Nomen non est omen

Mittwoch, 27. August 2008

Heute: "Erwerbsanreiz"
"Familien werden unabhängig von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Positive Erwerbsanreize werden gesetzt."
- aus einem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Kindergeldes vom 11. April 2008 -
"Die höheren Erwerbsanreize bringen nach Berechnungen langfristig 800.000 Personen zusätzlich in Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt."
- aus "Politik und Zeitgeschichte" über die Hartz IV-Reformen vom 17. Dezember 2007 -
"Andererseits muss sich die Politik der undankbaren Aufgabe stellen, überzeugende Erwerbsanreize für gering qualifizierte Arbeitssuchende zu schaffen."
- aus einer Schrift des "Forschungsinstitutes zur Zukunft der Arbeit" (IZA) vom 26. April 2007 -
Der Begriff offenbart das neoliberale Menschenbild: der Mensch sei von Natur aus faul und wolle nicht arbeiten; es müsse insofern ein Anreiz zur Erwerbsarbeit geschaffen werden. Zudem denke der Mensch stets nach einem Kosten-Nutzen-Kalkül und an den eigenen Vorteil. Insofern ist dieses Schlagwort neoliberal ideologisch aufgeladen. Der Begriff setzt voraus, dass der Mensch zur Arbeit angetrieben und gezwungen werden müsse. Die Arbeit selbst soll hierbei jedoch nicht zwingend attraktiver, sondern die Arbeitslosigkeit solle noch unangenehmer für die Betroffenen gemacht werden, sodass jeder auch einen absolut schlecht bezahlten Job annimmt. Die so vermeintlich fehlende Motivation arbeiten zu gehen, solle durch negative Sanktionen wieder hergestellt werden. Typischer Vorschlag ist hierbei die Kürzung von sozialen Leistungen.
Zunächst einmal ist die immer wiederkehrende Behauptung, der Mensch sei von Natur aus faul und müsse zur Arbeit angetrieben werden, wissenschaftlich nicht erwiesen, sondern vielmehr das Glaubensdogma kapitalistischer Verwertungsprinzipien. Zu behaupten schöngerechnete vier Millionen arbeitslose Menschen in Deutschland, seien alle faul und wollen nicht arbeiten ist absurd und diskriminierend gegenüber den Betroffenen. Statt strukturelle Ungerechtigkeiten und Mängel am System zu thematisieren, verlagert das Schlagwort die Verantwortung selbiger auf die Opfer des Systems. Schlussendlich reiht sich der Begriff – wenn auch in etwas versteckterer Form - in eine lange Reihe von Wörtern ein, welche häufig zur Hetze und Diskriminierung von Arbeitslosen benutzt wird.

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

16 Kommentare:

Anonym 27. August 2008 um 10:52  

"Der Begriff offenbart das neoliberale Menschenbild: der Mensch sei von Natur aus faul und wolle nicht arbeiten; [...]"

"Zunächst einmal ist die immer wiederkehrende Behauptung, der Mensch sei von Natur aus faul und müsse zur Arbeit angetrieben werden, wissenschaftlich nicht erwiesen, sondern vielmehr das Glaubensdogma kapitalistischer Verwertungsprinzipien."

Wie denn nun - Kapitalismus oder doch 'nur' Neoliberalismus...? ;)

Anonym 27. August 2008 um 13:01  

der neoliberalismus ist "nur" eine vieler möglicher ideologie-formen die sich mit dem system des kapitalismus prächtig verbinden lässt. insofern ist dies kein widerspruch.

da ich mich nicht mit allen möglichen konzepten u ideologie-formen des kapitalismus auseinander gesetzt habe, bin ich vorsichtig zu behaupten, dass der kapitalismus IMMER ein menschenbild prägt, welches davon ausgehe, der mensch sei von natur aus faul. aber es ist sehr gut möglich.

Kurt aka Roger Beathacker 27. August 2008 um 13:49  

Es stimmt ja auch: zumindest gewisse Menschen sind "von Natur aus" faul und deswegen geneigt sich von der Arbeit anderer zu ernaehren.

Aber immerhin: sie nehmen nicht nur, sie geben auch, weshalb sie ja Arbeitgeber genannt werden.

Anonym 27. August 2008 um 21:08  

Hallo zusammen,

liegt das neoliberale Menschenbild nicht ganz wo anders. Erinnert sei an das Buch "Deutsche Zustände Folge 6" - hier wird, wohlgemerkt anhand einer Langzeituntersuchung von Prof. Dr. Wilhelm Heitmeyer festgestellt, dass die Hetze gegen Arbeitslose eigentlich nur einen Namen verdient: Neuer Rassismus.

