... we are living in a material world

Donnerstag, 30. Juni 2016

Linker Protest gegen Rassismus, Homophobie oder rechte Alternativen ist gut und sicher notwendig. Es ist ist bloß zu wenig, wenn linker Geist sich in Gegendemonstrationen erschöpft. Die Krise der Linken ist ihr Idealismus.

Klar muss man den Anfängen wehren, gar keine Frage. Einerseits. Andererseits beschleicht einen das Gefühl, dass linker Zeitgeist heute mehr oder weniger eine Sache ist, die sich in symbolischen Protesten gegen Anschauungen richtet, die man selbst weder pflegt noch duldet. Position beziehen, nennt man das dann. Den Faschisten keinen Fußbreit. Das sind die Parolen, die pathetisch klingen, im Kern richtig sind, die mich aber ratlos zurücklassen. Wenn sich linker Geist bloß daran erschöpft, sich als Angebot einer Gegendemonstration in Szene zu setzen, dann reicht das nicht aus, um wieder politische Deutungshoheit zu erlangen. Es ist nicht grundsätzlich etwas dagegen zu sagen, gleichwohl werden ökonomische Gegenkonzepte aus dem linken Lager nicht so beseelt auf die Straße getragen, wie all diese Anti-Rechts-Initiativen. Idealistisch läuft, materialistisch hinkt es.

Einzeltäter und die Brandstifter

Mittwoch, 29. Juni 2016

Der Mörder von Jo Cox war Einzeltäter. Breivik war auch nur ein Einzeltäter. Mundlos, Böhnhardt: Einzeltäter! Einzeltäter! Zu zweit. Dann nennt man die Sache einen Einzelfall. Denn wenn zwei sich betätigen, wurden sie ja nicht einzeln tätlich. Aber ihr Zusammenwirken bleibt ein vereinzelter Fall. Nur die anderen, fanatisierte Moslems, die sind nie vereinzelt. Die halten wir für ein Kollektiv. Und wenn es auch nur einer ist, dann hat er getötet, weil er als Teil der islamistischen Weltgemeinde agiert hat. Als Produkt von Hasspredigern und Angry Brown Men. Als Erzeugnis von Hetzern, die hassen und das Abschlachten für ein solidarische Sache hinstellen. Und wenn wir besonders wütend sind, dann unterstellen wir solchen Einzeltätern nicht nur, dass sie als Konsequenz islamistischer Doktrination so tätig wurden, wir behaupten ferner, sie tun es, weil sie Moslems seien, Mitglieder einer grundsätzlich gewaltbereiten Religion. Richtig ist zunächst mal nur, dass es Einzeltäter bestenfalls als Ausnahmefall gibt.

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... wenn man trotzdem lacht

Dienstag, 28. Juni 2016

»Habe SPD gegoogelt und kriege dieses:
Ergebnisse für SPD
Meinten Sie: CDU
Stattdessen suchen nach: CDU«
- Gerhard Seyfried am 18. Juni 2016 auf Facebook -

Oh Freunde, oh Helfer!

Montag, 27. Juni 2016

Schlecht bezahlte Piloten, die bei ihrer Arbeit darüber grübeln, wie sie die Miete für ihre Wohnung aufbringen können, waren schon vor Jahren eine große Sorge von Michael Moore. Er fühle sich sehr unwohl, weil er nämlich wisse, dass Piloten in den Vereinigten Staaten heute relativ schlecht verdienen, er aber trotzdem auf das Fliegen angewiesen sei. Ähnliches dachte ich, als ich hörte, dass jetzt Hilfspolizisten auf dem Plan stehen, die für denselben Bruttolohn machen sollten, was richtige Polizisten für Nettogehalt tun. Die Frustration ist ohnehin groß in diesem Land, die Menschen knapsen so dahin. Wenn man einen Frustrierten jetzt auch noch so einen Job nach dreimonatiger Ausbildung zuteilt, dann geht es mir wie Michael Moore. Und die Typen sollen auch noch bewaffnet werden. Die ersten dieser Art kommen überdies aus dem Bundesland, in dem die AfD immerhin zehn und die NPD fast fünf Prozent erlangen konnte.

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So ein einfaches Spiel!

