Schuldig ist, wer kontrolliert wird...

Dienstag, 8. Januar 2008

"Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten." - Dieser selbstredende Satz, der den Anschein vermittelt, jedes Argument wider Kontroll- und Überwachungsgesetze sei sinnlose Zeitvergeudung, gilt als das Totschlagargument der Polizeistaatsreformer. Er - der Satz - tritt als gesicherte Tatsache auf. Der Staat - als abstrakter Koloss, von den menschlichen Fehlbarkeiten derer, die den Staat darstellen, wird in der Regel nicht gesprochen - wolle nicht dem unbescholtenen Bürger in die Freiheit greifen, sondern gerade diese bewahren. Der Staat: Der Satz von der unnötigen Sorge, stellt diesen als moralische Instanz dar, die nicht täuschen kann. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Alleine das Verhalten des Bürgers wird innerhalb dieser "Weisheit" thematisiert. Das Verhalten des Staates bleibt schleierhaft. Die Abhörinstitutionen agieren verdeckt, deren Arbeit kann nicht überwacht werden. Die Gesellschaft hat sich darauf zu verlassen, daß der Apparat moralisch einwandfrei überwacht. "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten", befriedigt insofern den aufkommenden Zweifel, der nur das Verhalten des Bürgers, nicht aber das "des Staates" konkretisiert. Zudem stellt der Satz einen oberflächlicher Versuch dar, den "Bürger unter Generalverdacht" aus den Denken der Massen zu retuschieren.

Dies hat zur Folge, daß jeder Bürger, der mit den Kontrollinstanzen in Konflikt kommt, eben doch was verbergen wollte. Er hätte nichts zu befürchten gehabt, wenn er seine verborgenen Aktivitäten preisgegeben hätte. Wer aber Opfer des Kontrollwahns wird, d.h. zum Täter aus Sicht "des Staates", stand - bezogen auf den hingewiesenen Satz - rechtens unter (General-)Verdacht. "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten", revidiert nicht die Angst des Bürgers, sondern stellt diesen vor vollendete Tatsachen, wenn dessen Nachbar, Bekannter, Kollege in Konflikte mit den besagten Instanzen gerät. Schuldig ist nicht, wem Schuld nachgewiesen wird; schuldig ist, wer kontrolliert wird.

Der beschwichtigende Satz ist Ausdruck spießbürgerlicher Sonnenscheindialektik, die darauf abzielt, kritisches Denken im Keime zu ersticken. Hauptaugenmerk liegt aber auf der bürgerlichen Mentalität, die eigene Unbescholtenheit wahren zu wollen, und sei es um das Opfer, anderen dieses Recht unmöglich zu machen. Trotz aller Schönwetterrhetorik ergeben sich Fälle von Datenmißbrauch und -irrtümern. Eine kleine Auswahl:

  • Ein 67-jähriger Wiesbadener geriet unter Verdacht, sich Kinderpornografie beschafft zu haben, weil von seinem Bankkonto entsprechende Abbuchungen vorgenommen wurden. Tatsächlich hatten aber Unbekannte seine Kreditkartendaten missbraucht.
  • Bei einem Banküberfall im Jahre 1991 hatte eine automatische Überwachungskamera mehrere Lichtbilder des Täters gefertigt, die später zur Festnahme und Verurteilung eines Hausmeisters führten. Der Verurteilte verbrachte mehr als fünf Jahre im Gefängnis. Erst nach seiner Haftentlassung wurde die Tat von dem wirklichen Täter gestanden.
  • Die Harburger Polizei suchte 2003 mit einem falschen Fahndungsfoto nach einem Sparbuchdieb. Geliefert hatte das Bild eine Videoüberwachungskamera – und der Student Marco Koch kam unschuldig in Haft.
  • Ein in Österreich lebender Nigerianer geriet ins Visier der Behörden, weil er viele Telefonkontakte hatte – Verdacht des Drogenhandels. Es stellte sich heraus, dass er nur ein gefragter Ratgeber war.
  • Die Hessische Polizei stellt versehentlich ein 13 Seiten langes Einsatzprotokoll von Verkehrskontrollen ins Netz. Darin finden sich Namen, Geburtsdaten, aktuelle Adressen der Kontrollierten, „eventuelle Vorstrafen“, Automarke, Kennzeichen sowie Gesetzesverstöße.
  • Weitere Fälle von Datenmißbrauch und -irrtümern bei Daten-Speicherung.de

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