Metaphern von Dichtern und Denkern

Freitag, 21. Dezember 2012

Ein Appell auf die Scheiße.

Offensichtlich ist es so, dass man in diesem Lande gar kein Deutsch spricht. Das spricht man nur immer in dem Moment, in dem man deutlich werden will. Berühmte und oft gehörte Einleitung in diesem Lande ist: Auf Deutsch gesagt. Und nach diesen drei Worten folgt dann die Deutlichkeit.

Neulich fragte ein Radioreporter Angestellte eines Unternehmens, das Einsparungen beim Personal beschlossen hat. Eine Frau gab zu Protokoll: Auf Deutsch gesagt, alles beschissen. Und gleich darauf ein Mann: Auf Deutsch gesagt, das ist Scheiße. Dann kam einer, der sagte, dass es deutlich gesagt, eine Frechheit sei. Deutsch sprechen bedeutet also deutlich sprechen? Hat Deutsch und deutlich denselben Wortstamm? Welche Sprache sie vorher sprachen, erklärten die Empörten allerdings nicht. Getraut haben sie sich aber was - und das im Radio!

Auf Deutsch gesagt ist auf Deutsch gesagt eine ankündigende Floskel, dass jetzt gleich ein böses, besonders schlimmes Wort folgen wird. Man konnte der Frau wie dem Mann den Stolz aus der Stimme herauslesen. Wahrscheinlich dachten sie, nun etwas ganz grob Wahrhaftes gesprochen zu haben. Beschissen, hohoho, so ein unanständiges Wort! Da haben sie es der Geschäftsleitung aber mal gegeben.

Zu Auf Deutsch gesagt, alles Scheißkerle! hat es jedoch nicht mehr gereicht. Da sind sie vor ihrer eigenen Courage erschrocken und haben just geschwiegen, sich verschämt zurückgezogen. Als wäre ihnen eingefallen, dass sie gerade einen Tabubruch begangen haben, der zwar im Zustand der Erregung geschehen kann, aber nicht soll. So hat man es ihnen doch beigebracht.

Es muss schon viel zusammenkommen, dass der unbescholtene Bürger in der Öffentlichkeit zur rhetorischen Scheiße greift. Sonst hingegen leidet er unter falscher Zurückhaltung, krankt er an einem falsch anerzogenen Anstandsgefühl. Die Geziertheit eines Bürgertums, zu dem die meisten Menschen nie zählten und vermutlich nie zählen werden, hat auf sie abgefärbt. Unzumutbarkeit sacken lassen, dezent umschreiben, Diplomatie anwenden und die nicht genannte Scheiße schlucken - in vier Schritten zum sittsamen Bürger.

Schitt, Scheibenkleister, schade - oft genutzte Ersatzwörter ohne Bezug zu dem, was sich einem innerlich aufdrängt. Wenn jemand meint, dies oder jenes sei Scheiße, so definiert er dieses Dies oder dieses Jenes als Produkt der Verdauung, als braunen Brei, als Abfall und Dreck. Niemand denkt an Kleister, der auf Scheiben landet. Soviel metaphorisches Geschick kann man im Augenblick der Erregung eigentlich gar nicht entwickeln. Die Scheiße ist hingegen die natürlichste aller Metaphern.

Es gibt Eltern, die ihren Kindern beibringen, das unerträgliche Sch-Wort nicht zu sagen. Sie tun das, weil sie glauben, sie würden der Welt einen Dienst erweisen, Menschen in sie hinauszuschicken, die nicht mal das Mütchen haben, etwas das Scheiße ist, auch damit zu bezeichnen. Wer nicht Scheiße! flucht, weil man das nicht tut, der ist allerdings schon irgendwie suspekt, der wird immer schlucken, wird stets hinnehmen und ist wahrscheinlich nur ein moralischer Windbeutel und politischer Idiot. Die Scheiße ist immerhin der Ursprung aller Politik. Besser gesagt: das laute Scheiße!-Rufen.

Im Gegenteil, man muss seinen Kindern beibringen, auf die Kacke zu hauen. Im richtigen Moment, dosiert aber bestimmt. Maßloses Sanktionieren im Schulalltag soll nicht mit Sentenzen wie Ich finde das nicht gut! kommentiert werden, sondern mit Das ist absolute Scheiße! Und wenn es heißt, was das für eine liderliche Ausdrucksweise sei, dann soll es antworten: Die einzige, die jetzt in diesem Augenblick richtig war.

