Eine ziemlich linke Angelegenheit

Donnerstag, 16. Juni 2016

Selten hat sich die Linke so blenden lassen, wie beim bedingungslosen Grundeinkommen. Parteilich organisierte und nicht organisierte Linke müssen aufwachen. Dieses Projekt ist nicht links. Es ist das Gegenteil davon.

Nach der Volksbefragung in der Schweiz zum bedingungslosen Grundeinkommen gab es auf linker Seite zwei Temperamente, die in die Diskussion eingriffen. Sanguiniker rangen mit Melancholikern – anders gesagt: Die einen waren guter Laune, weil sie glaubten, langsam aber sicher würde sich da ein Bewusstsein für dieses autarke Projekt formieren. Die anderen waren verbittert, weil die Schweizer (als Stellvertreter aller Menschen gewissermaßen) wohl nicht bereit dazu wären, ihrer Befreiung eine Stimme zu geben. Egal wie die Betroffenheit nach dem Votum auch aussah, hier hängt man einer Idee nach, die sich zwar irgendwie links anfühlt, die ja unbestritten auf den ersten Blick einem emanzipierten Ausbruch aus der zähen Wirklichkeit der Lohnabhängigkeit gleichsieht und somit wie ein Akt der Befreiung wirkt. Ja, das bedingungslose Grundeinkommen sieht gut aus, bedient ein linkes Lebensgefühl und man könnte es wirklich mit einer linken Initiative verwechseln. Aber Vorsicht, es ist das Gegenteil von dem, was es vorgibt zu sein.

3 Kommentare:

Anonym 18. Juni 2016 um 08:40  

"Yanis Varoufakis & Noam Chomsky sprechen über das bedingungslose Grundeinkommen"

https://www.youtube.com/watch?v=CrKBFF_EYD8

Kritikus I / II 21. Juni 2016 um 12:39  

Ich mache mal einen Vergleich zwischen dem bedingungslosen Grundeinkommen und der alten Sozialhilfe / Arbeitslosengeld und HartzIV, einfachheitshalber spreche ich nur von Sozialhilfe, meine aber beides.

Die Sozialhilfe sollte Menschen so lange über Wasser halten, bis sie wieder anständig bezahlte und ihrer Qualifikation (etwa) entsprechende Arbeit gefunden hatten, dabei sollten sie durchaus auch auf einem gewissen Niveau dabei leben. Ein Bürger hatte also entweder ein Einkommen aus Erwerbsarbeit oder ein Einkommen aus der Sozialhilfe. Einen Arbeitszwang gab es nicht, Arbeit durfte abgelehnt werden. Dies hielt die Löhne oben, denn die Arbeitgeber mussten mehr als Sozialhilfe zahlen, um einen Arbeitnehmer zu bekommmen. Zudem haben die Gewerkschaften die Einkommen der Erwerbsarbeit ausgehandelt.

Dann kam HartzIV. HartzIV versuchte nicht mehr, Menschen auf einem gewissen Niveau über Wasser zu halten bis sie wieder anständig bezahlte Arbeit etwa entsprechend zu ihrer Qualifikation gefunden hatten. HartzIV presst Menschen in Arbeit unter ihrem Qualifikationsniveau, was dazu führt, dass der Mensch für den Rest seines Erwerbslebens in niedrig bezahlten Jobs arbeitet. HartzIV beinhaltet Arbeitszwang, den es in der alten Sozialhilfe nicht gab, denn ohne die Bereitschaft, jede Arbeit anzunehmen, wird HartzIV gekürzt. HartzIV ist kompatibel mit Aufstockung von Löhnen, was bedeutet, dass Menschen selbst bei Vollzeit-Arbeit nicht aus Armutslöhnen herauskommen. Arbeitgeber zahlen nämlich einfach zu niedrige Löhne und den Rest des nötigen Geldes bekommen die Vollzeitarbeitenden über HartzIV. Dank des Arbeitszwanges in HartzIV ist das ja möglich, denn die Arbeitslosen müssen ja arbeiten.

Die letzten zwei Sätze muss man sich auf der Zunge und im Hirn zergehen lassen, um zu verstehen, wie das bedingungslose Grundeinkommen nur eine Fortführung von HartzIV mit fürchterlichen gesellschaftlichen Folgen sein kann.