Freitag, 24. Juni 2016

Fußball ist ein einfacher Sport. Man braucht einen Ball, zwei nicht zu steife Beine und ein bisschen Platz, bevorzugt eine Wiese, vielleicht noch zwei Stangen, die als Pfosten fungieren. Kaum Ausstattung, kaum Regeln. Diese Simplizität gilt letztlich als die Quelle des Erfolges dieses Spieles. Fußball ist ein einfacher - und wie man dieser Tage feststellen muss - gleich noch ein vereinfachender Sport. Was man von Fans nun lesen muss im Schatten des runden Leders, beweist nicht nur die Einfachheit dieses Sports, sondern auch einer Mehrzahl derer, die diesem Sport dieser Tage Spalier stehen. Ob nun gefühlte Ausweisung für deutsche Randalierer oder die Interpretation einer Mannschaft zu einer Einheit wider aller niederträchtiger Entwicklungen im Staate: Läppische Deutungen machen diese traurigen Zeiten zu einem Fest, wo es doch momentan recht wenig Staatsübergreifendes zu feiern gibt auf diesem Kontinent der Selbstauflösung und Zerfleischung.

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Ein Account namens Gabriel

Donnerstag, 23. Juni 2016

Sigmar Gabriel ist auf einem guten Weg. Täglich rückt er ein Stückchen weiter nach links. Er weiß worauf es ankommt. Sigmar Gabriel? Ja, der Facebook-Account dieses Namens. Dachtet ihr etwa, der Vize-Kanzler sei gemeint?

Letzte Woche fiel dem obersten Sozialdemokraten auf, dass es ungerecht sei, dass »Arbeit stärker besteuert wird als Kapitaleinkünfte«. Dass Vermögende eine kleinere Steuer- und Abgabenlast haben, als Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, fand er obendrein ungerecht. Außerdem gäbe es Bäckermeister mit höheren Steuersätzen als Starbucks, was er auch als ungerecht empfindet. Letzteres ist übrigens kein Kunststück, denn Starbucks zahlt phasenweise überhaupt keine Abgaben. Es könne nicht mehr sein, folgert Gabriel aus dieser Schieflage, dass »die normalen Bürger alleine das Gemeinwohl in Deutschland bezahlen«. Applaus! Der Mann findet endlich wieder sozialdemokratische, ja richtig linke Themen. Das wurde mit Likes honoriert und die Claquere riefen ihm Durchhalteparolen zu und stärkten ihm den Rücken. Sichma, der mit den Schwatten, der ist eben doch ein richtiger Sozi.

Wer Taschentücher sucht, sucht keine Antworten

Mittwoch, 22. Juni 2016

Eine Amerikanerin, die so gut wie obdachlos war, der der Mann abgehauen ist und die kein Geld mehr hatte, wurde im letzten Jahr schwanger. Die Frau fand das relativ unpassend und entschloss sich dazu, Adoptiveltern für ihr Baby zu suchen. Nach kurzer Zeit fand sich ein Paar. Zum Geburtstermin reisten die künftigen Eltern an. Nun kam das Kind aber mit einer Behinderung zur Welt, die Adoptiveltern suchten das Weite, man wurde sich nicht handelseinig. »Dann geschah ein rührender Moment«: Die Kindesmutter »entschied, ihr Kind zu behalten.« So berichtet es »Spiegel Online« und nennt das ganze eine »rührende Geschichte«. Rührung - das ist es, was heute den kritischen Journalismus ersetzt hat. Die Rührung ersetzt den Faktenbezug. Und das zeigt letzten Endes auch, dass wir mit der Kritik an Missständen völlig gebrochen haben. Missstände taugen nur noch als herzbrechende Story, nicht mehr als Aufhänger für Gesellschaftskritik.

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Aus fremder Feder

Dienstag, 21. Juni 2016

»Moralisches Überlegenheitsgefühl ist als Haltung, im Alltag und in der Politik, tausendmal gefährlicher als das Bewusstsein, gelegentlich ein Tunichtgut zu sein.«

Kleine Leute in ihren noch kleineren Wohnungen

Montag, 20. Juni 2016

Die Gedanken von Barbara Hendricks zur sozialen Wohnungsnot wären an sich ja lobenswert gewesen. Tatsächlich fehlt es an bezahlbarem Wohnraum. Aber trotzdem verraten ihre Ausführungen etwas darüber, wie die gängige Politik über die arbeitenden Menschen denkt oder mindestens wie sie sie gerne haben möchte. Sie hatte behauptet, dass Alleinstehende eh mehr oder weniger nur zum Schlafen nach Hause gingen. Simples Menschenbild: Er soll es kompakt und effektiv halten. Benötigt wenig Raum, viel Arbeit, zwischendrin ein bisschen Schlaf. Lebensqualität ist da kein Kriterium. Dormi et labora. Schlafe und arbeite. Lebe lieber monastisch. Ohne Ansprüche, ganz bescheiden. In den eigenen vier Schuhkartonwänden. 30 Quadratmeter reichen pro Person, glaubt die Ministerin. Rein funktionell betrachtet mag das zutreffen. Aber sind das Perspektiven? Lebt der Mensch also nur, damit er möglichst wenig Platz einnimmt?

