Um sie – und nur um sie - muss sich Politik kümmern...

Sonntag, 9. Dezember 2012

Die Genossen sind eine kritische Masse. Das glauben sie jedenfalls selbst von sich. Man hat nicht erwartet, dass der Freund kostenintensiven Weines scheitern würde. Dass es aber dann 93 Prozent würden, konnte man ja nicht ahnen. Was haben sie noch gewettert, ausgerechnet dieser Mann, dieser Bossegenosse, dieser Honorist und Agendist, dieser Pekingese des Schröder und des Müntefering. Tja, da dachte man noch, sie machen es sich schwer mit diesem Mann, der von der Parteispitze vorschlagend beschlossen wurde.

Vielleicht haben sie es sich ja auch schwer gemacht. Wer weiß schon etwas über die Gemütslage der Genossen? Gut möglich, dass sie innerlich zerrüttet sind, dass sie mit schwerfälligem Gewissen mit Ja votierten. Da hat der kleine Leib- und Magenkoalitionspartner bereits abgefärbt. Die Realos, früher auch Grüne genannt, haben sich irgendwann mal den hübschen rhetorischen Gewissensbiss und -kniff ausgedacht, der da heißt "mit Bauchschmerzen". Der geht so: Kriegseinsatz? Ja, aber mit Bauchschmerzen! Sozialabbau? Eigentlich wollen wir nicht, aber mit Bauchschmerzen: Ja! Wer sagt denn, dass der Mann nicht einfach nur ein Bauchschmerzkandidat ist? Vielleicht waren es Bauchschmerzen, die das fulminante Ja für ihn ermöglichten. Hoffentlich handelte es sich bei diesem Bauchweh nicht um sich ankündigenden Stuhlgang. Dann wäre der Kerl ja aus falschen Motiven Kandidat.

Und hat er nicht eine schöne, eine wirklich erhebende Rede gehalten? Wenn die Sozis regieren, geht es dem Land besser. Hurra! Haltung und Werte für die Politik. Vivat! Kein klassistisches Gesundheitssystem für Deutschland. Hosianna! Gerechte Löhne für alle. Wacht auf, verdammte dieser Erde...! Der soziale Wohlfahrtsstaat ist das große Projekt der deutschen Sozialdemokratie. Die Partei, die Partei, die hat immer...!

Ist das Lug und Trug oder einfach nur Verblendung? Wo hat dieser Mann seit Schröders Antritt gelebt? Und leiden die Genossen allesamt an Demenz? Vielleicht ist diese Vergesslichkeit der Delegierten ja nichts weiter als ein Anzeichen der Alterung unserer Gesellschaft. Waren all die jungen Menschen, die man auf dem Sonderparteitag sah, nur die Buftis, die die Stimmberechtigten zur Urne schoben?

Persönlich nehme ich es diesem Menschen übel, dass er auf dem Rücken der Armen einen Wahlkampf gestalten und gewinnen will, die ihm später relativ gleichgültig sein werden. Seine Aussage zur hypothetischen Erhöhung des Kindergeldes sagte ja alles. Der Mann, der in etwa so sehr für die Agenda 2010 steht, wie Schröder und Clement und Müntefering selbst, ausgerechnet dieser Kerl will die soziale Gerechtigkeit zu seinem Thema machen. Weshalb ernennt er nicht gleich den Ex-Senator und Ex-Bänker mit dem Bestseller in der Tasche zum Entwicklungsminister? Das passt in etwa so gut, wie er als Kämpfer für soziale Gerechtigkeit. Neulich meint er noch, mehr Geld für Arme bringe nichts ein, weil es vielleicht wo landet, wo man es nicht haben will. Und jetzt gibt er den rhetorischen Tribun der Elenden.

