De dicto

Donnerstag, 31. Mai 2012

"In Deutschland leben 2,5 Millionen Kinder in Armut. So das Ergebnis einer Unicef-Studie.
Die Reaktionen darauf sind vorhersehbar: Sofort soll der Staat wieder helfen, mehr Geld in die Sozialsysteme pumpen.
[...]
Eltern können sich entscheiden: ob ihnen Genuss und Konsum wichtiger sind als die Bedürfnisse ihrer Kinder. Als gesundes Essen, ordentliche Kleidung, Bücher und Bildung.
Wenn diese Entscheidung immer öfter gegen den eigenen Nachwuchs fällt, dann ist Deutschland wirklich arm, dann wird es immer ärmer."
- Ulrich Becker, BILD-Zeitung vom 30. Mai 2012 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Was Becker versucht seriös als Kommentar notierte, ließe sich direkter und ehrlicher so ausdrücken: Es gibt zwar unleugbar arme Kinder; die sind allerdings nicht Produkt einer Gesellschaft, die sich ihrer nicht annimmt, sie ausgrenzt und in Randbezirke abdrängt - sie sind nur arm, weil ihre Eltern sie in Armut bugsieren. Es sind ebenjene Eltern dieser armen Kinder, die ihren Nachwuchs aushungern und verarmen lassen. So einfach ist das! So unkompliziert ist die Wahrheit einer Gesellschaftselite und ihrer (Ge-)Schmier(t)finken, die ihren Reichtum mit der Leugnung der Armut rechtfertigen und letztere für einen Makel, nicht für ein trauriges Schicksal halten.

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Ach Günter!

Mittwoch, 30. Mai 2012

Da reibt man sich die Augen aus dem Kopf. Denn heute ermittelt Wallraff - natürlich verdeckt wie eh und je. Nur das Wo, auf welchem Sender, das erzeugt Staunen? Es geschieht heute Abend bei RTL. Der Trailer zu diesem RTL Special zeigt einen cowboyesken Wallraff in Lederjacke und eitler Positur, den Rücken zum Zuseher gewandt; dann dreht er sich siegessicher um, nuschelt etwas davon, dass sich was ändern müsse und dass es ihn jetzt exklusiv bei RTL gäbe. Stolz schwingt im Genuschel mit. Mit der üblichen wallraffschen Leichenbittermiene starrt er dem RTL-Zuschauer ins vermutete Gesicht. Ein Clip ganz in RTL-Format: Dramatisch, mit brachialer Musik unterlegt, effekthaschend. Wallraff selbst wirkt hierbei wie eine illustre Mixtur aus diversen RTL-Sternchen, tut patent wie Zwegat - kokett wie Bohlen - tapsig wie Rach - blinzelt wie Klöppel dramatisch ins Objektiv - das gelingt ihm alles zusammen; Multitasking als Schmierentragödie. Was aber hat Wallraff eigentlich mit dieser Gilde zu schaffen?

Wo sonst der Undercover Boss seine Angestellten bespitzelt, dort ist nun Wallraff undercover zu bestaunen. Das sei nur konsequent, könnte man ja als Einwand bringen. RTL halt, ein Undercover-Sender halt. Im besagten Trailer vernimmt man eine Stimme aus dem Off. Die erklärt, dass Wallraff sich maskiere, um Ausbeutung zu enttarnen - der Undercover Boss ist eher der, der ausbeutet und nun auch noch seine Belegschaft aushorcht und ausspäht. Das ist nicht konsquent, denn beides gehört nicht zusammen - letzteres ist die Pervertierung von investigativen Journalismus', für den Wallraff steht wie kein anderer.

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Die Linke kommt wieder!

Dienstag, 29. Mai 2012

Wenn es denn wirklich stimmte, dass Die Linke ohne Lafontaine nichts mehr sei, dann wäre es um sie nicht schade. Alleine mir fehlt der Glaube. Das nenne man nun von Hoffnungslosigkeit getragene Hoffnung oder eine Jetzt-erst-recht!-Mentalität oder einfach nur naiv. Bloß wer Die Linke und Lafontaine zu Synonymen erklärt, so meine ich bescheiden, der greift die Prämissen jener bürgerlichen Medien auf, die beide, Die Linke wie Lafontaine, kujoniert haben. Und gleichgesetzt.

