Sein Kampf, zweiter Teil

Dienstag, 22. Mai 2012

Sarrazin wurde damals Nähe zur NPD unterstellt. Eine Unterstellung, die mehr Feststellung war - Weichenstellung vielleicht auch. Weniger für ihn selbst als für den politischen Diskurs in diesem Lande. Hand in Hand mit den einschlägigen Presseorganen fixierte er eine Diskussionskultur, die sich gütlich an der Zurschaustellung niederträchtiger Impulse und Reflexe frottiert, die sich aufgeilt an solchen Biedermännern, die angeblich "mutige Wahrheiten" verkünden, die genauer betrachtet aber nicht mehr als feiges Stammtischgeschwafel sind, der Sud geselliger Sangesabende in schwüler, pappiger Hitze.

Deutschland könnte auch gut ohne Sarrazin leben

Eine dieser stammaufgetischten Realitäten ist die Geschichte des Euro. Der blute Deutschland aus. Griechenland sei nur die Krone dieses Skandals. Die Strafe für die Niederlage im Zweiten Weltkrieg sei das - das ist die verschwörerische Erkenntnis von reaktionären Stammtischen, aus rechten Zirkeln und von NPD- oder Republikaner-Kundgebungen - und freilich von Sarrazin, der neulich in der Jauchegrube in eben diese Kerbe eindrosch und den Euro als Folge für den Holocaust einstufte. Strafe für den verlorenen Weltkrieg - das klingt auch wie: Ach, hätten wir nur gewonnen! "Rechtskonservatives Geschäftsmodell" nennt Erdmann das. Mit diesen braunen Devisen zu kokettieren: Das nennen wir heute Mut oder Zivilcourage - es ist aber nicht weniger als die Trivialisierung deutscher Geschichte, die Banalisierung politischer oder gesellschaftlicher Erscheinungen; und es ist überdies kein Mut, denn die Forderung, der Euro möge verschwinden, ist so alt wie der Euro selbst und somit Allgemeinplatz. Es ist flaches, phrasenhaftes Gestammel, wie seinerzeit, als der Herr eugenische Maßstäbe auspackte und reanimierte, was schon zu Zeiten Hindenburgs als wissenschaftlich überholt galt.

Dass Europa auch ganz gut ohne den Euro leben könnte, ist eine Einsicht, die man ja gar nicht verneinen kann. Das ist Tatsache. Alles ist ohne alles vorstellbar - alles kann sein, ohne dass es so ist, wie es gerade ist. Deutschland könnte auch gut ohne Sarrazin leben - er ist aber nun mal da und man muß ihn ertragen. Man muß aber doch fragen dürfen, warum man ihn hofiert, warum man ihn pusht, seine Stammtischiaden mit Zuneigung und Verleihung eines öffentlichen Forums adelt. Das wird man doch fragen dürfen, so wie die Sarrazinösen stets rhetorisch fragen, dass man dies oder das doch mal sagen dürfe.

Feigheit, die er anderen vorwirft

Europa kann ohne den Euro leben - hat es ja die meiste Zeit getan. Wie könnte man nur dagegenhalten! Diese Aussage, die ja auch die Aussage seines gesamten neuen Buches, seines "Mein Kampf II" - (mein Kampf gegen die Aufrichtigkeit, mein Kampf gegen Seriosität, mein Kampf gegen solidarisches und aufgeklärtes Denken etc.!) - ist, ist so gestrickt, wie es am Stammtisch gerne vernommen wird. Einfache Slogans, einfältige Weltsicht. Sicher könnte Europa ohne Euro - jetzt ist er aber mal da, in der Welt... in Europa, besser gesagt... und existent. Europa hat sich vor Jahren darauf verständigt und die deutsche Wirtschaft war begeistert davon, vereinfachte es doch einiges. Aber das Elend, womit das griechische, das spanische, das italienische und manches andere Volk zu ringen hat, verschwindet nicht, wenn man den Euro verschwinden läßt. Sarrazin wirft der politischen Zunft Feigheit vor - auch so eine Erkenntnis, der man zustimmen kann, wenn auch aus anderen Gründen. Mit solchen Phrasen dockt Sarrazin immer wieder in der bürgerlichen Mitte an.

Politische Feigheit also. Und er fordert das Ende des Euro, wovon die Not der krisengeschüttelten EU-Mitgliedsstaaten nicht schwindet, sondern lediglich aus unserem Blickfeld verlagert wird. Das ist die Logik, mit der jene politischen Feiglinge Arbeitsmarktstatistiken schönen oder Kinderarmut neu verrechnen. Aus den Augen aus den Sinn - dieselbe Feigheit, die er Politikern vorwirft, postuliert er hier als seine mutige Wahrheit. Es ist die Feigheit eines Mannes, der von der Lebenswirklichkeit muslimischer Mitbürger nichts weiß, der aber rege darüber schreibt - es ist die Feigheit eines "Schreibtischtäters", der wieder einmal mehr vom Stamm- als von Schreibtisch aus theoretisiert und den politischen Diskurs mit Tiraden vergiftet, die abermals zur Entsolidarisierung beitragen sollen. Diesmal nicht alleine in Deutschland - diesmal in Europa.

Entsolidarisierung und Hass sind der Kitt seines Weltbildes

Das "Prinzip Sarrazin" ist das "Prinzip entsolidarisierte, zerrissene Gesellschaft". Sein "Markenkern: Fremdenhass, Revisionismus, Nationalismus, Geiz, Missgunst" schreibt Erdmann. All das trägt zur Entsolidarisierung bei. Und zum Hass. Auch das ist eines seiner Prinzipien. Er beschreibt eine Welt, in der es keinen Zusammenhalt geben soll. Kein Zufall, dass er genetische Kaffeesatzleserei und Zuchtwahl mit seriösen Wissenschaftsfeldern verwechselt. Sozialdarwinismus passt ins Konzept - oder es ist vielmehr die Basis einer solchen Auffassung. Sarrazins Provokationen sind einfache Kopfgeburten eines Mannes, der Solidarität für etwas unnatürlich Künstliches hält, für einen zivilisatorischen Schnickschnack, der uns mehr schadet als hilft. Wer sich mit dem "multikulturellen Gedanken" solidarisiert, ist demnach schädlich, wie jene, die den Erhalt des Euro solidarisch begleiten. Sarrazin arbeitet mit Entsolidarisierung, mit Zerrüttung, mit "Krieg aller gegen alle" - das ist der Kitt, der sein brüchiges Gebäude zusammenklebt. Ein Kleber, der in politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeiten viele Verbraucher findet - zukunftsweisend ist ein solcher Klebstoffverkäufer allerdings nicht. Manchmal sehen windige Vertreter wie Visionäre aus - aber irgendwann merkt man dann auch, dass er einem etwas angedreht hat, was man so nie kaufen wollte - hoffentlich...



15 Kommentare:

Stefan Rose 22. Mai 2012 um 07:35  

Ups, das muss Gedankenübertragung gewesen sein...

Anonym 22. Mai 2012 um 09:38  

Sehr gut ge- und beschrieben, danke !

Das tragische an dieser Hetzschrift, daß sie eine eine reale Gefahr für alle suggestiblen Hirne und somit für die Mehrzahl der deutschsprachigen Menschen darstellt.
-Wobei ich nicht sagen will, daß diese manipulierte und konditionierte Denkart in anderen Sprachen nicht vorkommt.
- Es erinnert mich stark an die Konditionierung von Pawlow....

Hartmut

Stefan 22. Mai 2012 um 11:02  

"Deutschland könnte auch gut ohne Sarrazin leben" - doch wieso wird diesem unbedeutendem Menschen dennoch so viel Platz eingeräumt?

Anonym 22. Mai 2012 um 12:59  

"Mut oder Zivilcourage"

Ohne das "Zivil" hat man mit den selben Begriffen seinerzeit Kinder an der Front eines längst verlorenen Krieges verheizt.

Die Rechten haben sich kein bisschen verändert. History repeats itself. Traurig, aber wahr ...