Ich weiß, dass er beim Interview mit Cicero nicht die Armen sagte, als er Angst um das Geld hatte. Aber er meinte sie? Wen sonst? Seinesgleichen? Und er sagte auch nichts, wohin das Geld geht. Aber er meinte sicherlich nicht auf das Sparbuch von kleinen Scheißern etwaiger Mittelstandspaare. Zigaretten und Alkohol natürlich. Und die Playstation. Die Vorurteile sind hinlänglich bekannt. Der Mann sagte zu Zeiten, da er noch ministerieller Erfüllungsgehilfe der Agendapolitik war, auch etwas zur sozialen Gerechtigkeit. Ich habe mir das Zitat archiviert. Hier ist es, damit wir gleich mal wissen, wie er soziale Gerechtigkeit definiert: "Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um sie – und nur um sie - muss sich Politik kümmern." Wer ist da wohl nicht inklusive?

Dreiundneunzig Komma fünfundvierzig Prozent für diese soziale Gerechtigkeit als Wahlkampfthema! Ein klares Bekenntnis von den Sozialdemokraten, wie ich finde. Und er scheint auch die Basis getroffen zu haben, drüben bei Facebook überschlagen sie sich gerade vor Freude. Endlich ein Kandidat mit Format, klare Versprechen, Politikwechsel. Ich scheiß' gleich in die Hose vor Lachen. Entschuldigung, ich kann es nicht feiner schreiben. Und jetzt kommt der Clou obendrauf: Man kann nichts machen, um diesen Mann zu verhindern, weil man damit nämlich die Frau ermöglicht. Aber abwinken und sagen Alles Scheiße!, das macht man nicht, lehrt uns der demokratische Kodex. Er zeigt aber auch nicht auf, was man tut, wenn wirklich alles Scheiße ist. Lachen über gruppenspezifische Dummheit ist ja auch keine Lösung.



13 Kommentare:

Anonym 9. Dezember 2012 um 18:08  

Auf den Punkt, chapeau!

Anonym 9. Dezember 2012 um 18:19  

Ein sehr gelungener Text! Die Wahrheit auf den Punkt gebracht!!

Schorschel 9. Dezember 2012 um 18:28  

Sie treffen mal wieder den Nagel auf den Kopf. Als ich heute Mittag im Radio die Propaganda von Steinbrück hörte (Mindestlohn, Solidarität, Soziale Gerechtigkeit) war mir klar, dass dieser Mann mich nur anlügen will. So etwas macht mich wütend. Alternativen gibt es aus dem bürgerlichen Lager leider keine.

Die Partei Die Linke ist für mich allerdings inzwischen eine Option. Die haben z.B. in den Bundestag im April diesen Jahres eine Abstimmung zur Abschaffung der Hartz-Sanktionen eingebracht. Ratet mal welche Partei, die für einen Mindestlohn, Soziale Gerechtigkeit und Solidarität steht, diesen Vorschlag der Partei Die Linke ebenfalls abgeschmettert hat (neben der CDU)? Ich glaube die SPD nimmt es mit der Solidarität (z.B. mit Arbeitslosen Hartz-IV-Empfängern) nicht ernst...

Anonym 9. Dezember 2012 um 19:03  

Dieser Geldbrück ist ein Lügener par excellence - er lügt ohne Rot zu werden. - Das kalte Grausen krieg ich vor so einem heuchlerischen Kanzlerkandidaten......

Inglorious Basterd 9. Dezember 2012 um 20:52  

Entweder ist Steinbrück ein abgebrühter Täuscher und vorsätzlicher Lügner oder eine tief in sich gespaltene Persönlichkeit, die mit zur Schau gestellter Inbrunst der Überzeugung heute so redet und morgen das Gegenteil davon verkündet.

Derartige Charaktermasken werden nach oben gespült, weil an der Basis die Halbwertzeit des Vergessens immer kürzer wird und die kognitiv suboptimierten Genossen Kanalarbeiter jede Pseudoautorität bejubeln, die ihnen auf dem Schild präsentiert wird.