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Ohne Geschichte

Freitag, 17. Juni 2016

In seinem letzten Buch sorgte sich Neil Postman, weil unserer Welt eine Erzählung fehlt. Also etwas, woran man sich als zeitgenössischer Mensch festhalten könnte. Jede Zeit hatte mehr oder weniger eine Geschichte, die den Menschen als perspektivisches Movens allen Treibens hier unten gewahr wurde. Nicht alle diese Geschichten waren der große Wurf, manche hielten die kleinen Leute exakt bei diesem Attribut. Gott und seine Angestellten zum Beispiel. Trotzdem war es ein Ordnungselement, das den Menschen eine gewisse Orientierung erlaubte. Doch dann kam die Aufklärung, ein Projekt von überwältigender Inspiration. Sie sollte die neue Erzählung werden, eine auf leidenschaftliche Vernunft (ein Oxymoron als Ideal) gründende neue Einstellung zur Welt und allem, was darin idealistisch wie materiell vorhanden ist. Die Postmoderne und explizit die Dekonstruktion, die im letzten Jahrhundert dazu überging, die Realität zu leugnen, weil diese sprachlich nicht aufzuschnappen sei, so ärgerte sich Postman seinerzeit, habe den aufklärerischen Geist (der ohnehin im Niedergang war) vollends erstickt. Er war so ein leidenschaftlicher Vernunftsmensch, dieser Neil Postman.

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Eine ziemlich linke Angelegenheit

Donnerstag, 16. Juni 2016

Selten hat sich die Linke so blenden lassen, wie beim bedingungslosen Grundeinkommen. Parteilich organisierte und nicht organisierte Linke müssen aufwachen. Dieses Projekt ist nicht links. Es ist das Gegenteil davon.

Nach der Volksbefragung in der Schweiz zum bedingungslosen Grundeinkommen gab es auf linker Seite zwei Temperamente, die in die Diskussion eingriffen. Sanguiniker rangen mit Melancholikern – anders gesagt: Die einen waren guter Laune, weil sie glaubten, langsam aber sicher würde sich da ein Bewusstsein für dieses autarke Projekt formieren. Die anderen waren verbittert, weil die Schweizer (als Stellvertreter aller Menschen gewissermaßen) wohl nicht bereit dazu wären, ihrer Befreiung eine Stimme zu geben. Egal wie die Betroffenheit nach dem Votum auch aussah, hier hängt man einer Idee nach, die sich zwar irgendwie links anfühlt, die ja unbestritten auf den ersten Blick einem emanzipierten Ausbruch aus der zähen Wirklichkeit der Lohnabhängigkeit gleichsieht und somit wie ein Akt der Befreiung wirkt. Ja, das bedingungslose Grundeinkommen sieht gut aus, bedient ein linkes Lebensgefühl und man könnte es wirklich mit einer linken Initiative verwechseln. Aber Vorsicht, es ist das Gegenteil von dem, was es vorgibt zu sein.

Posttraumatische Belastungsstörung

Mittwoch, 15. Juni 2016

© Abraham Pisarek
»Wer Dingen die Relevanz nehmen will, stellt es ins Internet«, schrieb Matthias Grabow noch vor einigen Jahren in seinem Roman »Hanna«. Damals hat diese Sentenz noch gestimmt. Internet - das war eine Parallelwelt. Eine unbeleuchtete Schublade. Seither hat sich viel verändert. Zwar gewinnt nichts Relevanz nur über das Net. Aber es geht den Umweg über die althergebrachten Medienangebote. Was heute ins Internet gekritzelt wird, ist ein wesentlicher Bestandteil der traditionellen Medien geworden. Tweets sind keine vergänglichen Körnchen in einem Sandkasten unzählbarer Körner mehr. Sie sind News. Ohne diese Entwicklung wären viele aktuelle Ereignisse und Zustände nicht denkbar. Die AfD zum Beispiel. Vor einigen Jahren hätte sie sich selbst ihre Relevanz genommen, weil sie größtenteils nur das Produkt digitaler Hasskampagnen darstellt. Wenn man dann aber die Petrys und Gaulands via Twitter und Konsorten bei Anne Will platziert, schafft man Relevanz ohne Not und macht groß, was kleiner sein könnte.

