Erlebniswelt: Krankenhaus
Donnerstag, 6. März 2008
Die neoliberalen Reformer haben die Zeichen der Zeit erkannt. Zumindest jene Zeichen, die sie sich in ihren eigenen dialektischen Mikrokosmos projiziert haben. Patienten - so lautet eines dieser Zeichen - brauchen keine teueren Herzoperationen, Hüftgelenke oder Krebstherapien. All das dient nur der körperlichen Hilfe; was aber der Patient wirklich braucht ist eine psychische, ja eine ideologische Unterstützung: Wettbewerb!
Freilich ist der Weg dieser bahnbrechenden Erkenntnis - eine Erkenntnis aus empirischer Beobachtung - mit Toten gepflastert; freilich handelt es sich vornehmlich um Tote aus den unteren Gesellschaftsschichten; freilich bedauern die Reformer jeden Todesfall. Aber der Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern darf als Imperativ neoliberaler Reformitis nicht angetastet werden. Patienten brauchen den Wettbewerb, weil sie zwischen verschiedenen Anbietern auswählen sollten, weil auch das Kranksein als Übereinkunft von Händler und Kunden anzusehen ist. Eine Übereinkunft, bei der der Patientenkunde natürlich frei auswählen darf.
Die Jünger des freien Marktes sprechen sich für regen Wettbewerb aus, weil es dem Kunden Auswahl und vielerlei Aktionen beschert. Der Anbieter einer Ware oder Dienstleistung wartet mit Kundenaktionen auf, bietet seinen Käufern Erlebnisse, die diesen längerfristig an ihn binden sollen. Das sind unter anderem Mobiltelefone, die zum Spottpreis quasi verschenkt werden oder ein Gratisprodukt, wenn man sich erbarmt, dem Verkäufer allerlei anderen Schrott abzukaufen. In Kaufhäusern stehen Probier- und Animierstände, schwadronieren Feierabend-Moderatoren um die Kunden, wird ein Live-Werbeprogramm veranstaltet und gelegentlich - das sind die Sternstunden des Erlebniseinkaufens - der alkoholgeschwängerte Körper eines ausgemusterten Schlagerstars auf die Bühne gehievt. Der Wettbewerb macht dies möglich, denn freiwillig würde sich niemand diesen Peinlichkeiten ausliefern wollen.
Ja ist es dann nicht recht und billig, wenn man auch Patienten in so eine Erlebniswelt schickt, damit sie vom Wettbewerb erfüllt, ihr Leid ein wenig vergessen? - Das haben die Reformer erkannt, das ist eine grundlegende Revolution im Gesundheitswesen! Der kranke Bürger will ja nicht nur behandelt werden, Ruhe haben und gesund wieder in seine viel zu kleine Sozialwohnung zurückkehren. Nein, er will etwas erleben, wenn er schon mal ernsthaft krank ist, vor allem wenn er todkrank ist. Denn sprechen wir es doch deutlich aus: Sofern er an der Schwelle des Todes steht, will er noch ein letztes, wildes Abenteuer erleben. Noch einmal die Urgewalten des Lebens spüren, ein letztesmal mit allen Sinnen wahrnehmen, wie es ist, zwischen Tod und Leben zu bangen, nicht wissend, ob man dieses archaische Abenteuer noch einmal heil überstehen wird.
