikel, nur etwas lang. Kurz gesagt:" Die Kleinen hängt man, die Großen läßt mann laufen". Dabei gibt es hier in Deutschland noch das gute Wort der Klassenjustiz, ein Huhn hackt dem anderen nicht das Auge aus.
MfG killroy
Man könnte sagen:
Wenn das Beschäftigten-Fußvolk mit den Chef-Bonzen da oben nicht mehr leben will, dann kommen die Stasi Methoden zur lückenlosen Überwachung und Unterdrückung des Beschäftigten-Fußvolks.
Vertrauen
sei verspielt worden, behauptet das Unternehmen. Herrenlose Bons soll sich "Emme" angeeignet und eingelöst haben.
Wären die Bons dem Unternehmen übergeben worden, hätte dieses dafür gesorgt, dass die Bons dem rechtmäßigen Besitzer, dem Kunden, übergeben worden wären?
Wohl kaum!
Das Verhältnis Arbeitgeber zu Arbeitnehmer ist, wie dargestellt, auch rechtsgeschichtlich erklärlich. Freisler lässt grüßen! Ein Politiker sprach von Asozialität herrschender Rechtssprechung unterer Gerichte. Die schwarz-gelbe Regierung wird an dem Zustand nichts ändern: Arbeitnehmer bleiben auch in Zukunft Freiwild.
Welche Maßstäbe werden dagegen im Verhältnis von Arbeitgeber bzw. Unternehmen zum Kunden, der anderen Seite der Medaille, angelegt?
Bescheißt ein Unternehmen (z.B. Preisabsprachen, Gammelfleisch) Kunden, wird es dann wirtschaftlich vernichtet?
Ach was! Da kann es sich höchstens um ein auf einen Irrtum zurückzuführendes Mißverständnis gehandelt haben. Jawoll!
Der Rechtsstaat: nach oben blind, nach unten wild.
Vertrauen in die Politik?
Nein!
"Misstrauen ist Vertrauen, könnte man auch sagen..."
Passt doch hervorragend ins allgemeine Neusprech unserer Tage.
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