Lafontaine war das Zugpferd, das ist schon wahr. Ohne ihn hätten sich vermutlich die lila Balken bei diversen Landtagswahlen überall in Westdeutschland lediglich unter fünf Prozent gehalten. Gleichwohl tragen sich die Absichten der Partei doch von selbst - auch ohne Lafontaine. Wenn sie jetzt in die Bredouille geraten ist, dann muß das kein dauerhafter Zustand sein. Andere Parteien zeigen das auf, obwohl sie viel maroder und malader durch die Fährnisse irren. Keine Namen hierzu, mir graut davor.

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Zur gedachten Vertreibung

Montag, 28. Mai 2012

Wir brauchen einen Gedenktag für Heimatvertriebene, meint Seehofer derzeit. Nicht irgendwann, sondern jetzt - kippt er als Motiv nach. Für wen der gelten soll, gibt er derweil nicht bekannt. Ob er wohl Zahlen liefern kann, wieviele deutsche Vertriebene aus Osteuropa es noch gibt? Die meint er nämlich! Und wieviel von denen sind denn eigentlich persönlich vertriebene Vertriebene? Zählt er die Vertriebenen in zweiter Generation, die nur die sentimentalen wie traurigen Erzählungen der Eltern kennen, auf der Flucht aber noch gar nicht existent waren, auch mit? Doch was heißt das schon! Steinbach, Obervertriebene, war selbst dabei auf der Flucht vor den Kommunisten. Sie wurde aus jener Heimat vertrieben, die ihr Vater vorher als Wehrmachtssoldat für seine Familie besetzt hatte - dafür will sie Gedenktag und Entschädigung. Seehofer pflichtet indes dem Gedenktag grundlos bei.

So viele Vertriebene...

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Nomen non est omen

Heute: Regierungsfähigkeit

Ein Gastbeitrag von Markus Vollack.
"Berlins Bürgermeister Wowereit zufolge ist Die Linke nicht regierungsfähig. Dafür sind seiner Ansicht nach die mangelnde Realisierungschancen ihrer Politik und auch der Druck der Parteispitze auf die individuelle Politik der Partei in den Bundesländern verantwortlich."
- focus.de vom 21. Mai 2008-
Die Regierungsfähigkeit bezeichnet das Talent bzw. den Willen Regierungsverantwortung übernehmen zu können. Wie bei der sogenannten Ausbildungsfähigkeit wird diese Charaktereigenschaft nicht selbst definiert, sondern von Wirtschaftsvertretern, Politikern, Interessenverbänden, den Massenmedien und von Unternehmern "verliehen". Weder Jugendliche, noch Politiker oder Parteien sagen von sich aus, dass sie nicht ausbildungs– oder regierungsfähig seien. Das Fähigkeits-Attribut ist somit politisch instrumentalisiert, um eigene Positionen und Interessen zu verdeutlichen.

Ein Kundenleben

Freitag, 25. Mai 2012

Habe ich mir billig genug den Arsch gewischt? Eins-Neunundsechzig acht Rollen. Einundzwanzig Cent die einzelne Rolle. Ein Zehntel von einem Cent ein Blatt. Ich brauche zehn, zwölf, vierzehn Blätter. Ganz nach Schiss. Ginge es nicht noch günstiger? Könnte ich mir die im Darm verwandelte Fleischwurst, Eins-Neunundsechzig und am Ring, und das Baguette, neunundsechzig Cent und knusprig gebacken, nicht mit weniger monetären Aufwand abwischen?

Das Wischen, es kostet den Durchschnitt von Blättern, verdauter Wurst und durch Magensäure zersetztes Brot und könnte sicher günstiger zu haben sein. Oder wische ich mir den Hintern mit dem Stapel Prospekte, den ich mit zum Scheißen genommen habe? Die waren kostenlos im Briefkasten. Aber was, wenn ich eine günstige Offerte durch meine Arschritze ziehe? Kaffee Drei-neunundsechzig beispielsweise oder Lachsfilet, vierhundert Gramm zu nur Zwei-Neunundsiebzig. Kommt es mir dann nicht teurer, wenn ich mich mit einen Gratis-Prospekt abwische? Lieber vier Cent in einen sauberen Arsch investieren, um dann beim Kaffee oder beim Lachs abzusahnen?

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Kein Verklärer als Erklärer!

Donnerstag, 24. Mai 2012

oder: ein verfrühter Aufruf, Steffen Seibert kein öffentlich-rechtliches Engagement mehr zu gewähren.

