Neokynismus als Aufklärung oder Martin aus der Tonne
Freitag, 30. Mai 2014
Über die wirkliche Alternative für Deutschland anstelle der »Alternative für Deutschland«.
Es ist schon charakteristisch für unsere Zeit, dass ein Satiriker in einigen Interviews mehr Wahrheiten und Inhalte verbreitet, als ein ganzes Heer an Berufspolitikern in einem ganzen Jahr. Nein, ihr nun pikierten Spießbürger Deutschlands, Sonneborn ist eben kein Clown - was er macht ist hochpolitisch! Auch wenn er offenbar kein Interesse an Tages- oder Sachpolitik hat.
Was ist schon das Recherchieren und Formulieren eines Artikels, der sich seriös mit der Bürokratie und ernstlich der politischen Hochnäsigkeit befasst, gegen den offenen Zynismus, den der Satiriker an den Tag zu legen vermag? Viele Wege führen zur Aufklärung. Die klassische versuchte sich weitestgehend seriös, griff aber auch gelegentlich auf die Polemik zurück. Sonneborn polemisiert so ernsthaft, dass man mit dem Label »Clown« nicht mehr ankommen kann. Dass er das »im Amt« tut, verleiht seiner Kritik am eingeschleiften Parlamentarismus, die so tut, als sei sie gar keine Kritik, besondere Würze.
Ist das überhaupt Zynismus, was Sonneborn da praktiziert? Ist sein Kurs eine »Kritik der zynischen Vernunft«? So hieß ein zweibändiges Werk Sloterdijks Anfang der Achtzigerjahre. Damals war der Mann noch nicht auf libertären Pfaden unterwegs. Damals war er noch das, was er heute vorgibt zu sein: Philosoph. Jedenfalls sah dieser Sloterdijk seinerzeit eine Verwandtschaft zwischen Kynismus und Zynismus. Er verwendete die etymologische Veränderung des Anfangsbuchstabens, um seine These zu unterstreichen. Sie lautet in etwa so: Der Kynismus, deren berühmtester Vertreter der Diogenes war, der seine Tonne in Sinope stehen hatte, war die geistige Schule, die für das entrechtete Volk sprach. Eine Art Gegenbewegung zur herrschenden Denkschule, zur Akademie sozusagen. Kynismus war so eine Art puristisches Kabarett und gelebte Satire.
Später drehte sich das Rad und der Kynismus, aus dem jetzt der Zynismus hervorging, wurde die Lebensart derer, die eben nicht in der Tonne lebten, sondern die verachteten, die in einer solchen ihr Leben fristen mussten. Sloterdijk sagt, dass das die »Frechheit [sei], die die Seiten gewechselt hat«. Herrschaftszynismus leitete sich also demgemäß von der Frechheit ab, mit der die Kyniker der Herrschaft vor mehr als zwei Jahrtausenden begegneten. Der Zynismus der Reichen und Mächtigen ist gewissermaßen eine Reaktion, ein »Wie man in den Wald hineinschreit, so kommt es heraus«. Und Sonneborn, der nun Europaparlamentarier ist, ist demnach gar kein Zyniker, sondern eben eher ein Kyniker, der seine Tonne nach Brüssel rollt. Er ist die »Frechheit, die die Seiten [abermals] gewechselt hat«, die zurückgewechselt ist ins Lager derer, die die Herrschaft verspotten.
Was hat man nicht alles für den Rechtsruck verantwortlich gemacht! Nicht erst am Sonntag, sondern bei jedem NPD-Stelldichein in den letzten Jahren. »Politikverdrossenheit« nennt und nannte sich ein beliebter Erklärungsansatz. Man wähle rechts, so heißt es da, weil man Protest gegen eine Politik zeigen wolle, die sich immer mehr von den Menschen entferne. Wenn das stimmt, wären dann zwei, drei mehr Sonneborns nicht eine wirkliche Alternative für Deutschland gewesen? Eine, die die Auflehnung und den Protest gegen die Bürokratie und die in Rituale erstarrte Demokratie aufzurütteln vermag durch ihre Frechheit, durch den Elan des ernsthaft vorgetragenen Witzes, durch diogenesische Chuzpe? Und die nicht durch billige Xenophobie, ekelhaften Sozialrassismus und abgestandene Homophobie punkten will?
