Ansichtssache Haustier

Freitag, 30. Januar 2009

Ich lebe am Rande eines Stadtviertels, in dem das sogenannte „Gschwerl“ wohnt. Gschwerl ist das bayerische Wort für Gesocks, jene Ansammlung gesellschaftlicher Elemente also, die von den Bewohnern anderer, schönerer, reicherer Stadtviertel als der letzte Dreck angesehen werden. Man sieht es diesem Stadtteil, das den Namen von zwölf Päpsten trägt, auch an, wenngleich es im Vergleich zu anderen Geschmeiß-Vierteln in anderen Städten der westlichen Welt, immer noch erträglich wirkt. Breite Hauptstraßen schlängeln sich durch die Wohnblöcke, Lärmschutzwälle gibt es aber keine, die hat man andernorts, an einer etwas leiseren Hauptstrasse, hochgezogen, an der einige Herrschaften des Geldbürgertums ihr schweres Leistungsträgerleben fristen müssen. Die Wohnanlagen sind dürftig anzusehen, Spielplätze Mangelware, Jugendeinrichtungen ein Fremdwort, Grünanlagen rar. Manche Treppenhäuser die man betritt, frustrieren einen zutiefst, sind dunkelgrau, lieblos, steril, und obwohl teilweise 80 Mietparteien in einen Eingang leben, trifft man niemanden an – weder im Aufzug noch auf der Treppe. Die Gehwege sind verschmutzt, Glasscherben zieren den Asphalt – städtische Reinigungskräfte, die aus dem Stadtteil selbst entstammen, von dort rekrutiert wurden per Behördenbescheid, die folglich allesamt gesegnet mit einem Extra-Euro pro Stunde sind, reinigen aber die Gehwege der Flaniermeilen und der feineren Gegenden. Vor ihrer Haustüre dürfen sie ihrer Zwangsarbeit nicht nachgehen; dort tritt sich der Müll fest, wird zum Bestandteil des Gehweges.
Es muß hier nicht weiter erläutert werden, dass viele Bewohner des ominösen Stadtteils ausländischer Herkunft sind. Viele Türken, sehr viele Menschen russischer Herkunft. Ihre Kinder gehen in Baracken-Kindergärten, lieblos gestaltet, kleine Außenanlagen, damit die Kinder es ja nicht zu wild treiben in ihrem ungezügeltem Auslauf. Einige der dort angesiedelten Hauptschulen – höhere Schulen gibt es in diesem Stadtteil nicht – haben den schlechtesten Ruf, gelten als Synonym dafür, einen sozialen Aufstieg ganz sicher niemals zu schaffen.

Für die feinen Kreise der Stadt, ist das besagte Viertel der Sammelpunkt für dunkle Gestalten, ungebildete Schmarotzer, Asoziale – wer daher kommt wird offen als „Gangster“ tituliert; dem steht auf die Stirn geschrieben, ein Leben in dreckigen Verhältnissen ertragen zu müssen. Jene gutbetuchte Gesellschaft glaubt freilich nicht, dass diese Verhältnisse ertragen werden müssen, sie ist überzeugt davon, dass man innerhalb dieser Verhältnisse gerne lebt, denn sonst hätte man als Betroffener doch schon lange etwas unternommen, um aus diesem Milieu herauszukommen, man hätte sich herausgearbeitet, oder nicht?

Schmarotzer! Asoziale! Gesocks! Immer wenn ich diese oder ähnliche Worte vernehme, dann frage ich mich, ob es nicht einer Ansichtssache geschuldet ist, wem man mit diesem Vokabular bezeichnet. Denn müßte ich mich entscheiden, wem ich die Ehre dieser Beleidigung zuteil werden lassen soll, so würde ich den Kreisen der Hochnäsigen nicht beipflichten. So ein Gesocks, Menschen die sich wirklich asozial, d.h. wider der Gesellschaft, wider dem Mitmenschen benehmen, sitzt in dieser Stadt – wie in jeder Stadt – in erbringlichen Positionen. Es lebt eben gerade nicht in diesem tristen Stadtteil, von dem die Rede war, sondern dort, wo man in feinen Einfamilienhäusern mit Doppelgarage auf das faule Pack schimpft. Denn es ist nicht asozial, wenn man von seinen dürftigen monatlichen Bezügen nicht leben kann; aber wer ausreichend, gar zuviel hat, wer sein Zuvieles auch noch zur Schau stellt und beispielsweise in einem Kratzer im Autolack eine existenzielle Sinnkrise erahnt, wer also mit diversen Luxusproblemchen zu ringen hat, der kommt der Definition von „asozial“ schon beträchtlich nahe. Die sogenannten und selbsterklärten Leistungsträger schmarotzen nämlich nicht wenig – am niedrigen Lebensstandard vieler Menschen, schmarotzen sie sich ein hochnäsiges Leben zusammen.

Was in meiner Heimatstadt verbindliches Vorwissen ist, also dass es sich bei den Bewohnern des besagten Stadtviertels um allerlei Pöbel handelt, nichtsnutzige Ballastexistenzen, faule Obdachlose, die ja nur nicht obdachlos sind, weil der großzügige Staat, finanziert durch deren Steuergelder, ihnen ein Dach über den Kopf gewährt; was also in meiner Heimatstadt, was wahrscheinlich in vielen Städten gilt, als apriorisches Wissen vorausgesetzt wird, ist als eine Ansichtsvariation zu entlarven. Denn Ansichten sind niemals für jeden verbindlich, sie sind eben immer nur Ansicht auf eine Seite; objektive Ansichten leben aber davon, dass man die Position wechselt, auch einmal andere Sichtweisen prüft, Dinge von einer anderen Warte aus besieht. Aber genau das geschieht in diesem regionalen Fall nicht. Es bleibt eine begrenzte Ansicht, weil sie nicht fähig ist – gar nicht sein will -, auch hinüberzugehen um zu verstehen; es ist eine Ansicht, die der tierischen Betrachtungsweise gerecht würde, sofern Tiere überhaupt betrachten: Für ein Schwein ist womöglich der Mensch ein zutiefst dreckiges und verabscheuungswürdiges Wesen; eine Katze begreift womöglich nicht, warum der Mensch sich nach seiner Darmentleerung nicht das Hinterteil sauberleckt; womöglich hält uns ein Rabe oder eine Meise für einen höchst seltsamen Vogel – keinem dieser Wesen ist es möglich, sich ins Menschliche hineinzuversetzen. Sie fühlen ihre „Wesenheit“ anders als wir Menschen uns bewußt wahrnehmen und kategorisieren können; sie unterscheiden nicht zwischen Tieren und Menschen, sehen in uns Wesen, wahrscheinlich höchst seltsame und gewöhnungsbedürftige Wesen, welche in die Gesamtheit des Seienden fallen, und nicht als Krone oder Geißel der Schöpfung. Das Entrücken aus ihrer Wahrnehmungsweise, die Schau von Außen, ist ihnen nicht ermöglicht – mir scheint, denen, die über das besagte Stadtviertel und deren Bewohner lästern, ist dies ebenso unmöglich gemacht.

So besehen muß man sich fragen: Was trennt das Schwein vom Bewohner der feinen Stadtviertel, in denen Ressentiments blühen und ein Versetzen in die Lebenssituation anderer als Frevel am eigenen Stand gilt? Freilich, sie könnten der Begrenztheit entkommen, weil sie die Bewußtseinsebene der Außenschau besäßen – aber was, wenn diese Außenschau peu a peu verkümmert gemacht wurde, weil man sie lehrte, bloß nicht zu sehr begreifen zu wollen? Was wenn man den feinen Gecken zum Haustier von Machtinteressen domestiziert hat, der sämtliche menschliche Triebe ausgemerzt bekommen hat? Triebe wie Neugier, Zweifel, Verständnis, Begreifenwollen?
Wäre ich eindimensional wie jene, die eindimensionale Ansichten pflegen, würde ich nur eine Sicht der Dinge kennen wollen - (so wie ich unbedacht einige Zeilen weiter oben schrieb) -, dann müßte ich mich fragen, warum Asoziale andere als Asoziale beschimpfen. Aber gerade das will ich nicht sein, weil es mir so zuwider ist, Menschen nur von einer Warte aus betrachten zu wollen. Vielmehr hege ich Mitleid mit jenen, die ihr Schweine- und Hundedasein, d.h. ihren Haustierstatus unter der Führung des „Herrchens Machtinteresse“, ertragen müssen. Es tut Mensch in der Seele weh, wenn er sieht, wie Seinesgleichen ressentimentgeschwängertes Männchen macht auf Befehl, wie er bissige Verurteilungen hinausbellt, wie er sich im Schlamm von Klassendünkel und Sozialdarwinismus suhlt.

Der eindimensionale Mensch, das Haustier des Machtinteresses, der grunzende und bellende Gefährte der Herrschenden, ist begrenzt wie sein tierischer Nächster. Er kennt nur das ihm Anerzogene, die stillen Konditionierungen, den triebhaften Stöckchenlauf, den treuen Blick hinauf zu seinem Herrn. Und in dieser Weise beschimpft er die Bewohner des besagten Stadtteils als Gesocks, weil es sein Herrchen so von ihm verlangt, weil er es ihm beigebracht hat, in Armut lebende Menschen, zumal sie arbeitslos und nicht deutschstämmig sind, mit vom Maul tropfendem Speichel anzukläffen. Der feine Geck ist somit ein ärmlicher Sofaköter, ein tierischer Mensch, der jeden Verstand für die conditio humana eingebüßt hat, der ins Unmenschliche abgedriftet ist, durch Stock und Leine gezüchtigt wurde. Er hat das Begreifenwollen, die menschliche Neugier, Verständnis für die Anderen aufgegeben, damit er zur Rechten seines Herrchens sitzen kann, damit er den Kopf gegrault bekommt von ihm.

Das alles muß man wissen, wenn man nicht mit Hass gegen die Sprüche der bessergestellten Kreise auflaufen will – dann kann man Mitleid mit dieser großen Portion anerzogener Dummheit haben und muß seinen tierisch-menschlichen Nächsten nicht als widerborstigen Unmenschen betrachten. Gleichwohl macht es einen hilfloser, wenn man auf den bellenden Nächsten nicht mehr schimpft, sondern nurmehr resigniert nach seinem Flohhalsband Ausschau hält, um ihn als Opfer des Zeitgeistes zu entlarven, um ihm damit das Prädikat eines denkenden Menschens abzuerkennen. Mit Wut auf die domini canes läßt es sich eben doch leichter leben...

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Bestraft die Verantwortlichen!

Mittwoch, 28. Januar 2009

Dass sich Sozialverbände nun bestätigt sehen, keinem sozialromantischen Gutmenschentum hinterhergelaufen zu sein, sondern eine nun auch juristisch angemahnte Sozialstaatsvernunft verfolgt zu haben, ist für all jene, die ohne Schaum vorm Mund, objektiv und im Geiste der Nächstenliebe sich dieser Problematik angenommen haben, sicherlich keine Überraschung. Das Einfordern höherer ALG II-Regelsätze generell, speziell bei Kindern, war nun also, das Bundessozialgericht bestätigt es jedenfalls im Falle der Kinder, keine altruistische Augenwischerei, sondern im Sinne des grundgesetzlich verbürgten Sozialstaatsanspruches, vollauf gerechtfertigt. Dass man aber nun zeitgleich in allerlei Gazetten verbreitet, es würde neben den Sozialverbänden, die durch das Urteil bestätigt und beflügelt sind, auch die parlamentarische Opposition dazu animiert, Druck auf die Bundesregierung auszuüben, ist gelinde formuliert eine Frechheit, eine gezielte Verdummung allemal. Immerhin waren es jene Grünen, die heute scharf gegen die Regierung schießen, die das ALG II, als man selbst noch Teil der Regierung war, mitgetragen haben, die es "wichtig und richtig" fanden, dass man eine Armenverwaltung à la Peter Hartz einführt. Damals gab man sich keine Blöße, eine Form von neuen Fundi- und Realowiderstreit auszufechten, sondern hat sich parteihörig auf sogenannte Realo-Positionen geeinigt - auch wenn man damit die letzten Wurzeln grüner Herkunft verraten mußte. Und wenn sich dieser Tage die FDP hervortut, die durch das SGB II vollzogene Kinderarmut zu kritisieren, höhere Regelsätze für die Kinder einzufordern, dann mutet es wie eines dieser Szenarien an, in denen ein Brandstifter Menschen aus dem brennenden Haus rettet, welches er zuvor selbst in Flammen aufgehen ließ. Gerade die FDP, gerade Gestalten wie Westerwelle und Niebel, waren ja jahrelang der Ansicht, dass Alimentierung Bedürftiger ein Schurkenstück am unbescholtenen Bürger sei - und ausgerechnet jetzt, da das BSG-Urteil trefflich Druck auf die Große Koalition ausübt, da entdecken die ach so Liberalen ihr soziales Gewissen, machen sich zum Streiter der kleinen Leute.

