Nutzwert oder Wert an sich?

Freitag, 14. November 2008

Stellen wir uns einen Geschichtslehrer der Hauptschule vor. Jung. Voller Elan. Stellen wir uns vor, wie er vor einigen Jahren seine Schüler nach Martin Luther fragte, danach, was dieser Mann in seinem Leben getan habe. Was konkret die Schüler geantwortet haben, wissen wir nicht, was sich der Lehrer aber als Antwort erhoffte, läßt sich erahnen. Womöglich hätte er Antworten wie "Reformator", "gelebt im frühen 16. Jahrhundert", "Augustinermönch", "95 Thesen zu Wittenberg", "Hier stehe ich; ich kann nicht anders!" oder "Versteck in der Wartburg" erwartet. Nun stellen wir uns diesen Lehrer einige Jahre später vor. Junggeblieben. Von seinem Elan wissen wir nichts, jedenfalls ist dieser nicht mehr so leicht erkennbar. Wieder steht Luther auf dem Lehrplan und seine Frage lautete diesmal: "Welcher Reformator und Augustinermönch des frühen 16. Jahrhunderts, wurde aufgrund seines Thesenanschlags zu Wittenberg und seinem späteren Versteck in der Wartburg bekannt? Wie hieß dieser berühmte Martin mit Nachnamen?" - Wechsel des Bildungsideals: der Rückschluss vom Komplexen zum Einfachen, d.h. anstatt zu fragen, was Luther tat, muß nun Luther den Taten zugeordnet werden. Bildung vereinfacht! Aber wir lassen unseren Lehrer noch nicht entschwinden, wir imaginieren ihn uns nochmals, diesmal in der Zukunft. Nun ist er grauhaarig kurz vor der Pension, aber seinem Lehrfach ist er treu geblieben. Wir sehen ihn vor uns wie er fragt: "Wer war Martin Luther?" Und dann sehen wir einen Schüler vor uns, der nachplappernd antwortet: "Wer ist Martin Luther!" Dann schwenken wir wieder auf den Lehrer, wie er lobende Worte findet: "Gut gemacht, Kevin, ganz richtig. Du hast Dein Lehrziel erreicht!"

... Das Ziel dieser Volksschule hat lediglich zu sein: Einfach Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens, eine Lehre...

So sprach einst einer, der den Osten Europas als Reservoir höriger Arbeitsvölker ansah. Und ähnlich gesinnt scheinen solche, die heute den Bildungsstandard senken wollen, um den Anschein aufrechtzuerhalten, dass das deutsche Bildungssystem, so wie es jetzt strukturiert ist, doch noch funktionstüchtig ist. Und was müssen Hauptschüler auch wissen außer ein wenig Rechnen, ein bißchen Schreiben, Lesen freilich auch - was braucht es denn mehr für eine Berufsausbildung als das? Allgemeinbildung? Sowas braucht doch keiner mehr, wenn er nur dem Arbeitsvolk angehört! Basiswissen ist der Schlüssel zum Erfolg! Nutzwert-Wissen, Wissen also, das nützlich ist, verwertet werden kann. Was muß man denn über Luther wissen, wenn man eine Lehre bei einem Automobilkonzern absolviert, um am Ende doch nur am Fließband zu stehen? Da heißt es den Schüler entlasten, ihm Lehrstoff abnehmen, fort mit dem, hinweg mit jenem, und was sucht denn das Kapital über dem Panama-Kanal noch in Erdkundebuch? Dabei ist doch statistisch erwiesen, dass es kaum einen deutschen Hauptschüler nach Panama verschlägt.

