Was ist Rassismus?
Montag, 21. Januar 2008
In Zeiten aufkeimender Ausländerfeindlichkeit, in denen nicht alleine das Anderssein zu xenophoben Äußerungen verleitet, sondern die Fremdheit als wesentliches Merkmal menschlicher Schwächen und niederer Instinkte dienen muß, da ist der Vorwurf des Rassismus als Konsequenz zu erwarten. Was aber bedeutet es, wenn man jemanden vorwirft, rassistisch motiviert zu sein? Der französische Soziologe Albert Memmi definiert Rassismus folgendermaßen: "Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen." Der Rassismus erklärt sich also hier als Bewertung, die die Differenzen zwischen Ethnien - die man als minderwertig, unmoralisch, pervers, gesellschaftssprengend deutet - zur Grundlage eigener Vorteilnahme erklärt. Zudem kennt dieser Vorgang keinen Individualismus, sondern kollektiviert die angeblichen Minderwertigkeiten; generalverurteilt damit eine gesamte Gesellschaftsschicht anderer Herkunft und läßt keine individuellen Wesensmerkmale zu, um das wackelige Ressentimentgebäude nicht zum Einsturz zu bringen.
Ist dies zutreffend? Muß sich zur Differenzierung die moralische Wertung dazugesellen, um von Rassismus sprechen zu können? Ist alleine das Aufzählen von Unterschieden schon rassistisch? - Es ist unzureichend postuliert, schon beim Aufzählen von tatsächlichen oder fiktiven Unterschieden, des ersten Schrittes zum Rassismus bezichtigt zu werden. Aber erklärt man Neigungen und Handlungsweisen - die als Differenzen ausgelegt werden - als reine "Laune der Nation", also quasi im Blut liegend, gewissermaßen metaphysisch-anheimelnd, so wirft man das vermeintlich charakteristische So-sein, das durchaus nur in einer Gesellschaftsschicht zuhause sein kann, in den Abgrund rassischer Eigenartigkeiten. Natürlich lassen sich Unterschiede nicht verleugnen. Doch sind diese als Folge historischer und geographischer Besonderheiten, folglich ökonomisch zu deuten. So ist das soziologisch relevante Problem des russischen Alkoholismus nicht auf den minderwertigen russischen Charakter oder auf des Russen Hang zur Maßlosigkeit - welche man wiederum als spezielle Untugend der russischen Volksseele deutet - zurückzuführen, sondern auf das kalte Klima und die Trostlosigkeit inmitten isolierter Dorfgemeinschaften. Dieser geographischen Komponente wird eine historische angereichert: Da der Alkoholismus ein altbekannte Manier ist - bereits Zar Peter setzte sich damit auseinander -, scheint er einer Art Traditionalismus zu entstammen.
Mitnichten erlaubt uns diese materialistische Betrachtung, allen Russen eine genetische Nähe zum Wodka zu attestieren. Doch gerade in dieser Weise artikuliert sich die heutige Debatte, die sich mit einer sogenannten Ausländerkriminalität befassen will. Es hat den Anschein, als wolle man die kriminelle Energie nicht materialistisch begründen, nicht soziologisch kenntlich machen, sondern auf einen Minderwert an der jeweiligen Herkunft. Zudem gibt man sich nicht konsequent. Wäre es eine Form genetischer Veranlagung, könnte man dem ausländischen Gewalttäter keine Schuld zuweisen. Er wäre in diesem Sinne determiniert, vollkommen außerhalb jeglicher Schuldfähigkeit. Doch so weit will man nicht gehen. Die Schuld darf nicht in den ökonomischen Verhältnissen gefunden werden. Dies wollen die Rassisten tunlichst verhindern; diese Abkehr von der Aufklärung hat oberste Priorität. Um dies zu erreichen, beschuldigt man die Herkunft, sucht sich dies Surrogat zur Schuldverlagerung. "Die sind doch alle so", ist begreifbarer als "ein Paar sind so, weil..."
Rassismus, so wie ich ihn begreife, muß keine moralische Verurteilung beinhalten. Das Verwerfen ökonomischer Ursachen, die zu bestimmten Reaktionen und Neigungen innerhalb einer Gesellschaftsschicht bzw. einer Ethnie führen, um stattdessen eine Form von Rassen-Metaphysik zu betreiben, ist ausreichend, um sich in rassistische Argumentation zu verstricken. Argumentiert man, ganz ohne moralischen Zeigefinger, indem man sagt: "Die sind eben alle so, da kann man nichts machen", dann reduziert man gegebene Unterschiede auf die Herkunft und damit auf die Rasse - wenngleich dieser Begriff fehlerhaft ist. In dieser Weise versucht sich die Sozialdemokratie der derzeitigen Diskussion anzuschließen. Fehlende Integration - die in diesem Lande "Anpassung" bedeutet - sei maßgeblicher Indikator. Anders: Weil die Straftäter - dies bleiben sie ja trotz allem - nicht ans "deutsche Wesen" gewöhnt wurden, sind sie was sie sind. Die ökonomische Komponente spielt auch hier eine untergeordnete Rolle, soll unter den Tisch fallen. Ein klares Bekenntnis, wonach Kriminalität keine rassische Erscheinung ist, sondern herkunftsunabhängig materielle Gründe zur Grundlage hat, findet sich auch nicht in den Reihen der Sozialdemokratie. Sie versucht lediglich das rassistische Fundament konservativer Politik zu entschärfen; sie will, daß man den Rassismus nicht auf den ersten Blick erkennt.