Der Mann hat sich diskreditiert. Bereits mit seiner Entscheidung, Regierungssprecher zu werden. Nicht explizit jetzt, nicht ausdrücklich in den letzten Tagen oder Wochen. Seine Diskreditierung geschah schon vormals. Aber nun könnte es sein, dass die Ära Merkel ins Endstadium geht - und damit gehen auch jene ins finale Stadium, die durch ihre Regierung zu Posten kamen. Erfahrungsgemäß! Hoffentlich! Steffen Seibert ist so einer, dessen Tage gezählt sein dürften - dessen Zeit als Regierungssprecher dann passé sein wird.

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Ridendo dicere verum

Mittwoch, 23. Mai 2012

"Es ist schon tragisch: Die SPD verwechselt ihre Dummheit dauernd mit staatstragendem Verantwortungsgefühl. Nach dem Motto: Die Kanzlerin macht alles falsch, aber wir unterstützen sie dabei – aus Sorge um Deutschland."
- Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig -

Sein Kampf, zweiter Teil

Dienstag, 22. Mai 2012

Sarrazin wurde damals Nähe zur NPD unterstellt. Eine Unterstellung, die mehr Feststellung war - Weichenstellung vielleicht auch. Weniger für ihn selbst als für den politischen Diskurs in diesem Lande. Hand in Hand mit den einschlägigen Presseorganen fixierte er eine Diskussionskultur, die sich gütlich an der Zurschaustellung niederträchtiger Impulse und Reflexe frottiert, die sich aufgeilt an solchen Biedermännern, die angeblich "mutige Wahrheiten" verkünden, die genauer betrachtet aber nicht mehr als feiges Stammtischgeschwafel sind, der Sud geselliger Sangesabende in schwüler, pappiger Hitze.

Deutschland könnte auch gut ohne Sarrazin leben

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Unter deutscher Kuratel

Montag, 21. Mai 2012

Sie sei nicht die Kanzlerin Europas, vernahm man unlängst aus Frankreich. Genau so verhält sich Merkel aber nun abermals, auch wenn sie es dementiert. Ein Dementi, dass man glauben kann, jedoch nicht muß. Mit dem Vorschlag, ein Referendum bezüglich des Verbleibes Griechenlands in der Euro-Zone abzuhalten, versuchte sie vielleicht die Reißleine zu ziehen. In der Hoffnung, die Griechen würden einem Ausstieg beipflichten und sie von einem Krisenherd entfernen, der sie wahrscheinlich die Wiederwahl kostet - dass sie den Kopf verliert, bestätigt nur die Causa Röttgen. Ein solcher Vorschlag passt da nur ins Bild. Kopf aus der Schlinge: egal wie!

Das Referendum scheint aber überflüssig. Die Frage ob Euro oder nicht, ist nicht das Problem. Es ist die Ablenkung von Problemen. Die Mehrzahl der Griechen wollen den Euro behalten - das wurde mehrmals repräsentativ erfragt. Man fürchtet auch, dass ein Ausstieg das Elend verstärkte. Der Euro soll bleiben - aber unter welchen Konditionen, das soll verhandelt werden. Und das griechische Volk hat bei der letzten Parlamentswahl gezeigt, dass es darüber verhandeln will - höchstwahrscheinlich wird die politische Linke eine Mehrheit nach den Neuwahlen stellen können. Das ist als Zeichen des Verhandelns zu werten. Dieses noch fiktive Wahlresultat zeigte: Da verhandelt ein Volk über das Wie des Verbleibes in der Eurozone - nicht über das Ob.

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Talk am Wahlabend

Freitag, 18. Mai 2012

"Wir Liberale wurden gewählt, weil wir für Seriosität und Verantwortung stehen."
"Und wir Konservative sind für seriöse Verantwortung eingetreten, Herr Kollege."
"Uns Grüne wählte man, weil wir für verantwortungsvolle Seriosität stehen."
"Wir Sozialdemokraten konnten zulegen, weil wir als Alternative seriöse Verantwortlichkeit ausstrahlen."
"Die Piraten wollen seriös und verantwortlich neue Wege beschreiten."
"Neue Wege wollen wir Liberale auch gehen - kompetent in Finanzen und Bildung."
"Wir Konservative stehen ebenfalls für finanzierte Bildung."
"Da müssen wir Grüne aber widersprechen: Bildung und Finanzen! Nicht Finanzen und Bildung!"
"Doch doch, Finanzen und Bildung - nur in dieser Reihenfolge, werte Kollegin."
"Wir Sozialdemokraten machen deutlich, dass wir gebildete Finanzen anstreben."
"Wir Linken..." (Unterbrechung des Moderators, kündigt einen Einspieler an)

