Von allen Seiten hört man es, von überall her, aus jeder Ecke, jedem Winkel stöhnt es hervor: Das Klima, das Betriebsklima - es ist so schlecht, so dampfig, so unmenschlich. Zugrunde gehe man daran, Lebensfreude sei getilgt, als Produktionsfaktor ohne Lebensberechtigung fühle man sich. Nicht nur der Chef sei unausstehlich, auch die Kollegen, ambitionierte Zeitgenossen allesamt, wüßten einem das Leben zum Schweiß- und Tränenmeer zu machen. Beobachtet wähne man sich, begutachtet und selbst wittere man hinter jeder eigenen Tat einen Fehler, auf den sich die Meute dann wieder mit Denunziantenfreuden stürzen würde. Dass hinter dem Rücken getuschelt wird, wird sowieso schon als Selbstverständlichkeit begriffen, deren man wenigstens mildernd entgegentreten wolle, indem man seine Leistungen stets noch verbessere, immer noch ein wenig mehr an Einsatz investiere. Auch kenne man die Zuträger des Vorgesetzten, die dessen Türen einrennen, wenn sie - melde gehorsamst! - etwas Neues wissen über einen Kollegen. Kurzum: Das Betriebsklima sei widerlich, sei einfach nicht mehr zu ertragen und man hoffe, die Nacht vor dem neuen Arbeitstag dauere ewig an, damit der nächste Auftritt im Rudel dieser Wölfe in möglichst ferner Zukunft liegt.
Solche Aussagen sind seit Jahren zu hören, mehren sich auch weiterhin. Dieser Gesellschaft, den gestaltenden Kräften aus Politik und Wirtschaft, ist es gelungen, ein gesellschaftliches Klima der Angst zu erzeugen, welches freilich auch den Arbeitsplatz erfüllt - denn wenn nicht am Arbeitsplatz, wo sonst sollte diese Angst, als Produkt dieser Repressionsgesellschaft, überhaupt zur vollsten Blüte reifen? Dank der Pression, dank der daraus entstandenen Angst, erlauben sich sogar viele Arbeitgeber eklatante Verstöße gegen das Arbeitsrecht, ohne mit ernsthaften Konsequenzen rechnen zu müssen. Denn der Angestellte schweigt darüber, wagt nicht Widerspruch zu üben, wenn er auch weiterhin seinen Arbeitsplatz behalten will. Aus einem mündigen Bürger im Privaten wird ein geschäftsmäßiger Ja-Sager, ein devoter Abnicker vorgesetzter Willkürherrschaft. Ein tiefer Riss geht durch sein Leben, ein Spagat zwischen dem Willen mündiger Bürger sein zu wollen und der Erkenntnis, diesen Willen am Arbeitsplatz bis zur Unkenntlichkeit verleugnen zu müssen.
Und was ihm die Gesellschaft, sein direktes Umfeld, außerhalb seiner Arbeitswelt bietet, ist zumeist wenig hilfreich, bestenfalls in Binsenweisheiten gepackte Resignation. Das Ertragen eines solchen Klimas, der stete Druck der auf einem laste, sei zwar unangenehm, aber so sei es heutzutage nun mal - vielleicht müsse man sich einfach nur - ganz fatalistisch - ein dickes Fell zulegen oder gar im Strom mitschwimmen. Gut gemeinte Ratschläge, die genau besehen von Boshaftigkeit nur so strotzen. Man mahnt nicht an, dass das Schlechte sich dem Guten anzunähern habe, das Häßliche dem Schönen, das Verlogene dem Wahren - um mit Platon zu sprechen -, sondern gerade gegenteilig: Wenn der Weg vom Guten zum Schlechten leichter ist, was er zumeist ja auch ist, dann sollte man eben den Weg des geringsten Widerstandes wählen und die eigenen Werte aufgeben, zugunsten eines vermeintlich besseren Lebensgefühls. Ob sich dieses dann wirklich besser anfühlt, ob man damit wirklich glücklicher wäre, ob mein eigenes Leid durch die Gewißheit einem anderen ebenso das Leben schwer gemacht, ihm also auch Leid zugefügt zu haben, gemildert wird, darf stark bezweifelt werden. Näher betrachtet verlagert man die eigene Wut nur auf einen Unschuldigen, auf jemanden, der genauso unter dem Druck leidet, den der Arbeitgeber erzeugt - und dieser als Schuldiger des Klimas bleibt unberührt, darf sich über das nochmals verschärfte Klima in seinem Unternehmen sogar freuen, darf sich davon den heißbegehrten Wettbewerb erhoffen, eine Selektion der Angestellten, initiert von ihnen selbst.