Die Kaste des homo politicus, die nicht im ursprünglichen Wortsinn all jene umfaßt, die politisch denken und handeln, sondern solche meint, die ganz unpolitisch in die Politik einzogen, um ein Mandat zu erschleichen, hat derzeit ein Gefängnis-Faible für sich entdeckt. Christian Klar hätte bis zu seinem Ableben schmoren sollen; der einstige Bruder im Geiste, Steuerhinterzieher Zumwinkel, so urteilte man mit Betroffenheitsmiene, hätte auch eingesperrt werden müssen - diese Ansichten kann man teilen oder nicht, aber konsequent erscheint der Gefängnis-Fetisch dieser Kreise jedenfalls nicht. Denn bislang haben sich noch keine Stimmen hervorgetan, die solche Charaktere bestraft und vielleicht sogar eingesperrt sehen wollen, die jahrelang die niedrigen Regelsätze nicht nur geduldet, sondern sogar bis aufs Blut verteidigt haben, die mit Aggression verkündeten, dass Kinderarmut zwar tragisch sei, aber letztendlich sollten die Eltern sich eine Lohnarbeit suchen, dann würde dieses Problem, welches genau besehen ja gar keines sei, aus der Welt geschafft. Eigenverantwortung nannte man das; ein Begriff, der von vielen kritisiert wurde, weil in einer derart vernetzten Welt, niemand für sich alleine verantwortlich ist, ohne auch für seinen Nächsten verantwortlich sein zu müssen. Wer solche Kritik anbrachte, der mußte sich mit großspurigen und großkotzigen Diskreditierungen herumplagen, der sei schlicht ein zurückgebliebener Sozialromantiker, ein Träumer eben.

Wo sind also nun die Gerechtigkeitsfanatiker aus den Parteien, die gerne nach Haftstrafen oder zumindest gerichtlichen Urteilen schreien, jedenfalls solange ihre eigene Zunft einigermaßen ungeschoren davonkommt? Gäbe es denn niemanden, den man für Hartz IV belangen könnte, weil er diesen unzureichenden Zustand verteidigte oder gar selbst aktiv umsetzte; diesen Zustand, der viele Kinder und natürlich deren Eltern - (denn die Debatte um Kinderarmut ist ja immer eine Debatte um die fehlenden finanziellen Mittel der dazugehörigen Eltern) - in die Bredouille brachte, sie leiden ließ, sie nicht teilhaben ließ am gesellschaftlichen Leben?

Oh doch, die gäbe es nicht nur - die gibt es! Wie wäre es mit dem Hartz IV-Befürworter und -verschärfer Steinmeier? Oder mit denen, die den Regelsatz erfanden, die sich einen fiktiven Warenkorb der (Be-)Dürftigkeit zusammenstellten, davon zwanzig Prozent Abschlag subtrahierten und den Bedürftigen somit die Misere erst ermöglichten? Mit den Verantwortlichen, die damals den parteilichen Kadergehorsam einforderten, als das ALG II im Bundestag verabschiedet wurde? Denkt jemand daran, Gerhard Schröder anzuklagen, weil er diesen grundgesetzlichen vagen Zustand erst ins Leben rief, um ihn danach auch noch in aller Verblendung zum neuen Chance für die Betroffenen zu verklären? Was ist mit den frechen Gecken, die mit ekelhafter Wildheit medial verkünden ließen, dass der Regelsatz vollkommen ausreichend, eher noch zu hoch angesiedelt sei? Oder mit Sarrazin, der nach alter Gutsherrenmanier moralisierte, dass ein voller Bauch das kleinste Problem eines Hartz IV-Empfängers ist? Und Müntefering? Hat er sich nicht auch Handschellen verdient, weil er die wohlkalkulierte Kinderarmut wie ein in die Jahre gekommener, aber immer noch aggressiver Kampfterrier verteidigt? Und all die linken "Linken" in der SPD-Bundestagsfraktion von einst, die vorher kundtaten, sie würden das neue SGB II niemals bejahen und dann doch brav die Hand hoben, weil der Jünger des New Labour, der im Kanzleramt hofierte, gelegentlich mit Rücktritt drohte? Und die "Oppositionellen" von damals, die Unionsleute, die so gar nicht oppositionell den Machenschaften der rot-grünen Regierung nacheiferten und das ALG II als deren besten Wurf abtaten? Mit solchen von der Presse als kantige Politiker mit Format titulierten Gestalten wie Merz, die 345 Euro für den Ausdruck eines generöses Lebens hielten, die Kinderarmut nicht als Problem der Kinder, wohl aber als Verbrechen der faulen Eltern diffamierten?

Noch ist ja nicht festgehalten, dass der Regelsatz für Kinder wirklich verfassungswidrig ist. So wie übrigens in der ganzen Debatte kaum festgehalten wird, dass auf den dürftigen Regelsatz auch noch das Kindergeld angerechnet wird - damit ist das Kind eines Bessergestellten oder eines sogar Gutbetuchten nochmals ein bisschen "bessergestellter". Sollten diese Mißstände aber gerichtlich angemahnt werden, sollte die Praxis, das Kindergeld anzurechnen und/oder der zu niedrige Regelsatz für Kinder wirklich von Richtern dieser Republik als unzulässiges Treiben einer irrgeleiteten Politik bezeichnet werden, dann müssen wir uns fragen, ob wir diejenigen, die vielen unserer Kinder dieses Meisterwerk sozialdarwinistischer Segregationspolitik überantwortet haben, die diesen Zustand mit allem Engagement verteidigten, die Kritiker mundtot machten, nicht auch einer Strafe zugeführt werden müssen. Allein schon im Sinne des öffentlichen Interesses wäre es ratsam, wenn unter uns zukünftig niemand unbestraft weiterleben und -wursteln dürfte, der auf fadenscheinigste Art und Weise Menschen wissentlich in Armut schickte - unsittliches und menschenverachtendes Benehmen, ein Benehmen, welches den Nächsten zum Spielball eigener Interessen oder zum Aussortierten im Namen von Interessen Dritter - Wirtschaftsinteressen an deren Marionettenfäden mancher Abgeordnete hängt - werden läßt, muß auch bestraft werden - im Namen des öffentlichen Interesses! In der Politik wird viel von Werten gesprochen, vorallem dann, wenn sie fehlen - hier könnte ein Zeichen gesetzt werden: Wir werten Werte wie Milde und Mitmenschlichkeit auf, indem wir jene bestrafen, die gehetzt und ignoriert, die diesen edlen Werte damit verspottet haben.

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Nomen non est omen

Heute: "Reform"
"Es gibt keine Alternative zu meiner Reformpolitik."
- Gerhard Schröder, in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin, am 5. Juli 2004 -


"Die besten Reformer, die die Welt je gesehen hat, sind die, die bei sich selbst anfangen."
- George Bernard Shaw -

Die Reform bezeichnet zunächst, die Neuordnung bzw. Umgestaltung sowie die planmäßige Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse innerhalb eines politischen Systems. Dabei hat die Bewertung des Begriffs eine entscheidende Wandlung vollzogen. Als der SPD-Bundeskanzler Willy Brandt (1969-1974) von Reformen sprach, wurden mit dem Schlagwort positive Aspekte und die Verbesserung der Lebensverhältnisse vieler Menschen in Verbindung gebracht: Demokratisierung, mehr Bürger-Partizipation, Ausbau des Sozialsystems sowie der Bildung und Wissenschaft.

Knapp 30 Jahre später spricht SPD-Bundeskanzler Schröder (1998-2005) von Reformen und die Menschen kriegen es mit der Angst zu tun: massiver Sozialabbau, Praxisgebühr, Hartz IV, Lockerung von Arbeitnehmerrechten sowie Riester-Rente. Das Schlagwort der Reform wurde in der Schröder-Ära zum Heiligtum rhetorischer Spitzfindigkeiten, um eine massive Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben, eine steigende Armut in Deutschland sowie eine zunehmende Privatisierung von staatlichen Aufgaben zu verschleiern und zu beschönigen. Akteure, welche diesen Prozess als undemokratisch und unsozial kritisierten, wurden als Reformblockierer diffamiert. Ökonomen, Unternehmer und Wissenschaftler, sprachen von Reformkurs halten und bezeichneten fortan jede soziale Umverteilung von oben nach unten als einen Reformstau. Dutzende Publizisten, Politiker und Ökonomen peitschten die Öffentlichkeit darauf ein, dass wenn man den Reformmotor und die Reformbereitschaft in Deutschland nur aufrecht erhalte, werde es den Menschen eines Tages besser gehen. Außer einem erlesenen, kleinen und gut vermögenden Kreis - dem es durch massive Steuersenkungen auch sichtlich besser geht – glaubt ein Großteil der deutschen Bevölkerung jedoch nicht mehr an das Heilsdogma von marktwirtschaftlichen Reformen. Aber vermutlich ist auch das - nur ein Vermittlungsproblem.

Im Jahre 2009 traut sich mittlerweile kaum noch ein politischer Akteur, vielleicht mit Ausnahme der FDP, das Schlagwort der „Reform“ zu verwenden, da es von den Agenda 2010-Jüngern derart negativ aufgeladen wurde, dass sich jeder der diesen Terminus benutzt nur unbeliebt machen würde, so der Buchautor Ralf Bollmann in „Reform - ein deutscher Mythos“.

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

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De dicto

Montag, 26. Januar 2009

"Jetzt rückt die Union nach links, stärkt so die FDP.
Das kann
die Liberalen aber nicht erfreuen. Denn für eine linke CDU gibt es nur einen Koalitionspartner: die noch linkere SPD."
- BILD-Zeitung, Hugo Müller-Vogg am 26. Januar 2009 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Erneut, oder immer noch, muß man sich große Sorgen um Müller-Vogg machen. Seine Wahrnehmung scheint unter den Besitzstandswahrungszwängen der Finanz- und Wirtschaftskrise mehr denn ja zu leiden. Er scheint sich in einer Welt eingerichtet zu haben, in der nur er - vielleicht noch der Chefredakteur der Tageszeitung, die seine Phantasien abdruckt - sich zurechtfindet, in der mittelmäßige, skandalbewährte Abgeordnete zu "profilierten Wirtschaftspolitikern" umgedeutet oder Vorschläge, wonach Gewinnbeteiligungen nicht ausgeschüttet werden sollten, während sich die Privatwirtschaft am Steuerzahler schadlos hält, als Tollhausstücke bezeichnet werden.

Für diese kleine, sich entrüstende, spießbürgerlich mit dem Finger auf Andersdenkende zeigende Welt ist Müller-Vogg bekannt. Er selbst hält sich für einen Konservativen, der passioniert und kanzlerzäpflerisch Schriftsätze formuliert, die den herrschenden Politik- und Wirtschaftskreisen zupasskommen. Dabei ist er nicht mal konservativ, also bewahrend (conservativus = erhaltend, bewahrend), sondern will verschiedene Bereiche des Gegebenen beseitigt sehen. So will er beispielsweise hinter die Ära von Tarifverträgen zurückkehren, in Zeiten zurückmarschieren, in denen Arbeitgeber vorgaben, welche Arbeitszeiten und welche Entgelthöhen sinnvoll erschienen. Müller-Vogg leidet demnach an einer akuten Reaktionitis, in deren reaktionären Endstadium Wahrnehmungsstörungen an den Tag treten, wie sich unschwer daran erkennen läßt, dass er der derzeitigen SPD linke bzw. sogar "linkere" Ambitionen nachsagt, obwohl ein links angehauchter Kurs der Frau Ypsilanti gerade von der eigenen Partei aufgehalten wurde. Und wie schlimm es um ihn bestellt ist, zeigt sich daran, dass er sogar der FDP linke Tendenzen nachsagt. Diese Trübung der Wahrnehmung artet teilweise in Paranoia aus: man munkelt, dass Müller-Vogg selbst Schulbuben, die miteinander ein Pausenbrot teilen, als blutrote Kommunisten, die keinen Respekt vor dem Privateigentum haben, tituliert.

Man weiß nicht so recht, um wen man mehr Angst haben muß: Um Müller-Vogg selbst, der offenkundig Probleme mit der politischen Wahrnehmung hat; um den Chefredakteur, der sich womöglich angesteckt hat und die Beschränkungen seines Kolumnisten nicht (mehr) erkennt; oder um die Öffentlichkeit, die sich beim Lesen solcher Krankenberichte selbst anstecken kann, womit das ganze Klima im diesem Land infiziert würde. Am Ende sind wir alle so krank, dass wir im September, wenn eine schwarz-gelbe Koalition bittere Wirklichkeit geworden ist, mit heiliger Inbrunst verkünden, nun in einem Land mit einer linken oder sozialistischen Regierung zu leben. Gute Besserung zu wünschen, wird da alleine nicht ausreichen...

