Biedermann ist der Brandstifter

Donnerstag, 10. Januar 2008

Als am 23. November 1992 in der schleswig-holsteinischen Stadt Mölln zwei türkische Familien Opfer eines Brandanschlags wurden, waren die Täter "nur" die ausführenden Subjekte einer Stimmung innerhalb dieses Landes, die geistige Wurzeln auch und vorallem in der Politik schlug. Ebenso verhielt es sich mit den Gewalttaten des Mobs im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen und später - 1993 - in Solingen. Tote und Schwerverletzte lagen auf dem Schlachtfeld rassistischen Eifers. Kurzzeitig galten diese Opfer als Mahnmal, welches uns immer daran erinnern sollte, was geschehen kann - selbst jetzt, Jahrzehnte nach dem NS-Regime -, wenn Protagonisten aus der Politik ihre Ressentiments zur res publica erklären wollen.

Die Stimmung innerhalb der Bundesrepublik, so kurz nach der Wiedervereinigung, war unterlegt mit revisionistischen Denkweisen. Die Deutschen waren wieder wer. Aus "Wir sind das Volk" wurde "Wir sind ein Volk"; aus Eintreten für das eigentliche Souverän - das Volk -, wurde erneut eine deutschtümelnde Nationalromantik, wonach man ein Volk sei, ein bestimmtes Volk; und oft wohl auch ein vorbestimmtes, d.h. auserwähltes Volk. Aus freiheitlicher Bestrebung wurde ein neuer, anachronistisch fehlplatziert wirkender Nationalismus. Das Land der Deutschen wieder vereint; das neue Deutschland der Deutschen, und irgendwann: Deutschland den Deutschen! Freilich kann man den Menschen nicht unterstellen, daß sie bewußt neuen deutschen Stolz präsentierten, um der restlichen Welt damit deren Geringwert vor Augen zu führen. Doch Massenbewegungen neigen zur Übertreibung, zur Maßlosigkeit und damit auch zur radikalen Sichtweise.

In dieses innerdeutsche Klima stieß die Asyldebatte, die genährt von Deutschtümelei auf Verständnis in der Bevölkerung stieß. Politisch oder religiös Verfolgte wurden zu Wirtschaftsflüchtlingen erklärt. Bundestagsabgeordneter Erich Riedl (CSU), einige Monate vor Mölln (im April 1992, "Süddeutsche Zeitung"): "Das Boot im Münchner Süden läuft über. Jetzt muss Schluss sein. Deshalb wiederhole ich meine Forderung, den Münchner Süden ab sofort von Scheinasylanten zu verschonen." Gezielt wurde menschliches Dasein für illegal erklärt. Scheinasylanten also, die das deutsche Paradies nur ausnutzen wollen. Die Begriffe "Asylbewerber" oder - eben vulgärer - "Asylant" und "Ausländer" verschmolzen zu einer Einheit. Der "Ausländer an sich" liebt des Deutschen Kindergeld und den Segen der Sozialhilfe, ist zudem gemeinhin kriminell und tritt in den "pragmatischen Bund der Scheinehe". Um dem ganzen Rassismus, den man als Vernunftseinsicht verkauft, eine breite Grundlage zu geben, durfte es natürlich nicht vernachlässigt werden, dem Volk seinen Willen aufzuoktroyieren. Immerhin habe das Volk unter den Ausländern zu leiden: "Wir können nicht die Lastesel für die Armen der Welt sein. Der Unmut bei den Menschen ist riesig. Glauben Sie denn, daß die es ruhig hinnehmen werden, wenn Millionen Ausländer ungeordnet in unser Land kommen?" (Georg Kronawitter, SPD, im September 1992 im "Spiegel")

Stimmen dieser Art waren Legion. Animiert durch eine aufgeheizte Debatte, glaubten einige nationalstische Kameraden, sie würden Volkes Willen, ja die Vernunft schlechthin vertreten, wenn sie Anschläge auf Ausländer oder Asylbewerber verüben. Sie ließen den Reden der geistigen Brandstifter Taten folgen. In Rostock-Lichtenhagen war es sogar die Bevölkerung selbst, die sich zur "notwendigen völkischen Erhebung" hinreißen ließ und sich mit Polizeihundertschaften anlegte. Immerhin haben wir ja ausländische Schmarotzer im Bundesgebiet, die nur zu uns kommen, um unser geliebtes Deutschland zu mißbrauchen. Ehrliche Asylbewerber, die flüchten mußten, weil sie zuhause Angst um ihre Existenz haben mußten, schien es gar nicht mehr zu geben. Nach den Pogromen unterstrich gar Altkanzler Schmidt den nationalen Charakter jeder Gesellschaft, indem er "die Vorstellung, daß eine moderne Gesellschaft in der Lage sein müßte, sich als multikulturelle Gesellschaft zu etablieren" (Dezember 1992, in der "Welt") für abwegig erklärte.

Freilich verurteilten die Brandstifter im Geiste die Untaten der Attentäter. Aber die Einsicht, mit der politischen Hetze, zum Geistesvater von Rostock, Mölln und Solingen geworden zu sein, folgte nicht. Am Ende will es - wie immer - keiner gewesen sein; am Ende habe man es ja gar nicht so gemeint. Man wurde nur mißverstanden. Marx meinte einmal, Hegel habe vergessen, seinem Ausspruch - wonach sich alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sozusagen zweimal ereignen - hinzuzufügen, daß dies einmal als Tragödie, das anderemal als Farce geschähe. Wollen wir hoffen, daß der aufkeimende Rassismus dieser Tage, nur eine Farce ohne blutige Folgen bleibt.

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