Rassismus ist aber gegeben, gleichgültig ob man sich negativ - d.h. krisitierend - einer Gruppe bestimmter Menschen nähert, oder ob man positiv - d.h. zwar nicht kritisierend, aber auf "Rasse" beziehend - jener Gruppe begegnet. Maßgebend ist also nicht, wie Memmi definiert, der Nutzen des Anklägers und damit der Schaden seines Opfers, sondern die Art und Weise des Ableitens der Differenzen, die der "Ankläger" zu erkennen meint.
Ist dies zutreffend? Muß sich zur Differenzierung die moralische Wertung dazugesellen, um von Rassismus sprechen zu können? Ist alleine das Aufzählen von Unterschieden schon rassistisch? - Es ist unzureichend postuliert, schon beim Aufzählen von tatsächlichen oder fiktiven Unterschieden, des ersten Schrittes zum Rassismus bezichtigt zu werden. Aber erklärt man Neigungen und Handlungsweisen - die als Differenzen ausgelegt werden - als reine "Laune der Nation", also quasi im Blut liegend, gewissermaßen metaphysisch-anheimelnd, so wirft man das vermeintlich charakteristische So-sein, das durchaus nur in einer Gesellschaftsschicht zuhause sein kann, in den Abgrund rassischer Eigenartigkeiten. Natürlich lassen sich Unterschiede nicht verleugnen. Doch sind diese als Folge historischer und geographischer Besonderheiten, folglich ökonomisch zu deuten. So ist das soziologisch relevante Problem des russischen Alkoholismus nicht auf den minderwertigen russischen Charakter oder auf des Russen Hang zur Maßlosigkeit - welche man wiederum als spezielle Untugend der russischen Volksseele deutet - zurückzuführen, sondern auf das kalte Klima und die Trostlosigkeit inmitten isolierter Dorfgemeinschaften. Dieser geographischen Komponente wird eine historische angereichert: Da der Alkoholismus ein altbekannte Manier ist - bereits Zar Peter setzte sich damit auseinander -, scheint er einer Art Traditionalismus zu entstammen.
Mitnichten erlaubt uns diese materialistische Betrachtung, allen Russen eine genetische Nähe zum Wodka zu attestieren. Doch gerade in dieser Weise artikuliert sich die heutige Debatte, die sich mit einer sogenannten Ausländerkriminalität befassen will. Es hat den Anschein, als wolle man die kriminelle Energie nicht materialistisch begründen, nicht soziologisch kenntlich machen, sondern auf einen Minderwert an der jeweiligen Herkunft. Zudem gibt man sich nicht konsequent. Wäre es eine Form genetischer Veranlagung, könnte man dem ausländischen Gewalttäter keine Schuld zuweisen. Er wäre in diesem Sinne determiniert, vollkommen außerhalb jeglicher Schuldfähigkeit. Doch so weit will man nicht gehen. Die Schuld darf nicht in den ökonomischen Verhältnissen gefunden werden. Dies wollen die Rassisten tunlichst verhindern; diese Abkehr von der Aufklärung hat oberste Priorität. Um dies zu erreichen, beschuldigt man die Herkunft, sucht sich dies Surrogat zur Schuldverlagerung. "Die sind doch alle so", ist begreifbarer als "ein Paar sind so, weil..."
Rassismus, so wie ich ihn begreife, muß keine moralische Verurteilung beinhalten. Das Verwerfen ökonomischer Ursachen, die zu bestimmten Reaktionen und Neigungen innerhalb einer Gesellschaftsschicht bzw. einer Ethnie führen, um stattdessen eine Form von Rassen-Metaphysik zu betreiben, ist ausreichend, um sich in rassistische Argumentation zu verstricken. Argumentiert man, ganz ohne moralischen Zeigefinger, indem man sagt: "Die sind eben alle so, da kann man nichts machen", dann reduziert man gegebene Unterschiede auf die Herkunft und damit auf die Rasse - wenngleich dieser Begriff fehlerhaft ist. In dieser Weise versucht sich die Sozialdemokratie der derzeitigen Diskussion anzuschließen. Fehlende Integration - die in diesem Lande "Anpassung" bedeutet - sei maßgeblicher Indikator. Anders: Weil die Straftäter - dies bleiben sie ja trotz allem - nicht ans "deutsche Wesen" gewöhnt wurden, sind sie was sie sind. Die ökonomische Komponente spielt auch hier eine untergeordnete Rolle, soll unter den Tisch fallen. Ein klares Bekenntnis, wonach Kriminalität keine rassische Erscheinung ist, sondern herkunftsunabhängig materielle Gründe zur Grundlage hat, findet sich auch nicht in den Reihen der Sozialdemokratie. Sie versucht lediglich das rassistische Fundament konservativer Politik zu entschärfen; sie will, daß man den Rassismus nicht auf den ersten Blick erkennt.