All das ist nur gerecht, nur konsequent durchdachtes Wettbewerbsstreben. Wir müssen uns die Einlieferung in ein Krankenhaus als einen Einkauf vorstellen. Der Kunde darf erleben, darf diese Erlebnistour voll auskosten. Er darf spüren, dass er Mensch ist, weil ihn eine gleichgültige Leihkrankenschwester - die sich nebenbei sorgt, wie sie von ihrem Taschengeld, welches ihr ihr Arbeitgeber monatlich generös zukommen läßt, ihre Kinder durchbringen, ihre Wohnung bezahlen soll - kaum beachtet, weil er Schmerzen erdulden darf, die ihm fast den Verstand rauben. Aber da weiß er, dass er noch lebt, dass er noch spürt, dass er noch ein Mensch ist, der mit beiden Beinen im Leben liegt. Wenn man später entscheidet, ob es sich überhaupt noch lohnt, ihm eine Operation zu verkaufen, dann erlebt er eine "Tour zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Tod und Leben"; merkt er, wie ernst es da Experten mit ihm meinen, weil sie fünf Minuten ihres Ärztedaseins dafür aufwenden, um über seinen weiteren Weg zu entscheiden. Es ist doch grundlegend falsch und als Bösartigkeit der Reformgegner zu bewerten, wenn man den wettbewerbsorientierten Krankenkassen unterstellt, sie würden aus reiner Gier Operationen nicht bezahlen wollen. Man verbietet doch nicht aus Menschenverachtung heraus, sondern weil man den Erlebnisgedanken aufrechterhalten will. Der Kunde will dies doch so, er will erleben, nicht völlig banal operiert werden um zu genesen. Das war gestern, heute ist Wettbewerb, heute ist "Adventure-Hospitaling"! Asche auf unsere Häupter, denn wir verkennen den Wert dieser neuen therapeutischen Erkenntnis weiterhin, weil uns christliche Nächstenliebe, aufgeklärter Humanismus und allerlei Irrlehren der Vergangenheit blenden, uns einfach nicht in die Gegenwart kommen lassen; wir verkennen auch die Humanität, die uns in Serien wie "Emergency Room" zunächst noch schockiert haben. Man muß es doch einfach als unnachahmliches, unvergessliches Erlebnis anerkennen, wenn man auf einem Rollbett zwei oder drei Tage auf dem Flur steht, keine Ruhe findet, von anderen Patienten angehustet, angeblutet, angepöbelt wird. Das ist Menschsein in Reinkultur, entblättert allen Schnickschnackes der Zivilisation. Da wird der Mensch in die Unabwägbarkeiten des Lebens geworfen, wiederum zwischen Überleben und Zugrundegehen platziert. Hier erlebt man was, hier ist der Patient nicht nur Kranker, sondern ebenso Mensch, wirklicher, freier, von Zivilisationsprinzipien unabhängiger Mensch. Und wenn sich dann die ausgestossenen Körpersekrete der Patienten mischen, wenn ausgehustete Tröpfchen im Gesicht landen, Blut auf Körperteilen Fremder, Erbrochenes den Fußboden ziert, dann erkennt der Patient, daß er nicht nur Subjekt ist, sondern ein Teil eines objektiven Ganzen, in welchem sich menschliche Zellen, Sekrete und Ausdünstungen vermengen, um zu einer Einheit zu verschmelzen. Hier zeigt sich die Klasse dieses neoliberalen Wettbewerbsdenkens, denn all dieses Menschsein muß nicht in freier Wildbahn, im Wald oder in der Wüste, auf einer einsamen Insel oder auf den Höhen eines Berges veranstaltet werden - denn dort herrscht leider noch kein Wettbewerb -, sondern es reicht ein Krankenhausflur, auf dem man diese liebevoll inszenierte Version des "Adventure-Hospitalings" komprimiert an den Kunden weitergeben kann. Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, Menschen dieser Erlebnisgesellschaft nur zu behandeln. Die Leute wollen was für ihr Geld geboten haben. Und nur der Wettbewerb der Krankenhäuser erlaubt es, dass aus einem ordinären Krankenhausbesuch - der ja nichts anderes ist als der temporäre Kauf eines Krankenzimmers und -bettes, zusammen mit dem temporären Kauf ärztlicher Fachberatung (bei vielen Patienten reicht es finanziell nur zum ersten Kauf) - ein Abenteuer wird.
Wir brauchen also dringend die Bahnprivatisierung, weil sie uns Kunden mehr Erlebnismomente schenken würde. Zur Weihnachtszeit wird die dann privatisierte Bahn sogar Abenteuerfahrten auf vereisten Bahnschienen spendieren - natürlich gegen Aufpreis. Ach, wird das spannend sein: Eine aus dem Stoff des Sitzes durchgestossene Stahlfeder bohrt sich unangenehm in den Hintern, der Waggon wackelt lustig mit den Bäumen im Wettbewerb (man sieht: Der Wettbewerb ist geradezu Naturgesetz!), der Leihlokführer schläft an seinem Arbeitsplatz seinen Alkoholrausch aus, den er sich leistete, weil ihm der Weg zur Arbeit und zurück alle Einkünfte (bei 6,20 Euro Stundenlohn) auffrißt und zeitgleich seine geliebte Frau in einem Erlebniskrankenhaus liegt und er nicht das nötige Gottvertrauen aufbringen will, um felsenfest daran zu glauben, dass man sich aufopfernd um sie kümmern wird. Und wenn dann erstmal der Zug entgleist ist, weil die Schienen - dem Erlebnisdogma wegen - nicht gewartet wurden, dann werden die Bahnkunden wissen, wie wertvoll sie für das Unternehmen doch sind, wie ernst die feinen Herren aus dem Bahnvorstand den neuen Wettbewerb nehmen. Vielleicht trällert dann sogar ein Schlagerbarde, unterhält Kunden und Feuerwehrleute gleichermaßen, während man den Verunfallten - die ja Kunden sind - die wunderbare Erlebniswelt des Herausschneidens aus Wrackteilen zuteil werden läßt.