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... wenn man trotzdem lacht

Dienstag, 14. Juni 2016

»Wirtschaftswissenschaft ist die einzige Disziplin, in der jedes Jahr auf dieselben Fragen andere Antworten richtig sind.«

Arbeitet ihr mal länger, ich kann nicht mehr!

Montag, 13. Juni 2016

Bundespräsidial betrachtet wurden wir ganz schön aufgehalten. Fünf vergeudete Jahre. Die moralische Instanz, die dieses Amt darstellen kann, hätte für das Allgemeinwohl einen Präsidenten benötigt, der gegen den neoliberalen Kurs rhetorisch zu Felde zöge. Eine Person, die eine Kurskorrektur anmahnte. Gauck allerdings war das nicht. Er sonnte sich als unbequemer Präsident, der es sich neben den politischen Entscheidungsträgern nur zu bequem gemacht hatte. Er war ein großes Missverständnis und in letzter Konsequenz eine durch und durch bigotte Gestalt, die savonarolisch Freiheit predigte, aber politische Freiheit für entbehrlich hielt, wenn sie nur den wirtschaftlichen Interessen im Wege steht. Für die Ängste, die die Prekarisierung bei den Menschen verursacht, für die Furcht vor Arbeitsplatzverlust und Arbeitslosigkeit, zeigte er kaum Verständnis. Und dass er jetzt mit Rücksicht auf sein Alter zur Entscheidung kam, lieber nicht mehr zu einer erneuten Amtszeit zu schreiten, zeigt uns vielleicht ein letztes Mal in seiner Karriere als Bundespräsident, wie scheinheilig dieser Mann die Welt und seine Stellung darin wahrnimmt.

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Das war die Grüne

Freitag, 10. Juni 2016

Ich habe sie alle gelesen. Alle! Ob nun »Durch unsichtbare Mauern«, »Das waren die Grünen«, »Ulrike Meinhof« oder »Zeit des Zorns«. Alle! Oder fast alle. Einige habe ich wahrscheinlich nicht gelesen oder doch nur zum Teil. Es war nicht alles schlecht. Vor einigen Jahren schrieb ich ja schon mal, dass die Frau, um die es geht, jetzt verstärkt gesinnungsterroristischen Müll fabriziere und sektiererisch auftrete, aber gleichwohl auch wertvolle antifaschistische Arbeit leiste. Was man auch an ihrem Werk sehen könne. (Ich blieb ihr gegenüber loyal und nannte seinerzeit ihren Namen in jenem Text nicht.) Heute muss ich sagen: Nicht mal das stimmt mehr. Ihr Werk ist Ausdruck eines intellektuellen Verfalls. Wenn sie sich heute in ihren Büchern auf Denker bezieht und sie zitiert, dann wirkt selbst ein solches Zitat deplatziert. Denn wir wissen doch alle: Es gibt neben Jutta Ditfurth für Jutta Ditfurth niemanden mehr, dem sie zutrauen würde, die Wahrheit so metaphysisch erfasst zu haben, als dass er würdig wäre, auch nur als Fußnote in ihr Werk einzugehen. Ihre Bücher zeigen auf, dass Fundimentalismus (das Wort steht absichtlich so da) zwar grundsätzlich notwendig ist, wenn die Realpolitik zum Beispiel mal wieder Menschenrechte als Tand abtut, dass er aber als Entwurf eines entspannten Lebens völlig überzogen ist. Überzogen bis zu einer Pendanterie, die als Frau Ditfurth um die Ecke kommt.

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Von Andrea zu Frauke

Donnerstag, 9. Juni 2016

Seitdem sie Sozialministerin ist, geht es uns gut. Nicht weil es etwa so ist, sondern weil sie es so verfügt hat. Sie hat jene Armut weggeschnippst, von der sie vorher behauptete, sie würde von den Schröderianern kleingeredet.

