Je suis Trauergemeinde
Montag, 6. Juni 2016
oder Über Tote auch mal was Schlechtes bitte.
Memo an die Trauerredner und -schreiber da draußen: Ich gehöre zu keiner Trauergemeinde, bin kein Hinterbliebener. Man muss mir als Leser die Toten, die von einiger Berühmtheit waren, nicht taktvoll zu Gemüte führen. Als zuletzt die Außenminister starben, war es nämlich wieder da. Dieses Motto. De mortuis nihil nisi bene. Über die Toten nichts außer Gutes. Also folglich nichts Schlechtes. Wegen der Pietät und so. Das Andenken nicht besudeln. Vorzüge betonen, Verfehlungen verschweigen, all dieser Kram. Folglich gerieten die Rückblicke auf die beiden Außenminister stark geschönt, die Makel tilgte man, verzückte sich in hagiographische Sphären und entfremdete das Andenken von der Person. So ist es eigentlich stets, wenn jemand stirbt, der von öffentlicher Bedeutung war. Dabei ist das gar nicht nötig. Es ist ein völlig falscher Ansatz, der nur den Trauernden dient, aber nicht denen, die das jeweilige prominente Ableben als Leser, Zuschauer oder Zuhörer zur Kenntnis nehmen. Da darf man auch mal was Schlechtes über den Toten sagen, denn wir haben Abstand genug und trauern ja nicht.
Der evangelische Pfarrer Rainer Liepold bringt in seinem Buch »Graben Sie tiefer - Der Bestattungskulturführer« dem Leser alte Riten rund um den Verstorbenen und seine Angehörigen näher. Warum man schwarz trägt zum Beispiel oder wieso man Tote früher mal mit den Füßen voran aus dem Haus schleppte. Vieles war Geisterglaube, aber auch auf den basierte letzthin jene mitmenschliche Erkenntnis, dass man den Hinterbliebenen den Verlust so leicht wie möglich machen sollte. Anteilnahme sagt man gemeinhin auch dazu. Dass man am Grab nicht die Schmutzwäsche wäscht, die zu Lebzeiten des Verstorbenen sich keiner anzufassen getraute, tut man nicht bloß weil es was von zurückhaltender Pietät hat, sondern um die Hinterbliebenen zu schonen. Toten soll man zwar nichts Schlechtes in die Grube nachrufen, kommentiert Liepold, aber lügen sollte man nun auch nicht. Man muss sich halt eine Grabrede zurechtlegen, die angemessen bleibt. Einen verstorbenen Alkoholiker, der seiner Familie viele schwere Jahre bereitet hat, den kann man nicht ungehemmt für seinen Familiensinn loben. Aber man könnte herauskehren, dass trotz aller Tiefen, die ein Leben so mit sich bringt, die Familie am Ende doch immer zueinanderstand, wie man jetzt hier bei den Versammelten sehen könne. Das ist nicht direkt gelogen, lässt aber Spielraum.
Sicher sind das Allgemeinplätze, Sätze von gewisser Langeweile, weil sie nicht anecken wollen. Aber für die Hinterbliebenen ist es wichtig, dass sie in ihrem Verlust nicht das Gefühl vermittelt bekommen, sie verabschiedeten sich hier von jemanden, den sie gar nicht vermissen dürften, weil er ja eigentlich ein Arschloch war. Also sagt man nichts Schlechtes, denn so wahrt man die Würde der Trauernden. Man schont die Toten und ihre Taten also nicht ihretwillen und auch nicht aus Romantik und Ehrfurcht vor dem Tod, der zugeschlagen hat, sondern aus Respekt vor denen, die jemanden aus ihrer Mitte verloren haben. Man möchte die für sie ohnehin schwierige Zeit nicht noch zusätzlich erschweren und hält sich zurück. Das ist nachvollziehbar. Ja, das hat Berechtigung, ist ein humaner Ansatz.
Journalisten sind aber keine Grabredner. Die vierte Gewalt im Staate muss niemanden schützen in der schweren Zeit des Verlustes. Dafür gibt es verschiedene Berufe, jeder hat seine Aufgabe zu erfüllen. Seelsorger nehmen Rücksicht, Journalisten berichten idealerweise ohne zu viel davon. Wenn sie Rückschauen halten auf Verstorbene, dann sitzt da keiner in Trauer versunken daneben und hofft nur Tröstliches zu vernehmen. Da sitzen Zeitungsleser vor ihrer Zeitung, die es gut vertragen und aushalten können, wenn man auch die Schattenseiten des Toten beleuchtet und nochmal herausarbeitet. Die Medien sollten aufhören ihre Abnehmer ständig wie eine Trauergemeinde zu behandeln. Trauer stellt sich nicht auf Abstand ein, sondern ist das Produkt eines Verlustes, der aus dem gewohnten Leben reißt. Das ist in einer Gesellschaft, in der Trauer ein schneller Klick zu sein scheint, natürlich ein schwieriger Gedankengang. Trauer ist ein Wort, das heute viel zu schnell und viel zu oft verwendet wird.
Die kurze Betroffenheit, wenn ein Popmusiker stirbt, hat mit Trauer von Menschen, die jetzt auf lange Zeit hin den Verlust eines ihnen nahestehenden Menschen verschmerzen müssen, überhaupt nichts zu tun. Die leere Seite im Ehebett, der Rat der Mutter, der plötzlich fehlt, all das misst keiner, der den Verstorbenen nur mit Distanz kannte. Was sich diese Spektakelgesellschaft vormacht ist Menschlichkeit. Man erzeugt ein Surrogat von menschlichem Umgang miteinander, den es grundsätzlich gar nicht mehr gibt. Die Ellenbogenmentalität lässt dergleichen verkümmern, stirbt aber dann ein etwas prominenter Mensch, so tut es gut, dass man kurzzeitig den menschlichen Umgang reanimiert, um so ein Gefühl für etwas zu haben, was man im Alltag kaum noch spürt. Außerdem ist die Trauer aus der Ferne bequem, während die Trauer im direkten Umfeld, bei der Nachbarsfamilie zum Beispiel, die ihre Mutter verlor, so viel komplizierter ist. Bei den Nachbarn weiß man nicht so genau, wie man reagieren soll. Soll man sie ansprechen, wenn sie einem über den Weg laufen? Nachfragen? Was, wenn sie über die Mama sprechen, die ihnen fehlt? Da ist der schnelle Klick und ein kurzes Statement viel leichter zu händeln. Klick und weg. Und in diesem kurzen Intervall redet man sich ein, zu einer Trauergemeinde zu gehören. Je suis Trauergemeinde.
Diesen Auswüchsen sollten Medien nicht auf den Leim gehen. Nein, wir sind eben keine Trauergemeinde. Die Genschers und die Westerwelles, die Familie und die Freunde, die schon. Die hatten ein Recht darauf, am Grab ihres geliebten Verstorbenen mit gefärbten Rückblicken konfrontiert zu werden. Das erleichtert ihnen den Schmerz und hilft auf dem Trauerweg, der im Laufe der nächsten Wochen und Monate beschritten werden muss. Alle anderen, die außerhalb dieser Gruppe stehen, benötigen keine Beschönigungen. Da kann über Tote auch mal was Schlechtes kommen. Es hat auch was mit Pietät zu tun, einen Menschen als Menschen zu skizzieren und nicht als unantastbares Wesen ohne Fehl und Tadel. Und es hat was mit Pietät zu tun, die Leser und Zuschauer nicht in eine Rolle zu zwingen, die nur Trauernden zusteht. Westerwelles Lebensgefährte wäre vielleicht nur sehr schlecht damit zurechtgekommen, wenn am Grab jemand gesagt hätte, dass er die Stimme der reichen Deutschen war und dann etwas von »spätrömischer Dekadenz» hinzugefügt hätte. Es wäre die Wahrheit gewesen, aber nichts, was am Grab aufgezählt werden sollte. Leser von Tageszeitungen und Nachrichtengucker sind aber keine Lebensgefährten des ehemaligen Außenministers gewesen. Sie brauchen diese Verschwiegenheit in puncto Gesamtdarstellung einer Vita nicht.
Die Medien sollten es so handhaben wie neulich bei Margot Honecker. Da haben sie die Menschen, die sie informieren wollen, nicht als Trauergemeinde gesehen und die Fehler und Frechheiten dieser Frau aufs Tapet gebracht. Das war ein Anfang. Aber sie stand ja auch schon auf der falschen Seite, bevor sie auf die andere Seite ging.
Der evangelische Pfarrer Rainer Liepold bringt in seinem Buch »Graben Sie tiefer - Der Bestattungskulturführer« dem Leser alte Riten rund um den Verstorbenen und seine Angehörigen näher. Warum man schwarz trägt zum Beispiel oder wieso man Tote früher mal mit den Füßen voran aus dem Haus schleppte. Vieles war Geisterglaube, aber auch auf den basierte letzthin jene mitmenschliche Erkenntnis, dass man den Hinterbliebenen den Verlust so leicht wie möglich machen sollte. Anteilnahme sagt man gemeinhin auch dazu. Dass man am Grab nicht die Schmutzwäsche wäscht, die zu Lebzeiten des Verstorbenen sich keiner anzufassen getraute, tut man nicht bloß weil es was von zurückhaltender Pietät hat, sondern um die Hinterbliebenen zu schonen. Toten soll man zwar nichts Schlechtes in die Grube nachrufen, kommentiert Liepold, aber lügen sollte man nun auch nicht. Man muss sich halt eine Grabrede zurechtlegen, die angemessen bleibt. Einen verstorbenen Alkoholiker, der seiner Familie viele schwere Jahre bereitet hat, den kann man nicht ungehemmt für seinen Familiensinn loben. Aber man könnte herauskehren, dass trotz aller Tiefen, die ein Leben so mit sich bringt, die Familie am Ende doch immer zueinanderstand, wie man jetzt hier bei den Versammelten sehen könne. Das ist nicht direkt gelogen, lässt aber Spielraum.
Sicher sind das Allgemeinplätze, Sätze von gewisser Langeweile, weil sie nicht anecken wollen. Aber für die Hinterbliebenen ist es wichtig, dass sie in ihrem Verlust nicht das Gefühl vermittelt bekommen, sie verabschiedeten sich hier von jemanden, den sie gar nicht vermissen dürften, weil er ja eigentlich ein Arschloch war. Also sagt man nichts Schlechtes, denn so wahrt man die Würde der Trauernden. Man schont die Toten und ihre Taten also nicht ihretwillen und auch nicht aus Romantik und Ehrfurcht vor dem Tod, der zugeschlagen hat, sondern aus Respekt vor denen, die jemanden aus ihrer Mitte verloren haben. Man möchte die für sie ohnehin schwierige Zeit nicht noch zusätzlich erschweren und hält sich zurück. Das ist nachvollziehbar. Ja, das hat Berechtigung, ist ein humaner Ansatz.
Journalisten sind aber keine Grabredner. Die vierte Gewalt im Staate muss niemanden schützen in der schweren Zeit des Verlustes. Dafür gibt es verschiedene Berufe, jeder hat seine Aufgabe zu erfüllen. Seelsorger nehmen Rücksicht, Journalisten berichten idealerweise ohne zu viel davon. Wenn sie Rückschauen halten auf Verstorbene, dann sitzt da keiner in Trauer versunken daneben und hofft nur Tröstliches zu vernehmen. Da sitzen Zeitungsleser vor ihrer Zeitung, die es gut vertragen und aushalten können, wenn man auch die Schattenseiten des Toten beleuchtet und nochmal herausarbeitet. Die Medien sollten aufhören ihre Abnehmer ständig wie eine Trauergemeinde zu behandeln. Trauer stellt sich nicht auf Abstand ein, sondern ist das Produkt eines Verlustes, der aus dem gewohnten Leben reißt. Das ist in einer Gesellschaft, in der Trauer ein schneller Klick zu sein scheint, natürlich ein schwieriger Gedankengang. Trauer ist ein Wort, das heute viel zu schnell und viel zu oft verwendet wird.
Die kurze Betroffenheit, wenn ein Popmusiker stirbt, hat mit Trauer von Menschen, die jetzt auf lange Zeit hin den Verlust eines ihnen nahestehenden Menschen verschmerzen müssen, überhaupt nichts zu tun. Die leere Seite im Ehebett, der Rat der Mutter, der plötzlich fehlt, all das misst keiner, der den Verstorbenen nur mit Distanz kannte. Was sich diese Spektakelgesellschaft vormacht ist Menschlichkeit. Man erzeugt ein Surrogat von menschlichem Umgang miteinander, den es grundsätzlich gar nicht mehr gibt. Die Ellenbogenmentalität lässt dergleichen verkümmern, stirbt aber dann ein etwas prominenter Mensch, so tut es gut, dass man kurzzeitig den menschlichen Umgang reanimiert, um so ein Gefühl für etwas zu haben, was man im Alltag kaum noch spürt. Außerdem ist die Trauer aus der Ferne bequem, während die Trauer im direkten Umfeld, bei der Nachbarsfamilie zum Beispiel, die ihre Mutter verlor, so viel komplizierter ist. Bei den Nachbarn weiß man nicht so genau, wie man reagieren soll. Soll man sie ansprechen, wenn sie einem über den Weg laufen? Nachfragen? Was, wenn sie über die Mama sprechen, die ihnen fehlt? Da ist der schnelle Klick und ein kurzes Statement viel leichter zu händeln. Klick und weg. Und in diesem kurzen Intervall redet man sich ein, zu einer Trauergemeinde zu gehören. Je suis Trauergemeinde.
Diesen Auswüchsen sollten Medien nicht auf den Leim gehen. Nein, wir sind eben keine Trauergemeinde. Die Genschers und die Westerwelles, die Familie und die Freunde, die schon. Die hatten ein Recht darauf, am Grab ihres geliebten Verstorbenen mit gefärbten Rückblicken konfrontiert zu werden. Das erleichtert ihnen den Schmerz und hilft auf dem Trauerweg, der im Laufe der nächsten Wochen und Monate beschritten werden muss. Alle anderen, die außerhalb dieser Gruppe stehen, benötigen keine Beschönigungen. Da kann über Tote auch mal was Schlechtes kommen. Es hat auch was mit Pietät zu tun, einen Menschen als Menschen zu skizzieren und nicht als unantastbares Wesen ohne Fehl und Tadel. Und es hat was mit Pietät zu tun, die Leser und Zuschauer nicht in eine Rolle zu zwingen, die nur Trauernden zusteht. Westerwelles Lebensgefährte wäre vielleicht nur sehr schlecht damit zurechtgekommen, wenn am Grab jemand gesagt hätte, dass er die Stimme der reichen Deutschen war und dann etwas von »spätrömischer Dekadenz» hinzugefügt hätte. Es wäre die Wahrheit gewesen, aber nichts, was am Grab aufgezählt werden sollte. Leser von Tageszeitungen und Nachrichtengucker sind aber keine Lebensgefährten des ehemaligen Außenministers gewesen. Sie brauchen diese Verschwiegenheit in puncto Gesamtdarstellung einer Vita nicht.
Die Medien sollten es so handhaben wie neulich bei Margot Honecker. Da haben sie die Menschen, die sie informieren wollen, nicht als Trauergemeinde gesehen und die Fehler und Frechheiten dieser Frau aufs Tapet gebracht. Das war ein Anfang. Aber sie stand ja auch schon auf der falschen Seite, bevor sie auf die andere Seite ging.
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