Es sind die Mechanismen des "divide et impera", die wir jeden Tag erleben müssen. Aber es sind Mechanismen, die nicht mehr nur von denen gelehrt und vorgebetet werden, die von einer solchen Selbstzerfleischung der Unterdrückten profitieren, sondern festverankerte Strukturen im Denken der gesamten Gesellschaft. Es sind oft selbst Arbeitnehmer die durch ihre Binsenweisheit, wonach man selbst zum Wolf zu werden habe, das "Teilen und herrschen" forcieren, ja geradezu legitimieren, zum allgemeinen Grundsatz einer Gesellschaft erheben. Sie postulieren die hobbesche Ansicht - homo homini lupus -, nähren damit den Anspruch auf einen Absolutismus innerhalb der Unternehmen und machen sich, obwohl selbst Opfer, zum Streiter für Rechtlosigkeit und Unordnung am Arbeitsplatz. Sie wähnen sich in dem zynischen Glauben, man könne die Unerträglichkeit des Zustandes damit verändern, selbst zum Bestandteil dieser Unerträglichkeit zu werden - anstatt Vereinigung und Einheit gegen die Ausbeutungsprozesse, lieber Mitschwimmen und Gleichtun. Am Ende dann wird resigniert und nicht begriffen, wie es so weit hat kommen können und nochmals der Druck gegenüber Dritten verschärft, um zu kompensieren oder vielleicht doch noch das System ad absurdum zu führen.
Gerade das banale Abtun der Mißstände, das Abwinken, der selbstzufriedene Fatalismus, wie man ihn heute immer mehr hört, trägt zur Verschärfung der Situation bei. Indem einem Betriebsklima-Geschädigten geraten wird, er solle selbst kraftvoll zubeißen, regt man zur Generalmobilmachung der Unmenschlichkeit an; indem man einem Arbeitslosen nahelegt, dass es heute eben so sei, dass man als Arbeitsloser als nutzlos betrachtet werde, und sich ein Kampf gegen so einen Nihilismus nicht lohne, tut man sein Bißchen dazu, diese Ansichten auch noch salonfähig zu machen, sie zu zementieren. Was unserer Gesellschaft mehr schadet als die Kettenhunde des neoliberalen Irrsinns mitsamt ihrem verqueren Menschenbild, das sind die Nihilisten, die "Waskümmertsmichs", die Fatalisten und Hinnehmer der Mißstände - sie untergraben die Moral derer, die noch gerne aufbegehren würden und spielen damit denen in die Hände, die diese Moral ausgeschaltet wissen wollen. Es ist der zynische Nihilismus, der die Menschlichkeit aus jeder Nische dieser Gesellschaft kratzt; es sind die Uninteressierten und Mitmacher, die vollenden, was die Apologeten der Unmoral, des homo oeconomicus und einer verwettbewerbten Gesellschaft, in die Wege geleitet haben. Sie höhlen aus, beseitigen, verwerfen das letzte bißchen Miteinander, das dieser Gesellschaft dann und wann noch gegeben ist. An den Kettenhunden kann man sich reiben, am schmierigen Fatalismus nicht...
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