Keine fünfzehn Jahre ist es her, da war Andrea Nahles noch arg gegen die Agenda 2010 und damit auch gegen Hartz IV. Sie hatte etwas gegen die »soziale Unwucht«, die das Reformpaket für den Arbeitsmarkt und das Sozialwesen beinhaltete. Gemeinsam mit Ottmar Schreiner mahnte sie, den sozialdemokratischen Weg nicht zu verlassen. Der alte Gewerkschafter verlieh der jungen Frau, von der man behauptete, sie gehöre dem linken Flügel ihrer Partei an, eine gewisse Reputation. Nach den ersten schweren Verlusten der Sozialdemokraten bei Landtagswahlen war es unter anderem Nahles, die die Niederlagen als Konsequenz der verlorenen Parteiseele ansah. Seinerzeit habe ich die Frau erstmals wahrgenommen. Von ihren Widerstand gegen den Schröder-Kurs zehrte sie noch einige Jahre. Als sie schon nicht mehr so unversöhnlich tat, weil sie von Müntefering mit in die Agenda geholt wurde, schrieben die Zeitungen noch immer von einer Parteilinken, die vielleicht einst der Partei ihre traditionellen Vorstellungen zurückgeben könnte. Lafontaine soll sie gar mal als »Gottesgeschenk für die Partei« bezeichnet haben. Das war zwar lange vor der Agenda 2010 und somit in einem anderen Zusammenhang gemeint, kann aber dennoch als Indikator gelten.

Geh denken!

Mittwoch, 8. Juni 2016

Armenisches Flüchtlingslager, 1919
Für den Bundestag sind die Armenier jetzt ein Volk, das durch einen Genozid dezimiert wurde. Das ist keine schlechte Entwicklung. Für eine Mehrheit desselben Bundestages sind die Syrer hingegen ein Volk, vor dem man sich wehren muss, wenn es in zu großer Zahl zu uns kommt. Wenn notwendig mit Gewalt. Dessen Dezimierung hin oder her. Nicht ausgeschlossen, dass eine der nachfolgenden Generationen in vielen Jahren beschließen wird, die Ignoranz gegen syrische Bürgerkriegsflüchtlinge auch zu einem Gedenken zu führen. Um immer daran zu erinnern, was für gravierende Fehler geschehen, wenn man nicht zu jeder Zeit die Augen offen hält. Um daran zu erinnern, dass man den Anfängen wehren müsste. Heute die Armenier, später die Syrer. Immer zu spät, immer erst, wenn das Sujet lange verrottet in der Konkursmasse menschlicher Geschichtsschreibung. Nie zu rechten Zeit. Armenisches Leid, das als roter Faden in das aktuell syrische mündet, ist nicht vorgesehen. Der Bundestag macht es mal so und mal so. Grundsätzliche Prinzipien sind ausverkauft. Außerdem ist Konklusion ganz offenbar nicht die Stärke einer Kultur, die sich dem Andenken verschreibt, aber die daraus gezogenen Lehren nicht gebraucht, um sie in der Gegenwart zu einer Haltung zu deklarieren. Aus Geschichte lernen? Schön wäre es ...

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Aus fremder Feder

Dienstag, 7. Juni 2016

»Es sind immer dieselben Typen, die an der Macht sind. Nur dass manche sich als Kommunisten bezeichnen, andere als Kapitalisten, wieder andere als Repräsentanten irgendeiner Religion - was auch immer ihnen hilft, sich an der Macht zu halten. Die früheren Kommunisten in Russland sind dieselben Leute, die heute sämtliche Industrien in der Hand haben.«

Je suis Trauergemeinde

Montag, 6. Juni 2016

oder Über Tote auch mal was Schlechtes bitte.

Memo an die Trauerredner und -schreiber da draußen: Ich gehöre zu keiner Trauergemeinde, bin kein Hinterbliebener. Man muss mir als Leser die Toten, die von einiger Berühmtheit waren, nicht taktvoll zu Gemüte führen. Als zuletzt die Außenminister starben, war es nämlich wieder da. Dieses Motto. De mortuis nihil nisi bene. Über die Toten nichts außer Gutes. Also folglich nichts Schlechtes. Wegen der Pietät und so. Das Andenken nicht besudeln. Vorzüge betonen, Verfehlungen verschweigen, all dieser Kram. Folglich gerieten die Rückblicke auf die beiden Außenminister stark geschönt, die Makel tilgte man, verzückte sich in hagiographische Sphären und entfremdete das Andenken von der Person. So ist es eigentlich stets, wenn jemand stirbt, der von öffentlicher Bedeutung war. Dabei ist das gar nicht nötig. Es ist ein völlig falscher Ansatz, der nur den Trauernden dient, aber nicht denen, die das jeweilige prominente Ableben als Leser, Zuschauer oder Zuhörer zur Kenntnis nehmen. Da darf man auch mal was Schlechtes über den Toten sagen, denn wir haben Abstand genug und trauern ja nicht.