Aus Protest faschistische Modelle wählen? Damit sagt man der etablierten Parteienlandschaft doch überhaupt nichts. Wenn überhaupt, dann sagt man ihr nur, dass sie noch weiter nach rechts abdrehen sollte, damit sie das abgewanderte Stimmvieh wieder einfängt, um künftig wieder Pöstchenprofite zu zeitigen. Wie wollen denn die Rechtspopulisten Aufklärung betreiben? Wie aufklären, dass der Kurs der europäischen Institutionen falsch und nicht vermittelbar ist? Wie wollen sie in ihrer Bierernsthaftigkeit darlegen, dass sie jetzt in einem Schatten- und Spaßparlament ohne weitreichende Befugnisse, ein Abnickplenum sitzen? Und wieso braucht man dazu Hetze gegen Südeuropa und sozialdarwinistische Lehren, so wie eben diese »Alternative für Deutschland«? Aufklärung durch quasi-faschistische Schlipsbürger? Das ist ja zum Schreien! Zum Lachen jedoch nicht. Das ist Sonneborn. Er mit seinem kynischen Anlauf, diesen lausigen Versuch von europäischer »Demokratie«, der aus dem einen Hinterzimmer kommt und in das andere Hinterzimmer wieder abwandert, ad absurdum zu führen.
Der Volksmund sagt, dass der Politiker, der nichts taugt, »nach Europa« abgeschoben wird. Das stimmt natürlich so nicht. Man kann ja nicht den halben Bundestag dorthin verfrachten. Es bleiben einige dieser Taugenichtse auch in Berlin, in München, Wiesbaden, Düsseldorf oder Stuttgart. Sonneborn zeigt nur auf, wie der europäische Apparatschik tickt. Pervertiert er ihn? Wohl kaum. Er gibt einfach die Gedankengänge in Interviews an, die einige andere - wahrscheinlich nicht alle - nur im Kopf mit sich herumtragen.
Sonneborn ist ein politischer Aufklärer mit feiner Chuzpe. Sein gewollter Kurs, nichts Konkretes zur Sachpolitik sagen zu wollen, destruktiv zu sein, um das Augenmerk auf etwas anderes zu lenken, nämlich auf den Euro-Apparat-Mensch mit seinen Verordnungen und seinen Kompetenzlosigkeiten, seinem Soziolekt und seiner in den Irrsinn tendierenden Art, die Welt als eine Matrix aus politischer Willensbildung und »Mandat durch Souverän« zu sehen, wo aber nur Lobbybeeinflussung und Hinterzimmerdiplomatie wirkt, ist allerdings kein unpolitischer Nonsens, sondern ganz in Gegenteil, eine gewiefte politische Botschaft. Dazu fehlt den Rechten, die destruktiv sein wollen in einem Apparat, den sie ja weder so noch anders akzeptieren wollen, natürlich jegliche Phantasie.
Diogenes aus der Tonne hat der weltlichen Macht, die damals Alexander hieß, laut Legende gesagt, er solle ihm aus der Sonne gehen. So hat er Verachtung für den Machtapparat gezeigt, hat ihm nebenher eine andere Sichtweise aufgenötigt. »Hat sich dieser Kerl in der Tonne nicht meiner Präsenz erfreut?«, mag sich der junge Feldherr gedacht haben. »Stehe ich doch nicht im Zentrum der Welt?« Der moderne Kyniker setzt sich der »Frankfurter Allgemeinen« zum Interview aus und sagt Sachen wie »Theoretisch heißt das, jeden Monat sitzt ein anderer Abgeordneter der „Partei“ in Brüssel und kassiert das Geld« und rüttelt an den Institutionen der Ohnmacht, die wir als Europäisches Parlament kennen.
Was ist schon das Recherchieren und Formulieren eines Artikels, der sich seriös mit der Bürokratie und ernstlich der politischen Hochnäsigkeit befasst, gegen den offenen Zynismus, den der Satiriker an den Tag zu legen vermag? Viele Wege führen zur Aufklärung. Die klassische versuchte sich weitestgehend seriös, griff aber auch gelegentlich auf die Polemik zurück. Sonneborn polemisiert so ernsthaft, dass man mit dem Label »Clown« nicht mehr ankommen kann. Dass er das »im Amt« tut, verleiht seiner Kritik am eingeschleiften Parlamentarismus, die so tut, als sei sie gar keine Kritik, besondere Würze.
