De dicto
Montag, 31. März 2008
"Das Beharren des Dalai Lama auf Gewaltlosigkeit ist keine naive Träumerei, sondern die einzig sinnvolle Strategie, um Tibet zu retten. Das Volk hat an seiner Spitze den entschiedensten Realpolitiker, den man sich denken kann."
- Frankfurter Allgemeine Zeitung, Pico Iyer am 31. März 2008 -
Hier drängt sich die Frage auf: Wenn diese Form radikaler Linientreue, gemessen an den eigenen Werten, die nicht egoistische Tendenzen befriedigen, sondern zum Wohl aller gereichen sollen, als realpolitische Vernunft bezeichnet wird, warum ringt sich die FAZ dann nicht dazu durch, die aus ihrer Sicht radikalen Sichtweisen der LINKEN als Charakterstärke herauszustellen und nicht, wie es immer wieder der Fall ist, als ewiggestrige und damit verwerfliche und zu verdammende Sozialromantik? Freilich ist die LINKE keine Friedensbewegung, freilich ist sie - und das entgeht der bürgerlichen Presse andauernd - eine kapitalistische Partei, aber mancher LINKER hält sich sogar stur an die Werte, für die er einst bereit war, in einer Partei einzutreten. Doch diese Zeitgenossen, obwohl sie Frieden, Gerechtigkeit und Ausgleich fordern und anstreben, werden von der FAZ als unverbesserliche Tagträumer verunglimpft, die scheinbar noch nicht begriffen haben, dass das Einstehen für eigene Werte nur dann sinnvoll und gewollt ist, wenn es nichts kostet. Denn Frieden und Freiheit kosten nichts, aber ein ausgleichender Sozialstaat, Teilhabe aller am Gemeinwohl schon.
Man ist dazu geneigt, auch der FAZ eine gehörige Portion esoterischer Veranlagung zu unterstellen. Der Dalai Lama tritt dort - wie so oft in den westlichen Medien - als lächelnder Großvater auf, der unterschwellig egomanischen Esoterikergeschwafel Pate stehen soll. Irgendwann einmal in einer Nation, die als Hochburg gewaltlosen Zusammenlebens aufgewertet sein wird, auch wenn innerhalb der Staatsgrenzen die eigene Bevölkerung unter der Knute der buddhistischen Mönche zu leiden hat. Auf dem Dach der Welt thront dann der Herr über all jene in der Welt, die von der "Sei-gut-zu-Dir-selbst-Dialektik" und der "Tue-ohne-Rücksicht-was-Du-willst-Esoterik" begeistert sind. Die FAZ-Lobpreisung auf den Realpolitiker Tenzin Gyatso mag oberflächlich gerechtfertigt sein, ist aber letztendlich die typisch ressentimentgeladene Pro-Tibet-Berichterstattung, wie sie uns seit Jahren bekannt ist.
1 Kommentare:
Wobei ich der Friedensliebe der LINKEN (gemeint ist die sich hochstaplerisch so nennende Partei abgehalfterter Sozen und Ost-Apparatschiks) auch nicht übern Weg traue, aber Deine Wahrnehmung der schizoiden FAZ-Logik in bezug auf Tibet stimme ich vollinhaltlich zu!
Wobei ich als Libertärer ja gar kein esoterisch angehauchtes Tibet-Bild brauche, um auf dessen Sezessionsrecht zu beharren. Das würde ich selbst dann tun, wenn alle rotchinesischen Warnungen vor einem Rückfall der Tibeter in mönchisches Mittelalter sich bewahrheiteten, einfach weil für mich Sezessionismus ein unverhandelbares Essential ist. Allerdings - für die Dalais und Lamas, die mich gerade noch mit Beifall bedenken, hier der Haken an der Sache: das Sezessionsrecht hört für mich auf tibetischer National-Ebene dann nicht auf. Wem das Königreich zu muffig und klerikal ist, der darf sich dann auch gerne wieder abspalten.
Heißa, radikaler auf die Spitze getriebener Liberalismus macht eben richtig Spaß! :-)
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