Posttraumatische Belastungsstörung
Mittwoch, 15. Juni 2016
© Abraham Pisarek |
»Wer Dingen die Relevanz nehmen will, stellt es ins Internet«, schrieb Matthias Grabow noch vor einigen Jahren in seinem Roman »Hanna«. Damals hat diese Sentenz noch gestimmt. Internet - das war eine Parallelwelt. Eine unbeleuchtete Schublade. Seither hat sich viel verändert. Zwar gewinnt nichts Relevanz nur über das Net. Aber es geht den Umweg über die althergebrachten Medienangebote. Was heute ins Internet gekritzelt wird, ist ein wesentlicher Bestandteil der traditionellen Medien geworden. Tweets sind keine vergänglichen Körnchen in einem Sandkasten unzählbarer Körner mehr. Sie sind News. Ohne diese Entwicklung wären viele aktuelle Ereignisse und Zustände nicht denkbar. Die AfD zum Beispiel. Vor einigen Jahren hätte sie sich selbst ihre Relevanz genommen, weil sie größtenteils nur das Produkt digitaler Hasskampagnen darstellt. Wenn man dann aber die Petrys und Gaulands via Twitter und Konsorten bei Anne Will platziert, schafft man Relevanz ohne Not und macht groß, was kleiner sein könnte.
Salopper gesagt: Seitdem man dazu überging, die sozialen Netzwerke auszuschlachten, Tweets zu zentralen Themen von Morgenmagazinen, Talkrunden und Nachrichten zu machen, seitdem Auslassungen bei Facebook dazu hergenommen werden, um den neuesten Skandal, Eklat oder Gänsehautmoment zu generieren, hat man auch solchen Gruppierungen den öffentlichen Raum geöffnet, die vorher in einer geschlossenen Gesellschaft miteinander verbittert und wütend über die Welt schwadronierten, die dort einen Stammtisch auslebten, den sie offenbar im echten Leben nicht hatten. Sie kotzten sich aus, hetzten untereinander und kaum jemand nahm davon Notiz. Eine nennenswerte Relevanz gab es nicht, denn was die Leute so ins Netz tippten, das kümmerte diejenigen nicht, die von sich behaupteten, sie wären Teil der Qualitätsmedien. Bis vor einigen Jahren war das so. Eine Äußerung in den Netzwerken, die die Welt umdeuten, war nicht mehr als eben das. Internet war wie Papier: Geduldig. Heute ist es wie Kino, ein aufgeblähter Blockbuster, laut aber nicht tiefgründig. Die Absonderungen kommen zur Bedeutung, weil plötzlich Journalisten deuten, was jemand in seine Tastatur gekloppt hat.
Wer heute zu Relevanz kommen will, der stellt ins Internet. Das ist der Unterschied, der Wandel der letzten Jahre. Pegida und die AfD sind wesentlich Erzeugnisse sozialer Netzwerke. Alles hätte sich relativ verlaufen, wäre man nicht verstärkt dazu übergegangen, die Statements voller verbaler Gewalt im Fernsehen nochmals zu Wort kommen zu lassen. Diese Alternative für Deutschland wäre eine mehr oder weniger große Spinnerfraktion geblieben, die vielleicht in Spartenkanälen auch das Fernsehen belegt hätten, aber nicht die großen Sender und ihren ach so großspurigen Bildungsauftrag. Die Störchin hätte bei Facebook über die Internationalisierung der Deutschen Nationalmannschaft verschwörungstheoretisiert und kaum jemand hätte es zur Kenntnis genommen. Nur die eigene Netzgemeinde, Plemplem quid pro quo. Jetzt aber weiß selbst die Oma, die im Grunde nie online ist, dass es da eine Frau von Storch gibt, die wohl ständig komische Dinge verbreite und dabei glubscht wie ein überfahrener Frosch. Eine Person, die noch vor Jahren halbwegs unbekannt geblieben wäre, erreichte jetzt als Internetpersönlichkeit, dass sie via Will, Plasberg und Maischberger zur relevanten Meldung wird und letztlich Aufmerksamkeit generiert. Und davon, was der Bachmann von Zeit zu Zeit so ins Netz seiert und wie sogar die Tagesthemen darüber berichten, als gäbe es keine Realität mehr ohne Virtualität, reden wir jetzt mal überhaupt nicht.
Nicht viel anders neulich bei Gauland, nachdem er sein Interview mit der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« online »berichtigte« und sich seine Parteikameraden inklusive Standartenführerin ebenfalls virtuell äußerten. Jede Regung aus dem digitalisierten Lokus dieser Partei wurde plötzlich zur Meldung. »Die AfD kritisiert ...!«, »Petry berichtigt ...!«, »Storch twittert ...!« Zu guter Letzt sitzt dieser Mann dann im Sonntagabend in einer Talkshow, weil man ja all das Gezwitscher als Weiterführung der Realität mit anderen Mitteln betrachtet. Ja, da sitzt ein grauer Mann, der so viel Charisma hat, wie der Bonjour-Tropfen bei einer sich abzeichnenden Gonorrhoe und kaut auf Ansichten herum, die besser dort aufgehoben blieben, wo man sie wegklicken und blockieren könnte. So bieten man also ihm und seinen Kumpanen ein Forum, das man gar nicht feilbieten müsste. Und das nur, weil mehr als die Hälfte des fabrizierten Hypes aus dem Breitbandkabel in jenen Teil der Welt sickert, der auch ohne Datenstränge noch recht gut tickerte, wenn man ihn nur nicht mit Seichtigkeiten aus der Sphäre sozialer Netzwerke anreichern würde. Was einer postet, müsste kein Gegenstand sein. Aber in der Postdemokratie ist der Post (der »Powst«) mittlerweile so von Bedeutung, dass uns die daraus resultierende powsttraumatische Belastungsstörung gar nicht mehr juckt.
Die AfD ist das traurige Kind einer Konstellation, die nicht erlaubt den Vater konkret zu benennen, weil es viele von der Sorte gibt. Die Mutter, dieses Vakuum langer Jahre neoliberaler Politik, hat sich mit so vielen ins Bett gelegt, dass der Überblick fehlt. Mit einer Sozialdemokratie, die alles preisgab, um als Alternative gegen elitäre Politik auszuscheiden. Mit Bildungsverdrossenheit, die urplötzlich zu einem Statussymbol wurde. Und letztlich mit einer Medienwelt, die dazu überging, soziale Netzwerke nach Schlagzeilen zu durchforsten. Grabows eingangs genannte Sentenz war so richtig seinerzeit, sie gefiel mir außerordentlich, deswegen habe ich sie mir gemerkt. Jetzt muss er sich eine neue einfallen lassen. Das Beste wird es sein, er twittert es sofort. Und dann teile ich es. Die Welt ist alles, was der Post ist. Die Welt ist die Gesamtheit der Tweets und der Hashtags.
Salopper gesagt: Seitdem man dazu überging, die sozialen Netzwerke auszuschlachten, Tweets zu zentralen Themen von Morgenmagazinen, Talkrunden und Nachrichten zu machen, seitdem Auslassungen bei Facebook dazu hergenommen werden, um den neuesten Skandal, Eklat oder Gänsehautmoment zu generieren, hat man auch solchen Gruppierungen den öffentlichen Raum geöffnet, die vorher in einer geschlossenen Gesellschaft miteinander verbittert und wütend über die Welt schwadronierten, die dort einen Stammtisch auslebten, den sie offenbar im echten Leben nicht hatten. Sie kotzten sich aus, hetzten untereinander und kaum jemand nahm davon Notiz. Eine nennenswerte Relevanz gab es nicht, denn was die Leute so ins Netz tippten, das kümmerte diejenigen nicht, die von sich behaupteten, sie wären Teil der Qualitätsmedien. Bis vor einigen Jahren war das so. Eine Äußerung in den Netzwerken, die die Welt umdeuten, war nicht mehr als eben das. Internet war wie Papier: Geduldig. Heute ist es wie Kino, ein aufgeblähter Blockbuster, laut aber nicht tiefgründig. Die Absonderungen kommen zur Bedeutung, weil plötzlich Journalisten deuten, was jemand in seine Tastatur gekloppt hat.
Wer heute zu Relevanz kommen will, der stellt ins Internet. Das ist der Unterschied, der Wandel der letzten Jahre. Pegida und die AfD sind wesentlich Erzeugnisse sozialer Netzwerke. Alles hätte sich relativ verlaufen, wäre man nicht verstärkt dazu übergegangen, die Statements voller verbaler Gewalt im Fernsehen nochmals zu Wort kommen zu lassen. Diese Alternative für Deutschland wäre eine mehr oder weniger große Spinnerfraktion geblieben, die vielleicht in Spartenkanälen auch das Fernsehen belegt hätten, aber nicht die großen Sender und ihren ach so großspurigen Bildungsauftrag. Die Störchin hätte bei Facebook über die Internationalisierung der Deutschen Nationalmannschaft verschwörungstheoretisiert und kaum jemand hätte es zur Kenntnis genommen. Nur die eigene Netzgemeinde, Plemplem quid pro quo. Jetzt aber weiß selbst die Oma, die im Grunde nie online ist, dass es da eine Frau von Storch gibt, die wohl ständig komische Dinge verbreite und dabei glubscht wie ein überfahrener Frosch. Eine Person, die noch vor Jahren halbwegs unbekannt geblieben wäre, erreichte jetzt als Internetpersönlichkeit, dass sie via Will, Plasberg und Maischberger zur relevanten Meldung wird und letztlich Aufmerksamkeit generiert. Und davon, was der Bachmann von Zeit zu Zeit so ins Netz seiert und wie sogar die Tagesthemen darüber berichten, als gäbe es keine Realität mehr ohne Virtualität, reden wir jetzt mal überhaupt nicht.
Nicht viel anders neulich bei Gauland, nachdem er sein Interview mit der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« online »berichtigte« und sich seine Parteikameraden inklusive Standartenführerin ebenfalls virtuell äußerten. Jede Regung aus dem digitalisierten Lokus dieser Partei wurde plötzlich zur Meldung. »Die AfD kritisiert ...!«, »Petry berichtigt ...!«, »Storch twittert ...!« Zu guter Letzt sitzt dieser Mann dann im Sonntagabend in einer Talkshow, weil man ja all das Gezwitscher als Weiterführung der Realität mit anderen Mitteln betrachtet. Ja, da sitzt ein grauer Mann, der so viel Charisma hat, wie der Bonjour-Tropfen bei einer sich abzeichnenden Gonorrhoe und kaut auf Ansichten herum, die besser dort aufgehoben blieben, wo man sie wegklicken und blockieren könnte. So bieten man also ihm und seinen Kumpanen ein Forum, das man gar nicht feilbieten müsste. Und das nur, weil mehr als die Hälfte des fabrizierten Hypes aus dem Breitbandkabel in jenen Teil der Welt sickert, der auch ohne Datenstränge noch recht gut tickerte, wenn man ihn nur nicht mit Seichtigkeiten aus der Sphäre sozialer Netzwerke anreichern würde. Was einer postet, müsste kein Gegenstand sein. Aber in der Postdemokratie ist der Post (der »Powst«) mittlerweile so von Bedeutung, dass uns die daraus resultierende powsttraumatische Belastungsstörung gar nicht mehr juckt.
Die AfD ist das traurige Kind einer Konstellation, die nicht erlaubt den Vater konkret zu benennen, weil es viele von der Sorte gibt. Die Mutter, dieses Vakuum langer Jahre neoliberaler Politik, hat sich mit so vielen ins Bett gelegt, dass der Überblick fehlt. Mit einer Sozialdemokratie, die alles preisgab, um als Alternative gegen elitäre Politik auszuscheiden. Mit Bildungsverdrossenheit, die urplötzlich zu einem Statussymbol wurde. Und letztlich mit einer Medienwelt, die dazu überging, soziale Netzwerke nach Schlagzeilen zu durchforsten. Grabows eingangs genannte Sentenz war so richtig seinerzeit, sie gefiel mir außerordentlich, deswegen habe ich sie mir gemerkt. Jetzt muss er sich eine neue einfallen lassen. Das Beste wird es sein, er twittert es sofort. Und dann teile ich es. Die Welt ist alles, was der Post ist. Die Welt ist die Gesamtheit der Tweets und der Hashtags.
1 Kommentare:
"Seitdem man dazu überging, die sozialen Netzwerke auszuschlachten..."
"Auszuschlachten" ist das richtige Wort. Denn auch immer mehr Journalisten der bürgerlichen Medien greifen auf Inhalte von Bloggern und Foren zu, oft, ohne diese beim Namen zu nennen. Schließlich sind sich, nach wie vor, Blogger und Journalisten in großen Teilen spinnefeind. Blogger seien ja unprofessionell und Schuld am Untergang der Massenmedien. Gleichzeitig ist das für Journalisten aber eine sehr kostengünstige Methode. Man spart sich die Recherche zu bestimmten Themen und greift kostenfrei die Arbeit der Blogger ab.
Auch ich habe vor kurzem ein "Angebot" abgelehnt, dass mir ein Journalist gemacht hatte. Auch er wollte für gar nichts meine Inhalte abgreifen und selbst daran verdienen. Sein Überzeugungs-Argument: ich wäre dann in der Presse. Muuh! So nicht!
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