Ist das überhaupt Zynismus, was Sonneborn da praktiziert? Ist sein Kurs eine »Kritik der zynischen Vernunft«? So hieß ein zweibändiges Werk Sloterdijks Anfang der Achtzigerjahre. Damals war der Mann noch nicht auf libertären Pfaden unterwegs. Damals war er noch das, was er heute vorgibt zu sein: Philosoph. Jedenfalls sah dieser Sloterdijk seinerzeit eine Verwandtschaft zwischen Kynismus und Zynismus. Er verwendete die etymologische Veränderung des Anfangsbuchstabens, um seine These zu unterstreichen. Sie lautet in etwa so: Der Kynismus, deren berühmtester Vertreter der Diogenes war, der seine Tonne in Sinope stehen hatte, war die geistige Schule, die für das entrechtete Volk sprach. Eine Art Gegenbewegung zur herrschenden Denkschule, zur Akademie sozusagen. Kynismus war so eine Art puristisches Kabarett und gelebte Satire.
Später drehte sich das Rad und der Kynismus, aus dem jetzt der Zynismus hervorging, wurde die Lebensart derer, die eben nicht in der Tonne lebten, sondern die verachteten, die in einer solchen ihr Leben fristen mussten. Sloterdijk sagt, dass das die »Frechheit [sei], die die Seiten gewechselt hat«. Herrschaftszynismus leitete sich also demgemäß von der Frechheit ab, mit der die Kyniker der Herrschaft vor mehr als zwei Jahrtausenden begegneten. Der Zynismus der Reichen und Mächtigen ist gewissermaßen eine Reaktion, ein »Wie man in den Wald hineinschreit, so kommt es heraus«. Und Sonneborn, der nun Europaparlamentarier ist, ist demnach gar kein Zyniker, sondern eben eher ein Kyniker, der seine Tonne nach Brüssel rollt. Er ist die »Frechheit, die die Seiten [abermals] gewechselt hat«, die zurückgewechselt ist ins Lager derer, die die Herrschaft verspotten.
Was hat man nicht alles für den Rechtsruck verantwortlich gemacht! Nicht erst am Sonntag, sondern bei jedem NPD-Stelldichein in den letzten Jahren. »Politikverdrossenheit« nennt und nannte sich ein beliebter Erklärungsansatz. Man wähle rechts, so heißt es da, weil man Protest gegen eine Politik zeigen wolle, die sich immer mehr von den Menschen entferne. Wenn das stimmt, wären dann zwei, drei mehr Sonneborns nicht eine wirkliche Alternative für Deutschland gewesen? Eine, die die Auflehnung und den Protest gegen die Bürokratie und die in Rituale erstarrte Demokratie aufzurütteln vermag durch ihre Frechheit, durch den Elan des ernsthaft vorgetragenen Witzes, durch diogenesische Chuzpe? Und die nicht durch billige Xenophobie, ekelhaften Sozialrassismus und abgestandene Homophobie punkten will?
Aus Protest faschistische Modelle wählen? Damit sagt man der etablierten Parteienlandschaft doch überhaupt nichts. Wenn überhaupt, dann sagt man ihr nur, dass sie noch weiter nach rechts abdrehen sollte, damit sie das abgewanderte Stimmvieh wieder einfängt, um künftig wieder Pöstchenprofite zu zeitigen. Wie wollen denn die Rechtspopulisten Aufklärung betreiben? Wie aufklären, dass der Kurs der europäischen Institutionen falsch und nicht vermittelbar ist? Wie wollen sie in ihrer Bierernsthaftigkeit darlegen, dass sie jetzt in einem Schatten- und Spaßparlament ohne weitreichende Befugnisse, ein Abnickplenum sitzen? Und wieso braucht man dazu Hetze gegen Südeuropa und sozialdarwinistische Lehren, so wie eben diese »Alternative für Deutschland«? Aufklärung durch quasi-faschistische Schlipsbürger? Das ist ja zum Schreien! Zum Lachen jedoch nicht. Das ist Sonneborn. Er mit seinem kynischen Anlauf, diesen lausigen Versuch von europäischer »Demokratie«, der aus dem einen Hinterzimmer kommt und in das andere Hinterzimmer wieder abwandert, ad absurdum zu führen.
Der Volksmund sagt, dass der Politiker, der nichts taugt, »nach Europa« abgeschoben wird. Das stimmt natürlich so nicht. Man kann ja nicht den halben Bundestag dorthin verfrachten. Es bleiben einige dieser Taugenichtse auch in Berlin, in München, Wiesbaden, Düsseldorf oder Stuttgart. Sonneborn zeigt nur auf, wie der europäische Apparatschik tickt. Pervertiert er ihn? Wohl kaum. Er gibt einfach die Gedankengänge in Interviews an, die einige andere - wahrscheinlich nicht alle - nur im Kopf mit sich herumtragen.