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Sit venia verbo

Donnerstag, 17. Mai 2012

"Um die Irrungen zu korrigieren, muss man die Vorstellung von Fortschritt als eine permanente und endlose Anhäufung von materiellen Gütern hinter sich lassen. Das stellt die Essenz der Modernität in Frage. Es geht nicht darum, den Neoliberalismus zu überwinden, sondern eine Lebensorganisation zu planen und umzusetzen. Es muss dabei um das gute Leben gehen, sumak kausay auf Quechua oder suma qamaña auf Aymara, das ist der Ausgangspunkt. Dieses Konzept findet sich nicht nur in der indigenen Welt, es ist auch in universellen philosophischen Denkansätzen verankert, bei Aristoteles, bei Marx, in ökologischen, feministischen, gewerkschaftlichen und humanitären Ansätzen. Das gute Leben muss man demnach verstehen als eine Suche nach einem harmonischen Miteinander der Menschen untereinander und im Verhältnis zur Natur. Natürlich darf man dabei existierende soziale Konfrontationen und die Frage der Macht nicht ganz außer Acht lassen. Jedoch geht es darum, das Prinzip des öffentlichen Guts zu verteidigen. Das Öffentliche ist mehr als die Summe privater Interessen. Man muss das Gemeinsame betonen, ohne das Individuelle zu vergessen. Es geht um Plurinationalität, Interkulturalität und Diversität, um soziale, wirtschaftliche, geschlechtliche, regionale Gerechtigkeit, um Freiheit, Gleichheit, Solidarität und Gegenseitigkeit, um es mal im Telegrammstil aufzuzählen. Das gute Leben darf man nicht mit dem Streben nach einem besseren Leben verwechseln, dem eine Ethik des unbegrenzten Fortschritts zugrunde liegt und das uns zu ständigem Wettbewerb antreibt, um immer mehr zu produzieren. Denken wir daran: Damit einige wenige besser leben können, müssen Millionen und Abermillionen schlecht leben."
- Alberto Acosta in "Das Ende der Einsamkeit" -

Der Islamophobie ein wenig Weltläufigkeit

Mittwoch, 16. Mai 2012

Islamist war irreführend. Trotzdem wurde der Begriff über Jahre unkritisch verwendet. Das hat gefruchtet. Der Islam war just eine Ideologie, keine Religion mehr - und er wurde mit Gewalt verbunden, entgegen der Wirklichkeit, in der Abermillionen von Moslems friedlich leben und beten. Der Begriff verschwindet allerdings in letzter Zeit immer mehr. Der Salafist ist nun Modewort. Jeder konservative Moslem ist nun nicht mehr gleich Islamist, er ist Salafist - das ist in etwa so, wie wenn ein Verteidiger des katholischen Zölibats als Mitglied des Opus Dei tituliert würde oder man ihm unterstellte, er würde sich hart am Glauben kasteien. Salafist ist demnach so falsch wie Islamist - und doch war der wörtliche Gebrauch des Islamisten ehrlicher.

Ein besonders gescheites Wort

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Wenn uns schlecht wird, geht es uns gut

Dienstag, 15. Mai 2012

Das ist Wettbewerb im Gesundheitswesen! Vorbildliches Indien! Dort verstehen es die Patienten, sich wettbewerbsorientiert zu verhalten. Dort stellt man sich Fragen, die dem Wettbewerb förderlich sind; dort macht sich der Patient nicht zum Hilfebedürftigen, sondern zum Wettbewerber. Spielregeln verstanden! Fragen wie: Soll ich am klinischen Versuch für Magenpräparate teilnehmen oder doch bei einem für ein Krebsmedikament? Wahl haben: Das ist Wettbewerb! Dort vielleicht Übelkeit und eine kleine Untersuchung zur Belohnung - hier vielleicht Fieberschübe und komatöses Siechen, dafür aber ein ausgiebiger Check und ein bisschen Medikamente für den Wellblechhaushalt. Frag' nicht, was dein Gesundheitssystem für dich tun kann, frag' was du für dein Gesundheitssystem machen kannst - und für das anderer, reicherer Länder gleich mit!