Man darf wetten, dass die Frau und der Mann aus dem Radio hernach zuhause gerügt wurden. Recht hast du ja, wird die bucklige Verwandtschaft gesagt haben. Muss man das aber so derb sagen? Was, wenn die Betriebsleitung dir das verübelt? So fest ist der Schluckreflex manchen Menschen anerzogen. Sie glauben, dass die in den Mund genommene Scheiße eine dumme Donquichotterie ist, gekühltes Mütchen, etwas das man unter rationeller Betrachtung nicht tut.

Es gehört aber doch kein Scheißmut dazu, die Dinge beim Namen zu nennen. Es nicht zu tun ist Fabrikat einer falschen Erziehung. Die Scheiße als Metaphorik der Unerträglichkeit ist uns doch immanent, sie abzuerziehen ist "wider die Natur". Vor Scheiße ekeln wir uns. Sogar vor unserer eigenen. Andere Körpersekrete finden wir in der Regel nur bei anderen ekelhaft. Bei uns selbst weniger. Die Scheiße ist aber generalisierend das auf der eigenen Haut Unerträgliche. Manche erbrechen fast sogar, wenn sie sie auf der Haut ihrer Mitmenschen erblicken. Ausnahmen lassen wir mal als Minderheitenvotum unter den Tisch fallen. Wir können uns zwar selbst riechen - meistens! -, aber anfassen, sie an die Finger bekommen wollen wir sie nicht. Scheiße als Wort des Unmuts ist so natürlich, weil wir eine natürliche Abwehrreaktion zu ihr in uns haben. Wenn wir uns in die Hand niesen, sind wir zwar nicht entzückt, aber tragisch finden wir es nicht. Keiner fasst in seinen Haufen, denn die Berührung dessen, was uns hintenraus entfleucht, ist für uns völlig unerträglich. Scheiße zu sagen ist demnach die exakte Beschreibung für Dinge, Läufe, Ereignisse und Entwicklungen, die so ekelhaft sind, dass wir sie nicht näher berühren mögen.

Auf Deutsch gesagt zur Einleitung ist kurios. Welche Sprache sprechen Menschen in diesem Lande denn vorher? Ist es nicht mehr das Deutsche? Eine Krämer- und Arbeitsmarktsprache, die im Moment der Erregung dem Deutschen weichen soll? Eine Sprache gesellschaftlicher Korrektheit? Etwas das nur noch zur reinen Kommunikation auf niedrigstem Level dient? Ohne Gefühl, ohne Unflätigkeit zum gebotenen Augenblick? Zweifelsohne sind es bürgerliche Konventionen, die da auf die gesittete Sprache abfärbten. Was haben dann Bürger gesprochen, wenn nicht Deutsch? Scheißt man unter Bürgern nicht oder hat man wenig Ekel davor?

Die Scheiße ist nur eine Metapher. Es gibt viele andere. Kacke natürlich, was aber auf dasselbe hinauskommt. Kot oder Stuhlgang eher nicht, denn so sprechen Ärzte und die fummeln bekanntlich auch in der Scheiße zur Erlangung von Erkenntnissen. Wenn der Ekel vor Darmendprodukten wegfällt, so fällt auch deren Sinngehalt als metaphorisches Element weg. Und dann gibt es ganz andere Möglichkeiten. Das Arschloch ist zwar eine Beleidigung, aber manchmal trifft man es nicht besser. Aus ihm kommt die Scheiße, es stinkt und ist nie rein. Arschloch als Metapher ist wahrlich trefflich, daran erkennt man, dass es aus dem Land der Dichter und Denker kommt. In Spanien beispielsweise sind die Beleidigungen undurchdachter, will man Arschloch sagen, sagt man hijo de puta, was nicht weniger als Hurensohn heißt. Das ist einfältig und beleidigt ja die falsche Person. Und was sagt Herkunft schon über einen Menschen aus? Und statt Scheiße sagt man meist coño, was Fotze bedeutet. Nun ist die aber nicht unbedingt etwas, womit man Ekel verbindet - normalerweise. Scheiße und Arschloch sind dementgegen zwei elementare Metaphern, die eine kulturelle Leistung darstellen.

Hijo de puta, diese so häufig gebrauchte Floskel im Spanischen, ist nur eine Ehrabschneidung, allerdings keine Metapher, die mehr ausdrücken will. Mit hijo de puta will man jemanden schwer treffen, ohne die Sachlage zu treffen. Das Arschloch indes ist ein Scheißefabrikant, aus seiner Öffnung presst sich stinkender Brei. Das ist Metaphorik! Die große Kunst, einen Tatbestand mit einem vortrefflichen Wort auszustatten. Hijo de puta drückt nichts aus. Es ist eher, wenn man es analytisch sieht, ein klassistischer Ansatz, denn es reduziert den Empfänger auf seine Herkunft, degradiert ihn nicht menschlich, sondern klassistisch, sagt damit auch: Du bist blöd oder gemein, weil du nicht gesellschaftlich höhergestellt bist. Das Arschloch als Metapher ist klassenübergreifend. Jeder hat eines, jeder kann eines sein. Die Klasse und die Herkunft ist dabei einerlei. Der an dieser Stelle selten gelobte Sloterdijk schrieb ja auch mal Annehmbares. In seiner KzV schrieb er dazu: "Der Arsch ist der Plebejer, der Basisdemokrat und der Kosmopolit unter den Körperteilen..." Er meint damit sinngemäß, dass überall auf dem Erdenrund geschissen wird. Stimmt auch. Insofern kann auch jeder überall Arschloch sein.

Über das Leck mich am Arsch!, das es im Spanischen so gar nicht gibt, nur einige Sätze. Der Spanier sagt Vete a tomar por el culo!, also Greif mir an den Arsch. Das Lecken suggeriert Abscheu, nur der letzte Dreck leckt den letzten Dreck. Asche zu Asche, Staub zu Staub, Scheiße zu Scheiße. An den Arsch greifen kann hingegen auch sexuell interpretiert werden. Wahlweise sagt man in Spanien auch Tocáme los cojones!, übersetzt: Fass mir an die Eier. Hoden sind kein Arsch. Die ins Deutsche gekommene Ausdrucksart, jemand hätte keine Eier, kommt ursprünglich aus dem Spanischen, weswegen manche Kenner dieses Ausdrucks auch nicht Eier, sondern polyglott und kosmpolitisch cojones sagen. Keine Eier haben sagt ja, es ist eine Tragik, unbehodet zu sein. Und an Körperteilchen zu greifen, deren Abwesenheit schade ist, soll etwas Verächtliches ausdrücken?

Dies hier kann keine Empfehlung sein, mit einem lockeren Arschloch auf den Lippen durch die Welt zu gehen. Das ist zu teuer, wenn es auch nötig wäre. Nur wird das Arschloch auch kaum verwendet, wenn beispielsweise zwei Angestellte unter sich über einen Höhergestellten in verächtlicher Form sprechen. Denn dergleichen schickt sich nicht. Man könnte das auch Sklavenmoral nennen. Wenn man einem Worte als unschicklich aberzieht, fehlen irgendwann treffende Bezeichnungen und der Ausdruck leidet.

Dies soll auch kein Aufruf, kein Bekenntnis zur barschen Unflätigkeit sein. Hinter jeden Satz ein Scheiße zu setzen mag manchmal ein Lebensgefühl der Befreiung sein, ist aber dauerhaft auch nicht befriedigend. Nur zur Kenntnis zu nehmen, dass die Kultur des Dichtens und Denkens Metaphern hinterlassen hat, die zuweilen und nicht inflationär verschwendet, durchaus stichhaltig und effektvoll sind, das sollte man schon. Und man muss sich nicht entschuldigend ankündigen, gleich auf Deutsch gesagt Scheiße zu sagen. In einer Zeit, da Perspektivlosigkeit und Alternativlosigkeit das Scheißprogramm von Scheißtypen sind, ist das böse Sch-Wort nicht schlecht, sondern einfach nur eine treffende Karikatur der Wirklichkeit.



7 Kommentare:

Anonym 21. Dezember 2012 um 09:14  

Haha, interessant finde ich in diesem Zusammenhang auch, dass es Wissenschaftler gibt, die anhand der bevorzugten Flüche eines "Volkes" auf das kreative Potential dessen schließen. Ihre Erkenntnis: anal zu fluchen ist unkreativer als sexuell zu fluchen. Und irgendwie windet sich albernerweise auch noch der amerikanische Begriff "German Scheiße Porn" dazu in mein Hirn...

Richard 21. Dezember 2012 um 10:10  

Interessante Analyse dessen "was hinten rauskommt"...
In diesen Zusammenhang - und in diese Zeit - passt sehr treffend auch das jemanden oder etwas "in die Scheiße reiten".

Anonym 21. Dezember 2012 um 10:43  

"Hinter jeden Satz ein Scheiße zu setzen mag manchmal ein Lebensgefühl der Befreiung sein, ist aber dauerhaft auch nicht befriedigend."

In den USA ist man da weiter.
Dort kann man permament an jeder beliebigen Stelle eines Satzes, gerne auch mehrfach, das Wort fucking setzen.
Das kriegen die wahrscheinlich selber gar nicht mehr mit.
Man kann sich in aller Ruhe unterhalten und hört ständig nur fucking hier fucking da so als wäre der eigentliche Inhalt des Satzes nur der Lückenfüller zwischen den fucking's.
Das ist vielleicht auch nur der Ohnmacht geschuldet, dass man sich gar nicht anders ausdrücken kann und dann doch lieber ein beherztes fucking verwendet. Da weiß jeder in welche Richtung es geht, man beschwert sich halt irgendwie, weiß zwar worüber, dass es einem nicht passt, kann es aber nicht wirklich in Worte fassen.