Ich setze noch einen drauf und behaupte frei und frech, wobei ich Darwin freisprechen will, da seine Lehre von den neoliberalen Kapitalisten falsch interpretiert wird, dass es sich um einen uralten typisch deutschen Sozialdarwinismus handelt. Die Spitze wurde im Dritten Reich erreicht, wo sogenannte "asoziale" Elemente, lt. dem Buchautor Wolfgang Ayaß, sogar in Fürsorge-KZs landeten. Eine Erinnerung, die heute, ebenso wie andere längst vergessene Nazi-Verbrechen gerne vergessen wird. Übrigens, auch ganz ohne Nazis war der Sozialdarwinismus lange führend in der Welt und die Neoliberalen beleben eben nur eine uralte, längst gescheiterte menschenverachtende Ideologie - neueste wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen sind in Deutschland leider kaum herum, sonst wüßte man hier, dass der Sozialdarwinismus - survival of the fittest - nicht einmal in der Natur vorkommt....

Anonym 27. August 2008 um 21:13  

Noch ein Zusatz:

Bei Wiki nachzulesen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialdarwinismus

Zu den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass der Sozialdarwinismus nicht einmal so in der Natur funktioniert, das Buch "Prinzip Menschlichkeit" des renomierten Wissenschaftsautors Joachim Bauer.

Sollte Pflichtlektüre werden, da hier eindrucksvoll nachzulesen ist, dass Neoliberale und andere Sozialrassisten auf dem Holzweg sind, da ihre Ideologie nicht einmal von Tieren vertreten wird, wie neueste wissensch. Erkenntnisse beweisen...

Anonym 27. August 2008 um 22:24  

Wenn man für eine Vollzeit-Tätigkeit nur einen Bruchteil dessen erhalten soll, was sogar offiziell als Existenzminimum gilt, hat es IMO nichts mit Faulheit zu tun, sich dieser Art von Arbeit zu verweigern. Ich habe dafür volles Verständnis!

Ich glaube auch nicht, dass alle Neolibs selbst an diese angebliche grundsätzliche "Faulheit" der Arbeitnehmer glauben. Sie wissen sehr wohl, dass eine extreme Unterbezahlung nur mit Zwang durchsetzbar ist. Es ist daher in meinen Augen auch kein Neolib-"Menschenbild".

Die Neolibs wollen jedoch zur Gewinnsteigerung der Unternehmen ein Arbeitsumfeld in dem die Entlohnung minimal und durchaus beliebig klein ist. Dieses Race-to-the-bottom funktioniert aber nur dann, wenn man die sich verweigernden - notfalls sogar mit 'Hungerfolter' (was anderes ist eine völlige Streichung von Sozial-Leistungen bei der Verweigerung objektiv (nur nicht nach dem Gesetz) sittenwidrig entlohnter Arbeit sonst?) - zwingt, auch menschenunwürdig entlohnte Arbeit anzunehmen.

Das Wort "Arbeitsanreiz" dafür ist also ein purer Euphemismus, der diese Tatsache des staatlich geförderten Lohndumpings verschleiern und mglw. beim "gemeinen Stimmvieh" den Eindruck der Bekämpfung von "Faulheit" erwecken soll.


omnibus56

Anonym 27. August 2008 um 23:29  

Das ist schon eine merkwürdige Sache mit den Arbeitgebern, die mehr Arbeit nehmen, als sie geben, und den Arbeitnehmern, die mehr Arbeit geben, als sie nehmen.

Jedenfalls sind sie nicht faul, die Arbeitgeber, und im Arbeitwegnehmen auch nicht dumm bei den Arbeitnehmern, die von den Arbeitwegnehmern aber dennoch als dumm und faul bezeichnet werden und mit Arbeitsanreizen so gereizt werden, daß diese nicht mehr Arbeitgeber für die Arbeitwegnehmer sein wollen und "dumm und faul" werden.

Anonym 28. August 2008 um 00:17  

...und zum Zwecke der negativen Repressionen bedienen sich die Jobcenter gerne auch mal rechtswidriger Leistungskürzungen bis hin zum totalen Entzug der Leistung ALG II (incl. Kosten für Unterkunft).

Anonym 29. August 2008 um 12:09  

Mit "faul" hat das alles recht wenig zu tun. Menschen wägen ihr Handeln nach dem Verhältnis von Kosten und Nutzen ab, nicht mehr und nicht weniger. Das führt z.B. dazu, daß meine Herzallerliebste seeeehr viel Zeit in Schuhgeschäften verbringt und ich eher weniger. Der Grund: Ihr Nutzen aus einem Paar neuer Schuhe ist höher. Mit pekuniären Elementen muß das gar nichts zu tun haben, Menschen arbeiten durchaus auch dann, wenn die Arbeit nur sinnstiftend ist. Dennoch verlassen sie dabei die Kosten-Nutzen-Abwägung nie: Eine Arbeit, die nur Kosten (= Anstrengung) verursacht, aber keinen Nutzen (weder finanziell noch ideell) stiftet, wird niemand annehmen - oder möchtet ihr Gegenteiliges behaupten?

