Heilige Einfalt

Donnerstag, 3. Mai 2012

Vielleicht ordne ich die Gestalten, die bei RTL über die Mattscheibe flimmern, nur falsch ein. Wichtigtuer und Quotenjäger - vielleicht sind sie das gar nicht. Vielleicht sind sie die Auswahl derer, die in siebzig, achtzig Jahren im Kanon der katholischen Heiligen stehen. Hätte es zu Zeiten des heiligen Franz schon RTL gegeben, er hätte irgendein Reality-Format geleitet, in denen er Gutes getan hätte. Unser Armutsexperte Franz Assisi zeigt, wie man auch aus wenig viel machen kann! Nach einem Gespräch mit einigen Amseln kocht unser Experte eine wohlschmeckende Suppe für die Armen! Damals hätte es schon solche Nörgler wie mich gegeben. Solche, die an Franz kein gutes Haar gelassen, die ihm unterstellt hätten, er mache sich für die Quote zum armen Teufel, zum Heiligen, füttere die Armen nur für die Fernsehkameras, erniedrige sich nur, um die eigene Eitelkeit zu erhöhen. Unerkannt wäre für den Nörgler geblieben, dass er es mit einem Heiligen zu tun gehabt hätte.

Wie gesagt, vielleicht ordne ich die RTLianer falsch ein. Gut möglich, dass es sich um Heilige handelt, die ihren Altruismus austoben und die nicht nur für die schnelle Träne und das kurze abendliche Glück bei einer Tüte Chips hilfsbereit und fürsorglich sind, sondern weil es ihnen ein inneres Bedürfnis ist. Möglich, dass RTL das Repertoire zukünftiger Heiliger verwaltet, den Pool, aus dem die Heiligsprechungsindustrie irgendwann einmal reichhaltig schöpfen kann. Hätte früher Franz Suppe gekocht, so kocht sie heute Christian Rach. Der ist somit niemand mehr, der lediglich Quote machen will, sich darstellt und produziert, sondern ein Altruist, der randständigen Menschen dieser Gesellschaft Arbeit schenkt und ihnen hilft, indem er ihnen täglich zeigt, dass ihre Randständigkeit nur an ihnen selbst lag. Gut, das spottet der gastronomischen Reservearmee Hohn - aber es geht doch darum, dass sich überhaupt einer dieser Menschen annimmt und ihnen sagt, dass sie in Eigenverantwortung ausgegrenzt wurden. Ähnlich erginge es Int-Veen oder Bause, die vermitteln, helfen, einfühlen, einspringen oder fürsorgen, um gottgefälligen Dienst tun zu dürfen. Die Häme, die landwirtschaftliche Singles ertragen müssen, sind vielleicht nur zufälliges, nicht vermeidbares Beiwerk, das den altruistischen Dienst flankiert. Kollateralschäden, die unvermeidbar sind, wenn man ein gutes Werk tut.

RTL wird wahrscheinlich ganz falsch eingeschätzt. In einer anderen Zeit hätte dieser Sender Mutter Teresa begleitet oder eben Franzens Minderbrüder - und sollte Jesus unglaublicherweise so gewesen sein, wie es die Bibel schreibt, dann wäre auch er Thema bei Punkt 12 gewesen. RTL erleichtert die Arbeit der Kanonisierer, der Heiligsprechungsbeamten. Früher musste man Berichte einholen, Briefe von Leuten lesen, die einen Wink gaben, dass es irgendwo in einem weit entfernten Winkel der Welt jemanden gab, der etwas ganz Außergewöhnliches, manchmal etwas außergewöhnlich Gutes tat. Dann wurde befragt, geprüft, genau studiert und irgendwann entschieden. Man könnte das Kanonisierungsverfahren effektiv abkürzen, denn alles Gute in der Welt, mindestens aber in Deutschland, es geschieht bei RTL; alle guten Menschen sind dort in Lohn und Brot, machen dort Sendungen. Rach ist ein moderner Franz, Int-Veen eine abgerundete Mutter Teresa, die Moderatorencrew sammelt tetzelmäßig Spenden und fühlt mit der Armut mit. Ein Tastendruck und die Parade, der Himmel der Heiligen ist zu beobachten. Denn eines ist doch klar, wenn wir den Rachs und Konsorten zusehen und zuhören: Sie täten ihr gutes Werk auch, wenn keine Kamera dabei ist, jedenfalls suggerieren sie das - und dieser Umstand heiligt sie.