Man ist ja pragmatisch - dabei ist es gar kein Pragmatismus: Wir machen es uns nur schrecklich einfach! Wir schrauben die Ansprüche nach unten, nicht nur, weil die Kinder scheinbar nicht einmal mehr einen Bruchteil des Hauptschulwissens in ihren Köpfen haben, sondern auch, weil sie doch in ihrem weiteren Leben gar keinen Wissens-Schnickschnack gebrauchen können. Die Konferenz der Kultusminister (KMK), an sich nur ein verlängerter Arm und die politisch legitimierte Einrichtung des Bertelsmann-Konzerns, macht es sich sehr bequem: Die Kinder bringen die Schulleistung nicht mehr auf, die eigentlich notwendig wäre? Na dann zählen wir im Unterricht eben nur noch bis 500 und lesen bloß einfach Texte. Astrid Lindgren als intellektuelle Herausforderung für die Abschlußklassen! Ist ja sowieso nur Arbeitsvolk! Die müssen nicht Kant lesen können, es reicht, wenn sie ihre wenigen Handgriffe beherrschen, die sie bei ihrer Tätigkeit brauchen! Recht und Anspruch auf Bildung? Bildung der Bildung wegen, Wissen des Wissens wegen? Nein, das ist vorbei, eine romantische Vorstellung früherer Tage - die Jünger des Neoliberalismus wissen nicht, was Wissen nützt, welches keinen Nutzen hat! Sie können sich gar nicht erst vorstellen, dass man einfach nur lernt, weil das Lernen Freude bereitet, weil es eben doch interessant ist vom Panama-Kanal zu lesen; von dessen Geographie und sozio-ökonomischen Verwerfungen, die gerade am Kap Hoorn - also tausende Kilometer weiter südlich - durch den Bau des Kanals entstanden sind und dergleichen Fakten dazu mehr; sie können nicht begreifen, dass man dafür Interesse aufbringen kann, auch wenn man nie nach Panama oder Feuerland kommt.

Wir reden viel von fehlenden Finanzmitteln. Und Finanzmittel fehlen sicherlich und sind die Basis aller Bildungsreformen. Aber damit kann es nicht getan sein. Wir leben in einer Gesellschaft, in der nur der Nutzen einer Sache, einer Tätigkeit, einer Einsicht zählt. Ebenso wird die Bildung diesem Kosten-Nutzen-Denken unterworfen. Sie ist eigentlich gar keine Bildung mehr, sondern Ausbildung, Heranbildung - sie ist nicht Weg zum Wissen, um der Eitelkeit des Wissens willen, sondern Weg zur Verwurstung, Nutzbarmachung. Wir können noch so viele Finanzmittel zur Verfügung stellen - keine Angst, das wird nicht geschehen, hier handelt es sich ja nicht um Banken! -, solange hier kein Umdenken stattfindet, wird keine Bildungsreform fruchten. Es geht doch nicht nur um ausfallende Unterrichtsstunden, zu wenig Lehrpersonal, begrenzte Nachhilfeangebote - es geht auch darum, wie eine ganze Gesellschaft, angefangen bei den Eltern, das Lernen und das zu Wissende verachtet, jedenfalls dann, wenn es nicht verwertbar ist. Es liegt vornehmlich auch an einer Unterhaltungsindustrie, die keine Grenzen kennt, sich nur am sogenannten freien Markt orientiert und, weil dieser das angeblich fordert, cartoonierte Stumpfsinnigkeiten anbietet. Das Ablenkungspotenzial, welches sich der freie Markt für die Kinder und Jugendlichen ersonnen hat, welches diese schon zu kaufkräftigen Kunden gemacht hat, findet in der Bildungsmisere sicherlich seinen Niederschlag.

Man muß die Wurzel packen, muß den Nährboden bereiten, in dem wieder von einem "hohen Gut der Bildung" gesprochen werden kann. Und damit soll gemeint sein: Bildung, die nur ist, weil sie sich selbst nützlich ist und nicht irgendeinem Unternehmen später einmal. Die Frage ist doch nicht, ob wir Bildungsstandards senken wollen, ob wir das Zählen bis 500 verordnen sollen, damit es einfacher wird, sondern wie wir Schüler dazu bringen, sich wieder für den Unterricht zu interessieren. Nicht nur für den Unterricht, auch für das Wissen generell - wie bekommen wir Kinder wieder neugierig? Das geht nicht nur mit Finanzmitteln, nicht mit einem Heer an neuen Lehrern oder Nachhilfeangeboten - wir müssen klarmachen, dass Bildung keine Ausbildung sein darf, dass Bildung ein menschliches Gut ist, eine Kulturleistung, etwas, was jedem Mensch zustehen muß - auch wenn er "nur" am Fließband steht. Selbst einem späteren Maschinenschlosser, der in seinem Beruf wenig Bezug zu Luther haben wird, muß ein Mehr an Bildung kennenlernen dürfen.

