Einzeltäter und die Brandstifter
Mittwoch, 29. Juni 2016
Der Mörder von Jo Cox war Einzeltäter. Breivik war auch nur ein Einzeltäter. Mundlos, Böhnhardt: Einzeltäter! Einzeltäter! Zu zweit. Dann nennt man die Sache einen Einzelfall. Denn wenn zwei sich betätigen, wurden sie ja nicht einzeln tätlich. Aber ihr Zusammenwirken bleibt ein vereinzelter Fall. Nur die anderen, fanatisierte Moslems, die sind nie vereinzelt. Die halten wir für ein Kollektiv. Und wenn es auch nur einer ist, dann hat er getötet, weil er als Teil der islamistischen Weltgemeinde agiert hat. Als Produkt von Hasspredigern und Angry Brown Men. Als Erzeugnis von Hetzern, die hassen und das Abschlachten für ein solidarische Sache hinstellen. Und wenn wir besonders wütend sind, dann unterstellen wir solchen Einzeltätern nicht nur, dass sie als Konsequenz islamistischer Doktrination so tätig wurden, wir behaupten ferner, sie tun es, weil sie Moslems seien, Mitglieder einer grundsätzlich gewaltbereiten Religion. Richtig ist zunächst mal nur, dass es Einzeltäter bestenfalls als Ausnahmefall gibt.
Wenn wir Täterschaft nur als physischen Akt begreifen, als Planung, Observation, Einkauf, Auflauern, Übung und letztlich als Bedrohen, Erschießen und Vernichten, wenn wir also nur den rein körperlichen Akt der Organisierung und Ausführung eines Attentates einordnen wollen, so ist letztlich jeder Anschlag klar das Werk eines Einzeltäters. Auch wenn er es im Namen einer organisierten Terrorbande getan hat, so bleibt es immer nur eine Einzeltat. Folgt man dieser Einteilung stringent, dann war das Dritte Reich auch nur eine massive Ansammlung von Einzeltätern und Hitler aus dem Schneider. Wir haben doch nichts gewusst. Wir müssen Terror allerdings als mehr als das erfassen. Terror ist in letzter Konsequenz die Handlung eines oder mehrerer einzelner Täter, die jedoch im Kontext einer Gemeinschaft, ihrer Vorstellungen, Vorurteile und Affekte agieren.
So genannte Einzeltäter mögen zwar bei der Ausführung ihrer Tat auf sich alleine gestellt sein, aber bei der Grundsteinlegung sind sie es nie. Wie komme ich auf die Idee, einen Massenmord an Schwulen zu begehen? Doch nicht, weil man einzeln der Ansicht ist, dass homosexuelles Leben minderwertig ist. Man muss sich doch Ansichten erwerben. Muss sich inspirieren lassen vom Stimmengewirr der Gesellschaft und sich aufwiegeln lassen von denen, die bestimmte Erkenntnisse dogmatisieren und daraus Gesinnung basteln. Man muss sich zum Mörder werden, wenn man die Nähe zu Homophoben sucht, die es in den Evangelikalen Staaten von Amerika reichlich gibt, aber es ist eben auch nicht ausgeschlossen, dass immer mal einer zum Mörder wird, wenn man ihm steckt, dass die Schwulen gerade dabei sind, die Grundfeste der Gesellschaft einzureißen. Bei dem Mörder von Jo Cox war es nicht so viel anders. Kriegt man über Jahre von Rechten und Konservativen vermittelt, dass in der Linken der Keim der nationalen Selbstzerstörung schlummert, dann weiß man wo mit der Suche nach der Basis radikaler Lynchjustiz anzusetzen ist.