John Dean 29. August 2008 um 13:23  

Radikale Rechtslibertäre haben ein anderes Menschenbild als die Neoliberalen, vor allem, wenn es um sie selbst geht. Man lese kurz mal Ayn Rand quer und - schwupps - schon steht er da, der Neue Mensch, an dessen Existenz geglaubt wird, wie an einen katholischen Katechismus.

Der ideale rechtslibertäre Mensch wird als "Leistungsträger" verstanden, der ganz besonders für seinen schrankenlosen Egoismus gefeiert wird, aber auch (unbewiesen) für seine Hilfsbereitschaft und seine soziale Ader (sobald der hässliche Sozialstaat endlich weg ist, versteht sich).

Geht es hingegen um "Sozialschmarotzer" oder um "die Linken", dann gibt es dafür einen anderen Maßstab - und auch ein anderes Bild vom Menschen. Diese (quasi: die falschen Menschen) dürfen durchaus mit Anreizen gezielt gedrillt werden, damit diese sich dann am Ende bitteschön so verhalten, wie man es sich wünscht. Schuld an vielen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen ist der "Gutmensch", der im rechtsliberalen Menschenbild in etwa den Stellenwert einnimmt, den anderswo pädophile Gewalttäter genießen.

Das rechtslibertäre Menschenbild ist schizophren.

Neoliberale sind im Vergleich dazu in ihrem Menschenbild diffuser und weniger festgelegt. Sie stimmen aber darin überein, dass z.B. "linke Gutmenschen" ein massives Problem darstellen, und darin, dass man "Minderleister" und "Leistungsverweigerer" auf besondere Weise zu behandeln hätte, und dass man "Sozialschmarotzer" (gemeint ist z.B. nicht Ackermann et al) bekämpfen müsse, auch mit Anreiz-Methoden, um die Leistungsträger zu schützen. Auch gilt es als eine fiese Zumutung, wenn "Leistungsträger" zu Steuerzahlungen (besonders schlimm: falls progressiv) gezwungen werden.

Neoliberale leiden zwar i.d.R. nicht unter der schiziphrnen Ayn-Randisierung ihres Menschenbildes, aber dafür können sie sich im Vergleich zu linientreunen Vertretern des rechtslibertären Kollektivs eher Zwangsmaßnahmen (z.B. in der Sozialverwaltung) vorstellen, um der Plage von Sozialschmarotzern und Minderleistern Herr zu werden.

Amen.

Anonym 29. August 2008 um 15:35  

> Die Arbeit selbst soll hierbei jedoch nicht
> zwingend attraktiver, sondern die
> Arbeitslosigkeit solle noch unangenehmer ...

Steuersenkungen sind doch z.B. ein sehr positiver Erwerbsanreiz (bleibt mehr in der eigenen Tasche) ....

Anonym 30. August 2008 um 00:37  

Herrschaft`s Leut', jetzt tummeln sich in diesem linken Blog auch noch Neoliberale, Libertäre, Steuer(ver)senker und andere Schizophrene...

ad sinistram 30. August 2008 um 09:12  

"Herrschaft`s Leut', jetzt tummeln sich in diesem linken Blog auch noch Neoliberale, Libertäre, Steuer(ver)senker und andere Schizophrene..."

"Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen." - Dieses (fälschlicherweise) Voltaire zugeschriebene Zitat sollte an dieser Stelle angebracht sein. Daher ist, solange hier in einem ordentlich-sachlichen Ton diskutiert wird, auch der Libertäre willkommen - auch dann, wenn ich mich manchmal über dessen Weltbild ärgern muß.

Was wäre dieser Blog, der auf Freiheit hofft, der den Menschen in Freiheit wissen möchte, wenn der Andersdenkende hier keinen freien Eintritt hätte? Anders: "Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden."

Anonym 30. August 2008 um 09:28  

@markus

verstehe, inhaltliche Auseinandersetzung ist nicht erwünscht?

Anonym 30. August 2008 um 23:55  

Herrschaft`s Leut', so ist`s besser: ;-)

Anonym 1. September 2008 um 16:36  

Du musst unsere Meinung übrigens nicht gleich verachten, um das Recht auf Meinungsäußerung zu betonen ;-)

Noch zur Richtigstellung: beim BLOG sind wir weder rechts noch libertär. Dass wir zuweilen mit solchen Bewertungen (penetrant) verfolgt werden, führt bei mir nur noch zu einem müden Schulterzucken.

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