Bildung und das "zu Wissende" ist nicht Nutzwert, sondern Wert an sich. Bildung ist Würde; Bildung bedeutet Selbstwert; wissend zu sein bedeutet seinen Status als "nützlicher Idiot" verlassen zu haben. Bildung ist befriedigte und immer wieder gekitzelte Neugier. Kinder sind neugierig, nicht weil sie damit einen Wert erzielen, weil sie sich nutzvoll ins Gesamtgefüge integrieren wollen, sondern weil es dem menschlichen Wesen entspricht. Ich bin neugierig, also bin ich! Die Apologeten der Ausbildung, die nur ein rudimentäres Wissen vermitteln wollen, wollen ihr Bildung benanntes Konzept der Neugier berauben; wollen es der conditio humana berauben. Dabei war es gerade die Neugier, die unsere Welt ausmachte - die Glühbirne ist wie die Atombombe Produkt der menschlichen Neugier. Die Bildung ist der Versuch, die Neugierden zu befriedigen, sie immer wieder zu entfesseln, hervorzulocken - Bildung ist keine Ware, die auf Nützlichkeit zu überprüfen ist. Sie ist menschliches Erbe, sie ist Kultur, ist Wert an sich.

Darüber müßten die Kultusminister sprechen. Bevor wir über Finanzmittel sprechen, müssen wir erstmal definieren, was Bildung eigentlich in Zukunft bedeuten soll. Ob sie Wert an sich oder Nutzwert sein soll. Da kann keine Bildungs- oder sogar Schulreform Veränderungen bewirken, solange wir mit der Bildung umspringen wie mit einer Ware, solange wir zudem den Irrglauben frönen, dass nur die Schule der Ort der Bildung ist. Bildungsrepublik zu sein, bedeutet ein Klima der Bildung zu erzeugen - und zwar überall, nicht nur in der Schule. Das bedeutet, dass der Gesetzgeber wieder ein Auge auf das Fernsehprogramm für Jugendliche zu werfen, der kollektiven Verdummung seitens der Unterhaltungs- und Telekommunikationsbranche entgegenzutreten hat - es bedeutet aber auch, die Eltern mehr zu involvieren, dafür zu sorgen, dass die zeitlichen Mittel vorhanden sind, dem Sohn oder der Tochter zur Seite zu stehen - freilich auch die finanziellen Mittel. Und es bedeutet vorallem: Es darf keine Bildungsbarrieren geben, auch dann nicht, wenn man aus einer Familie kommt, die unter der Armutsgrenze lebt - Bildung ist ein Weltkulturerbe, das jedem Menschen zusteht, egal woher er kommt, wohin er geht.

Sollte die Krake Bertelsmann in Form der KMK aber glauben, Bildung sei vorallem dazu da, um später im Arbeitsleben bestehen zu können, sollte sie also meinen, ein kleines Basiswissen würde ausreichen, dann nur zu, dann nur weiter so. Hauptsache in Sachen PISA steht man dann gut da, während man sich gleichzeitig ein stumpfsinniges Arbeitsvölkchen heranzüchtet...

9 Kommentare:

Anonym 14. November 2008 um 13:44  

Das Ironische an der Sache ist, dass gerade Bertelsmann über seine Fernseh-Medien seit Jahrzehnten den Bildungsauftrag an genau der richtigen Zielgruppe hätte wahrnehmen können. Nichts davon. Es ging immer nur um Profit. Und Macht. Und gerade ein wenig gebildeter Mensch ist am leichtesten manipulierbar. Was also möchte man mehr als das in einer Schein-Demokratie, wie man sie wohl anzustreben scheint. Da ist es schon dreist, Jahre später in Person von Reinhard Mohn die Chuzpe zu besitzen, das bis dato gar nicht so schlechte deutsche Bildungssystem systematisch schlechtzureden und der Privatisierung auszuliefern.
Aber die Geschichte hat auch eine andere Seite. Die Schulen können heute kaum mithalten mit der Kluft, die es zu überbrücken gilt, und sie wollten es lange Zeit auch nicht. Bürgerliche Werte und Allgemeinwissen galten schon zu meiner Schulzeit in den 70ern als uncool, die Hautptsache war, sich lebendig zu beteiligen, was der Typus Raucherecken-Schülersprecher auch gekonnt beherrschte. Und für diese Aufweichung der Bildung trägt nicht zuletzt auch der Linksidealist von damals die Verantwortung, auch wenn es nicht gerne gehört wird. Zu leicht machte man es sich damals mit scheinbaren Lösungen. Ebenso ungern gehört wird die Tatsache, dass es einen breiten Influx wenig gebildeter Schichten gegeben hat. Das ist kein Nationalitätenproblem, sondern einen Problem der Verhältnisse gesellschaftlicher Schichten. Ich sehe jeden Tag in meinem Beruf Menschen, bei denen ich mich über das niedrige Bildungsniveau gerade der jungen Menschen nur noch wundere, Menschen aller Nationalitäten, viele Deutsche, aber alle der sogenannten Unterschicht zugehörig. Weder die eigene Familie, noch die Medien haben da Wissen oder Werte vermittelt. Wie soll da die Schule noch etwas erreichen können?

Anonym 14. November 2008 um 13:56  

Wer aber neugierig ist, hinterfragt die Gegebenheiten des Lebens. Das ist einfach zu gefährlich. Wer Macht sichern will darf sich keine Frage erlauben. Die Form der Unterdrückung verändert sich, das Resultat ist das Gleiche.

Anonym 14. November 2008 um 14:40  

"Ist ja sowieso nur Arbeitsvolk! Die müssen nicht Kant lesen können, es reicht, wenn sie ihre wenigen Handgriffe beherrschen, die sie bei ihrer Tätigkeit brauchen! Recht und Anspruch auf Bildung?"
Genau dies scheint mir manchmal das Ziel (gewesen?) zu sein. Wer Kant lesen kann (exzellente Formulierung!), der kann auch (hinter)fragen, der ist nicht mehr gefügig genug, er ist kein typischer Vertreter der grauen Leihmasse, die zur Flexibilisierung der Produktion vonnöten ist.
Die "Eliten" schließen sich in ihren Kreisen ein. Die Stadtschule braucht sich nicht darum zu kümmern, sie soll sich auch nicht darum kümmern, sondern den Pool der Wortlosen brav mit Nachschub versorgen.
Und die "Erfolge" sind bereits sichtbar. Schamlos, rückhaltslos und deprimierend: Schulen die Geld bekommen um neue Turnhallen zu bauen während nötige Lehrerstellen vom Ministerium nicht genehmigt werden, Eltern die es als Verschwendung ansehen dass das Kind Abitur machen möchte (O-Ton: "Hoffentlich will sie nicht auch noch studieren!"), Lehrer die sich hergeben, die Zahl der Kinder im Laufe einer sogenannten Förderstufe so zu reduzieren, dass sie den vorgegebenen Wert nicht überschreitet, etc...

Den "Eliten" passiert dies alles nicht. Sie könn(t)en oft Kant lesen, sind organisiert, haben Geld und Lobby.
Aber die Bestimmung der "Eliten" ist ja auch nicht, zur grauen Masse zu gehören...

MG

Anonym 14. November 2008 um 15:08  

Könnte ja auch passieren, das zuviele Kinder der "Arbeiterklasse", sich durch einen vielfältigeren Lehrplan, doch dazu entscheiden einen anderen Weg als den ihnen vorgeschriebenen einzuschlagen.
Wer sollte dann bei Deutschlands derzeitiger Geburtenrate in Zukunft am Fließband stehen?

Anonym 14. November 2008 um 16:49  

Das meiste klang ja schon an.
Bildung ist ein "Sicherheitsrisiko" für die bestehenden Verhältnisse.
Bildung heißt für mich Erhaltung der Neugierde, die Lust am Fragen und Hinterfragen. Das ist für das Establishment nicht wünschenswert und mit der Errichtung von Bildungsbarrieren führt die Elite ihr Gerede vom "gesunden Wettbewerb" selbst ad absurdum. Natürlich lieben sie den Wettbewerb, aber während die "normalen" zu Fuß gehen möchten sie doch bitte schön das Auto benutzen. Es geht auch gar nicht darum, dass der Beste gewinnt, sondern dass die betehenden Verhältnisse reproduziert werden. "Chanchengerechtigkeit" heißt das jetzt: Jeder hat die Chanche -es sei denn es fehlt das Geld, aber dann kann er sich ja ein Darlehen besorgen- unsere Freunde von den Banken unterstützen sie da gerne und ihre Schulden am Ende der Ausbildung sollten sie nicht davon abhalten, erst einmal ein Praktikum bei uns zu absolvieren. Robertos Hinweis auf den Wert der Bildung an sich ist völlig richtig. Aber ich fürchte unsere Bildungsmisere ist gewollt und es geht lediglich um Repression. Flächendeckend Studiengebühren einzuführen und sich dann wenig später über den Mangel an Ingenieuren zu beklagen ist so dumm, dass ich es nicht einmal Neoliberalen zutraue.

Anonym 14. November 2008 um 19:07  

Schon die Reaktionen mancher Schulleiter auf den Schulstreik zeigen es, was man heutzutage davon hält, wenn die bis dato konsumgeilen Jungen sich gegen die Verhältnisse stellen. Mündige und kritische Menschen soll es nicht geben und wer aufmuckt, muss damit rechnen Probleme zu bekommen - also im Prinzip ist es nichts anderes, als was es schon in der Erwachsenenwelt gibt. Und an jenen, die laut aufheulten, dass der Protest instrumentalisiert worden sein soll, hats auch diesmal nicht gemangelt - nach dem Motto: wer sich gegen die Partei... äh, Parlamentslinie stellt, ist ein Antidemokrat und gefährlich.

Genau auch deshalb haben sich die Thinktanks darum gekloppt, um Einfluss auf die Bildung zu bekommen und mit dem veralteten dreigliedrigen System haben sie es umso leichter gehabt, denn dieser wird von manchen immer noch als eine Art heilige Kuh gesehen, die grosszügig darüber hinweg sehen, dass es genau das System ist, was zu vielen Problemen führt, die wir heute im Schul- und Ausbildungswesen haben.

Die Vorkommentatoren haben recht - diese Zustände sind gewollt und man arbeitet förmlich darauf hin Bildung zu einem raren Gut zu machen, was nur für diejenigen da ist, die auch das nötige Kleingeld haben. Auch die Ausbildungsmisere ist gewollt, denn auf diese Weise produziert man Menschen, deren Startvorraussetzungen ins Leben so schlecht sind, dass für sie nur ein Job irgendwo im Niedriglohnsektor, wo schon Sklavenarbeit an der Tagesordnung ist, in Frage kommen - und je ungebildeter die Leute sind, umso besser. So kann man sie ausbeuten bis zum geht nicht mehr und sie werden sich noch darüber freuen, dass sie überhaupt noch arbeiten dürfen.

Schöne neue Welt ist das...

Anonym 14. November 2008 um 21:27  

Die Hauptschule ist natürlich zur Zeit das wichtigste und dringendste Beispiel, aber dergleichen Forderungen findet man überall.

Erst neulich hatte ich ein ähnliches Gespräch mit einem Mathematikprofessor. Es ging darum, wie wenig (mathematische) Bildung wir Ingenieure, durchaus als die Hauptschüler unter den Naturwissenschaftlern zu sehen, doch vermittelt bekommen. Doch anstatt die Ziele höher zu setzen, vielleicht eine gemeinsame Mathematik im Grundstudium für alle anzubieten, wird gefordert, Mathe für Ingenieure noch einfacher und noch einfacher zu machen. Wir sollen ja nur Dinge bauen, nur nach DIN vorgeschriebene Formeln stupide einsetzen.

Und dann ist wieder das Heulen groß, wenn Brüchen einstürzen.

Andere Ebene. Aber wenn selbst an der Uni die Bereitschaft für eine Bildung um der Bildung willen (um eben zu verstehen, wieso so gerechnet wird, und nicht anders) von den Studenten selbst nicht erwünscht und von der Industrie abgelehnt wird, was erwartet man denn dann von den Hauptschülern? Diese stammen ja, anders als die meisten Studenten, noch nicht einmal aus "bildungsnahen" Schichten.