Wer schließt denn aus, dass einem Franz damals nicht nur Spott, sondern auch Kritik entgegenschlug? Kritik, die ihn der Heuchelei bezichtigte? Wer heute noch als Platzhirsch aus dem TV verunglimpft wird, der kann morgen deswegen dennoch geheiligt werden. Man hat den Eindruck, dass niemals zuvor Menschen so viel Gutes getan haben, wie die heilige Einfalt heute auf RTL. Wir leben im Zeitalter der Heiligen - wer sagt uns denn, dass man das in einigen Jahrzehnten nicht genau so sieht? Und dann ist Rach ein heiliger Koch, San Restaurantkritiker - jemand, von dem man denkt, er könne nie und nimmer Kritik geerntet haben, weil sein Wirken so eindeutig war...



9 Kommentare:

Spartaner 3. Mai 2012 um 08:31  

Gut geschrieben lieber Roberto. So oder so ähnlich wird es sich schon zugetragen haben. Das einzige was sich wirklich geändert hat, sind die medialen Möglichkeiten. Aber verarscht, ausgebeutet und abgezogt wurde der Pöbel schon immer!
Gruss Spartaner

Anonym 3. Mai 2012 um 14:29  

Der Pöbel möchte verarscht werden, also wird er verarscht.
Kann mir irgendjemand sagen, worin in dieser Symbiose auch nur ansatzweise das Problem liegt?

Anonym 3. Mai 2012 um 15:01  

Hallo Herr De Lapuente

Wieder einmal treffend beschrieben und hin und wieder wundert man sich schon, wie weit die «heilige Einfalt» die Synapsen auszuschalten vermag.

Und, nein, nein, denke, Sie irren sich nicht im geringsten ;), sehen das haarscharf so, wie es ist. Auch wenn diese Tatsache den Finger auf eine schier unglaublich zynische Doppelmoral, gepaart mit der jeweiligen Selbstdarstellung (inkl. Selbstbildnis) legt. Denn:

«Wenn man die Beweggründe so mancher „guten“ Taten kennen würde,
sähe man sie voraussichtlich in einem völlig anderen Lichte.»

Gar viele Redewendungen hat sich die Menschheit im Laufe der Zeit für solch ein Verhalten einfallen lassen: «Wölfe in Schafpelzen» wäre nur eines davon. Richtig perfide wird es, wenn die Wölfe in ihrem Harmlos-Pelz selbst daran glauben, ein Schaf zu sein. Denke, die weitaus meisten Desaster passieren unter dem Motto der „besten“ Absichten. Wichtig ist dabei nicht, ob man tatsächlich Gutes mit seinen Taten bewirkt, sondern nur dass man fest daran glaubt. So unglaublich wichtig gar ;-), dass nicht selten dem Blick auf den Wirkungsgrad absichtlich oder reflexiv ausgewichen wird. Glaube scheint mir überhaupt ein ziemlich wichtiger Faktor gesellschaftlich zu sein. Wir glauben an dies, an das, sollen an jenes glauben … was letztlich zu kognitiver Dissonanz führt, die in einer Schleife mündet, da dass Störgefühl ständig neu betäubt zu werden wünscht; was für eine Verschwendung geistiger Kapazitäten.

Der Artikel zielt in die gleiche Richtung, nachfolgend ein Auszug:

http://www.heise.de/tp/artikel/36/36823/2.html

[i]>Sie üben in Ihrem Buch scharfe Kritik an den Tafeln. Warum?
Kathrin Hartmann: Weil sie das System stabilisieren. ...
Zwar sind die Tafeln für die Leute hilfreich, der Skandal aber liegt darin, dass es überhaupt solche Tafeln in einem reichen Land wie Deutschland geben muss. Sollen Arme im Ernst dankbar dafür sein, dass sie mit Müll abgefüttert werden?
...
>Ich habe auch gehört, dass sich bei den ehrenamtlichen Tafelmitarbeitern so etwas wie ein Uschi-Glas-Effekt einstellen würde...
Kathrin Hartmann: Ich habe bei den Tafeln zum ersten Mal die tiefe Kluft zwischen Reich und Arm an einem Ort gesehen. Einmal habe ich beobachtet, wie eine der Tafelvorderern ganz selbstverständlich mit einem schwarz glänzenden Oberklassewagen an der Schlange Bedürftiger vorbei auf den Parkplatz gefahren ist, um dann Lebensmittel zu verteilen. … [b]Das ist wie im 19. Jahrhundert. [/b]
...
Diese Handelsketten und Lebensmittelkonzerne haben als Unterstützer der Tafel-Bewegung alle ein Interesse, dass dieses System so bleibt wie es ist, denn der Überschuss bekommt dort einen Sinn. Die Tafeln, die anfangs obendrein sogar von McKinsey beraten wurden, verdecken so aber die Ursachen der Armut.
Überdies wird an den Tafeln die Armut moralisiert und individualisiert: Denn auch dort werden die Armen in gute und unschuldige Arme und die schlechten, gierigen Armen aufgeteilt. ...
Es hat nicht jeder Arme Zugang zu den Tafeln. Die Kapazitäten sind begrenzt. In Deutschland sind rund sieben Millionen Menschen von Armut betroffen. Aber nur eine Million hat Zugang zur Tafel. Das heißt, deutschlandweit decken die Tafeln weniger als zehn Prozent der Bedürftigen ab.
… [b]Auf Almosen gibt es keinen Rechtsanspruch.[/b]
… Das Ganze ist von vorn bis hinten demütigend.
Einer meiner Protagonisten hat mir von einem besonders hässlichen Fall an einer Tafel in einer mittelgroßen Stadt in Bayern erzählt: Dort hat sein Bekannter einmal seine Lebensmittel von der Tafel an Tafel-Nutzer verteilt, die nicht so viel abbekommen haben wie er. Daraufhin hat er seine Zugangsberechtigung verloren, er ist rausgeworfen worden. [b]Bei den Tafeln ist schließlich klar aufgeteilt, wer gibt und wer nimmt.[/b]
….
Gruss
rosi

landbewohner 3. Mai 2012 um 15:11  

meiner meinung nach geht es bei rtl und ähnlichen nicht nur um volksverarsche, denn die "beglückten" sind in der regel hartzer oder ähnlicher "ausschuss", der ohne die hilfreichen hände und auch strenge nicht aus seinem fernsehsessel und der lethargie oder faulheit herauskommt, sogar seine familie und kinder vernachlässigt, weil er es sich in "unserem wohlfahrtsstaat" so richtig schön gemütlich eingerichtet hat. und da kann dann der "ganz normale für minilohn malochende dummbeutel" sich endlich mal als besserer mensch fühlen und sich so richtig schön über das faule gesox aufregen. auch arme hartz kinder lernen so schon in frühester jugend, daß ihre bedauerliche lage nicht leuten wie einer gewissen uschi oder parteien in rosa oliv zuzuschreiben ist, sondern sie auf grund der charakterlichen schwächen ihrer eltern vom normalen leben ausgeschlossen sind. also hetze vom allerfeinsten und bis in die familie hinein.

Anonym 3. Mai 2012 um 16:03  

@Anonym 3. Mai 2012 14:29

" Der Pöbel möchte verarscht werden, also wird er verarscht.
Kann mir irgendjemand sagen, worin in dieser Symbiose auch nur ansatzweise das Problem liegt?"


Symbiose, hhm, hhhm ... kommt in der Natur vor, ist doch eher ein seltenes Modell.

Sehen Sie, "Symbiose", das würde die Zecke, die sich vom Blute ihres Wirtes ernährt, sicherlich ebenso formulieren, hätte sie nur die kognitiven Möglichkeiten. Sie richtet nicht viel Schaden an, meint sie, ein bisserl Blut zapfen, damit die eigene Brut versorgen ... und schon ist sie wieder fort ...

Nicht immer merkt der Wirt, dass er einer solch schmarotzende Zwangs-"Symbiose" anheim gefallen war und wenn doch, ist es ihm nicht immer möglich, sich davon zu befreien.

Wobei der Wirt möglicherweise der wahren "Symbionten" mit den nachhaltigen Auswirkungen nicht gewahr wird, zumindest nicht sofort. Ausweichen, Entkommen kaum möglich. Bspw. Erreger der Borreliose (u.v.a.m.), die sich in der Zecke heimelig und in stiller Eintracht temporär eingerichtet haben. Der Zecke ist es gleich, dass sich Erreger zum Transport in die Blutbahnen der Zwangs-Zwangs-"Symbionten" (Wirte) aufstellen.

Natürlich würden sich sowohl die Erreger, als auch die Zecke nicht Parasit, Schmarotzer oder Schädlinge schimpfen lassen. "Was wäre die Welt auch ohne uns", würden sie vermutlich seufzen, während sie vergaßen, dass sie auf die Wirte für ihr eigenes Überleben angewiesen sind, der Wirt im Gegensatz ohne überleben kann; in der Regel sogar weitaus gesünder.

Parasitismus ≄ Symbose!
Und trotzdem werden wir sie nicht los ...