Anonym 21. Dezember 2012 um 11:57  

Hi und frohe Weihnachten oder so...

Ich fluche am liebsten auf französisch, das sind teilweise so Mischformen aus anal-und sexuellen Bereichen:

"Sacré bordel de merde" etwa, also verdammter Scheiss-Puff"

oder, besonders schön:

"Vas-te faire enculer par le pape, pauv' con!"

(ich erröte beim übersetzen, also lasse ich es ;) )

"Ca me fait chier".. also. das lässt mich scheissen....

Ist es das, was Kauder damit meinte, daß Europa nun "deutsch spreche" ???


Amicalement

Christine Reichelt

Anonym 21. Dezember 2012 um 12:00  

Eine schöne Etymologie des „auf Deutsch gesagt“ für US-Zuschauer kann im Youtube-Video „Tim Allen – Schmetterling“ besichtigt werden. „And now I finally know, why the butterflies are flying away if I call their name ^^” kommentierte einE DeutscheR.

In der Schweiz wird die Floskel selten auch benutzt, da alle Deutschschweizer quasi zweisprachig aufwachsen: Die gesprochene Sprache wird „Mundart“ genannt und ist nicht verschriftlicht, es gibt keine standardisierte Rechtschreibung. Daher wird das Hochdeutsche als „Schriftdeutsch“ bezeichnet. Bei Streitereien leitet „auf Deutsch gesagt“ oft tatsächlich den Wechsel von Mundart auf überdeutlich, Wort - für - Wort – aus-gesproch-e-nes Hoch-deutsch ein – mit der Absicht, den Disput ein für allemal zu beenden. Die Bedeutung von „etwas auf Deutsch sagen“ zielt daher hierzulande in die Richtung „etwas amtlich beglaubigt mit Unterschrift und Stempel schriftlich überreichen“.

Was bezogen auf die Einsparungen beim Personal aus linker Perspektive ja gerade wünschbar wäre, wozu haben wir denn Gewerkschaften? Vielleicht bewahrt das „auf Deutsch gesagt“ in diesem Kontext eine vage Erinnerung an die verdrängte Möglichkeit eines gesellschaftlichen Zustandes auf, wo der Klassenkampf von oben mit einem ebensolchen von unten mit Macht beantwortet wird. Und das kurze, vage und - verglichen mit unmissverständlich angekündigten Kampfmassnahmen - unverbindliche „Scheisse“ bezeichnet in sich schon ein Zurückschrecken vom eigenen Mut.

D,B, 23. Dezember 2012 um 17:04  

Heilige Scheiße! Danke für diesen Artikel Rob!
Dasselbe ist mir auch schon sehr oft negativ aufgefallen. Wahrlich seltsam diese indoktrination falsch gedachter Höflichkeit...

Gerd Hellmood 24. Dezember 2012 um 08:40  

Stimmt soweit. Wer sprachlich zu etepetete erzogen wurde, dem fehlt zuweilen das passende Wort und Passenderes für Unnützes,Unbrauchbares und dazu Ekelhaftes als Scheisse lässt sich kaum formulieren. Auch wenn Hans Magnus Enzensberger in seinem Gedicht über "Die Scheisse" den Versuch zu unternehmen schien, sie zu rehabilitieren. Arschloch ist der Körperteil, der sie ausdrückt. So gesehen gibt die Schmähung Arschloch zu verstehen, dass eben nichts als Scheisse herauskommt.Sagt man also Scheisse, ist implizid, woher sie kommt. Schiesslich ist die Honorierung für Arschloch im Bussgeldkatalog eindeutig zu hoch angesetzt. Die deutsche Sprache ist nicht nur da da konkreter als andere. Wenn im Spanischen jemand Eier hat oder nicht, heisst es im Deutschen weniger sexistisch: Blöder Sack! Gemeint ist damit letztlich, dass einer der über ein männliches Geschlechtsteil verfügt, deswegen nicht gleich ein Mann sei - da gehört mehr dazu. Das gleiche gilt natürlich für das vulgäre Wort Fotze, weshalb es eben keine Diffamierung der Frau an sich darstellt. An deutschen Gerichten wird das gerne anders gesehen. Wer im Übrigen zurückhaltender formulieren will und gleichzeitig noch eins drauflegen will, kann auch sagen, man könne ihn götzvonberlichingen. Das ist mehr als eine Nuance pikanter. Der liess nämlich wissen, dass man ihn nicht "am" sondern eben "im" Arsche lecken könne.

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