Einzeltäter gehen alleine zur Tat, aber werden vorher begleitet von Massen, die diese Täter geistig vorbereiten. Der Täter glaubt gewissermaßen, er vollbringt einen sozialen Akt der Selbstaufopferung, indem er tut, was alle ja irgendwie thematisieren, ohne Nägel mit Köpfen zu machen. Nehmen wir nur das Trio der NSU, das ja immer auch glaubte, es würde in weitesten Sinne im Namen einer schweigenden Mehrheit etwas tun, was getan werden muss. Diese schweigende Mehrheit gestaltete sich in den letzten Jahren so, dass sie sich als meinungsunterdrückte Mehrheit verkaufte, »Das wird man doch nochmal sagen dürfen!« und »Das ist wohl politisch inkorrekt!« waren und sind so Phrasen dieser Denke, die in den Sarrazinismus gipfelten, als man so tat, als dürfe der arme Mann nicht seine Meinung feilbieten dürfen, obgleich derselbe arme Mann von Talkshow zu Talkshow wanderte und genau dies tat: Seine Meinung sagen. Er musste nur im Rahmen der Meinungsfreiheit Widerspruch ertragen. Was wiederum dazu führte, dass man plötzlich unkte, dass es in Deutschland keine Meinungsfreiheit für die (Auf-)Rechten gäbe. Diese Mechanismen gehören jedoch zu einer anderen Baustelle, daher zurück zum Thema.
Ich jedenfalls möchte nicht wissen, wie oft Mundlos und Böhnhardt mit einem Anflug von Zweifel ihren Alltag bestritten. War es richtig, was sie da planten und umsetzten? Jeden Menschen plagen solche Gedanken, selbst ideologisch unzugängliche Menschen zweifeln zuweilen. Das ist nur menschlich - und da Terroristen nicht Teufel sondern Menschen sind, schlagen auch sie sich mit dieser menschlichen Eigenschaft herum. Ich stelle mir vor, wie die beiden einkaufen gingen, im Hinterkopf die Zweifel verarbeitend, aber im Supermarkt manchem Gespräch anderer Kunden lauschten. Oder im Bus oder der Bahn. Gespräche, in denen man die Gesellschaft als von Ausländern befallen befand, in der die Unerträglichkeit der Überfremdung gebrandmarkt wurde, Multikulti für pervers erachtete - diese typischen Alltagssprüche, die mir meine Bekannten gelegentlich auch unter die Nase reiben. Es waren sicher Stimmen, einer nicht ganz so schweigsamen Mehrheit, die aber nachher gerne immer sagt: Wir haben doch gar nichts gesagt.
Breivik hat nach seiner Festnahme eine Kladde voll wüster Rechtfertigungstexte weitergegeben. Darin sah er sich als terroristisches Kind rechter Hetzer in Europa. Namentlich unter anderem Wilders und Broder. War es also ein Einzeltäter? Natürlich schon, wenn es um die Ausführung geht. Als er mordete, da gab es nur ihn und seine Opfer, ihn und deren Blut. Zuvor war er nicht ganz so alleine und isoliert, fand Bestätigung und Rechtfertigung. Einzeltäter sind nie ganz alleine, wenn sie nach Motiven suchen, die ihr Gewaltpotenzial legitimieren. Sie gehören der terroristischen Organisation schweigender Mehrheiten an, die leider exakt das nicht tun. Natürlich ist niemand als der letztliche Täter dafür haftbar zu machen, Rechtssprechung muss sich an Fakten, nicht an geistigen Einflüssen messen lassen. Bloß so zu tun, als sei immer alles nur die Tat eines durchgedrehten und isolierten Alleingängers gewesen, wird dieses Phänomens nicht gerecht. Gerade sie kommunizieren mit ihrem Umfeld und mancher hasserfüllte Kommentar, den sie wo auch immer aufschnappen, kann schon reichen, um als Ermunterung begriffen zu werden.
Das soll jetzt kein Aufruf werden, dass man auf Gedanken und Worte achten sollte, damit sie nicht zu Handlungen werden. Terroristen haben einen freien Willen, sie müssen ja nicht, sie können immer noch einen Schritt zurücksetzen, bevor sie den finalen Schritt gehen. Nur so zu tun, als habe das gesellschaftliche Klima oder gar der Geist innerhalb einschlägiger extremistischer Gruppen oder Intitutionen, nichts mit solche Attentaten zu tun, das ist eine bürgerliche Bequemlichkeit, die man sich gerade in Zeiten, da man sich den Hass als Grundlage solcher Taten via Internet jederzeit ins Haus holen kann, nicht mehr leisten sollte. Wir sind, was wir sagen, posten, in Tiraden absondern. Nous sommes Komplizen.