Freilich ist der Weg dieser bahnbrechenden Erkenntnis - eine Erkenntnis aus empirischer Beobachtung - mit Toten gepflastert; freilich handelt es sich vornehmlich um Tote aus den unteren Gesellschaftsschichten; freilich bedauern die Reformer jeden Todesfall. Aber der Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern darf als Imperativ neoliberaler Reformitis nicht angetastet werden. Patienten brauchen den Wettbewerb, weil sie zwischen verschiedenen Anbietern auswählen sollten, weil auch das Kranksein als Übereinkunft von Händler und Kunden anzusehen ist. Eine Übereinkunft, bei der der Patientenkunde natürlich frei auswählen darf.
Die Jünger des freien Marktes sprechen sich für regen Wettbewerb aus, weil es dem Kunden Auswahl und vielerlei Aktionen beschert. Der Anbieter einer Ware oder Dienstleistung wartet mit Kundenaktionen auf, bietet seinen Käufern Erlebnisse, die diesen längerfristig an ihn binden sollen. Das sind unter anderem Mobiltelefone, die zum Spottpreis quasi verschenkt werden oder ein Gratisprodukt, wenn man sich erbarmt, dem Verkäufer allerlei anderen Schrott abzukaufen. In Kaufhäusern stehen Probier- und Animierstände, schwadronieren Feierabend-Moderatoren um die Kunden, wird ein Live-Werbeprogramm veranstaltet und gelegentlich - das sind die Sternstunden des Erlebniseinkaufens - der alkoholgeschwängerte Körper eines ausgemusterten Schlagerstars auf die Bühne gehievt. Der Wettbewerb macht dies möglich, denn freiwillig würde sich niemand diesen Peinlichkeiten ausliefern wollen.
Ja ist es dann nicht recht und billig, wenn man auch Patienten in so eine Erlebniswelt schickt, damit sie vom Wettbewerb erfüllt, ihr Leid ein wenig vergessen? - Das haben die Reformer erkannt, das ist eine grundlegende Revolution im Gesundheitswesen! Der kranke Bürger will ja nicht nur behandelt werden, Ruhe haben und gesund wieder in seine viel zu kleine Sozialwohnung zurückkehren. Nein, er will etwas erleben, wenn er schon mal ernsthaft krank ist, vor allem wenn er todkrank ist. Denn sprechen wir es doch deutlich aus: Sofern er an der Schwelle des Todes steht, will er noch ein letztes, wildes Abenteuer erleben. Noch einmal die Urgewalten des Lebens spüren, ein letztesmal mit allen Sinnen wahrnehmen, wie es ist, zwischen Tod und Leben zu bangen, nicht wissend, ob man dieses archaische Abenteuer noch einmal heil überstehen wird.
All das ist nur gerecht, nur konsequent durchdachtes Wettbewerbsstreben. Wir müssen uns die Einlieferung in ein Krankenhaus als einen Einkauf vorstellen. Der Kunde darf erleben, darf diese Erlebnistour voll auskosten. Er darf spüren, dass er Mensch ist, weil ihn eine gleichgültige Leihkrankenschwester - die sich nebenbei sorgt, wie sie von ihrem Taschengeld, welches ihr ihr Arbeitgeber monatlich generös zukommen läßt, ihre Kinder durchbringen, ihre Wohnung bezahlen soll - kaum beachtet, weil er Schmerzen erdulden darf, die ihm fast den Verstand rauben. Aber da weiß er, dass er noch lebt, dass er noch spürt, dass er noch ein Mensch ist, der mit beiden Beinen im Leben liegt. Wenn man später entscheidet, ob es sich überhaupt noch lohnt, ihm eine Operation zu verkaufen, dann erlebt er eine "Tour zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Tod und Leben"; merkt er, wie ernst es da Experten mit ihm meinen, weil sie fünf Minuten ihres Ärztedaseins dafür aufwenden, um über seinen weiteren Weg zu entscheiden. Es ist doch grundlegend falsch und als Bösartigkeit der Reformgegner zu bewerten, wenn man den wettbewerbsorientierten Krankenkassen unterstellt, sie würden aus reiner Gier Operationen nicht bezahlen wollen. Man verbietet doch nicht aus Menschenverachtung heraus, sondern weil man den Erlebnisgedanken aufrechterhalten will. Der Kunde will dies doch so, er will erleben, nicht völlig banal operiert werden um zu