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De omnibus dubitandum

Montag, 14. Mai 2012

Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wählten...
  • ... 40,4 Prozent aller Wahlberechtigten niemanden.
  • ... 23,0 Prozent aller Wahlberechtigten die SPD.
  • ... 15,5 Prozent aller Wahlberechtigten die CDU.
  • ... 6,7 Prozent aller Wahlberechtigten die Grünen.
  • ... 5,1 Prozent aller Wahlberechtigten die FDP.
  • ... 4,6 Prozent aller Wahlberechtigten die Piraten.
  • ... 1,5 Prozent aller Wahlberechtigten die Linke.
  • ... 0,8 Prozent aller Wahlberechtigten ungültig.
Die rot-grüne Koalition hat sich eine absolute Mehrheit gesichert. Sie kann mit dem Rückhalt von 29,7 Prozent aller Wahlberechtigten regieren. Nicht mal ein Drittel. Selbst eine fiktive Große Koalition käme nur auf 38,5 Prozent aller Wahlberechtigten. 25,2 Prozent aller Wahlberechtigten machen die Opposition aus. Der größte Posten mit 40,4 Prozent, findet keine Berücksichtigung.

Wir versprechen, nicht zu lange zu löffeln

Die Alten hätten den Jungen zu versprechen, sie "nicht in die Armut zu stoßen". Sagt einer, der selbst auf die Rente des umlagenfinanzierten Systems nicht angewiesen ist - sagt einer, der für weltfremde Einwürfe und zynische Zwischenrufe bekannt ist. Roman Herzog nämlich. Ex-Bundespräsident und -Verfassungsrichter. Klingt edel, klingt galant, wie er da als alte Stimme der Alten den Gönner, die weise Maßhaltung gegenüber den Jungen spielt. Er hat leicht Reden...

Es ist ja schon grober Unsinn, wenn man so tut, als könne eine gesamte Generation ein Versprechen abdrücken - Herzogs Versprechensvorschlag kann doch nicht im Namen einer kleinen Rentnerin erfolgen, die überhaupt nichts zu verschenken hat. Wie will sie versprechen, die Jugend nicht in Armut zu stürzen, wenn sie selbst arm ist? Überhaupt: "Nicht in die Armut stoßen"! Klingt nach Generationenzoff, den Herzog mal wieder anfacht - hat er vor Jahren schon, als er alten Menschen das Wahlrecht entzogen sehen wollte. Jetzt soll das Alter die Jugend nicht plündern. Wir geloben feierlich, die Jungen nicht in Armut zu stoßen! Hört sich an wie: Wir versprechen, wir hungern auch leise, ohne euch zu behelligen! Oder: Wir versprechen, wir liegen euch nicht auf der Tasche! Herzog nährt das Bild des ausrangierten Großvaters, der in der Ecke des Kammer sitzt, am Kachelofen vielleicht, so wie damals, in agrarischen Tagen, als der Alte nur noch weglöffelte, was in arbeitsamere Mägen hätte gehört. Man beäugte diesen nichtsnutzigen Körper, diesen unnützen Esser scharf,  hoffte auf baldiges Eingreifen der Natur - auf dass er bald nicht mehr im Eck sitzt und in seinem Napf herumlöffelt. Den Löffel abgeben: Daher mag dieser saloppe Ausdruck unter anderem auch kommen.

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Können Sie von Ihrem Weingut leben?

Freitag, 11. Mai 2012

oder: ein offener Brief an Günther Jauch.

Am letzten Sonntag nahmen Sie Johannes Ponader, den politischen Geschäftsführer der Piratenpartei, arg in die Mangel. Geschehen und gesehen in der Sendung, die so heißt, wie Sie heißen. Aufdringlich stellten Sie ihm die Frage, ob er von Hartz IV lebe - Ponader ist Theaterschaffender und lebt von Aufträgen, die ihm der Kulturbetrieb zuschustert. Wenn die nicht ausreichen, stockt er sein Salär mittels Arbeitslosengeld II auf. Seine Tätigkeit bei den Piraten ist (noch) ehrenamtlich. Ponader wich auch gar nicht aus, antwortete beharrlich, er würde von seiner Kunst leben und auch von Sozialleistungen. Das reichte Ihnen nicht, Sie bohrten penetrant nach: Leben Sie von Hartz IV? Er erklärte geduldig nochmals - dazu ist übrigens zu sagen, dass die Mehrzahl der Künstler in Deutschland zusätzlich von Sozialleistungen lebt. Nachfragen bei der Künstlersozialkasse ersparen manche Recherchearbeit. Ihnen reichte das freilich abermals nicht: Leben Sie von Hartz IV? Ponader wiederholte und Sie meinten, mit Ihrer typisch spitzbübisch-zynischen Art: Sozialleistungen sind doch Hartz IV, oder nicht? Arbeitslosengeld II würde das korrekt heißen, verbesserte Sie Ponader. Dass Sie, Herr Jauch, den Begriff Hartz IV, diesen Kampfbegriff von BILD und aus dem RTL-Nachmittagsprogramm nutzen, wirft ein Licht auf Ihre journalistische Genauigkeit - andererseits unterstreicht das nur, welcher Sender Sie jahrelang protegiert hat.