Gotan 22. Mai 2012 um 13:01  

Sarrazins Bücher sind gefährlicher als Hitlers "Mein Kampf", das sollte man dazusagen.
Denn wie Stefan Sasse analysierte: "... ob "Mein Kampf" an den Kiosken zum neuen Bestseller werden könne und Jugendliche vielleicht zum Neonazismus ziehen könnte. Die Vorstellung ist so unsäglich albern, dass einem die Synapsen knacken. "Mein Kampf" ist ein 700-Seiten-Wälzer in einer Sprache und mit einem Stil, der schon in den Zwanziger und Dreißiger Jahren dafür gesorgt hat, dass niemand das Buch wirklich lesen wollte."
http://oeffingerfreidenker.blogspot.de/2012/05/zur-debatte-um-die-wiederauflage-von.html

Nun kann man mittlerweile aber auch auswerten, welche Folgen eine millionenfach verkaufte und gelesene Schrift heutzutage hat, die schlimmer als "Mein Kampf" ist.
- Wurden seither weniger Ausländer eingestellt? Die Statistik sagt: Nein.
- Stiegen seither die Verbrechen von Deutschen an Ausländern? Die Statistik sagt: Nein.
- Haben rechtsextreme Parteien seither größeren Zulauf? Keineswegs.
- Wird Deutschland seither stärker gemieden von Ausländern? Ganz im Gegenteil.

Bin ich nun in die Sarrazin-Falle getappt, alles nur durch Statistik wahrzunehmen, die ohnehin gefälscht sein könnte?
Tatsächlich ist es schwer, nachgesagte veränderte Tendenzen in der Gesellschaft zu glauben, wenn sie sich nirgendwo messbar niederschlagen.
Wird Zahlenwerk hierbei nun missbraucht, oder ist es doch das einzige, worauf man sich jenseits von voraufklärerischem Glauben und Hörensagen wirklich verlassen kann?

Mart 22. Mai 2012 um 14:40  

Die Nachricht an das Volk ist ja klar: Wenn selbst "Spitzenpolitiker" wie der mögliche Kanzlerkandidat Steinbrück dem Sarrazin nur beschränkt Paroli bieten können, dann muss dieser Sarrazin schon ein sehr klarer Kopf sein.
Sein "Deutschland schafft sich ab"-Buch wird durch die neuerliche Anerkennung wieder mal aufgewertet und sicher nochmal Hunderttausend weitere Exemplare verkaufen...

willi 22. Mai 2012 um 14:52  

Ach ja, "Der Euro ist unser Unglück"
Herr S. aus B. hat ein neues Buch zu verkaufen. Ich muss nicht jedem Blödmann zuhören...

Das ist das schöne an der unermesslichen Rumpelkammer, die wir "Geschichte" nennen: Alles hängt irgendwie mit Allem zusammen. Herr S. glaubt, den € gibt es wegen des Holocausts -soll er , wenn er will.

Stefan G. 22. Mai 2012 um 15:25  

Das Ding ist, dass an Sarrazins Büchern gar nicht mal überdurchschnittlich mehr Inhalt kritisiert wird, als es anderen Sachbüchern auch widerfährt.
Der Anteil an kritisiertem Inhalt ist keinsfalls unüblich groß, soviel kann ich als eifriger Politbuchleser, der die Rezensionslandschaft aufmerksam verfolgt, mit Sicherheit feststellen.
Das sollte den Leuten zur Einordnung klar sein, und es ist den meisten wohl auch klar.

Trojanerin 22. Mai 2012 um 19:34  

Auch Hitlers „Mein Kampf“ ist voller niederträchtiger Impulse.

Sarrazin ist ein dümmlich wirkender Demagoge.
Die so genannten Thesen Sarrazins zur Genetik und zum Euro zu kritisieren und auseinander zu nehmen ist wichtig.
Ich bin trotzdem noch entsetzt darüber, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich dafür hergibt, dem Herrn Sarrazin eine Werbeplattform für seine Hetzschriften zu geben. Es geht um nichts anderes, als die Taschen der Herren Sarrazin und Jauch zu füllen, mit dem Geld der Gebührenzahler, mit oder ohne die Bedienung rassistischer Vorurteile.
Die ARD hat sich mit der Sendung „Günther Jauch“ einen Bärendienst erwiesen. Schlimmer kann das Niveau in der ARD bald nicht mehr werden.

