Entlastet die Leistungsträger!

Freitag, 15. August 2008

Da sitzen sie wieder, gemästet wie eh und je, in ihren Sesseln und schüren die Volksseele dahingehend an, dass mit der LINKEN, bald salonfähig gemacht durch die hessische SPD, ein neuer Sozialismus über das Land ziehen wird. Dieser würde dem Land Rückschritte sichern, denn Fortschritte seien ja nur mit der "Ideologielosigkeit" neoliberalen Wirtschaftsverständnisses zu erzielen. Schlimmsterfalls, erklärt man unheilschwanger, würden Leistungsträger dieses Land verlassen und ihr Glück woanders suchen. (Im näheren, d.h. europäischen Ausland dürften aber solche "Sozialismus-Flüchtlinge" keinen Anreiz finden, denn dort existieren mit einer toleranten Selbstverständlichkeit, schon seit Jahrzehnten sozialistische Parteien.) Aus einer vielleicht immer noch vorherrschenden Skepsis gegenüber der LINKEN - ob berechtigt oder unberechtigt sei dahingestellt - soll eine Hysterie entfesselt werden, die schon im Vorfeld jede Mitentscheidung dieser Partei diskreditiert und ihr Scheitern - gemeinsam mit der hessischen SPD-Linken und den Grünen - quasi als selbsterfüllende Prophezeiung sicherstellt.

Es ist vorallem immer der berühmte Schrei danach, die Leistungsträger dieser Gesellschaft nicht zu verärgern. Damit meinen die mahnenden Kreise - und Greise - sich selbst. Wenn Hundt fordert, dass man die Beiträge der Arbeitslosenversicherung weiter senken müsse, dann zielt das natürlich auf den Standardspruch ab, dass man gerade "die Leistungsträger entlasten müsse". Andere, gar Regierungsmitglieder wie Steinbrück, würden nur Leistungsträger politisch vertreten wollen - das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen: Nur Leistungsträger! Keine Politik mehr für Rentner, Arbeitslose, chronisch Kranke, Jugendliche und Kinder etc. - Politik soll folglich die Spielwiese derer sein, die sich ihre politischen Vertreter notfalls auch direkt bezahlen könnten. Wo von Leistungsträgern gesprochen wird, da meinen sich diese Verbalakrobaten vornehmlich selbst. Wenn beispielsweise Hundt Leistungsträger entlasten will, dann will er sich und seine Gilde entlasten - seine Angestellten sind ihm dabei bestenfalls zweitrangig.

Der gemeinte Leistungsträger ist nicht jener, der am Fließband steht, um jeden Tag stupide ein Stück Blech an ein zu montierendes Auto zu schrauben, oder diejenige, die jeden Tag eine öffentliche Toilette putzt und einen wohl oft unbeschreiblichen Gestank zu ertragen hat. Und ob die Apologeten der Leistungsträgerschaft wohl eine selbstständige Edel-Prostituierte meinen, die zwar einen immensen Monatsverdienst bezieht, aber qua ihrer Stellung - und ihrer praktizierten Stellungen - disqualifiziert ist? - Nein, gemeint ist der Typus, der sich in Büros tummelt, den man auf Banketts und Veranstaltungen begegnet. Hohe Tiere bei den Banken, Manager bei Versicherungs- und Finanzgesellschaften, freilich vorallem im lobbyistischen Umfeld des Berliner Regierungsviertels. Solche also, die von einem Sessel aus regieren und drangsalieren, kürzen und entlassen, expandieren und ausbeuten. "Leistungssitzer" also - denn was sie wirklich tragen sind geschmacklose Krawatten -, die sich als Macher verstehen und über kleinere oder größere Weltreiche verfügen. Gestalten also, die alles daran setzen, die Solidarität aus der Gesellschaft zu werfen, damit sie auch wirklich eine Gesellschaft von Leistungsträgern wird. Leistungsträgern die freilich kein Geld dafür aufwenden wollen, irgendeinen erfolglosen Lebensentwurf aus der Gosse - so nennen Leistungsträger verächtlich alles, was etwas ärmlicher aussieht -, zu alimentieren. So ein erbärmlicher Lebensentwurf hätte doch auch das Recht, sich ein wenig Erfolg zu sichern - so liberal und tolerant sind die Leistungsträger dann schon! Aber dafür ein kleines Stück vom oftmals riesigen Kuchen ihres Monatsgehalts abführen? - Wo denkt die Masse, dieses sozialistisch angehauchte Pack, nur hin...