Rassismus ist aber gegeben, gleichgültig ob man sich negativ - d.h. krisitierend - einer Gruppe bestimmter Menschen nähert, oder ob man positiv - d.h. zwar nicht kritisierend, aber auf "Rasse" beziehend - jener Gruppe begegnet. Maßgebend ist also nicht, wie Memmi definiert, der Nutzen des Anklägers und damit der Schaden seines Opfers, sondern die Art und Weise des Ableitens der Differenzen, die der "Ankläger" zu erkennen meint.
4 Kommentare:
Hi Roberto,
Du solltest zunächst nochmal auf die Frage eingehen, was Rassismus denn eigentlich sei? Ist nur der ein Rassist, der Ausländer pauschal ablehnt und verurteilt? Was unterscheidet jenen von Menschen, die Dicke, Kahle, Raucher, Brillenträger, Arme oder sonst irgendwelche benachteiligten ausgrenzt und diskriminiert?
Was also ist Rassismus? Doch nichts anderes, wie das Festhalten an Vorurteilen, die urteilslos angenommen und angewandt werden. Nur zu gerne glaubt man, daß bei jugendlichen Ausländern die Kriminalität deutlich höher ist, als bei Deutschen. Fakt ist jedoch, daß wenn die "Fremden" den gleichen Start haben, sprich die gleiche Bildung und das gleiche soziale Gefüge, daß sie nicht mehr oder nicht weniger zu Straftaten neigen, wie unser deutscher Nachwuchs.
So lange man ausgrenzt und herabsetzt, so lange wird man Aggressionen erzeugen und pflegen. Egal, ob das nun bei Ausländern, Dicken oder einfach andersartigen ist. Das Vorurteil ist die Wurzel des Übels und man bedient sich dieses Instruments nach belieben.
Wir müssen lernen von dem Irrglauben abzukommen, daß der Muslime von Natur aus gewaltbereit ist, der Pole ein Kleptomane, die Holländer alle Käse essen, Gras rauchen und keinen Fußball spielen können und daß die Deutschen fleißig und pünktlich sind.
Daran sollten wir arbeiten, doch ist es nur zu bequem, zu glauben, was man eben mal gehört hat, weil es so schön zu dem bisherigen passt. Der Mensch muß lernen zu denken bevor er urteilt. Voruteile führen zu nichts außer Gewalt und Verzweiflung. Mit dieser Denkweise muß selbst der Rassist aufpassen, daß er nicht ausgegrenzt wird ...
Gruß
Andi
Was unterscheidet also den Rassisten von jenen Menschen, die Dicke, Kahle, Raucher, Brillenträger ausgrenzen? - Fern jeglicher ethischen Bewertung lassen sich all diese Gründe quasi genetisch erklären. Die "Zugehörigkeit zu einer Rasse" aber nicht, dort wird etwas fabuliert, was quasi-genetische Erklärmodelle liefert, um eine Form eines "einigen Bandes zwischen den Angehörigen einer Rasse" zu fundamentieren.
Jener, der Arme diskreditieren - wieder fern jeglicher Ethik - erkennt die Armut wenigstens als ökonomischen Faktor an, wenn er nicht das Ungleichgewicht als Selektion innerhalb einer Gesellschaft wertet. Gerade der Selektionsgedanke geht mit dem Rassengedanken einher. So erklärt sich der "survival of the fittest" auch innerrassisch.
Rassismus ist aber nicht nur Segration und Apartheid. Jegliches Zurückführen spezifischer Eigenarten - die durchaus als Massenphänomen auftreten können - auf eine unerklärliche, gottgegebene Selbstverständlichkeit, die also sich auf den Nenner einer vermeintlich gemeinsamen Rasse zurückführen lassen, sind als rassistisch zu werten. Das ethische Urteil ist nicht von Bedeutung. Man kann also auch im "nihilistischen Sinne", ja sogar im "positiven Sinne" Rassist sein.
Viel interessantere Frage: Was ist Dummheit?
Werter Herr Marco,
zur Klärung dieser Frage erscheinen Sie mir bestens geeignet, ja geradezu prädestiniert. Voller Ungeduld erwarte ich nun Ihre ausführliche Dokumentation zu Ihrer überaus vortrefflichen Frage.
Mit besten Grüßen
Ihr
Albus Gassmann
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