Anonym 23. Mai 2012 um 15:51  

Eine Partei, die so ein Mitglied hat, sollte für alle unwählbar sein.

Anonym 23. Mai 2012 um 23:11  

Danke für den Text.

Aus Sarrazin spricht die typisch dt. Beamtenseele, die eben immer schon arrogant besserwisserisch, menschenverachtend, demokratiefeindlich, sozialstaatsverächtend und rechtslastig war, wie sich schon in der Weimarer Republik zeigte, dann im mörderischen Terrorstaat der NS-Diktatur, des SED-Staates, und nun eben auch im krisengebeutelten Merkel-Deutschland - eine rote Linie eben....

....ich bin sicher, dass so mancher Staatsdiener in Behörden und Ämtern Deutschlands genauso tickt wie Sarrazin, und zwar queerbeet über alle Gesellschafts- und Parteigrenzen hinweg....

...mein Augenöffner in dieser Hinsicht war übrigens Raul Hilbergs "Die Vernichtung der Juden Europas", eigene leidvolle Erfahrungen mit dt. Beamten und Angestellten, die meine These eher noch untermauern statt zerstören....

...tja, du hast es auf den Punkt gebracht....

Gruß
Bernie

Anonym 23. Mai 2012 um 23:14  

@Trojanerin

Der türkischstämmige Kabarettist Serdar Somuncu hat Hitlers Tiervergleiche immer wieder schon als Unsinn entlarvt, und ich warte sehnsüchtig darauf, dass dieser mutige Kabarettist sich mal Sarrazins Elaborate vornimmt, und in der Luft zerreißt - vor Publikum.

Übrigens "Mein Kampf" ist zwar verboten, aber bei Sarrazin ist mir nicht sicher, ob er nicht von dort seine Vergleiche bezieht....dass mit den Lippizanern-Pferden meine ich nämlich schon einmal bei Serdar Somuncu gehört zu haben - nur bezog sich dieser Kabarettist auf Hitlers Original "Mein Kampf" - in Gegenden von Skinheads und Neo-Nazis eine große Gefahr darstellen - daher mutiger Kabarettist.....

Gruß
Bernie

Trojanerin 24. Mai 2012 um 12:45  

@Bernie Ich hatte im Schulunterricht kurz vor oder nach der Wende das zweifelhafte Vergnügen, Hitlers „Mein Kampf“ in Vorbereitung eines Referates im Original lesen zu dürfen. Es war für mich in der Bibliothek frei zugänglich. (ehemalige DDR)
Es ist sprachlich wie inhaltlich ein grauenhaftes Pamphlet. Ich schätze die Bearbeitung dieses Themas durch den türkischen Kabarettisten Serda Sumunco sehr.
Der konnte ja nur noch unter Polizeischutz und hinter Panzerglas auftreten. Hitlers „Mein Kampf“ enthält so dumme und absurde Aussagen, dass es eigentlich für mich nicht nachvollziehbar ist, dass diese Ideologie ein ganzes Land beeinflussen konnte.
Und doch hat sich die Geschichte wie bekannt entwickelt. Sarrazins Bücher sind Hetzschriften, und man muss sie vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte sehen.
An die Stelle mit den Pferden kann ich mich nicht erinnern, aber ich kann mir vorstellen, dass Sarrazin solche Sachen verwendet um dann hinterher wieder zu stammeln, er hätte nichts abwertendes über andere Menschen gesagt.
Viele Grüße.

Anonym 26. Mai 2012 um 12:17  

IWF-Chefin Christine Lagarde tritt den Griechen jetzt frontal in die Fresse:
"Helft euch selbst und zahlt endlich Steuern!"
In einem Interview gibt die IWF-Chefin jegliche diplomatische Zurückhaltung auf. Sie habe mehr Mitleid mit afrikanischen Kindern als mit Schülern in Griechenland.

Udo 30. Mai 2012 um 10:51  

Der Kern des Dilemmas die mangelnde demokratische Legitimität der Europäischen Union, die weder den Schuldnerstaaten ein Sparsamkeitsregime noch den Geberländern eine Transferunion verordnen kann, weil dort wie hier das Wahlvolk früher oder später dagegen rebellieren wird...

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