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Zerstückelte Berichterstattung

Zwei Ereignisse finden derzeit in den Medien statt, die nicht verquickt dargestellt, sondern gemäß der üblichen medialen Zerstückelung, an die interessierten Konsumenten des Nachrichten- und Informationsmonopols weitergereicht werden. Auf der einen Seite steht ein Ereignis von Weltbedeutung, welches rund um die Erde erleichtert aufgenommen wurde; auf der anderen Seite wurde nur dezent und unscheinbar von einer kleinen Revolte berichtet, wie sie sich am Rande des Bollwerks Europa ereignete. Obamas Entschluss, Guantánamo zu schließen, konnte man gar nicht unbeachtet lassen - Radiosender, Fernsehanstalten, Printmedien, selbst alternative Informationsquellen kommentierten die "neue Linie" der USA. Was aber auf Lampedusa geschah, was dort schon seit Jahren gärt, das findet kaum Erwähnung - und das, obwohl Lampedusa am Rande der EU liegt, also ganz nahe ist, ein sogenanntes Einfallstor nach Europa darstellt, hinter welchem die italienischen Regierungen unliebsame Flüchtlinge - und jeder Flüchtling ist unliebsam - internieren läßt. Unter den Regierungen Berlusconis hat sich die Verachtung für die dort Gefangenen noch einmal verstärkt, konnte sich italienische Großmannssucht, im fleischlicher Form als untersetzter, kleinwüchsiger Medienmagnat daherkommend, in seiner ganzen prachtvollen Entfaltung üben.

Und so ist es kein Zufall, dass dieser Tage auf Lampedusa Proteste stattfanden, die Tore der Konzentrationslager aufgebrochen wurden, weil man dort oft Jahre im rechtlosen Niemandsland verweilt, weil man zusammengepfercht unter hygienisch fadenscheinigen Zuständen leben muß, ohne die geringste Aussicht, überhaupt einen Asylantrag stellen zu dürfen. Anwälte haben dort keinen Zugang, seit 2004 auch die "Ärzte ohne Grenzen" nicht mehr, weil sie sich über die dortigen Zustände kritisch geäußert haben. Es bleibt abzuwarten, wie die italienische Regierung darauf reagieren wird. Aber da die Regierung Berlusconi nicht für Milde und Humanität bekannt ist, und sich teilweise offen zur gewaltsamen Niederschlagung von Protesten bekennt, ist eine Eskalation gegenüber Internierten durchaus im Rahmen des Möglichen. Man muß nur an ein anderes dieser Bollwerke Europas blicken, nämlich in die afrikanischen Territorien Spaniens - Ceuta und Melilla -, um verdeutlicht zu bekommen, dass Waffengewalt kein Tabu darstellt.

Zwei Ereignisse also, die sich eigentlich so fremd nicht sind, die man noch um einen weiteren Verwandten ergänzen sollte: um die sogenannte pazifische Lösung. Dabei handelt es sich um die Abwehrmechanismen Australiens, Flüchtlinge aufzunehmen bzw. ihnen sogar Asyl zu gewähren. Wer es in eines der Lager schafft, was nicht unbedingt wahrscheinlich ist, weil die australische Kriegsmarine Flüchtlingsboote auf die offene See zurückschickt, der landet auf einer der zahlreichen Inseln, die dem australischen Festland vorgelagert sind. Dort verweilt man nicht nur ein Paar Tage oder Wochen, sondern ist unter Umständen für Jahre festgehalten, hinter Stacheldraht dingfest gemacht und bewacht von einem privaten Sicherheitsdienst, den sich der australische Staat engagiert hat, um nicht selbst des Verstoßes gegen die Menschenwürde schuldig zu werden. Ein Rechtsweg ist auch den dort internierten Flüchtlingen abgeschnitten, sie müssen hoffen, dass sich die Situation in ihrem Heimatländern verändert, um dann vielleicht zurückkehren zu können. Beim derzeitigen "australischen System" ist es aber nicht ausgeschlossen, dass ein Flüchtling sein ganzes Leben in diesen Konzentrationslagern verbringen muß - unschuldig eingesperrt, abgeschnitten vom Rest der Welt, behandelt wie ein Verbrecher. Dies ist möglich, wir kennen das von Guantánamo, weil auf den Inseln die australische Verfassung nicht gilt bzw. konkret per Gesetz außer Kraft gesetzt wurde. Im Jahr 2000 gab es auch dort einige Revolten, bei denen sich Gefangene selbst in Brand steckten oder sich mit Messern verletzten; von der erhöhten Selbstmordrate gar nicht erst zu sprechen.

Freilich, Lampedusa und die "pazifische Lösung" unterscheiden sich von Guantánamo. Während in den ersteren Fällen die Gefangenen "freiwillig" herandrängten, wurden bei letzterem Fall Menschen entführt - ohne rechtliche Mittel sind aber beide Parteien. Was das Revoltieren betrifft, scheint es auf Kuba keine Sorgen gegeben zu haben, oder man hat es vor der Presse verbergen können - vielleicht hat man die Presse auch zensiert. Die anderen Konzentrationslager konnten das Aufbegehren jedenfalls nicht kaschieren.

Doch obwohl die Berichte zu diesen unwürdigen Szenarien immer fein zerlegt, schön selektiert gereicht werden, gehören sie als eine Einheit zusammen. Sie sind nämlich hüben wie drüben Ausdruck westlicher Verachtung vor Menschen aus anderen Teilen der Erde; sie sind Ausdruck für westliche Gutsherrenart und Herrenmenschentum; sie sind beiderseits Ausdruck dafür, dass menschliche Würde im Westen soviel bedeutet wie "Vorrang des Bürgers der Industrienationen vor dem Rest der Welt"; sie sind Ausdruck dafür, dass Menschenwürde zur Erlangung oder Bewahrung westlichen Wohlstands keine Barriere ist, sondern gleichgültig mit Füßen getreten werden kann, wenn es notwendig ist; sie sind Ausdruck dafür, dass westliche "Institutionen" wie die Vereinte Nationen, die freie Presse, das was man "Öffentlichkeit" nennt, demokratische Parlamente usw. nur dazu gebraucht werden, westlich-industriellen Besitzstandsdenken, d.h. den status quo der globalen Reichtumsverteilung, zu seiner Geltung zu bringen.

So einfach kann es sich die gesamte westliche Welt, kann es sich Europa, kann es sich die Bundesrepublik nicht machen, nur gen USA zu deuten und die dortigen Vergewaltigungen der Menschenrechte als deren Tat hinzustellen. Ebensowenig, wenn es im "eigenen Haus" geschieht, wenn in Italien oder Spanien drastische Verstöße zu verzeichnen sind, oder wenn in Australien Zwangslager vollkommen legitim geduldet werden. Es liegt in der Hand der relativ freien Völker der Welt, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Nicht Bush ist Schuld, dass es Guantánamo gab, sondern all jene, die es durch Ignoranz zuließen, die darüber schwiegen, die die Zivilcourage in Wort und Tat als Relikt vergangener Tage verunglimpften, anstatt es zum Sujet öffentlicher Diskussionen zu machen.

Und in dieser Weise machen wir uns alle täglich schuldig, weil wir der Diktatur im Gewand der Volksherrschaft beinahe alles durchgehen lassen. Die Diktatur, die uns schon heute aus verschiedenen Rissen und Löchern des System heraus anlacht, ist keine Diktatur des starken Mannes mehr, keine erzwungene Tyrannei durch eine Führergestalt, sondern ganz im Sinne Aldous Huxleys, eine Diktatur mit Mandat, eine Diktatur der Massen, der stillen, gleichgültigen, ignoranten Massen, die per Urnengang absegnen, was an Verbrechen und Morden während einer Amtszeit oder Legislaturperiode als hohe Politik verkauft wurde. Dazu wirft man uns die Neuigkeiten dieser Welt separat vor, verknüpft nicht was zusammengehört, sondern züchtet eine "Und jetzt"-Mentalität heran, in der es dem Bürger stückchenweise verunmöglicht wird, zusammenzuzählen was zusammengehört, eins und eins zu addieren, sich ein Bild der Gesamtsituation zu machen; eine Gesamtsituation, in der die Nachrichtenbranche kein Abbild des Geschehenen nachzeichnet, sondern ein Abbild von Herrschaftsinteressen.

Guantánamo, Lampedusa, Melilla, Ceuta, Baxter und Woomera - alles keine Einzelereignisse irgendwo im Kosmos möglicher News-Berichte, sondern eine nicht zusammengefasste Einheit; viele Namen für ein gleiches Prinzip und damit nurmehr ein Mosaiksteinchen in einer Welt der Berichterstattung, in der Herrschaftsinteressen als tägliche Nachrichtensendung, als Talkshow-Thema, als Stoff für Bücher und Essays etc. getarnt, weitergereicht werden.

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In langer Tradition

Samstag, 24. Januar 2009

Das Zauberwort des Jahres 2008 war zweifelsohne Change. Es erklang zunächst in den Vereinigten Staaten von Amerika und wie so vieles davor, von der Blue Jeans bis zum Hip Hop, wurde es zu einem regelrechten Exportschlager. Nicht nur die Deutschen verfielen einer kindlichen Naivität und lauschten in Berlin dem neuen Messias. Seit gestern ist diese Projektionsfigur für eine bessere Welt nun offiziell Präsident des „mächtigsten“ Landes der Welt. In den letzten Wochen war viel zu seinem Kabinett geschrieben worden. Die dort künftig handelnden Personen entstammen zu großen Teilen der Clinton Ära und lassen nicht viel Hoffnung auf einen tatsächlichen, radikalen Wandel in der US-Politik. Hinzu kommt die fast schon an Geschichtsklitterung erinnernde Verklärung der Bush Junior Jahre zu einer Art Unfall in der ja ansonsten von Humanität und Multilaterismus geradezu überquellenden US-amerikanischen Vergangenheit. Da verwundert dann auch Obamas schwülstige Rede zum Amtsantritt keinen klar denkenden Menschen mehr. Voller Pathos besann er sich dort auf den Geist der Gründerväter:

„Die Zeit ist reif, um unseren beständigen Geist wieder zu beteuern, um den besseren Teil unserer Geschichte zu wählen.”

Der bessere Teil der Geschichte, der Urknall des großartigsten Volkes der Welt, der mit dem Genozid der einheimischen Bevölkerung begann. Jener bessere Teil der Geschichte, in der ein Debattierclub eine hervorragende Verfassung aus der Taufe hob, die weder für Schwarze noch für die indigenen Ureinwohner galt. Wenn Barack Obama seine Wahl zum Präsidenten als Beweis für einen überwundenen Rassismus und als Kronzeugen seinen Vater anführt, der vor 60 Jahren kaum ein Restaurant in den USA hätte besuchen können, so mutet diese selektive Wahrnehmung sonderbar an. Oder sind die Bilder der Rassenunruhen in Los Angeles für wahr schon aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden?

Barack Obamas Reminiszenz an sein politisches Vorbild Lincoln, jene sagenhafte Gestalt des amerikanischen Sezessionskrieges, deutet auf weitere Verdrängung von Tatsachen hin. Lincolns Motiv für die Einigung der Nation war vorrangig nicht die Rassenfrage. Freiheit und Gleichheit dienten lediglich als Parole. Vielmehr war die wirtschaftliche Stärke vor allem der Baumwollproduzenten etwas, dass man im Norden nur ungern Preis zu geben bereit war. Noch vor dem Kriegsausbruch, beharrte Lincoln auf der „physischen Verschiedenheit zwischen der weißen und der schwarzen Rasse“, die, wie er glaubte, es „für immer ausschließen wird, dass die beiden Rassen auf dem Fuße sozialer und politischer Gleichheit miteinander leben.“ Auch später schien seine Grundhaltung zum Thema nicht wesentlich von dieser Position abzuweichen: “Mein höchstes Ziel in diesem Kampf ist die Rettung der Union, nicht der Schutz oder die Vernichtung der Sklaverei. Wenn ich die Einheit retten könnte, ohne einen einzigen Sklaven zu befreien, würde ich es tun.“ Während des gesamten Bürgerkrieges wurde die Sklaverei in den Nordstaaten, als deren Präsident Lincoln sie ja jederzeit hätte abschaffen können, weder aufgehoben noch angeprangert. Kurzum: Lincoln war ein Rassist. Und wie bei allen verhinderten Helden der Geschichte, wurde er ermordet, bevor er zum Beweis des Gegenteils antreten konnte. Ein Mann wie Obama, der nichts geringeres als einen Neuanfang ja einen historischen Einschnitt plant, sollte besser glaubhaftere Ikonen installieren.

Der Führungsanspruch Amerikas, den der frisch gebackene 44. Präsident von god’s own country bei seinem Antritt wie all seine Vorgänger mit der üblichen Selbstverständlichkeit in den Vordergrund rückte, wird von vielen Staaten und Völkern nicht erst seit George Walker Bush eher als Drohung denn als Aufbruch ins Glück empfunden. Als wäre nicht gerade die amerikanische Spielart der Globalisierung, die von Hybris gekennzeichnete alleinige Deutungshoheit von Demokratie und Wirtschaft, diese ausschließliche Globalisierung des Kapitals und der maximalen Rendite, die Ursache für die derzeitige Krise.

Wie überall in der westlichen Hemisphäre scheint auch in den USA die primäre Aufgabe darin zu bestehen, mit Rettungspaketen in Schwindel erregender Höhe den Fäulnisgeruch einer imgrunde gescheiterten Ideologie so schnell wie möglich zu überdecken, um die Maschine anschließend wieder auf Hochtouren in Betrieb zu nehmen. Nichts deutet darauf hin, dass Barack Hussein Obama etwas anderes plant. Nicht viel mehr lässt erahnen, dass der Großteil der Amerikaner überhaupt etwas anderes will.

Es ist daher davon auszugehen, dass das inhaltsleere Marketinggeschwätz vom Change nicht zu einem Happy End führen wird. Der Rest der Welt sollte aufhören zu träumen und sich auf ein Amerika gefasst machen, das noch viel fordernder und im Zweifel auch rücksichtsloser seine Probleme auf Kosten anderer wird lösen wollen.

Dies ist ein Gastbeitrag von Stephan Lüdde.

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Der Volksaufklärer ist zurück

Freitag, 23. Januar 2009

Seit einigen Monaten scheint ein Stern am Himmel der Verblödung aufgegangen - es muß heißen: wiederaufgegangen. Nach langer Abstinenz - Gründe sind unbekannt - schreibt und faselt sich Hans-Hermann Tiedje, seines Zeichens ehemaliger BILD-Chefredakteur, Vorstandsvorsitzender eines Kommunikationsunternehmens (WMP Eurocom) und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Marseille-Kliniken AG, wieder die Finger bzw. den Mund blutig, verblödet in einer Art und Weise, dass selbst der amtierende BILD-Häuptling Kai Diekmann wie ein Rousseau im Taschenformat, ein wirklicher Vertreter spießbürgerlicher Aufklärung, wirkt.

Jetzt ist er jedenfalls zurück, darf mal hier, mal dort etwas zum Besten geben. Als Elke Heidenreich das Etikett einer ungehörigen Arbeitnehmerin angeheftet bekam, war er es, der mittels RTL, von der Selbstüberschätzung dieser Frau sprach - einfach so, einfach einmal eine These in den Raum geworfen, weil es doch befriedigt, auf solche einzuschlagen, die eh schon auf den Boden gedrückt wurden. Und vor einigen Wochen meinte er etwas über Ludwig Erhard und Karl Marx schreiben zu müssen, um den BILD-Lesern zu verdeutlichen, dass das Wort "Marx" in eine Reihe mit den Worten "Teufel", "Satan" und "Beelzebub" einzugliedern sei. Dabei hat er noch nicht einmal Argumente vorgebracht, sondern wie "vom Marx besessen" - also vom Teufel - ein Paar reißerische, aber aussagelose Sätze in seine Tastatur gehämmert.

Das ist nämlich der Stil Tiedjes, was soviel heißt wie: er hat gar keinen Stil. Es sind keine stilistischen Werke, die seinem dürftigen Geist entschlüpfen, eher ein Aneinanderreihen von Plattitüden und Schlagworten, die - wenn man sie ausgegliedert aus der BILD liest - nicht den Eindruck erwecken, sie würden jemals Einzug in eine Tageszeitung finden. Nicht einmal in die BILD, so schlecht und minderwertig ist das, was er da von sich gibt - selbst ein Müller-Vogg vermag noch stilistischer zu... ach was, man sollte nicht übertreiben, sind doch beide Zwillinge im Spießbürgergeiste. In dieser plumpen Aufmachung jedenfalls, äußerte er sich nun auch zu Obamas Vorhaben, Guantánamo zu schließen bzw. zu verlagern. "Bravo!", ruft er dem neuen US-Präsidenten sogar zu, und man ist geneigt, Tiedjes rechtsstaatliches Gewissen als Pluspunkt an seinem Charakter auszumachen. Doch wenn man erstmal diese Handvoll Sätze überflogen hat, dann wird begreiflich, wie schwer Tiedje dieser erste Ausruf der Freude gefallen sein muß.

Er reiht auf, welch widerliche Brut sich hinter den Gittern des kubanisch-amerikanischen Konzentrationslagers befinden, allerlei Verbrecher, mit denen man nun nicht wüßte, wo man sie unterbringen sollte. Was danach folgt ist ein Zynismus, den man aus anderen Tagen, den man aus dem "Stürmer" kennt, ein Zynismus, von den man nicht glauben kann und will, dass er in einer deutschen Tageszeitung in dieser Form gedruckt wird. Tiedje schreibt nämlich, dass sicher auch Unschuldige inhaftiert sein könnten, nennt diese Armeseligen jedoch verächtlich "Unschuldslämmer", so wie man manchen Schulbuben ironisch als Unschuldslamm tituliert, weil er eine Schandtat abwiegelt, obwohl man genau weiß, dass er es war. Diese Unschuldslämmer, so führt er fort, seien nur zufällig im Urlaub dort gewesen, bei wissenschaftlichen Studien - und auf Informationstour im Al Qaida-Ausbildungslager. (Er schreibt "zufällig", hat wahrscheinlich vergessen, das U langzuziehen, denn wie es scheint meint er das ironische "rein zuuuuufällig".) Mit anderen Worten: Alle Insassen Guantánamos sind Unschuldslämmer, die ja alle nur zufällig gekidnappt wurden; oder direkter gesagt: Für Tiedje sind alle schuldig. Wer erst einmal in diesem Konzentrationslager war, der ist über jede Unschuld erhaben, so wie jeder Moslem erstmal einen suspekten Eindruck auf Tiedje - und die BILD-Redaktion generell - macht.

Wohin also mit diesen Bestien? Obama hat zu entscheiden, schreibt Tiedje, wir hätten ihn nicht zu belehren. Warum auch? Wir haben Guantánamo jahrelange geduldet, Berichterstattung dazu war Mangelware; wir haben uns mehr über das Wohl diverser Eisbären, über Dschungellager, über Casting-Bohlen aufgeregt, als darüber, dass in Guantánamo die menschliche Würde nicht nur getreten, sondern einfach verleugnet und verworfen wurde. Es gab für die Insassen keine Debatte über Würde, weil man ihnen schlicht keine zugestand. Und obwohl wir den US-Präsidenten schon damals nicht belehrt haben, obwohl die EU zugesehen hat, wie die USA Menschenrechte bespuckte, ist Mitsprache durchaus legitim - wo ein Mensch geschändet wird, muß man als Zuseher Nein sagen dürfen, egal ob es dann nach Belehrung klingt oder nicht. Am Ende, so meint Tiedje, wenn man die Gefangenen der UNO übergeben hätte, die dann versuchen soll, die Gefangenen auf ihre Heimatländer zu verteilen, würde man sehen, dass weder der Iran noch Nordkorea sie zurückhaben wollen. Dieser reißerische Schlußsatz war obligatorisch, denn mit dem Vorschlag, die UNO einzuschalten, hat Tiedje einen ganzen Absatz einem ernsthafteren Motiv gewidmet, so dass unbedingt noch ein würdiger Abschluß à la Tiedje das "Werk" vollenden mußte.

Der Volksaufklärer Tiedje betreibt das, was er am Besten kann, nämlich warme, aber reißerisch aufgeheizte Luft zu fabrizieren - er palavert und wettert, trimmt die Leser seiner Zeilen zu einem Denken auf der Linie seiner (Ex-)Zeitung, tut sein Möglichstes, um eine Agenda-Gesellschaft heranzuzüchten, in der alle zu denken haben, was in der Presse, konkreter: was in der BILD-Zeitung gedruckt wird. Tiedje rührt im üblichen Sud aus Asylantenhass, Ausländerfeindlichkeit und Islamophobie, stachelt damit ungebildete oder rechtslastige - wobei das eine Einheit darstellt - an, die Tiedje ihrerseits zu einem feinen Journalisten erheben, weil er doch aus ihrer Sicht so viel "Wahres" und "Ehrliches" schreibt. Er weckt und unterstützt Ressentiments, verhetzt das Volk, betet eine Agendamentalität vor, in der eigene Gedanken (die Tiedje ja auch nicht hat) nicht erwünscht sind.

Tiedje wird zu beobachten sein. Hier hat man sich einen Gesellen reaktiviert, der schonungs- und hemmungslos verhetzt, der gezielte Verblödungen an seine Leserschaft weiterreicht, um es als ein Stück Bildung zu verkaufen. Er ist der typische Bourgeois, Vertreter des Geldbürgertums, viel Meinung verbreitend, großes Selbstbewußtsein ausstrahlend, arrogant und abgehoben; jedoch bei genauem Besehen stellt sich heraus, dass er Meinungen nachplappert oder schlicht nicht hat, mit dem Selbstbewußtsein seinen Bildungs- und Wissensmangel ausgleicht, daher als Selbstschutz arrogant und abgehoben wirken muß. Man stelle sich nur vor, das Klischee eines BILD-Lesers - wohlgemerkt: das Klischee, nicht der konkrete Leser selbst - würde herausfinden, dass ein Schreiberling im Diensten Springers genauso dumm ist, wie er selbst...

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In nuce

Mittwoch, 21. Januar 2009

Über drei Jahre hat er das, was er für sein großes Expertentum hielt, an seine Leser weitergegeben; hat nebenbei all jene terrorisiert, die er für die Sündenböcke der Gesellschaft ansah, weil sie ja nutzlose Subjekte seien, die Alkohol trinken und Kohlenhydrate in sich hineinschaufeln. Seit Anfang Januar sind wir von diesem eitlen Selbstdarsteller erlöst - wenigstens ein bißchen. Nachdem der ausgebleichte Grüne zur Union wechselte, sich dort bei zwei Ortsverbänden anbiederte und kaum Gegenliebe erntete, beendet er nun auch sein Engagement für den Focus-Blog - "Einspruch!", der Blog Oswald Metzgers, schließt die Pforten. Eigentlich wäre das keiner Nachricht wert, denn der geistige Unrat, den er dort ins weltweite Netz stellte, sollte nicht mit Erwähnungen geadelt werden, auch wenn man ihm - Metzger oder dem Unrat, das bleibt sich gleich - natürlich attestieren muß, dass er mit seinen Aussagen, aktiv an der Erzeugung einer Pogromstimmung gegen Arbeitslose beigetragen, den "Ballastexistenzen" das Leben schwer gemacht hat. In dieser Form hat er zur Stärkung eines braunen agenda settings viel beitragen können. Aber diese Zeilen verstehen sich als Warnung, denn was uns erwartet, könnte die schlimmsten Alpträume wahr werden lassen. Metzger hat bei der Union nicht Tritt fassen können, sein Landtagsmandat hatte er schon vorher abgegeben, ein Bundestagsmandat wird wohl zunächst kein Thema sein, zudem schließt er seinen Blog mit der Erkenntnis, dass "Einsatz und Ertrag in keinem vernünftigen Verhältnis mehr" stünden - selbst in seiner Sprache ist Metzger damit ein witzloser Abklatsch seines neoliberalen Sektierertums -, was befürchten läßt, er bereitet etwas anderes vor. Er ist viel zu sehr Platzhirsch und Wichtigtuer, steht viel zu gerne im Mittelpunkt der Öffentlichkeit, auch wenn er genau betrachtet, nur eine Randnotiz derselbigen ist, als dass er sich zurückziehen würde in einen neoliberalen Elfenbeinturm der Erkenntnis, von dem aus er zum Guru einer neuen Heilslehre würde. Womöglich müssen wir bald eines jener wichtigen Bücher ertragen, welches dann irgendwie "Reformen jetzt!" oder "Vom Segen des freien Marktes" oder, ganz aufklärerisch, "Schmarotzer-Republik" heißt. Oder er wird eine Rolle im Fernsehen übernehmen, womöglich als schwäbelnder Neoliberalen-Guru, der eosterische Heilslehren verbreitet. Gab es den nicht schon mal?
Achtung also, denn womöglich ist der Metzger groß im Anmarsch. Hoffentlich täusche ich mich!

Schon vor einigen Wochen fiel die TAZ durch eine seltsame Befragungsmentalität auf. Es scheint kein Ausrutscher gewesen zu sein. Diese renommierte, links angehauchte Tageszeitung, macht Meinung mit Umfragen. Ganz versteckt freilich, unscheinbar in ihrer Form - aber dennoch, sie manipuliert hinterrücks. Sie fragt im aktuellen Falle danach, ob Obama uns enttäuschen wird. Die möglichen Antworten deuten einen Pluralismus an, den es bei genauer Betrachtung nicht oder nur dezent gibt. Entweder wird er als Heiland eingestuft, der die Welt mobilisieren wird - was immer diese schwammige Aussage bedeuten soll; oder man findet, er wird die Welt wenigstens ein bißchen besser machen. Der einzig wählbare Pessimismus äußert sich darin, anklicken zu dürfen, dass die Erwartungen einfach "völlig überzogen" sind. Kein Wort davon, dass Obama Interessen vertritt, für die er durch die erhaltenen Wahlkampfspenden versprochen hat einzustehen; kein Wort davon, dass Obama kein Afroamerikaner aus einem Ghetto, sondern jemand aus der Oberschicht ist, der zufällig schwarz ist und daher sicherlich wenig bis gar keine Ambitionen an den Tag legen wird, dass Missverhältnis zwischen Armen und Reichen zu regulieren; kein Wort davon, dass ein umverteilender, ein gerechter Obama, ein Obama für die Armen, überhaupt nicht ins Konzept der US-amerikanischen Politik paßt. Kurzum: Die drei Antwortmöglichkeiten suggerieren Vielfalt, sind aber einfältig, weil sie in jedem der möglichen Fälle davon ausgehen, dass Obama eine reine Weste behält - egal ob er enttäuscht oder nicht, er ist quasi schon vorab entlastet, weil nicht er versagen wird, sondern lediglich die Erwartungen zu hoch angesetzt waren. Obama ist über jeden Verdacht erhaben.

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Wer die Schuldigen nicht benennt, macht sich mitschuldig...

Andrea Ypsilanti ist schuld, das heißt, sie ist gerade dabei sich schuldig zu machen. Bisher konnte man ihr bei objektiver Betrachtung keine Schuld zuweisen, bestenfalls taktische Schwächen nachsagen - jetzt aber, im Moment der Schmach, mit der man sie bedeckt, da beginnt sie sich in Schuld zu verstricken. Sie beginnt damit, weil sie nicht beginnt - nämlich mit der Gegenwehr, mit dem Gegenangriff, weil sie nicht auf den Tisch haut, obwohl sie weniger denn je zu verlieren hätte. Stattdessen schweigt sie, verkriecht sich, nimmt - so scheint es - die zugeteilte Schuld auf sich und hofft auf das große Vergessen. Vielleicht ist es überheblich, einem Menschen, der so dem öffentlichen Druck ausgesetzt und auch erlegen ist, eine solche Kampfeshaltung abzufordern, aber schon Sun Tse wußte, dass ein Soldat, dem der Fluchtweg versperrt ist, mit größerem Elan ins Gefecht zieht, mit dem Mut der Verzweiflung, mit dem dumpfen Empfinden, sowieso alles verloren zu haben. Zwar ist ihre Passivität verständlich, aber nun, da man ihr den letzten Fluchtweg versperrt hat, da sogar ihr Sitz im Landtag Geschichte sein soll, wäre der Moment der Abrechnung gekommen - der Wahrheit willen, der Selbstachtung willen und um sich nicht des Schweigens schuldig zu machen.

Sie sollte mit gesundem Selbstvertrauen dazu stehen, dass nicht sie es war, die die SPD ruiniert hat, in eine existenzielle Krise geführt, dass nicht sie diejenige ist, die ein siegreiches Flaggschiff in den Schiffsfriedhof manövriert hat, sondern dass andere, schon Jahre bevor der Name Ypsilanti überhaupt in der gesamten Bundesrepublik bekannt war, es langsam aber sicher - meist sogar schnell und noch sicherer - auf eine Havarie zugesteuert haben. Und dabei ist kein vages Herumdeuteln gefragt, sondern handfeste Aussagen, die sie der Öffentlichkeit schonungslos mitteilen muß; Namen sollen genannt, Fehler aufgezeigt, der Verrat benannt werden.

Da müßte an erster Stelle Schröder genannt werden, der seine reformerischen Wahnvorstellungen am Volk gesundtherapieren durfte, der mit der Agenda 2010 eine Abkehr von der Sozialdemokratie vollzog, und schlimmer noch: eine Abkehr von einer Gesellschaftsform, die auch Schlechtergestellte teilhaben läßt und sie nicht ausschließt; sie müßte die rhetorische Frage in den Raum werfen, warum unter der Regierung Schröder Kommissionen Reformen erarbeiteten, warum Wirtschaftspersönlichkeiten Reformen vordiktierten, obwohl eine solche Arbeit die Aufgabe der Volksvertreter wäre; sie dürfte sich nicht scheuen darzulegen, dass Schröder der Totengräber der Sozialdemokratie war, der den Parteipatriarchen heraushängen ließ, der innerhalb der SPD eine Abnick-Mentalität heranzüchtete, indem er ständig mit Rücktritt drohte und Basta-Politik betrieb.

Und dann wären da natürlich all die Gesellen, die Schröder in seiner Amtszeit duldete, die sich unter seiner Ägide medial austoben durften. Da ist der Karrierist Schily, der in jedem Bundesbürger einen Terroristen erblickte, der biometrische Pässe forderte, damit sein Arbeitgeber sich eine goldene Nase verdient; Schily, der jeden Bürger aushorchen lassen wollte, der aber seine Nebenverdienste als sein persönlichstes Heiligtum verschlossen hält. Oder Steinbrück, der das SPD-Bundesland Nordrhein-Westfalen an Rüttgers verlor, sich aber dennoch als großen Messias am sozialdemokratischen Himmel feiern läßt; Steinbrück, der ernsthaft glaubt, dass sich Politik nur um sogenannte Leistungsträger kümmern muß, während die Nutzlosen sehen sollen wo sie bleiben. Dann war dann noch der vorbildliche Sozialdemokrat Clement, der gegen Arbeitslose wetterte, der in seinem Ministerium einen Jargon benutzen ließ, wie man ihn zuletzt unter Goebbels sprach; der knallharten Lobbyismus ausleben durfte, während er sich als unabhängiger Vertreter seiner Partei vorstellte. All jene müßte Ypsilanti nennen - mit Namen, mit dem Vergehen, mit konkreter Darlegung ihrer Bestatterarbeit.

Vergessen dürfte sie viele andere nicht: die vier Stauffenbergs, die im Namen ihrer Wähler dafür sorgten, dass deren Willen, nämlich eine sozialdemokratisch geführte Regierung in Hessen, unmöglich gemacht wurde; Müntefering und Beck, die ständig mit mahnenden Zeigefinger gen Hessen deuteten, um der hessischen SPD-Vorsitzenden von einst die LINKE auszutreiben, anstatt sie zu stärken, eine Regierung auf die Beine zu stellen; gerade dieser Müntefering, der sich vor einigen Jahren entrüstete, weil man seine Partei an Wahlversprechen aus dem Wahlkampf messe, was ja unfair sei. Überhaupt die halbe Hessen-SPD, die am Wahlabend auftrat und glaubte, sie könne ihr hundsmiserables Abschneiden einfach Andrea Ypsilanti in die Schuhe schieben.

Was an Aufzählung noch fehlt, was vielleicht des Guten zu viel wäre, das wären all die kleinen und größeren Wadenbeißer marktgläubiger Prägung, die ihr menschenverachtendes Weltbild in die Lande tragen. Die ganze Sarrazins, Dohnanyis, Steinmeiers, Strucks, Gabriels, Eichels. Man müßte sie wenigstens erwähnen, damit man auch deren Anteil am Niedergang erfassen kann. Auch sie haben ja munter dazu beigetragen, aus der SPD eine form- und inhaltslose Hülle zu machen, eine Partei, die noch weniger politisches Format herausgearbeitet hat, als ein Herrengesangsverein; inhaltslos zwar, aber ideologisch versaut, vollgestopft mit den Schlagwörtern und Parolen neoliberaler Sektierer, aber weiter von den Wurzeln ihres Daseins entfernt, denn je.

Jetzt wäre (noch) der Moment, sich all das und viel, viel mehr von der Seele zu reden, noch hören die Medien hin, wenn Ypsilanti etwas sagt. Freilich, man wird sie auslachen und verspotten, aber mancher wird sich vielleicht fragen, ob sie nicht Wahres spricht, diese Wortbrecherin aus Hessen, ob vielleicht gar nicht sie das Wort gebrochen hat, sondern die führenden Köpfe der Partei, weil sie seit Jahren Wortbrüche an der eigenen Klientel vollbringen. Jetzt sollte sie, ach was, jetzt muß sie es wagen - Spott muß sie sowieso schon ertragen, aber mit einem Gegenangriff, den ihr manche Tageszeitung sicherlich in aller Ausführlichkeit gewähren würde, könnte sie Respekt zurückgewinnen, könnte sie tief verkrustete Wunden aufbrechen, die auch aufgerissen werden müssen, sofern sich diese Partei erhalten will. Passiert das nicht, wird die LINKE früher oder später die neue Sozialdemokratie dieses Landes sein - daran führt kein Weg vorbei. Wenn sie jetzt schweigt, wenn sie nicht zurückbeißt und schonungslos anspricht, was die SPD zum Todeskandidaten hat werden lassen, dann macht sie sich, ob sie will oder nicht, mitschuldig - dann hat sie den Kompagneros das Feld auch noch kampflos überlassen.

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Nasskaltes Wetter in Hessen

Montag, 19. Januar 2009

Warum veranstaltet man den Urnengang - jenen bei dem man ein Wahlzettelchen in einen Kartonschlitz steckt, nicht solchen, bei dem man einen verbrannten Korpus beisetzt, wobei sich mittlerweile beide Vorgänge sehr ähneln -, warum also läßt man einen solchen demokratischen Urnengang nicht im Mai oder Juni stattfinden? In Monaten, die viele schöne Tage in sich vereinen, mehr Sonnenschein als Regen kennen, in denen Kälte kein Thema ist? Schließlich spricht man auch immer wieder davon, die Legislaturperioden auf fünf Jahre zu standardisieren, da könnte man doch auch gleich dafür sorgen, dass niemals mehr das schlechte Wetter das Wahlverhalten der Bürger beeinflusst.

Denn folgt man der öffentlichen Berichterstattung, so läßt sich genau damit die spärliche Teilnahme an den Hessenwahlen begründen. Schon gegen Mittag, als sich eine niedrige Wahlbeteiligung abzeichnete, berichteten die erste Medien davon, dass wohl das feucht-kalte Wetter davon abrate, schnell ins Wahllokal hinüberzugehen, um seine Stimme loszuwerden. Gleichgültig wo man auch nachlas, ob auf diversen Onlinepräsenzen großer deutscher Zeitungen oder einfach nur im Teletext: das schlechte Wetter wurde zum Initiator der allgemeinen Lustlosigkeit erhoben. Das ist beileibe kein Einzelfall, denn sobald bei irgendeiner Wahl die Beteiligung sinkt, dann brauchen die Medien nicht lange zu suchen, kämmen ein wenig in Petrus' Bart herum, und finden darin ein wenig Regen, eine Portion Schnee, etwas Kälte, denen man die Schuld zuschieben kann. Und sollte doch einmal der Wahlsonntag sonniges Wetter bieten, dann war es eben die liebe Sonne, die den Wähler nicht ins Wahllokal, sondern ins Lokal seiner Wahl pilgern ließ, dann ist nicht mehr das Unwetter, sind die wärmenden Strahlen schuldig.

Würde man dem glauben, so müßte man davon ausgehen, dass seit nunmehr drei Jahrzehnten, seitdem die Wahlbeteiligungen schrumpfen, die Wetterlage dieses Landes zunehmend ins Extreme schlägt. Wenn immer weniger Menschen wählen, muß es entweder kontinuierlich immer kälter oder wahlweise immer wärmer werden. Oder liegt es gar nicht am Wetter?

Doch, tut es wohl, nämlich am schlechten Wetter innerhalb der journalistischen Zunft, an der immer extremeren Kälte, die in Form von Inkompetenz und Parteilichkeit daherkommt. Das ewige Herumschwadronieren um die Wetter-Entschuldigung ist eines dieser mahnenden Beispiele: So sieht es aus, wenn die Berichterstattung, namentlich diejenigen, die sich für diese Form der Berichterstattung verantwortlich fühlen müssen, unkritisch und unreflektiert niederschreiben und ins Mikrofon palavern. Was dann herauskommt ist oberflächliches Wichtiggetue, in der man nicht nur aus blanker Dummheit das Wetter-Argument bringt, sondern auch, weil man parteilich engagiert ist, d.h. weil man nicht objektiv berichtet, sondern in die Partei der Einheitsfront eintritt, die von sich behauptet, keine maßgeblichen Fehler gemacht zu haben, weswegen die Wahlzurückhaltung viele Gründe haben kann, aber keine die mit der Art und Weise zu tun haben, wie man Politik in diesem Lande betreibt. Es seien wohl nur einige Extremisten, die davon sprechen, dass die heutige deutsche Politik herabregiere auf das Volk, thronend über den Interessen vieler Menschen - aber die Mehrheit sehe das nicht so, deshalb muß die fehlende Wahlbeteiligung andere Gründe haben.

Demnach sind es nicht die sozialen Schweinereien, nicht die Machtspielchen, nicht das dumpfe, aber doch gut spürbare Gefühl, innerhalb dieser Demokratie nicht mehr als ein Wahlvieh zu sein, das zum Fernbleiben animiert - nein, es ist das Wetter. Am Wahlabend berichtet man dann voll aufgesetzter Ernsthaftigkeit von "Wählers Wille", tut so, als sei das Wollen der Bürger ein Heiligtum, aber gleichzeitig legt man dar, dass eben dieser Wähler ein vollkommen unverantwortlicher Geselle ist, den ja ein Paar Regentropfen von seiner verdammten "Bürgerpflicht" abhalten, der nicht mal fähig ist, sich schnell eine Jacke umzuwerfen, um der Kälte zu trotzen. Dass sein Fernbleiben Resignation ist, vielleicht auch die bittere Einsicht, dass seine Stimme sowieso gleichgültig ist, weil es keinen Unterschied macht, wen man da wählt, davon wird nichts gesagt, weil es ein schlechtes Licht auf all jene wirft, die wirklich verantwortlich sind für die Misere - die Machtversessenen, die an ihren Stühlen haften; die Uneinigen, die sich öffentlich zerfleischen und kurz vor Regierungsantritt Gewissensbisse bekommen; die Medien natürlich auch, die vollkommen gezielt Kampagnen gegen bestimmte Politikerinnen in die Wege leiteten.

Das Wetter-Argument ist die Spitze des Eisberges, an der man aber erkennt, wie abgrundtief schlimm es um den deutschen Journalismus steht. Es scheint innerhalb dieser Zunft kaum noch Zeitgenossen zu geben, die Mut zum kritischen Denken haben, dafür bekommen wir gebetsmühlenartige, immer gleich lautende Floskeln zu lesen und zu hören - entweder war gestern für die einen das Wetter daran schuld, dass beinahe 40 Prozent aller wahlberechtigten Hessen nicht wählten, oder - für die anderen - Andrea Ypsilanti, die nicht nur der SPD, sondern der ganzen hessischen Politik Schaden zugefügt hat. Nur diese beiden Motive hatten Geltung und wurden von allen Berichterstattern mehr und minder unters Volk gebracht. Es war ein Sammelsurium an Inkompetenz, was uns da am Wahlabend, kurz nach 18:00 Uhr, dargebracht wurde. Analysen waren nichts anderes als Parolen gegen Ypsilanti, jetzt anders als im gesamten Jahr 2008, keine Kampfparolen mehr, sondern Parolen der Schadenfreude und des Zynismus - händereibend kreisten die Berichterstatter über den Absturz der SPD, fanatisch geiferten sie beim Anblick der ersten Hochrechnungen. Wahlbetrug lohne sich eben nicht! Und schon gar nicht, wenn es draußen nasskaltes Wetter hat.

In Hessen hat die SPD verloren, die CDU nichts gewonnen - wer aber auf Jahre nichts mehr gewinnen kann, wer gestern verloren hat, das war die Demokratie. Schon vor der Wahl, nämlich das ganze Jahr 2008 hindurch, indem man den demokratischen Prozess innerhalb des hessischen Landtages beeinflusste; und erst recht jetzt nach der Wahl, indem man anfängt, Geschichtsklitterung schon in die Gegenwart zu hieven, um die Abstrafung der Sünderin zum Präzedenzfall deutscher Politik zu stilisieren. Alles, nur nicht Wahrheit, ist nun Gebot der Stunde. Man belästigt die Öffentlichkeit mit Ypsilanti-Hetze, man schwingt sich auf, das Wetter zum Stein des fehlenden Anstosses, d.h. zum Grund mangelnden Interesses an der Wahl, zu machen, damit man sich nicht mit wirklichen Problemen befassen muß. Das wesentlichste Problem dieser Tage lautet: Warum interessieren sich Menschen nicht mehr dafür, ihr demokratisches Recht wahrzunehmen? Die Antwort darauf, würde Gestalten wie Koch die existenzielle Grundlage rauben - also wird darüber nicht gesprochen.

Wenn sich zwei Menschen begegnen, die sich eigentlich nichts mehr zu erzählen haben, dann spricht man... na, von was? Richtig: vom Wetter. Dann tauscht man die obligatorischen Floskeln aus - "Kalt ist es heute" und "Wird hoffentlich bald besser" und dergleichen mehr. Die Berichterstatter von den Wahlen dieser Republik haben uns nicht viel zu erzählen, weil sie einerseits kaum etwas wissen, was zum Erzählen taugt, und weil sie andererseits gar nichts erzählen sollen. Was bleibt ihnen also anderes übrig, als uns vom Wetter zu berichten?

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De omnibus dubitandum

Sonntag, 18. Januar 2009

Bei der Landtagswahl in Hessen, wählten...
  • ... 39,0 Prozent aller Wahlberechtigten gar nicht.
  • ... 22,0 Prozent aller Wahlberechtigten die CDU.
  • ... 14,0 Prozent aller Wahlberechtigten die SPD.
  • ... 9,6 Prozent aller Wahlberechtigten die FDP.
  • ... 8,1 Prozent aller Wahlberechtigten die Grünen.
  • ... 3,2 Prozent aller Wahlberechtigten die LINKE.
  • ... 4,1 Prozent aller Wahlberechtigten eine andere Partei.
Selbst eine unwahrscheinliche Große Koalition hätte damit lediglich einen Rückhalt von 36,0 Prozent aller Wahlberechtigten, 2008 wären es noch 47,3 Prozent gewesen. Die wahrscheinliche Koalition zwischen CDU und FDP hat einen Rückhalt von 31,6 Prozent aller Wahlberechtigen - sie wird damit eine Mehrheitsregierung bilden, hinter der nicht einmal ein Drittel aller wahlberechtigten Hessen steht. Nie war das Heer der hessischen Nichtwähler größer, der Negativrekord des Vorjahres wurde damit unterboten.

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De dicto

"Nicht von ungefähr steht am Beginn der Geschichte die Auseinandersetzung über einen tatsächlich einmaligen Wahlbetrug – der mit Auseinandersetzungen über die Anhebung der Mehrwertsteuer oder die Senkung der Rentenbeiträge nicht zu vergleichen ist. Und der von vornherein kühl kalkuliert war. Die Empörung darüber wäre nicht kleiner gewesen, wenn andere ihn begangen hätten. Auch sie hat schlicht und einfach nichts damit zu tun, welche inhaltlichen Ziele Andrea Ypsilanti verfolgte."
- FAZ, Volker Zastrow am 18. Januar 2009 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Alleine in einem kurzen Absatz schafft es der Verfasser jener Zeilen, alles hineinzupacken, was an der Ypsilanti-Hatz 2008 erstunken und erlogen war, gelingt es ihm zudem, den Regelfall der Politik - also das Umfallen nach der Wahl - zu einer Einzigartigkeit Ypsilantis zu proklamieren, die angeblich mit der Anhebung der Mehrwertsteuer, die ja mit der Bundes-SPD nicht zu machen gewesen wäre - (das Kompromissmodell 2005: 2 Prozent plus 0 Prozent ergibt im Durchschnitt 3 Prozent) -, überhaupt nicht vergleichbar sei. Warum wird nicht erläutert, denn moderner Journalismus, modernes Feuilleton zeichnet sich nicht durch Stichhaltigkeit, Tiefgründigkeit oder Darlegung einer Position aus, sondern durch bloßes Hinausposaunen von Behauptungen, die sich selbst genug Begründung sind, solange sie nur laut genug hinausgeplärrt wurde.

Was ins Auge fällt ist zudem die stichhaltslose Darstellung Zastrows, wobei es sich bei Ypsilantis einzigartiger Infamie um eine kalkulierte Tat handelte, gerade so, als hätte die "rote Andrea" das Wahlergebnis vorausgesehen. Sie hat, wie auch ihr geschäftsführender Konkurrent, nur auf des Wählers Entscheidung reagiert und den Auftrag ihrer Wähler, die sie nämlich als Ministerpräsidentin sehen wollten, ernstgenommen - das was man ihr als Machtgier vorwarf, war bei Alleskleber-Koch, der fest auf seinen Stuhl pappte, reines Verantwortungsgefühl. Und dass die Empörung auch groß gewesen wäre, wenn eine andere als Ypsilanti einen solchen "Wortbruch" begangen hätte, ist nicht nur fraglich, sondern sogar widerlegbar. Wo war denn die öffentliche Empörung, wo war BILD und Stern, wo war denn die FAZ, als die Grünen Hamburgs mit der dortigen CDU kooperierten, obwohl sie im Wahlkampf großkotzig verkündeten, niemals ins schwarze Boot einzusteigen? Und stellen wir uns mal vor, bei der aktuellen Hessenwahl würde eine Große Koalition die einzige mehrheitsfähige Regierungsoption sein: Wird es einen Aufschrei geben, weil die Hessen-SPD nun doch mit Koch paktiert, obwohl man diesen Gesellen Anfang 2008 unbedingt vom Stuhl kippen wollte und eine Zusammenarbeit mit ihm kategorisch ausschloss; ja, sogar eine machbare Große Koalition im Jahre 2008 verwarf, weil eben dieser verantwortungsvolle Alleskleber-Sitzer nicht weichen wollte?

Vom letzten Satz des oben zitierten Absatzes, wonach nicht die inhaltlichen Ziele der Ypsilanti-Politik ausschlaggebend waren, kann man nur sagen, dass er schamlose Lüge ist - denn gerade der Inhalt, gerade eine Politik, die vom linken Flügel der SPD beeinflusst gewesen wäre, was noch lange keine wirkliche linke, sondern eine traditionell sozialdemokratische Politik gewesen wäre, hat das agenda setting aller Massenmedien auf Diskreditierung der Unperson der Hessen-SPD ausgerichtet. Man fürchtete um ein dezentes Unterbrechen der Umverteilung von unten nach oben. Nicht erst durch Zastrows gepflegtes Nichtssagen wird kenntlich, dass es schlimm bestellt ist um Deutschlands Schreibergilde, dass sogar das Feuilleton und artverwandte Rubriken vollkommen auf Einschwörung im Namen des agenda setting eingestellt sind, zu Helfershelfern des Kampagnenjournalismus degradiert wurden. Denn schon seit Jahren sind die Vorgehensweisen bekannt: man wirft Behauptungen in den Raum, die nicht untermauert werden, nicht mal das Gefühl des Schreibers wiedergeben, sondern knallharte Interessensäußerungen Dritter oder Rechtfertigungen für allerlei Schweinereien darstellen. Eine solche Rechtfertigung ist Zastrows Äußerung, denn mit der "niederträchtigen Ypsilanti" läßt sich der Wahlsieger Koch moralisch legitimieren, auch wenn er schon abgewählt war.

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Bloß keinen inhaltsvollen Geschichtsdiskurs...

Samstag, 17. Januar 2009

Die historische Aufarbeitung, mit der in diesem Land Klarheit in lang vergangene Tage gebracht werden soll, verläuft immer nach demselben Muster. Es ist ein Eintauchen in das abgrundtief Böse, ein verklärter Blick zurück, der Hitler und die Seinen nicht als Menschen, wohl aber als Teufel erfasst, um deren unsagbare Verbrechen erklärbar zu machen. Indem man den unliebsamen Charakter quasi an einer metaphysische Wurzel packt, gar nicht erst versucht, ihn als Produkt der damaligen Gesellschaft zu begreifen, ihn also nicht als einen von uns - uns Menschen -, einen der zwischen uns groß und mächtig wurde, erkennt, sondern ihn als geradewegs aus der Hölle aufgestiegen deutet, aufgestiegen um den Menschen Unheil zu bringen. Man möchte damit kenntlich machen, dass er nicht von dieser Welt, nicht aus unserer Mitte entstammt war, ein Verbrecher gewesen sei, dem nichts Menschliches eigen war; dass er als ein Unfall menschlicher Geschichte anzusehen sei, der keine Kontinuität in der Vergangenheit hatte, noch in der ihm unmittelbar folgenden Zukunft als Bindeglied zwischen den Zeiten, zwischen den zwei deutschen Demokratien, zu gelten habe; und dass er keiner Tradition entsprang, die einen Hitler zwar nicht rechtfertigen, aber doch erklären kann. Man blendet damit aus, dass Hitler ein Mensch seiner Zeit war, einer von vielen Menschen, der vielleicht etwas weniger feine Umgangsformen an den Tag gelegt, den Nihilismus seiner Zeit übertrieben hat, der aber alles in allem kein Außerirdischer war, sondern ein Typus Mensch, wie er damals, nach dem Ersten Weltkrieg, in Zeiten, in denen der Sozialdarwinismus als ernstzunehmende Wissenschaft betrieben wurde - was schon vor diesem Waffengang war -, zuhauf zu finden war.