genesen. Das war gestern, heute ist Wettbewerb, heute ist "Adventure-Hospitaling"! Asche auf unsere Häupter, denn wir verkennen den Wert dieser neuen therapeutischen Erkenntnis weiterhin, weil uns christliche Nächstenliebe, aufgeklärter Humanismus und allerlei Irrlehren der Vergangenheit blenden, uns einfach nicht in die Gegenwart kommen lassen; wir verkennen auch die Humanität, die uns in Serien wie "Emergency Room" zunächst noch schockiert haben. Man muß es doch einfach als unnachahmliches, unvergessliches Erlebnis anerkennen, wenn man auf einem Rollbett zwei oder drei Tage auf dem Flur steht, keine Ruhe findet, von anderen Patienten angehustet, angeblutet, angepöbelt wird. Das ist Menschsein in Reinkultur, entblättert allen Schnickschnackes der Zivilisation. Da wird der Mensch in die Unabwägbarkeiten des Lebens geworfen, wiederum zwischen Überleben und Zugrundegehen platziert. Hier erlebt man was, hier ist der Patient nicht nur Kranker, sondern ebenso Mensch, wirklicher, freier, von Zivilisationsprinzipien unabhängiger Mensch. Und wenn sich dann die ausgestossenen Körpersekrete der Patienten mischen, wenn ausgehustete Tröpfchen im Gesicht landen, Blut auf Körperteilen Fremder, Erbrochenes den Fußboden ziert, dann erkennt der Patient, daß er nicht nur Subjekt ist, sondern ein Teil eines objektiven Ganzen, in welchem sich menschliche Zellen, Sekrete und Ausdünstungen vermengen, um zu einer Einheit zu verschmelzen. Hier zeigt sich die Klasse dieses neoliberalen Wettbewerbsdenkens, denn all dieses Menschsein muß nicht in freier Wildbahn, im Wald oder in der Wüste, auf einer einsamen Insel oder auf den Höhen eines Berges veranstaltet werden - denn dort herrscht leider noch kein Wettbewerb -, sondern es reicht ein Krankenhausflur, auf dem man diese liebevoll inszenierte Version des "Adventure-Hospitalings" komprimiert an den Kunden weitergeben kann. Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, Menschen dieser Erlebnisgesellschaft nur zu behandeln. Die Leute wollen was für ihr Geld geboten haben. Und nur der Wettbewerb der Krankenhäuser erlaubt es, dass aus einem ordinären Krankenhausbesuch - der ja nichts anderes ist als der temporäre Kauf eines Krankenzimmers und -bettes, zusammen mit dem temporären Kauf ärztlicher Fachberatung (bei vielen Patienten reicht es finanziell nur zum ersten Kauf) - ein Abenteuer wird.
Wir brauchen also dringend die Bahnprivatisierung, weil sie uns Kunden mehr Erlebnismomente schenken würde. Zur Weihnachtszeit wird die dann privatisierte Bahn sogar Abenteuerfahrten auf vereisten Bahnschienen spendieren - natürlich gegen Aufpreis. Ach, wird das spannend sein: Eine aus dem Stoff des Sitzes durchgestossene Stahlfeder bohrt sich unangenehm in den Hintern, der Waggon wackelt lustig mit den Bäumen im Wettbewerb (man sieht: Der Wettbewerb ist geradezu Naturgesetz!), der Leihlokführer schläft an seinem Arbeitsplatz seinen Alkoholrausch aus, den er sich leistete, weil ihm der Weg zur Arbeit und zurück alle Einkünfte (bei 6,20 Euro Stundenlohn) auffrißt und zeitgleich seine geliebte Frau in einem Erlebniskrankenhaus liegt und er nicht das nötige Gottvertrauen aufbringen will, um felsenfest daran zu glauben, dass man sich aufopfernd um sie kümmern wird. Und wenn dann erstmal der Zug entgleist ist, weil die Schienen - dem Erlebnisdogma wegen - nicht gewartet wurden, dann werden die Bahnkunden wissen, wie wertvoll sie für das Unternehmen doch sind, wie ernst die feinen Herren aus dem Bahnvorstand den neuen Wettbewerb nehmen. Vielleicht trällert dann sogar ein Schlagerbarde, unterhält Kunden und Feuerwehrleute gleichermaßen, während man den Verunfallten - die ja Kunden sind - die wunderbare Erlebniswelt des Herausschneidens aus Wrackteilen zuteil werden läßt.
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