Wenn wir Täterschaft nur als physischen Akt begreifen, als Planung, Observation, Einkauf, Auflauern, Übung und letztlich als Bedrohen, Erschießen und Vernichten, wenn wir also nur den rein körperlichen Akt der Organisierung und Ausführung eines Attentates einordnen wollen, so ist letztlich jeder Anschlag klar das Werk eines Einzeltäters. Auch wenn er es im Namen einer organisierten Terrorbande getan hat, so bleibt es immer nur eine Einzeltat. Folgt man dieser Einteilung stringent, dann war das Dritte Reich auch nur eine massive Ansammlung von Einzeltätern und Hitler aus dem Schneider. Wir haben doch nichts gewusst. Wir müssen Terror allerdings als mehr als das erfassen. Terror ist in letzter Konsequenz die Handlung eines oder mehrerer einzelner Täter, die jedoch im Kontext einer Gemeinschaft, ihrer Vorstellungen, Vorurteile und Affekte agieren.
So genannte Einzeltäter mögen zwar bei der Ausführung ihrer Tat auf sich alleine gestellt sein, aber bei der Grundsteinlegung sind sie es nie. Wie komme ich auf die Idee, einen Massenmord an Schwulen zu begehen? Doch nicht, weil man einzeln der Ansicht ist, dass homosexuelles Leben minderwertig ist. Man muss sich doch Ansichten erwerben. Muss sich inspirieren lassen vom Stimmengewirr der Gesellschaft und sich aufwiegeln lassen von denen, die bestimmte Erkenntnisse dogmatisieren und daraus Gesinnung basteln. Man muss sich zum Mörder werden, wenn man die Nähe zu Homophoben sucht, die es in den Evangelikalen Staaten von Amerika reichlich gibt, aber es ist eben auch nicht ausgeschlossen, dass immer mal einer zum Mörder wird, wenn man ihm steckt, dass die Schwulen gerade dabei sind, die Grundfeste der Gesellschaft einzureißen. Bei dem Mörder von Jo Cox war es nicht so viel anders. Kriegt man über Jahre von Rechten und Konservativen vermittelt, dass in der Linken der Keim der nationalen Selbstzerstörung schlummert, dann weiß man wo mit der Suche nach der Basis radikaler Lynchjustiz anzusetzen ist.
Einzeltäter gehen alleine zur Tat, aber werden vorher begleitet von Massen, die diese Täter geistig vorbereiten. Der Täter glaubt gewissermaßen, er vollbringt einen sozialen Akt der Selbstaufopferung, indem er tut, was alle ja irgendwie thematisieren, ohne Nägel mit Köpfen zu machen. Nehmen wir nur das Trio der NSU, das ja immer auch glaubte, es würde in weitesten Sinne im Namen einer schweigenden Mehrheit etwas tun, was getan werden muss. Diese schweigende Mehrheit gestaltete sich in den letzten Jahren so, dass sie sich als meinungsunterdrückte Mehrheit verkaufte, »Das wird man doch nochmal sagen dürfen!« und »Das ist wohl politisch inkorrekt!« waren und sind so Phrasen dieser Denke, die in den Sarrazinismus gipfelten, als man so tat, als dürfe der arme Mann nicht seine Meinung feilbieten dürfen, obgleich derselbe arme Mann von Talkshow zu Talkshow wanderte und genau dies tat: Seine Meinung sagen. Er musste nur im Rahmen der Meinungsfreiheit Widerspruch ertragen. Was wiederum dazu führte, dass man plötzlich unkte, dass es in Deutschland keine Meinungsfreiheit für die (Auf-)Rechten gäbe. Diese Mechanismen gehören jedoch zu einer anderen Baustelle, daher zurück zum Thema.