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Gegen das Vergessen

Freitag, 3. Juni 2016

Bauarbeiter am geplanten Berliner
Flughafen; sie haben vergessen, woran
sie arbeiten.
Vor einigen Wochen lief mir ein Bekannter über den Weg. Schlecht sah er aus. Braune Augenränder zierten sein Gesicht. Die glichen einer geschmacklosen Brille. Blass wie der Tod beim Friedhofsspaziergang war er außerdem. Ich traute mich kaum ihn zu fragen, was mit ihm geschehen war. Vielleicht war er ja ernstlich erkrankt. Mir wäre ein solches Geständnis nicht unangenehm, Offenheit ist stets zu begrüßen. Aber ich habe mir im Laufe meines Lebens zugestanden, dass ich mit Trost und Zuspruch kein so glückliches Händchen habe. Es fällt mir äußerst schwer, jemanden zu sagen, dass es sicherlich schon wieder wird. Ohne Befund und Fachmeinung neige ich eher dazu, keinen Kommentar abzusondern. Realist zu sein unterkühlt. Allerdings tat ich es dann doch und fragte ihn. »Ach hör auf«, rief er aus. »Handwerker, ich sag nur Handwerker!« Wir suchten uns eine Ecke, in die der nasskalte Wind nicht zog und er erzählte mir, was bei ihm Zuhause so vorging.

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… die Witwe, die verhindert hat, dass hier ein Schwarzer einziehen kann

Donnerstag, 2. Juni 2016

Der AfD-Vize lag falsch. Dummerweise eben aber auch nicht. Was stimmt: Es gibt eine verlogene Haltung in dieser Gesellschaft. Wenn man dem Land »als Exot« nutzt, dann ist man wer. Falls nicht, dann nicht.

Die Leute finden Boateng also als Fußballspieler gut. Als Nachbarn hätten sie Schwarze nicht so gerne. So äußerte sich Gauland, der stellvertretende Vorsitzende der AfD, in der Sonntagszeitung der FAZ. Die Aufregung war groß. Der dunkelhäutige Nationalspieler würde missbraucht zur »rassistischen Stimmungsmache«, schrieb die Frankfurter Rundschau. Dergleichen sei schließlich »niveaulos und inakzeptabel«. Ja, natürlich, man weiß ja wer es gesagt hat. Der Mann, der sich auch von Kinderaugen nicht erweichen lassen würde. Ein Sachwalter der neuen deutschen Kälte. Und trotzdem muss man gelegentlich aufgreifen, was diese besorgten Bürger mit selbstgemalten Parteibuch da absondern. Der Auftrag aus dem konservativen Lager lautete seit Anbeginn der Radikalisierung ja, dass man halt auch mal gucken müsse, woher dieser Hass komme. Er habe ja schließlich Ursachen und man müsse auch mal zuhören können und sich die Thesen zu Herzen nehmen. In einigen Dingen hätten diese Leute nämlich durchaus recht. Das trifft zwar kaum zu, aber diesmal hat der Mann etwas von sich gegeben, das gar nicht so falsch zu sein scheint.

Und jetzt ...

Mittwoch, 1. Juni 2016

Bundesarchiv,
Bild 102-02985A / CC-BY-SA 3.0
Uff, gerade nochmal gut gegangen. Das war knapp. Fast wäre ein Rechtspopulist österreichischer Bundespräsident geworden. Beinahe ein brauner Super-GAU in Blau. Aber nun kann man durchatmen. Und das tun erstaunlich viele, wenn man das allgemeine Klima so auf sein Gemüt einwirken lässt. Ob erleichtertes Gezwitscher via Twitter oder Statusmeldungen bei Facebook ganz normaler Bürger oder die Statements bestimmter Minister: Irgendwie scheint das Gefühl des Augenblicks in dieser Angelegenheit so zu sein, dass man nun glaubt, man sei da nochmal heil herausgekommen. Oder schlimmstenfalls mit einem blauen Auge. Ein Gefühl des Uff halt. Des »Uff-und-jetzt...«, um genauer zu sein. Abputzen, weitermachen, das Nächste bitte. Fall abgeschlossen und jetzt wieder was anderes.

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