Denn wenn es für Arbeitgeber unter HartzIV mit Arbeitszwang schon so einfach ist, Armutslöhne für Vollzeitarbeit zu zahlen, wieviel einfacher wird das dann über ein bedingungsloses Grundeinkommen mit Arbeitszwang?

Ja, das bedingungslose Grundeinkommen enthält keinen Arbeitszwang, oder besser gesagt: noch nicht. Das bedingungslose Grundeinkommen in seiner reinen Idee bedeutet, dass jeder Mensch ein ausreichendes Einkommen, nämlich das bedingungslose Grundeinkommen bekommt und das es keinen Arbeitszwang gibt. Das ist erstmal genauso schön wie die alte Sozialhilfe, also vor HartzIV.
(Erwerbsarbeit kann dann noch einen Hinzuverdienst bieten. Wer also mehr als das bedingungslose Grundeinkommen haben möchte, der muss arbeiten gehen.)

Warum führt man dann aber nicht die alte Sozialhilfe wieder ein, wenn die im wesentlichen ähnlich gute Dinge tat wie das bedingungslose Grundeinkommen. Es wäre doch viel einfacher, einfach die HartzIV-Gesetzgebung wieder rückgängig zu machen. Es wäre auch einfacher, ein erhöhtes HartzIV ohne Kürzungen durchzusetzen, denn das würde erstmal das schlimmste ablindern.
Warum wird denn das nicht gefordert?

Kritikus II / II 21. Juni 2016 um 12:41  

Teil II / II

Weil das bedingungslose Grundeinkommen den Arbeitgebern noch viel bessere Möglichkeiten zur Ausbeutung bietet, wenn es mit einem Arbeitszwang kombiniert wird.
Der Arbeitszwang ist im bedingungslosen Grundeinkommen genauso wenig vorgesehen wie er in der Bundesrepublik Deutschland vorgesehen ist. Dennoch existiert er in Deutschland in HartzIV. Der Arbeitszwang ist schlicht eingeführt worden. Und Arbeitszwang könnte auch in das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt werden.
Denn das brächte unglaubliche Vorteile für Arbeitgeber:
Bei einem "bedingungslosen Grundeinkommen mit Arbeitszwang" wären schlagartig ALLE Arbeitnehmer auf demselben Lohnniveau, nämlich dem des "bedingungslosen Grundeinkommens". Jedoch müssten alle Arbeitnehmer durch den zusätzlich eingeführten Arbeitszwang auch für dieses "bedingungslose Grundeinkommen" arbeiten, es bestände erstmal keine Notwendigkeit, irgendeinem Arbeitnehmer mehr zu bezahlen. Das liefe darauf hinaus, dass die meisten Arbeitnehmer für das "bedingungslose Grundeinkommen" arbeiten gehen. Es bedeutet schlicht, dass 85% - 90% aller Arbeitnehmer das gleiche Gehalt bekommen, nämlich das "bedingungslose Grundeinkommen", denn für das Geld müssen sie ja arbeiten gehen dank Arbeitszwang.

Hier sehe ich die größte Gefahr: dass über das bedingungslose Grundeinkommen die Löhne in der großen Masse stark nach unten gedrückt werden, einfach indem man ganz einfach einen zusätzlichen Arbeitszwang einführt. Letzterer kann genauso eingeführt werden wie er beim Übergang von der alten Sozialhilfe zu HartzIV faktisch eingeführt wurde.

Im Ergebnis hätten wir eine große Menge an Arbeitnehmern, die nur ein Gehalt hat, das so gerade zu Überleben reicht, und eine kleine Menge an Spezialisten, die ein bischen mehr bekommen, weil sie sich aussuchen können, wo sie arbeiten.
Zudem müssten sich die Arbeitgeber nicht mehr mit Sozialverbänden, Gewerkschaften und Lohnverhandlungen herumplagen, denn die breite Masse aller Arbeitnehmer ist auf dem niedrig angesetzten "bedingungslosem Grundeinkommen" und muss dank Arbeitszwang auch tatsächlich arbeiten gehen.


Wer meine Argumentation verstanden hat und verbessern kann oder sie verständlicher darlegen kann, der möge sich gerne versuchen. Vielleicht gibt es ja auch Literatur dazu. Vielleicht kann sich ja ein Politologie / Historiker / Wirtschaftswissenschaftler / Anwalt mal daran machen, dies auseinanderzuklamüsern und ein bischen wissenschaftlicher zu untermauern?

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