Was aber hierzulande als historische Aufarbeitung gilt, trägt als oberste Prämisse immer die Diabolisierung dieser geschichtlichen Person, die Umdeutung des Menschen zum Ungeheuer, gerade so, als gehörte Hitler nicht der Menschheit an. Guido Knopp, Haus- und Hofhistoriker der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten und Verfechter der politischen Korrektheit, der beinahe überall, wo es im Fernsehen um historische Themengebiete geht, seine Finger im Spiel hat, gilt als wahrer Meister dieser These, wonach Hitler ein Unfall der Geschichte war, weil er eben angeblich so gar nicht erklärbar sei. Viele Historiker und Denker haben das allerdings schon vor Jahren klarer und ehrlicher erkannt: für Haffner war Hitler kein Teufel, wohl aber ein äußerst durchschnittlicher und bornierter Karrierist, ein Mensch in jedem Fall, wenn auch einer der widerlichsten Sorte; Jäckel entblättert Hitlers Weltanschauung und bekommt einen ähnlichen Charakter wie Haffner zu sehen, aber immer noch einen menschlichen Charakter, wenngleich intellektuell verarmt, einen Tatmenschen, keinen Anhänger der vita contemplativa; und für Carl Amery, dem Verfasser des Essays "Hitler als Vorläufer", war Hitler über allem ein Mensch seiner Zeit, kein Unfall der Geschichte, sondern ein Stück menschlicher und damit durchaus erklärbarer Geschichte - ein Mensch, kein Teufel, fehlgeleitet durch seine Zeit, durch die Scheinwissenschaften und Ideologien von damals; Hannah Arendt sah im Menschenschlag des hitleristischen Deutschland eine Banalität am Werk, keine abgrundtiefen Bösartigkeiten, sondern eben Alltäglichkeit im Bösen, nicht einmal böse im weitesten Sinne, sondern einfach nur vollkommen unfähig mitmenschliche Gefühle zu verspüren - Arendt hat sich engagiert dagegen ausgesprochen, die Teufelmalerei zum Leitbild der historischen Rückschau zu machen, weil man damit die Unabwendbarkeit dieser Katastrophe unterstreicht und somit (ungewollt) aussagt, dass man solchen "Naturkatastrophen" hilflos ausgeliefert ist.

Man sieht, die ernsthafte und tiefgründige Analyse brauner Jahre ist keine Rarität im Reich der Historikergilde, wird aber im öffentlich-medialen Diskurs kaum mehr an den Konsumenten gebracht. Richtig, "Konsument", nicht Leser oder Zuseher, denn das ist er nicht: Geschichtsunterricht ist zur Trivialunterhaltung verkommen, in der in 45 Minuten ein wenig entertainment gesichert sein will, und weswegen es einfacher erscheint, die Motive der damaligen Machthaber und den Antrieb der pflichterfüllenden Mitläufer, einfach mit einer simplen Diabolisierung der betreffenden Menschen und des Zeitgeistes abzutun. Neben den oben erwähnten Historikern und Denkern - alle bis auf Jäckel bereits verstorben -, findet sich dieser Tage eine andere Form der Aufklärung in den Zeitschriftenregalen dieser Republik. "Zeitungszeugen" heißt das Zeitschriftenprojekt, in welchem Nachdrucke geschichtsrelevanter Zeitungsausgaben der Zeit von 1933 bis 1945 enthalten sind. Zusätzlich werden Expertenkommentare und Analysen angeboten, die dem interessierten Leser das Dritte Reich nahebringen soll. So wird es ermöglicht, direkt in die Tageszeitung eines damaligen, geschichtsrelevanten Tages einzutauchen, die Sichtweisen aus dem Damals heraus zu erlesen und zu ergründen - damals, als man von all dem, was später folgte, noch nichts wußte. Gerade die populäre Geschichtswissenschaft macht es sich heute gerne leicht, weil sie aus einer allwissenden Warte heraus lehrt, weil sie ja weiß, was das Dritte Reich für Folgen zeitigte. Der "Zeitzeuge Tageszeitungs-Nachdruck" ist aber frei von diesem Wissen späterer Jahre und ermöglicht es so, ohne Diabolisierungen und Vereinfachungen einen Erkenntnisgewinn zu bescheren.

Ein Beispiel: Wenn wir uns heute die Konferenz von Evian im Jahre 1938 vorstellen, bei der viele Nationen darüber beratschlagten, was mit den deutschen Juden geschehen, wie man sie aus Deutschland herausholen soll, dann denken wir als Geschichtsbuch-Wissende, dass dies eine außerordentlich vernünftige Konferenz war, weil das Motiv als klar umrissen galt. Jedem war ja klar, dass die Juden möglichst schnell, mit möglichst wenig bürokratischen Aufwand "herausgeholt" werden müssen, um eine Konferenz folglich, bei der es nur um das Wie, aber nicht um das Ob ging - richtig ist aber, dass die damaligen Konferenzteilnehmer nicht überzeugt waren, nicht nur, weil das gewährte Asyl für die deutschen Juden den Einreiseländern viel Geld kosten würde, sondern weil man glaubte, mit dieser Bereitschaft Auswanderer aufzunehmen, den Nationalsozialisten auch noch in die Hände zu spielen, ihren Antisemitismus zu unterstützen. Und überhaupt, wäre es nicht ratsamer, statt die Emigration zu erleichtern, Deutschland zur Integration der Juden zu nötigen?

Nur mit der historischen Quelle, mit Aussagen von Zeitzeugen des damaligen Momentes, lassen sich solche Sichtweisen begreifen. Aus der Zukunft heraus können wir nicht einfach die Bilder ausblenden, die man später in den Konzentrationslagern zu sehen bekam. Ein solches Projekt, welches Nachdrucke anbietet, um aufzuklären und geschichtlich zu informieren hat damit durchaus seine Berechtigung und kann helfen, die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in wahrere Bahnen zu lenken; kann helfen, dass man in Hitler nicht mehr den unerklärlichen Unfall, geschickt aus dem Höllenreich, sondern einen kleinen, spröden Mann, entstammend aus der Mitte der damaligen Gesellschaft, sieht.

Es muß heißen, es könnte zur Aufklärung beitragen. Denn das bayerische Finanzministerium verbietet nun den Abdruck dieser Zeitungszeugen, weil es sich dabei um "Verbreitung von NS-Propaganda" handelt und man den Mißbrauch durch rechtsradikale Kreise fürchtet. Ob diese Kreise überhaupt dazu fähig wären, eine Tageszeitung aus dem Jahre 1934 oder 1937 in den damaligen Zeitgeist einzuordnen, um darin überhaupt ein Deutungsmuster zu erkennen, bleibt fraglich - fraglich ist aber auch, warum man diese Art von Aufklärung unterbindet. Womöglich müssen wir die Schlußfolgerung ziehen, die auch Amery zog, nämlich dass die Verklärung des damaligen Geschehens zu einem Unfall der Geschichte, für die heutigen Eliten bequemer ist. Man stelle sich vor, anhand der Zeitungszeugen würden Maßnahmen und Eingriffe der Reichsregierung sichtbar, die wir heute in ähnlicher oder abgewandelter Form auch erleben müssen; man stelle sich vor, innerhalb des Nachdrucks stünde ein NS-Propagandasprüchlein wie "Du bist Deutschland" oder "Sozial ist, was Arbeit schafft"; man stelle sich vor, ein NS-Bonze erläutert dort in einem Gespräch, man müsse den Schmarotzern und Parasiten am Volkskörper Einhalt gebieten; man stelle sich nur mal vor, ein Militär der Wehrmacht würde etwas von Deutschlands Verantwortung in der Welt fabulieren - ja, da zählen am Ende einige interessierte Menschen eins und eins zusammen und werden stutzig. Nicht, dass wir dann behaupten könnten, Hitler wäre zurück, aber die Hitlerformel scheint uns damit so aktuell wie eh und je, und der Gefreite kein Unfall der Geschichte mehr, sondern ein brauner Faden durch die Tage dieser Republik.

Mit Guido Knopps Geschichtsstunde, kann das natürlich nicht passieren. Da bleibt Hitler ein Unfall und ein abgeschlossener Fall der Historie, der sich nie wiederholen kann, weil wir viel aus unserer Geschichte gelernt haben - nur nicht die Wahrheit, dass Hitler erklärbar ist.

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Privatisierung des Grundgesetzes

Freitag, 16. Januar 2009

Auch wenn der Mikrokosmos Deutschland derzeit Konjunkturpakete bespricht, so sollte man nicht aus den Augen verlieren, was manchen Unionisten noch immer umtreibt, welche nationale Süppchen da noch gekocht werden. Vor einigen Wochen wartete Peter Müller, Ministerpräsident des Saarlandes, mit dem neuesten Schrei konservativer Borniertheiten auf: Die deutsche Sprache sollte im Grundgesetz Erwähnung und damit als grundgesetzlicher Wert Vollzug finden.

Nun ist es müßig nochmals zu erwähnen, was schon allerorts in Spaßhaftigkeit oder bitterem Ernst erwähnt wurde, nämlich dass das Deutsche, wie alle anderen europäischen Sprachen auch, keine isolierte Spracherscheinung im Herzen Europas ist. Sie ist ein Sammelsurium verschiedenster Idiome, nahm als europäisches Durchgangsland - was man zwangsläufig ist, wenn man mitten in Europa liegt - viele Ausdrücke auf, hat sich nicht abgeschottet oder wie auf einem einsamen Eiland entwickelt. Die deutsche Sprache ist Produkt Europas, natürlich mit germanischen Wurzeln, die aber freilich fast unkenntlich geworden sind im Laufe der Zeit - so läßt sich der französische Einfluss in der deutschen Sprache leichter erkennen, als irgendein germanisches Urwort. Aber darum soll es hier nicht gehen, festzuhalten sei nur, dass man eben nichts festhalten kann, dass es unmöglich ist zu definieren, was nun gutdeutsch ist und was nicht.

Was aber von Belang ist, ist die Tatsache, dass es keine genormte deutsche Rechtschreibung gibt, auch wenn die Mehrzahl der Menschen hierzulande davon ausgeht, es gäbe eine verbindliche Form, mit der man seine Zeilen zu schreiben habe. Zwar wurde 1901 eine Vereinbarung sämtlicher deutscher Landesregierungen getroffen, "eine einheitliche Rechtschreibung in den Schulunterricht und in den amtlichen Gebrauch der Behörden einzuführen und von dieser Rechtschreibung nicht ohne wechselseitige Verständigung untereinander und mit Österreich abzuweichen", doch als Verpflichtung war das nicht zu verstehen, ein Gesetz diesbezüglich gab es nicht. Walter Krämer schreibt dazu: "... eine irgendwie geartete Verpflichtung für das breite Publikum oder für die Parlamente und Gerichte ergab sich daraus nicht: Sowohl unsere eigenen Briefe als auch Gesetzestexte als auch Urteile, Beschlüsse und Verfügungen der Gerichte brauchen sich im Prinzip um den Duden nicht zu kümmern (und weichen auch tatsächlich öfters von ihm ab: das Bundesverfassungsgericht schreibt „der Einzelne“, der Duden verlangt „der einzelne“, und andere Abweichungen mehr)."
Später, auf der Ständigen Konferenz der Kultusminister im Jahre 1955, erklärte man die Vereinbarung für "auch heute noch verbindlich" - so als wäre sie damals schon verbindlich gewesen - und fügte hinzu, dass in Zweifelsfällen die im Duden gebrauchten Schreibweisen und Regeln maßgebend seien. Seither wird von den Menschen geglaubt, dass der Duden das Maß aller deutschsprachigen Dinge ist, wobei er nur für den amtlichen Schriftverkehr bindend ist, nicht für Schriftstücke anderer Machart.