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De auditu

Donnerstag, 10. Mai 2012

Früher war es das Trio, vielleicht auch mal das Dreigestirn. Ganz trocken nannte man es auch Dreiergruppe; musikalischere Gemüter sprachen auch vom Terzett. Heute ist es die Troika - von ihr liest und hört man derzeit nicht wenig. Der deutschen Sozialdemokratie steht eine Troika vor - in Griechenland macht eine Troika die Menschen zu Tagelöhnern oder Hungerleidern - und die Parteivorsitzenden der Koalition aus CDU, CSU und FDP wurde auch schon als Troika bezeichnet. Der Begriff scheint in Mode, vorher war er rar genutzt.

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Nur das Vakuum ist vergleichbar

Mittwoch, 9. Mai 2012

Vor einigen Wochen verglich ein namhafter Pirat seine Partei mit der NSDAP. Wie diese zwischen 1928 und 1933 würden die Piraten ähnlich schnell aufsteigen. Der Vergleich ist dumm und liegt irgendwo zwischen Größenwahn und Realitätsblindheit. Dieser Vergleich mit der NSDAP, was den politischen Erfolg betrifft, ist grobe Albernheit - ein anderer bietet sich jedoch an. Gerade auch auf Basis dieses irrwitzigen Vergleichs.

Antisemiten, Nationalisten, Verbitterte, Kriegsversehrte, Soziale, Reformer, Esoteriker...

Die NSDAP war in den Jahren, bevor sie zur staatlichen Institution erhoben wurde, ein Sammelbecken für allerlei politisch Heimatlose, für Desillusionierte und Verbitterte, für vermeintliche Visionäre und politisch oder deutsch Engagierte. Natürlich gab es da die antisemitischen Mitglieder und Sympathisanten - welche, die wirklichen Hass auf Juden auslebten genauso, wie solche, die mit Juden etwas zimperlicher umsprangen. Der Holocaust war in den Zwanzigerjahren nicht absehbar, auch wenn manche Geschichtsschreibung heute so tut, als habe man es erahnen können, weil Hitler in einschlägigen Passagen in "Mein Kampf" angeblich ungeniert darüber räsonierte. Ohne ihn in Schutz nehmen zu wollen: Die Metaphorik des politischen Diskurses jener Tage war archaisch genug, um von der Ausmerzung sprechen zu können, ohne dass man gleich an einen wirklichen Vernichtungswillen denken musste.

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Ökonomisierte Generation

Dienstag, 8. Mai 2012

Mißfelder sieht sich bestätigt. Nachdem Gesundheitsminister Bahr seinem Namen rhetorisch alle Ehre machte, Menschen mit Knie- und Hüftleiden auf die Bahre legen will, statt ihnen mittels operativen Eingriffs Mobilität zurückzugeben, läuft nun der JU-Direktor in der Rolle des einst vertriebenen Propheten auf. Er habe es doch gesagt. Schon vor zehn Jahren. Auf Kosten der Solidargemeinschaft, meinte er damals, sollte man künftighin keine künstlichen Hüftgelenke bei alten Menschen mehr einpassen. Das sei nicht unmenschlich, sondern nicht weniger als schlichte ökonomische Vernunft und Notwendigkeit.

Beide, Bahr wie Mißfelder, entstammen meiner Generation. Beide sind Kinder der mittleren oder späten Siebzigerjahre. Fürwahr ist diese Generation nicht durchweg misanthrop aufgestellt. Jetzt gerät sie aber immer mehr in Verantwortung, die Mittdreißiger bekommen Posten und Pöstchen und es zeigt sich, dass bahrsche oder mißfeldersche Charakterzüge gar nicht so selten sind. Erschreckend ist dabei weniger die Unmenschlichkeit - für schlimmer halte ich es, dass diese Unmenschlichkeit mit einer Art von Vernunft vorgetragen wird, dass man ihr schon fast zustimmt, wenn man nicht aufpasst und nochmals durchdenkt.

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