De auditu

Montag, 10. November 2008

Ich habe mich entschlossen, hier eine neue, unregelmäßig erscheinende Kategorie ins Leben zu rufen. "De auditu" bedeutet "vom Hören" und soll von den kleinen und größeren absichtlichen Wortverdrehern in Fernsehen und Radio berichten - von dem was man also so hört, nicht liest. Dabei sind es oft ganz unscheinbare Äußerungen, die aber bei genauem Besehen, beim genauen Zuhören, gar nicht mehr so unscheinbar sind, sondern tendenziell die herrschenden Machtverhältnisse und den Zeitgeist widerspiegeln.

Kürzlich berichtete das Fernsehen von einem Massen-DNA-Test, der einen mutmaßlichen Doppelmörder aus den Sechzigerjahren entlarven sollte. Dieser mögliche Täter hat vor einigen Jahren mehrere anonyme Briefe an die Polizei geschickt, in dem er, wie er selbst schrieb, eine Rückschau auf sein Leben halten wolle. Er gestand einen Mord, in einem späteren Brief einen weiteren - es soll sich dabei um Morde an einem Mädchen und einer Prostituierten handeln, die 1962 bzw. 1970 begangen wurden. Um den Briefeschreiber zu stellen, initierte nun die Polizei einen Massen-DNA-Test, um die dort erzielten Ergebnisse mit den DNA-Spuren auf den Briefen abzugleichen.

So weit, so gut - über die Rechtmäßigkeit einer solchen Maßnahme, wollen wir uns nicht weiter äußern, zumal diese auf Freiwilligkeit basierte. So wurden 6.000 Senioren, die in etwa dem Jahrgang des vermeintlichen Täters entsprechen müßten, zum Speicheltest geladen. Alles freiwillig wohlgemerkt! Aber die berichtenden Sender modifizierten die Tatsachen etwas: 6.000 Senioren müßten zum Speicheltest, hieß es da. Von Freiwilligkeit wurde, wenn überhaupt, nur in einem kurzen Nebensatz gesprochen. Aber das Müssen stand also im Raum - aus der Freiwilligkeit wurde ein Pflichthandlung, womöglich sogar ein unsichtbarer Zwang. Gleichzeitig wurde die Polizei nicht müde festzuhalten, dass all jene, die dieser Aufforderung nicht nachkämen, mit Nachforschungen zu rechnen hätten. Dass diese Äußerung juristisch zweifelhaft ist, wurde auch da von den Fernsehsendern nicht erwähnt - denn jemanden zu verdächtigen, nur weil er seine DNA nicht ermitteln ließ, entbehrt jeden rechtsstaatlichen Verständnisses. Ein konkreter Verdacht kann jedenfalls nicht alleine daraus resultieren, nur einer freiwilligen Aktion ferngeblieben zu sein.

Natürlich unterließen es die Sender nicht, diverse Probanden zu befragen, was sie davon hielten. Zwar sprach keiner davon, dass man so ein Ermittlungsverfahren zur Pflicht- und Zwangseinrichtung machen sollte, aber dass jeder, der kein schlechtes Gewissen habe, durchaus teilnehmen könne, dessen waren sie sich sicher. Und genau darin liegt der Irrtum, denn folgte man dieser Logik, müßte eben jener, der ferngeblieben ist, etwas zu verbergen haben, müßte also eventuell sogar der gesuchte Briefeschreiber und vermutliche Mörder sein. Für den Fernsehzuschauer indes wurde ersichtlich, obwohl der Bericht nur äußerst kurz gehalten war, dass es eben doch eine Mußhaltung benötige, einer solchen freiwilligen Aktion demgemäß Folge zu leisten sei. Die Freiwilligkeit wird von einer Kann- zu einer Soll- und vielleicht sogar zu einer Muß-Veranstaltung. Denn wer freiwillig nichts zu verbergen hat, der muß auch nichts befürchten - die Umkehrung daraus: wer freiwillig nicht mitzieht, wer von seiner Freiwilligkeit keinen Gebrauch machen will, der muß geradezu etwas zu verbergen haben.

Hinter so einer Berichterstattung versteckt sich mehr als lediglich eine falsche Wortwahl. Es ist der verkappte Paradigmenwechsel, den man dieser Gesellschaft auferlegen will. Die freiwillige Handlung soll nicht mehr dem individuellen Gewissen geschultert sein, sondern einem seelenlosen, weil gewissensberaubten Untertanengeist. Mit einer solchen Berichterstattung füttert man die Absichten mancher Hardliner, wonach alle Bundesbürger in einer DNA-Kartei erfaßt werden müßten, um einerseits die polizeilichen Ermittlungen, aber auch andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, zu effektivieren. Durch solche kleinen Beeinflussungen gräbt man den kulturellen Nährboden um, der einen solchen Plan langsam aber sicher zu einer Selbstverständlichkeit werden lassen. Anders: Man kultiviert das Denken dahingehend, hinter einem derartigen freiwilligen Muß keinen Zwang mehr zu sehen, sondern eine gesellschaftliche Vernunft, die jeden Individualismus im Keime ersticken läßt, wenn es nur der Effektivierung dient.