Diese sozialdemokratisch zugerichteten Claquere machen auf dem Wahlzettel dort ihr Kreuzchen, wo sie es schon immer gemacht haben, wenn nur SPD daneben steht. Die würden nicht mal merken, wenn unter ihren Lieblingsbuchstaben als Direktkandidat ihres Wahlkreises Harry Potter oder Donald Duck aufgeführt ist.

Anonym 9. Dezember 2012 um 22:10  

@Inglorious Basterd

[...]Derartige Charaktermasken werden nach oben gespült, weil an der Basis die Halbwertzeit des Vergessens immer kürzer wird[...]"

Die "Basis" ist eine neue Generation, und darauf setzt Steinbrück auch bei den Wählern - die Halbwertzeit seit der Agenda 2010, und den Hartz-Verbrechen ist zwar auch ein Grund, aber wie bereits erwähnt: Die SPD setzt auf die heute 18jährigen.

Frag doch mal einen von denen nach der Zeit VOR Hartz IV und der Agenda 2010 - die haben oft keine Ahnung....

...ich bin mir fast sicher, so frech wie Steinbrück agiert wäre er nicht, wenn es eben nicht schon einige Zeit her wäre seit die Medien intensiv über die sozialen Grausamkeiten der SPD und der Grünen berichtet hätten....

...neue Generationen benötigt das Land, und vor allem junge, ahnungslose und vergessliche Generationen - schwupp ist Steinbrück Bundeskanzler und Katrin Göring-Eckhardt Vizekanzlerin.....

Gruß
Bernie

Jutta Rydzewski 9. Dezember 2012 um 23:08  

Damit ich mir eine Wiederholung ersparen kann:

http://ad-sinistram.blogspot.de/2012/12/ein-kurzer-satz-voll-weltanschauung.html#comment-3751226864933525270

Anonym 9. Dezember 2012 um 23:52  

Die SPD kann mich nicht mehr enttäuschen, denn - um es mit Dieter Hildebrandt zu sagen - die SPD hat sich noch in jede Hose geschissen, die man ihr hingehalten hat.

Immerhin hat man heute mal wieder gesehen, wie die Parteibasis tickt (nämlich nicht ganz richtig). Insofern weigere ich mich auch, nur Schröder & Co. die ganze Finanzmarktderegulierungsscheiße und Hartz-IV ans Bein zu heften. Hartz-IV wurde auf einem Sonderparteitag der SPD beschlossen und zwar von der Partei-Basis. Was soll man von einer solchen Partei erwarten?

Ich glaube ja inzwischen, dass es die SPD nur aus einem einzigen Grund gibt: Wähler davon abzuhalten, richtig links zu wählen und den Job erfüllen sie ja seit 100 Jahren zur Zufriedenheit des Kapitals.

Madner Kami 10. Dezember 2012 um 00:09  

LOL War ja abzusehen, dass die soziale Ader, die der SPD-Basis in letzter Zeit versucht wurde anzudichten, schnell wieder flöten geht. Diese Partie... Sochle Witzfiguren... *facepalm*

Anonym 10. Dezember 2012 um 05:20  

Vielen Dank für diese wahren Worte!

landbewohner 10. Dezember 2012 um 06:29  

perfekte schilderung der genossen und ihres mr. steinbruch.
allerdings folgt der peer nur dem ollen münte, der ja nun öffentlich verkündet hat, daß er grundsätzlich lügt - jedenfalls vor wahlen.

ulli 10. Dezember 2012 um 10:10  

Die SPD erklärt doch vor jeder Wahl, dass sie, falls sie gewinnt und den Kanzler stellt, die soziale Gerechtigkeit einführen wird. Na und? Es gibt wirklich Interessanteres.

Massimo 10. Dezember 2012 um 15:23  

"Komm aus Deiner linken Ecke" - das Land Hessen wird nun mit diesem Plakat zugekleistert:
www.nh24.de/images/stories/2012/Birgit/Dezember/cduPlakat.jpg

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