Sit venia verbo
Mittwoch, 19. März 2008
"Dieses Aufgehen der Ideologie in der Wirklichkeit bedeutet jedoch nicht das "Ende der Ideologie". Im Gegenteil, in einem bestimmten Sinne ist die fortgeschrittene industrielle Kultur ideiologischer als ihre Vorgängerin, insofern nämlich, als heute die Ideologie im Produktionsprozeß selbst steckt. In provokativer Form offenbart dieser Satz die politischen Aspekte der herrschenden technologischen Rationalität. Der Produktionsapparat und die Güter und Dienstleistungen, die er hervorbringt, "verkaufen" das soziale System als Ganzes oder setzen es durch. Die Mittel des Massentransports und der Massenkommunikation, die Gebrauchsgüter Wohnung, Nahrung, Kleidung, die unwiderstehliche Leistung der Unterhaltungs- und Nachrichtenindustrie gehen mit verordneten Einstellungen und Gewohnheiten, mit geistigen und gefühlsmäßigen Reaktionen einher, die die Konsumenten mehr oder weniger angenehm an die Produzenten binden und vermittels dieser ans Ganze. Die Erzeugnisse durchdringen und manipulieren die Menschen; sie befördern ein falsches Bewußtsein, das gegen seine Falschheit immun ist. Und indem diese vorteilhaften Erzeugnisse mehr Individuen in mehr gesellschaftlichen Klassen zugänglich werden, hört die mit ihnen einhergehende Indoktrination auf, Reklame zu sein; sie wird ein Lebensstil, und zwar ein guter - viel besser als früher -, und als ein neuer Lebensstil widersetzt er sich qualitativer Änderung. So entsteht ein Muster eindimensionalen Denkens und Verhaltens, worin Ideen, Bestrebungen und Ziele, die ihrem Inhalt nach das bestehende Universum von Sprache und Handeln transzendieren, entweder abgewehrt oder zu Begriffen dieses Universums herabgesetzt werden Sie werden neubestimmt von der Rationalität des gegebenen Systems und seiner quantitativen Ausweitung."
- Herbert Marcuse, "Der eindimensionale Mensch" -