So besehen ist selbst das Korrigieren von Diktaten, denen als Grundlage die Regeln des Duden dienen, objektiv betrachtet nichtig, wenigstens aber zweifelhaft, weil nie eine allgemeinverbindliche Rechtschreibung fixiert wurde. Dennoch, obwohl des Dudens Sichtweisen nie offiziell legitimiert wurden, nur auf Amtswegen verbindlich, ansonsten bestenfalls eine Empfehlung sind, ist der Duden zur Institution der deutschen Sprache geworden - und damit würde der Duden, ein Privatunternehmen, indirekten Einzug ins Grundgesetz finden. Ohne "Auftrag des Volkes" ist damit der Dudenverlag Mannheim nicht nur stiller Wächter über die Sprache, sondern auch noch grundgesetzlich, wenn schon nicht direkt legitimiert, so doch mit dem im Gesetzestext enthaltenen "Deutsche Sprache", konnotiert. Das dann im Grundgesetz enthaltene Credo zur deutschen Hochsprache, teils ein Produkt der Zentralisierungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und damit, aufgrund nationaler Zusammengehörigkeitskünsteleien, ein Kunstprodukt, welches nirgends in dieser Weise in Deutschland gesprochen wird, teils ein willkürliches Festlegen des Dudenverlages; das dort enthaltene Credo also, ist dann Produkt und Heiligtum eines Privatunternehmens, fein säuberlich in einen GG-Artikel gefaßt. Während im Ausland diverse Akademien über Sprache wachen (es ist an dieser Stelle irrelevant, ob man überhaupt Sprachkontrolleure braucht), die wenn schon nicht objektiv - der Académie française wirft man spießigen Konservatismus vor -, so doch ökonomisch relativ unbeeinflusst agieren, soll hierzulande versteckterweise ein privates Wirtschaftsunternehmen diese Stelle einnehmen. Nicht, dass man dem Dudenverlag zwangsläufig vorwerfen müßte, er würde diese Stellung mißbrauchen, würde Vorteile daraus ziehen - das tut er schon seit Jahrzehnten, indem er zum Schiedsrichter in Sprachfragen stilisiert wurde und zur Institution wurde -, doch man muß ausschließen, dass das Sprachungetüm "Hochdeutsch", dieses relativ kühle und geschäftliche - weil der regionalen Mundart, die mit Herzlichkeit, Nähe und Bodenständigkeit verbunden ist, entfremdete - Uniformierungs- und Zentralisierungsidiom, von jemanden verwaltet wird, den zumindest wirtschaftliche Interessen dazu veranlassen könnten, Schindluder damit zu treiben.

Ansonsten könnte man auch McKinsey für die Sozialstaatlichkeit verantwortlich machen, auch wenn das "Soziale" im "Sozialstaat" dann durch "Suppenküche" ersetzt werden müßte; und die Tür- und Torfabrikanten von Portas könnten die Unverletzlichkeit der Wohnung gewährleisten, während die Emma über die Gleichheitsprinzipien von Mann und Frau wacht.

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Henkersmahlzeit

Mittwoch, 14. Januar 2009

Es ist ein zynisches Spiel, welches derzeit mit Namen "Konjunkturpaket II" kreuz und quer durch die Lande gespielt wird - ein Spiel des Optimismus, ein Spiel, das ja beleben soll und uns erretten soll von den Feuern einer ausufernden Wirtschaftskrise, die dann, ein Blick in die Geschichtsbücher reicht, das ganze System zum Teufel jagen könnte. Dass das, was hier als Rettungsanker und Hoffnungsmechanismus installiert wurde, nur ein fadenscheiniges Heldenstück jener Politik ist, die jahrzehntelang auf eine Finanz- und Wirtschaftskrise hingearbeitet hat, sich aber nun als gütige Jungfrau - nicht als Wiedergutmacher, denn die Politik ist sich gar keiner Schuld bewußt, die sie wiedergutmachen könnte -, soll an dieser Stelle, um nicht auszuufern, fallengelassen werden. Es war abzusehen, dass die Politik, Hand in der Hand mit der Wirtschaft - Lobbyisten fressen ja reichlich auf den Trögen Berlins -, Schritte in die Wege leiten wird, weil man einerseits eine unzufriedene Masse wenigstens besänftigen muß, sofern man die Kontrolle nicht verlieren will, und weil andererseits die kriselnden Unternehmer, die ja gepflegte Duzfreundschaften mit den Herrschaften des Einparteienblocks Union/SPD erkauft haben, natürlich ein Interesse daran haben, möglichst nicht zu sehr zu kriseln.

Aber was dann letztendlich herauskam, ist nicht Fisch und nicht Fleisch, zeigt auf, wie zurückhaltend die derzeitige Regierung handelt, ja wie ideologisch man selbst in Zeiten ist, in denen man so tut, als würde man von den Selbstheilungskräften des Marktes nichts halten - man tut es nämlich weiterhin, wenn auch versteckt. Weder wollte man den Staat an Unternehmen beteiligen, weil man darin reinsten Kommunismus, Ausdruck von Planwirtschaft erkannte, noch konnte man sich dazu entschließen, jene Einkommen höher zu besteuern, die von einer höheren Besteuerung wahrscheinlich nicht einmal etwas bemerken würden - und selbst die SPD, die einen erhöhten Spitzensteuersatz forderte, wagte sich nicht an jenen Spitzensteuersatz heran, der mehrere Dekaden vor 1998 Geltung hatte. Selbst heute, da man auf Gelder angewiesen ist, da man dazu verpflichtet ist, dort das notwendige Geld in die öffentlichen Kassen zu holen, wo es noch zu holen ist, zeigt man immer noch gezierte Zurückhaltung im Fordern, wollte man nur einen gemäßigten Spitzensteuersatz gesichert wissen, der ja schlußendlich - und daher ist es müßig darüber zu sprechen - überhaupt nicht ins Konjunkturpaket aufgenommen wurde.

Generell werden alle steuerlich entlastet, auch solche, die es nicht nötig gehabt hätten. Wieviele werden darunter sein, die sich trotz Kinder zweimal jährlich einen Urlaub leisten können? Müssen sie entlastet werden, um vielleicht gar einen dritten Urlaub zwecks Konsumanheizung buchen zu können? Was sofort positiv aufgenommen, wo die Regierung für ihr Engagement gelobt wurde, waren die 100 Euro pro Kind, die ja nur eine Einmalzahlung sind, und die nur als symbolischer Akt anzusehen sind, weil man damit den Empfängern quasi zuruft: Väter, Mütter, wir haben euch nicht vergessen! Aber vergesst bloß nicht im September dieses Jahres, was wir gegen die Armut euerer Kinder getan haben! Warum es nötig sein soll, jedem Kind 100 Euro zukommen zu lassen, auch Kindern aus reichen Haushalten, wird öffentlich gar nicht erst thematisiert. Damit aber ein Hauch von Gerechtigkeit weht, werden Kinder aus ALG II-Familien mit 35 Euro pro Monat bessergestellt - eine Anrechnungsfreiheit des Kindergeldes, wie es vernünftigerweise von einigen Wohlfahrtsverbänden gefordert wurde, weil es unverständlich ist, warum man zwar einerseits auch Millionärskindern auf Beantragung hin Kindergeld - des Gleichheitsprinzips wegen - ausbezahlt, während Kinder die Sozialgeld beziehen, selbiges angerechnet bekommen, eine solche Anrechnungsfreiheit wurde also auch nicht beschlossen - man will ja nicht zu weit gehen und Arme zu sehr alimentieren. Und warum der Regelsatz für Kinder zwischen 6 und 13 Jahren bei 70 Prozent liegen soll, obwohl man weiß, dass es ausgerechnet Kinder sind, die ständig neue Kleidung, neues Spielzeug, neues Schulmaterial brauchen, die in Wachstumsphasen einen Heißhunger verspüren, also nicht gerade asketisch essen, bleibt eines der ewigen Rätsel der Hartz-Reformer und wird selbst in Zeiten der Krise nicht hinterfragt. Genauso unhinterfragt wie eine Mehrwertsteuersenkung, und zwar auch eine Senkung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes, der auf Lebensmittel aufgeschlagen wird. In Zeiten, in denen Privathaushalte vermehrt mit knappen Kassen und leeren Konten rechnen müssen, wäre die Gewissheit, dass Lebensmittel wenigstens etwas billiger einkaufbar würden, sicherlich mehr Hoffnungsmacher als alles andere, was im Konjunkturpaket angeboten wird. Freilich hätte man dazu die Händler nötigen müssen, die Steuersenkung auch an den Kunden weiterzugeben - auch da bleibt sich diese Regierung eben treu: sie mischt sich nicht ein in den freien Markt, läßt selbst dann zügellos gewähren, wenn ein Fiasko droht.

Wenn es auch nicht viel war, wenn es auch viele Falsche entlastet, so wurde doch etwas getan; es läßt sich nun für Geringverdiener, Arbeitslose und Rentner mit 3,50 Euro mehr ins Jahr 2009 hineinzittern. Gleichwohl weiß man auch, was blühen wird, ganz gleich, ob das Konjunkturpaket fruchtet oder nicht. Man wird darauf pochen, eine Verschuldungsgrenze grundgesetzlich zu verankern - nach der Bundestagswahl, versteht sich, vielleicht auch erst 2010 oder 2011. Aber vergessen wird man dieses Vorhaben nicht. Wehe diese Grenze ist dann irgendwann erreicht - dann bleiben eben Straßen mit Schlaglöchern verziert, staatliche Gebäude einsturzgefährdet und, was noch viel schlimmer ist, Hilfebedürftige auf der Strecke. Ob bis dahin McKinsey die Tafeln so erweitert hat, dass man dort auch täglich eine Suppe zu sich nehmen kann, sollte bis dahin noch geklärt werden. Und einige Baracken für obdachlos Gewordene sollten auch in Auftrag gegeben werden.

Aber das ist ja Zukunftsmusik, von der wir heute nicht sprechen sollen. Hier schließt sich der Kreis, denn diese Zeilen wurden damit eingeleitet, im Konjunkturpaket II ein zynisches Spiel zu erkennen. Und wie sonst sollte man es nennen, wenn man heute Gelder falsch und zudem unausreichend zur Verfügung stellt, nur damit das System des freien Marktes, mit all seiner Maßlosigkeit, mit aller Staatszurückgezogenheit, mit all seinem Hang, Menschen als Ware anzusehen, weiterhin bestehen kann, um diese Gelder irgendwann als Garotte zu verwenden, die aufgrund grundgesetzlich legitimierter Verschuldungsbremse, all jenen um den Hals gewunden wird, die auf die eine oder andere Weise auf Gelder aus den öffentlichen Kassen angewiesen sind. Es ist ja nicht gerade so, dass nach der Wirtschaftskrise Vollbeschäftigung winken würde - man wäre ja schon froh, wenn sich der status quo über ein, zwei, vielleicht drei Jahre aufrechterhalten würde. Kurzum: Geringverdiener, kleine Rentner, ALG II- oder Sozialgeldbezieher sollen von dem bißchen Mehr konsumieren, um ein System aufrechtzuerhalten, welches sie in diese mißliche Lage gebracht hat, welches sie wieder und wieder in die gleiche Lage bringen würde; sie sollen ferner konsumieren, damit bleibt was schon ist, und damit man endlich gesetzlich legitim der Neuverschuldung Herr wird, was dann wiederum auf den Rücken derer ausgetragen wird, die in der mißlichen Lage sind. So besehen ist das Entlastungspaket, an welchem die Armen sowieso nur zögerlich beteiligt wurden, nichts anderes, wie eine Henkersmahlzeit, wie ein Akt der Mitmenschlichkeit, ausgeführt von einem Scharfrichter - heute füttert er uns, morgen schneidet er uns die Kehle durch; nicht direkt, aber er läßt uns zumindest verhungern, deutet auf das Grundgesetz und sagt: Ich kann nichts dafür, im Grundgesetz steht eben, ich darf keine Schulden mehr machen, und das Gesetz ist mir heilig.

Nur gut, dass das wenige Geld, was man armen Menschen gibt, nicht für den Konsum aufgebraucht wird, weil wohl genug Altlasten vorhanden sind, die man mit der Einmalzahlung oder den geringem Mehr auf dem Konto, erstmal begleichen möchte. Von denen, die sowieso schon zu viel haben, um es monatlich aufzukonsumieren, ganz zu schweigen. Vielleicht liegt nämlich in einem nicht reibungslosen Schmieren der Maschine die Chance, ihn doch wenigstens ein wenig humaner zu gestalten - dem Koloss unter die Arme zu greifen, damit dieser nachher weitermacht wie eh und je, ist inakzeptabel und hoffentlich zum Scheitern verurteilt.

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