Anonym 15. November 2008 um 00:38  

@demokratieistwichtig:
Zustimmung.

Jedoch darf man nicht vergessen, dass das Schulsystem nicht gerade der idealste Nährboden für eine Wissensneugier ist: erst wenn wir das Signal des "frühen Aussiebens", das Bildungsghetto Hauptschule und den Eliten-Tempel Gymnasium (gar heilig ist es!) endgültig abschaffen und die Einheitsschule, in der sich die Wege erst nach 10 Jahren trennen und eine Übergangsphase zur Universität (also Abitur) vorbereitet wird, daraus entschmilzt.

Wenn man es ernst meint, muss man auch dem "einfachen" Maurer die Möglichkeit geben, anschließend zu studieren. Und sei es nur, wie Roberto schon sagte, um die eigene Würde zu salben, sich geistig forzubilden. Gerade der Maurer könnte dann fröhlich skandieren: Nieder mit Betonköpfen! ;-)

"Bürgerliche Werte und Allgemeinwissen galten schon zu meiner Schulzeit in den 70ern als uncool"

Mal ketzerisch gefragt: selbst *wenn* ein Elektriker "seinen Kant kennen" würde, würde das Bürgertum ihm wirklich den Titel "bürgerliche Werte" ebenso gönnen, wie es das bei sich selbst tut? ;-) Der "Bürger" muss doch immer noch jemanden unter sich wissen, erst dann ist er "Bürger", erst dann darf er sein, der Begriff hat für mich sowas eliten-haftes (ich weiß natürlich, dass damit früher städtische, arbeitende Menschen gemeint waren, aber gerade deswegen isses überholt; mir fallen dann immer Straßenpenner ein, die sind doch schließlich auch Bürger;-(), wie bei Falladas "Kleinem Mann", als die Hauptfigur am Ende auf dem "Bürgersteig", dem Trottoire, steht, allerdings entehrt, weil plötzlich mittellos und deswegen von den "Bürgern" schief angeschaut wird. Okay, führt jetzt zu weit, könnte aber eventuell sogar für Roberto ein Thema zum Schreiben in naher Zukunft sein (fällt mir gerade so ein)? (es sei denn, du hattest schon mal sowas ähnliches geschrieben, ich kann gerade nichts dazu finden)

Anonym 15. November 2008 um 10:39  

@patte:

Gebe Dir völlig Recht. Mit den bürgerlichen Werten, einer zugegeben missverständlichen Formulierung, meinte ich nicht die Abgrenzung von anderen Schichten. Ich bin vollkommen gegen Studiengebühren und für die vertikale Mobilität, wie das so schön heißt. Mir liegt nur viel am Gedanken des 'Studium generale', nicht nur in der Universität, sondern auch in den Schulen. Ich bin überzeugt davon, dass Werte nicht mit Zahlen, Umfragen oder dem später zu erwartenden Einkommen gemessen werden dürfen. Daher halte ich die Vermittlung von Grundfähigkeiten und -wissen in der Kindheit und Jugend für unabdingbar. Von eben auch so 'uncoolen' Dingen wie Sprachen, Musik und Geschichte. Es ist wichtig, über die deutsche Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts Bescheid zu wissen, aber erst mit der Kenntnis vorangegangener Episoden erkennt man das sich ewig wiederholende Wesen des Menschen. Es ist toll, aktuelle Musicals und Pop-Musik zu kennen, aber erst mit Bach erschließt sich einem, wie weit grundsätzliche Prinzipien zurückreichen. Es ist super, eine Webseite gestalten zu können (ich wünsche, ich könnte das besser...), aber die Malerei der vergangenen Jahrhunderte ist auch interessant. DAS meinte ich mit den bürgerlichen Werten. Dass es auch ein bisschen wehtun darf, ein bisschen Arbeit und Mühe kosten darf, wenn man später den Überblick haben will. Mir geht es nicht um Abgrenzung, sondern um Wissen als die Basis von Verstehen. Ich selber würde mir auch mehr davon wünschen.

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