Ich jedenfalls möchte nicht wissen, wie oft Mundlos und Böhnhardt mit einem Anflug von Zweifel ihren Alltag bestritten. War es richtig, was sie da planten und umsetzten? Jeden Menschen plagen solche Gedanken, selbst ideologisch unzugängliche Menschen zweifeln zuweilen. Das ist nur menschlich - und da Terroristen nicht Teufel sondern Menschen sind, schlagen auch sie sich mit dieser menschlichen Eigenschaft herum. Ich stelle mir vor, wie die beiden einkaufen gingen, im Hinterkopf die Zweifel verarbeitend, aber im Supermarkt manchem Gespräch anderer Kunden lauschten. Oder im Bus oder der Bahn. Gespräche, in denen man die Gesellschaft als von Ausländern befallen befand, in der die Unerträglichkeit der Überfremdung gebrandmarkt wurde, Multikulti für pervers erachtete - diese typischen Alltagssprüche, die mir meine Bekannten gelegentlich auch unter die Nase reiben. Es waren sicher Stimmen, einer nicht ganz so schweigsamen Mehrheit, die aber nachher gerne immer sagt: Wir haben doch gar nichts gesagt.
Breivik hat nach seiner Festnahme eine Kladde voll wüster Rechtfertigungstexte weitergegeben. Darin sah er sich als terroristisches Kind rechter Hetzer in Europa. Namentlich unter anderem Wilders und Broder. War es also ein Einzeltäter? Natürlich schon, wenn es um die Ausführung geht. Als er mordete, da gab es nur ihn und seine Opfer, ihn und deren Blut. Zuvor war er nicht ganz so alleine und isoliert, fand Bestätigung und Rechtfertigung. Einzeltäter sind nie ganz alleine, wenn sie nach Motiven suchen, die ihr Gewaltpotenzial legitimieren. Sie gehören der terroristischen Organisation schweigender Mehrheiten an, die leider exakt das nicht tun. Natürlich ist niemand als der letztliche Täter dafür haftbar zu machen, Rechtssprechung muss sich an Fakten, nicht an geistigen Einflüssen messen lassen. Bloß so zu tun, als sei immer alles nur die Tat eines durchgedrehten und isolierten Alleingängers gewesen, wird dieses Phänomens nicht gerecht. Gerade sie kommunizieren mit ihrem Umfeld und mancher hasserfüllte Kommentar, den sie wo auch immer aufschnappen, kann schon reichen, um als Ermunterung begriffen zu werden.
Das soll jetzt kein Aufruf werden, dass man auf Gedanken und Worte achten sollte, damit sie nicht zu Handlungen werden. Terroristen haben einen freien Willen, sie müssen ja nicht, sie können immer noch einen Schritt zurücksetzen, bevor sie den finalen Schritt gehen. Nur so zu tun, als habe das gesellschaftliche Klima oder gar der Geist innerhalb einschlägiger extremistischer Gruppen oder Intitutionen, nichts mit solche Attentaten zu tun, das ist eine bürgerliche Bequemlichkeit, die man sich gerade in Zeiten, da man sich den Hass als Grundlage solcher Taten via Internet jederzeit ins Haus holen kann, nicht mehr leisten sollte. Wir sind, was wir sagen, posten, in Tiraden absondern. Nous sommes Komplizen.
4 Kommentare:
Weiter geht's:
Thilo Sarrazin, Einzeltäter,
Heinz Buschkowsky, Einzeltäter,
Gerhard Schröder und Joschka Fischer, Einzeltäter?
Das Fragezeichen hat meine Aussage gerettet.
;-)
Greetz
Bernhard
PS: Zu welcher Partei gehören die meisten der oben genannten?
@ Bernhard
Merkel
Schäuble
von der Leyen
de Maizière
zu welcher Partei gehören die genannten?
Alte Reminizenzen werden beim Lesen dieses Artikels wach... -an Springer und Strauss in den "goldenen 70ern". Da waren für die (vermeintlichen?!) Taten der sogenannten RAF, auch der Post-68er-Zeitgeist sowie, mehr oder minder "linke", Schrifsteller wie Böll, Grass, Rinser(!) und Walser((!), als "geistige Brandstifter", verantwortlich gemacht worden...
Man hat geschäummt, als aufrechter Mensch, ob dieser bösartigen Unterstellungen gegen "progressive" Naturen und Kulturschaffende...
Schon klar, reiner Zufall, dass du das jetzt sagst. Böll hat nie, wie gewisse heutigen Hetzer, irgendeinen Minderwert an menschlichem Leben postuliert. Das ist eben der Unterschied und das ist eben auch das, was Birnen zwischen Äfpeln ausmacht.
Kommentar veröffentlichen