8 Kommentare:

Anonym 10. November 2008 um 10:38  

Sehr richtig das alles. Genau auf die Argumentation man auch auch bei vielen anderen umstrittenen Massnahmen zurück, die langsam nicht nur tief in die Privatsphäre eingreifen, sondern diese zunehmend bedrohen. Widerstand ist recht wenig vorhanden, es gilt ja schliesslich alles nur den Bösewichten (Mördern, Vergewaltigern, Terroristen), man kommt aber selten auf die Idee, dass es jede Menge Bagatelldelikte gibt, die man verübt, ohne es überhaupt zu wissen. Letztlich hat aber jeder sehr wohl was zu verbergen, auch ohne gegen Bagatellen zu verstossen, nämlich seine Privat- und Intimsphäre, wo es nicht egal ist, wenn Aussenstehende Werkzeuge in der Hand haben, mit denen sie diese bis in die letzte Ecke penetrieren können.

Anonym 10. November 2008 um 10:58  

Die "Unschuldsvermutung" ist doch schon lange zu Grabe getragen.
Heute genügt die bloße Vermutung, man könne in der Zukunft möglicherweise eine Straftat begehen, um erkennungsdienstliche Behandlung sowie DNA-Test zu rechtfertigen. Wer nichts zu verbergen hat.....

Anonym 10. November 2008 um 11:38  

Noch bedenklicher ist, daß nach meinen Informationen die entnommenen DNA-Proben in einer Datenbank landen und fortan auch für andere Zwecke verwendet werden dürfen. Allein das ist für mich ein Grund, mich nicht an einem solchen Massentest zu beteiligen. Der zweite ist der: es soll der Schuldige ermittelt werden. Ich weiß aber, daß ich unschuldig bin. Warum soll ich also teilnehmen? Um meine Unschuld zu beweisen? Das muß ich nicht, in Deutschland gilt (noch) die Unschuldsvermutung. Man hat mir meine Schuld zu beweisen.

Davon, daß bei diesen Gen-Tests auch einiges schief laufen kann, wollen wir gar nicht erst anfangen. DNA-Spuren am Tatort müssen nicht vom eigentlichen Täter stammen ...

capiVara 10. November 2008 um 11:58  

Wobei man bedenken sollte, dass es doch reichlich absurd ist anzunehmen, dass der Täter da freiwillig mitmachen würde. Insofern frage ich mich, ob solche Aktionen nicht eher einfach dem Sammeln von DNA-Daten (wird eh nicht gelöscht, egal was behauptet wird) von immer mehr Bürgern dienen, und nicht etwa der Auffindung von Verbrechern.

Anonym 10. November 2008 um 19:59  

Ein anderes Beispiel aus meinem Umfeld:

Vor Gericht zählen Atteste mit ärztlicher Schweigepflicht schon seit einiger Zeit nicht mehr viel, wenn man krank wird und aus einem Fitness-Studio-Vertrag (Elixia! Dass der Gesetzgeber solche blutsaugenden Mafiaunternehmen schützt spricht Bände...) rausmöchte. Man hätte nur die Wahl sich und seine Daten (Krankheit) detailliert in der öffentlichen Verhandlung preiszugeben oder eben am Ende - um die Kosten so gering wie möglich zu halten - das "Schweigegeld" zu zahlen. Unternehmerische Interessen gehen vor Kundeninteressen/Bürgerinteressen.

Demnächst werden dann noch detaillierte "entblößende" Atteste von Arbeitgebern im Krankheitsfalle gefordert (weil die "normalen" nicht mehr ausreichen; "da könnte ja schließlich jeder kommen!") oder bei Prüfungen an Unis (ha, hat es schon gegeben, FU Berlin, wenn ich nicht irre!)...das wäre dann noch die Krönung.

Anonym 10. November 2008 um 23:59  

Diese Form der Argumentation und der insgeheimen Forderung der Machthabenden sich den sozioökonomischen Strukturen zu ergeben, sprich sich so zu verhalten, wie man es von einem erwartet - durchdringt immer mehr gesellschaftliche Bereiche.

Freiwilligkeit, Individualität sowie Selbstbestimmung ja, aber bitte schön nur solange wie es den Machthabenden bzw. der vermeintlichen "Elite" genehm ist. Genau dieser Rahmen, indem sich das Individuum bewegen darf, bevor es mit Rufschädigungen, Anfeindungen und dergleichen zu rechnen hat, wird seit Jahren immer enger - in allen gesellschaftlichen Bereichen!

Insofern: ein guter Beitrag, der auf diesen schleichenden Prozess aufmerksam macht.

Anonym 11. November 2008 um 10:34  

Die c't berichtet, das die unterschiedlichen Datenbanken zu einer Anti-Terror-Datei bzw. "Schäuble-Katalog" zusammengefasst werden.
http://www.heise.de/ct/hintergrund/meldung/print/85995

D.h., wer einmal, ob freiwillig oder gezwungen darin erfasst ist, ist auch automatisch in der o.g. Datenbank erfasst. Weiterhin findet ein munterer Daten-Austausch mit den USA statt.

Wie schwierig es ist, aus einer Datei wieder gelöscht zu werden, schildert RA Udo Vetter auf seinem Lawblog: http://www.lawblog.de/index.php/archives/2008/10/22/groses-zeitfenster/

Er schildert auch, für welche Straftaten mittlerweile die DNA erfasst wird: http://www.lawblog.de/index.php/archives/2008/10/27/dna-kein-delikt-ist-zu-klein/

Anonym 11. November 2008 um 20:14  

George Orwell hat es schon früher beschrieben.
Gut, er hatte nicht "den Westen" im Blick, aber niemand ist perfekt...

MG

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