Dabei liefert die deutsche Sprache doch das beste Mittel, die "Mär von der Leistungsträgerschaft" zu enttarnen. Diejenigen, die sich selbst als Leistungsträger sehen, tragen wortgemäß also Leistung. Da Leistung aber immer ein Produkt eines Ausübenden ist, tragen sie denjenigen, der Leistung vollbringt. Dabei dürfen wir es uns aber nicht bildlich derart vorstellen, dass sie den Leistungsvollbringenden auf einem Schild hochhalten, ihn quasi devot in die Höhe recken, wie die zwei Träger des Häuptlings Majestix - wir sehen nun einfach mal von den dauernden Stürzen, verschuldet von den beiden tragenden Tölpeln ab, obwohl diese sinnbildlich durchaus mit den neoliberalen "Leistungsträgern" konform gingen. Eher tragen sie den Vollbringenden an einer Stange befestigt, besser gesagt: gefesselt an Händen und Füßen, wie ein erlegtes Wildschwein, mit sich herum. Sie tragen nicht die Leistung durch die Gegend, sondern denjenigen, der Leistung vollbringt; ernähren sich von dessen Vollbringungen und glauben nachher noch, sie seien die wahren Herrn der erbrachten Leistung. So gesehen bekommt der Ausspruch "Entlastet die Leistungsträger!" einen ganz neuen Unterton. Diese armen Sessel-Welteroberer tragen wirklich schwer an den vielen Stangen mit dem daran festgemachten Leistenden. Man sollte sie wirklich entlasten...
Es ist eine dieser üblichen Sprachidiotien der Reformer, wenn sie von "Leistungsträgern" sprechen, aber eigentlich "Leistungsbringer" sagen wollen. Entweder merken sie nicht, dass sie sich mit dem Terminus selbst entlarven oder sie haben sich einen letzten Funken von Skrupel bewahrt, den sie leicht kaschiert in das terminologische Wasser der Politikbeeinflussung werfen. Ja, man kann es clementinisch ausdrücken: Wenn Gestalten wie Hundt, Steinbrück oder der Präsident des Verbands der Familienunternehmer Patrick Adenauer von "Leistungsträgern" sprechen, dann meinen sie im Grunde nur den "Schmarotzer von oben". Damit läßt sich die ganze Debatte auch gleich viel ehrlicher bestreiten...

5 Kommentare:

Anonym 15. August 2008 um 13:00  

Der italienische kommunist antonio gramsci wies anfang des 20. jahrhunderts schon daraufhin, dass der "kampf um die kulturelle hegemonie" und um "die köpfe" ein zentrales ziel der linken sein müsse. der philosoph hermann lübbe, betonte anfang der 60er jahre, dass der "kanpf um begriffe eine genuin demokratische angelegenheit" sei.

genau dies findet derzeit -und schon seit einigen jahren- aber überhaupt nicht mehr statt. begriffsdefinitionen werden weder öffentlich diskutiert noch in frage gestellt - sie werden als gottgegeben hingenommen. insofern ist es immer wieder wichtig die ideologie hinter vielen begriffen offen zu legen.

dein beitrag roberto, zum begriff der "leistungsträger" ist ein guter beitrag hierzu.

Anonym 15. August 2008 um 19:28  

Der Umgang mit der Linkspartei erinnert immer mehr an den Umgang der katholischen Kirche mit KritikerInnen - auch Inquisition genannt.
Gerade die "C"-Parteien sind in dieser unseligen Tradition gefangen, und die "S"PD sollte sich hüten denen in der neuen Inquisition gegen Die Linke, und deren Anhänger bzw. Mitglieder, zu folgen.

Anonym 15. August 2008 um 21:15  

Viele Manipulationen beruhen schlicht und einfach darauf, dass alt hergebrachte Begriffe eine neue Bedeutung bekommen. Ein aktuelles Beispiel hierfür wäre das Wort "nachhaltig". Wenn heute jemand eine pervers hohe Rendite von 25% bekommt möchte er sie nachhaltig bekommen. Das hat aber mit der eigentlichen Bedeutung von nachhaltig nichts mehr zu tun.

Anonym 15. August 2008 um 23:18  

"Arbeitgeber"-präsident Hundt macht seinem Namen alle Ehre: er knurrt unaufhörlich. Aber Arbeit gibt er nicht, sondern die angeknurrten "Arbeitnehmer" sind die eigentlichen "Arbeitgeber", von denen Hundt & Konsorten sich ihr Dasein versüßen lassen.

Epikur hat zudem recht, daß der "Kampf um Begriffe" von der Linken wieder öffentlich geführt werden müßte, damit die "Reformen" wieder in die richtige Richtung gehen können.

Anonym 16. August 2008 um 12:12  

Dieter der Hundt ist auch einer von denen, die ich als Totengräber unserer Demokratie bezeichnen möchte. Zum Thema "Leistungsträger" oder "Elite" vertrete ich die Ansicht, daß sich diese Denke per se nicht mit den Grundlagen der Demokratie vereinbaren lassen. Und ich stehe da nicht alleine mit dieser Ansicht. Bereits Anfang der 70er schrieb Gerhard Szczesny (Hrsg. der Club Voltaire Reihe bei Rowohlt) etwas zu diesem Thema in seinem Buch "Das sogenannte Gute", in dem er sich überhaupt mit Ideologien auseinandersetzte. Alt, aber lesenswert, und allenfalls in Teilen überholt. Zumindest ist dieses Buch interessant für alle, die mal abgleichen wollen, was damals für ein Demokratieverständnis herrschte und was heute daraus geworden ist. Allein nach den Grundwerten zu urteilen müßte man heute sagen: wir haben keine wirkliche Demokratie mehr.

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