Sonneborn ist ein politischer Aufklärer mit feiner Chuzpe. Sein gewollter Kurs, nichts Konkretes zur Sachpolitik sagen zu wollen, destruktiv zu sein, um das Augenmerk auf etwas anderes zu lenken, nämlich auf den Euro-Apparat-Mensch mit seinen Verordnungen und seinen Kompetenzlosigkeiten, seinem Soziolekt und seiner in den Irrsinn tendierenden Art, die Welt als eine Matrix aus politischer Willensbildung und »Mandat durch Souverän« zu sehen, wo aber nur Lobbybeeinflussung und Hinterzimmerdiplomatie wirkt, ist allerdings kein unpolitischer Nonsens, sondern ganz in Gegenteil, eine gewiefte politische Botschaft. Dazu fehlt den Rechten, die destruktiv sein wollen in einem Apparat, den sie ja weder so noch anders akzeptieren wollen, natürlich jegliche Phantasie.
Diogenes aus der Tonne hat der weltlichen Macht, die damals Alexander hieß, laut Legende gesagt, er solle ihm aus der Sonne gehen. So hat er Verachtung für den Machtapparat gezeigt, hat ihm nebenher eine andere Sichtweise aufgenötigt. »Hat sich dieser Kerl in der Tonne nicht meiner Präsenz erfreut?«, mag sich der junge Feldherr gedacht haben. »Stehe ich doch nicht im Zentrum der Welt?« Der moderne Kyniker setzt sich der »Frankfurter Allgemeinen« zum Interview aus und sagt Sachen wie »Theoretisch heißt das, jeden Monat sitzt ein anderer Abgeordneter der „Partei“ in Brüssel und kassiert das Geld« und rüttelt an den Institutionen der Ohnmacht, die wir als Europäisches Parlament kennen.
4 Kommentare:
Es sollte sich einmal jemand fragen, warum bei einer Protestwahl stets nur rechte Kandidaten Zulauf erhalten.
Gemäß, dies ist eine echte Protestwahl, müsste auch der linke Sektor seinen Zulauf bekommen.
Das passiert aber nicht.
Spreche man es einmal offen aus, der Faschismus ändert nichts. Der einzige Unterschied, den er zu dem konservativen Sektor aufweist, ist, dass er weniger diskutiert und Dinge gleich beschließt.
So viel sollte auch ein oder anderem Protestwähler klar sein.
Den Eliten im Hintergrund kann solches Verhalten nur recht sein, denn sie profitieren davon.
Von einer linken Protestwahl würden sie dies nicht tun.
Es widerspricht der Logik.
Warum sollten Menschen, die in einem höchst emotionalen Zustand sind, sich ausgerechnet für eine bestimmte politische Richtung entscheiden, wenn es ihnen lediglich recht ist, irgendetwas anzukreuzen, das möglichst weit in extremen Ausmaß der Politik der regierenden Parteien widerspricht?
Wenn Unordnung derart lenkbar wäre, dann benötigte man schon lang keine Tabletten mehr fürs Gemüt.
viele deutsche wählen sich selbst den schlachter und das wissen sie sogar und ziehen ihn dem leben in freiheit vor. es ist die aufgabe der hoffnung auf besserung. das 'einsehen' in die eigene 'schuld'. es wird ja doch nichts besser und ich bin einfach nicht gut genug um ein besseres leben zu führen. also geb ich mich hin an den grausamsten mässter und schlechter, der mit mir tut was mir zusteht.
es ist diese deutsche eigenschaft der unterwürfigkeit und des obrigkeitsgehorsams, die die sache so hoffnungslos auch für die restlichen von uns macht. der deutsche tut einfach was man ihm sagt, sofern diese ansage von jemandem mit angeblicher autorität (woher diese auch kommen mag) getätitgt wird.
Das Schöne daran ist, dass die Eulenspiegeleien Sonneborns anscheinend ihre Wirkung nicht verfehlen:
http://www.sueddeutsche.de/politik/europawahl-steinmeier-aergert-sich-ueber-die-jux-partei-1.1979679
Statt cool und abgeklärt die Nummer mitzuspielen, geben 'Berufspolitiker' die beleidigte Leberwurst, tststs....
;-)
Rechte Parteien werden nicht von Protestwählern gewählt, sondern von Rechten.
Es ist kein Zufall, dass die Faschisten vor allem in Frankreich Stimmen sammeln konnten, wo vor kurzen noch Zehntausende gegen die Gleichberechtigung von Homosexuellen auf die Straßen gegangen sind.
Protestwähler wählen eher Leute wie Sonneborn, und das seine Partei noch so verhältnismäßig wenig Stimmen bekommen hat, zeigt leider, dass im Grunde noch viel zu viele dem den Verhältnissen einverstanden sind.
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