Seit ewigen Zeiten rüstet man sich gegenseitig, was aufzeigt, so wirklich wollen, wollen die Wirte nicht (nicht einmal unsere Biologie). Gegen Zecken gibt es heutzutage zumindest für unsere Haustiere einen gewissen chemischen Schutz. Doch was macht man gegen solche aus der eigene Art?

Da üben wir noch, kann man formulieren. Etwas Nachhaltiges hat sich bis jetzt leider nicht gefunden. Alles auf diesem Sektor bis jetzt praktizierte, wirkte nur eingeschränkt temporär. Gerade heutzutage sind sie wieder einmal sehr, sehr stark. Eine ganz globale Plage, nicht nur für unsere Spezies selbst.

Geht auch schlecht, so simpel mit der Chemiekeule darauf zu antworten ... Dabei geht es eigentlich nicht einmal wirklich um die Zecke ... nicht wahr nicht? Jene bereiten doch nur den Weg für die echten Schädlinge ...

So stellt sich mir automatisch die Frage, ob die Zecke auch solche Dinge formulieren würde, wenn sie denn könnte:

"Scheixx Köter, fuxxing dickes Fell, drixx langer Weg bis zu den Ohren. Jaul nicht, beschwer Dich nicht und kratze Dich nicht, auch wenn es Dich juckt und beißt. So wirst mich kaum los. Wenn Du es versuchst, schadest Du Dir nur selbst, meine Beißwerkzeuge hängen Dir feste im Fleische. Was streun'st auch hier so geistlos im Gras herum? Du weißt doch, dass ich hier auf Dich warte. Was für ein dummer Köter!"

Jupp ... vermutlich so ähnlich ... und dabei müssen wir doch alle zum Pinkeln raus ... irgendwie ...

Gruss
rosi

mann_von_nebenan 3. Mai 2012 um 20:32  

Mir scheint, die >Beglückten< der
Heiligen sind die zu Heiligenden,
die per Heil(ig)ungsbehandlung zu
Heil(igen)den. Sorry für den verquasten Text, aber er gibt einigermaßen die nun wirklich nicht natürliche Attitüde eines Christian Rach wieder, wenn er sich auf eines seiner Sozialfallopfer herablässt. Wenn Effizienz um jeden Preis als das Zentraldogma einer Gesellschaft (an)erkannt ist, kann es auch eigentlich nicht anders sein. Ein anerkannter Leistungsträger (für mich immer noch ein Mensch mit leistungsTRÄGEM Verhalten) hat dann natürlich die uneingeschränkte Arschtritt-Lizenz und gelangt auf diese Weise irgendwann in den Himmel neoliberaler Wunschvorstellung.

Anonym 3. Mai 2012 um 22:52  

Der Artikel hat es in sich.

Ich kann kaum mitreden, da ich RTL und die genannten Typen nicht kenne.

Dennoch zu anonym 14:29

Eine sehr fatalistische Haltung.
In lateinischer Form:
Mundus vult decipi (ergo decipiatur)
Die Welt will betrogen sein, (daher sei sie betrogen)
Dies ist eine Redewendung aus dem ausgehenden Mittelalter, und bezeichnet den damals um sich greifenden Verfall der Sitten.

Hier geht es doch wesentlich darum,
das heutige Blendwerk (Showbuisiness) als mögliche Heiligsprechung in etlichen Jahr-zehnten wiederzufinden.

Ich vermute, der tiefere Sinn liegt in diesem Artikel rein an der Kritik der kath. Kirche, bzw. des Papstes. - Wenn nicht, bitte um Richtigstellung.

mfg
Hartmut

Anonym 4. Mai 2012 um 00:49  

Wenn ich diese menschenverachtenden Moderatoren sehe wünsche ich mir jedes mal, ihren Visagen ein kostenloses lifting zu verpassen.

Anonym 7. Mai 2012 um 16:33  

Kann mich da nur allgemein äußern: So bis in die 80er Jahre gab es auf den öfftl.-rechtl. Sendern jede Menge Bildungsfernsehen - jeder konnte und sollte sich bilden (sogar Heimwerker-Sendungen gab es). Heute ist es genau umgekehrt: Für alles braucht man TV-"Experten", denn man kann ja selbst nicht denken (wäre ja unverantwortlich!). Aber bloß nichts selber machen, da muss der Experte immer dabeistehen. Dazu noch ständig Law-and-Order-Reportagen - und schon weiß der Bürger: Du weißt gar nix und du musst machen, was wir dir befehlen!

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP